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Steinwartenkolonie Kreuzberg e.V.

Tagsüber war ich mit vier Kindern und einem Freund bei grandiosem Wetter auf dem Kreuzberger MyFest unterwegs. Nett war’s, aber mir reicht es ja auch, faul in der Sonne zu liegen, Menschen zu gucken und dabei Musik zu hören. Für die Kurzen war’s etwas langweilig, der einzige Thrill war das Anstehen für und Ergattern von PDS-Luftballons, das sagt eigentlich schon alles. Selbst der Spielplatz rockte mehr.

Im letzten Jahr hatte ich das komplett anders empfunden, heute fand ich die neongelb bewesteten „Anti-Konflikt-Teams“ der Polizei wirklich überzeugend. Mindestens eine halbe Stunde lang konnte ich dabei zusehen, wie sich die scheinbar kiez-kundigen und hübsch berlinernden weiblichen und männlichen Cops viel Zeit für die sie auf Schritt und Tritt verfolgenden Kinder im Alter von 5 bis 20 nahmen. Und auch für ein paar Erwachsene.

Das sah alles so aus als würde man sich kennen, wirklich mehrere Beamte glänzten durch gekonnten Austausch von hiphopigen Begrüßungsritualen mit einigen Jungs mit viel zu großen Hosen, die zu jung waren, um Zivis zu sein und ich guckte mich dauernd nach laufenden TV-Kameras um, so unwirklich (aber nicht unangenehm) schien mir dieser sonnige Tag.

Ich fand das gut.

Da ich aber nicht naiv genug bin, um zu glauben, dass sich wirklich etwas getan hätte im Verhältnis zwischen der Kreuzberger Bevölkerung und der Exekutive, schaute ich gerade eben (bin seit 22:30h zurück) nochmal beim sehr gefüllten Heinrichplatz vorbei.

Das fand ich nicht gut.

Ein Straßenfest war das nicht. Dazu war es zu angespannt.

Eine Demo war das auch nicht. Denn es wurde nichts gesagt, geschrieben, verkündet, gerufen.

Das war ein kollektives, fast gelangweiltes Warten. Ob noch „was“ passiert. Mit (man möge daran denken, dass Stimmungen extrem subjektiv aufgenommen werden, falls es Leute gibt, die auch da waren und das komplett anders empfunden haben, freue ich mich über Kommentare) einer ganz fiesen und ekligen Stimmung.

Digitalisiert sind wir ja alle inzwischen, die vorhandene und zur Schau gestellte Menge an Handy- und „echten“ Kameras und Videocams war trotzdem genauso beeindruckend wie die sichtbare polizeiliche Technik (mobile Flutlichter, ebenfalls viele Kameras, teilweise neu aussehende Einsatzwagen). Ein absurdes technisches Wettrüsten exhibitioniert sich an einem wunderschönen ersten Sommerabend.

Auf der zivilen Seite in der Mehrheit junge Menschen, schätzungsweise die Hälfte davon Kreuzberger, die älteren Anwohner hängen neugierig aus ihren Fenstern. Hier und da unangenehme, bereits besoffene Typen, im Gros aber der dem Großstädter bekannte und von mir sehr gemochte Mix aus allen möglichen Jugendkulturen. Im Grunde eine prima Basis für eine Straßenparty, denn auch musikalisch ging von Hiphop über Techno und Punk bis Reggae und Ska (The Specials!) alles, was man zum tanzen braucht.

Aber tanzen wollten nur wenige. Hätte ich auch nicht gewollt. Denn die neongelben Westen waren verschwunden.

Ihr habt jetzt aber nicht wirklich erwartet, dass dieser Satz meine Beschreibung der nicht sichtbaren Präsenz der Polizei einleitet, oder? Wir sind hier schließlich nicht in der Hauptstadt von Utopien.

Nein, die neongelben Westen wurden natürlich (warum eigentlich „natürlich“?) gegen die bekannte Kampfmontur eingetauscht. Nicht nur, dass das gesamte Gebiet wirklich massiv von Einsatzwagen inkl. Inhalt umringt war (das wäre von mir aus noch irgendwie mit dem Wort „präventiv“ zu erklären), nein: An jeder Ecke standen Gruppen von Beamten in voller Montur (mit Helmen auf dem Kopf). Und warteten.

Habt ihr schon einmal getanzt, ach was, Spaß gehabt, Quatsch, euch ungezwungen unterhalten (ich schraube mal die Ansprüche etwas runter), während drei Meter weiter fünf behelmte Polizisten in Kampfausrüstung stehen?

Eben.

Als ich mich nachmittags mit einem netten und gelangweilten Einsatzleiter der Polizei unterhalten hatte, meinte er auf meine Frage nach seiner Einschätzung des bevorstehenden Abends mit: „Na mal abwarten“.

Als ich gerade eine Weile mit meinem Fahrrad am Heinrichplatz rumstand, meinte ein Junge zu einem anderen (das ist nicht erfunden, auch wenn es so klingt): „Und? Schmeisste Steine?“, worauf dieser erwiderte: „Ma‘ seh’n“.

Und würde mich jetzt nach dieser Stunde am Heinrichplatz jemand fragen, ob ich meine, das noch „was“ passiert, würde ich antworten:

Muss wohl. Es warten zumindest alle darauf.

Ich hoffe, ich irre mich und habe einen falschen Eindruck bekommen.

Denn der, mit dem ich hier sitze, lässt sich nur mit den Worten „absurd“ und „grotesk“ beschreiben.

17 Kommentare

  1. 01

    Ich wohne zu weit weg um von solche „Krawalle“ jemals gewollt oder ungewollt live miterlebt zu haben. Natürlich, ich hätte „vorbei-touren“ können, aber so ein Mensch bin ich nicht, mal abgesehen davon hoffe ich für Dich und andere „Betroffene“, dass nichts passiert ist oder passiert. Das Fernsehen (sowohl gute, als auch schlechte oder sogar keine Nachrichtensendungen) wird wohl darüber bericht, also abwarten. So.

  2. 02

    tanzen, party, uniformierte — absurd?
    bin z.zt. in china.
    auf jeder, öffentlich bekannt gemachten, veranstaltung sind ordnungshüter in uniform.
    z.b. mein letztes punk konzert.
    auf der bühne brachiallärm, im publikum jungs mit lustigen t-shirts (nice country — fucking government), vor der tür blutige nasen.
    dazwischen fünf polizisten, offensichtlich total angepisst diesen lärm ertragen zu müssen und nicht zu hause sein zu können.
    der einzige der etwas aufgeregt war, war der clubbesitzer.
    der hatte angst das sein club demoliert wird.
    das ist absurd — aber lustig!

  3. 03

    Das schönste Bild des Abends lieferte die Berliner Polizei als sie gegen 0.00 Uhr eine brennende Mülltonne aus dem Mob holten und die Mariannenstraße Richtung Autohaus runterschoben. Die Menge hat sie ordentlich ausgefeiert. Ansonsten „ging“ auch danach nicht mehr viel.
    Das allgemeine Ritual „Böller->Jubel->Wegrennen“ wurde einige Male aufgeführt aber wirklich bewegendes passierte nicht.
    Gestern haben wir definitiv den friedlichsten 1.Mai seit ’87 erlebt. Wir können nur hoffen, dass die Spirale der Gewalt durchbrochen wurde.
    Leider muss man der Polizei ein sogar ziemlich besonnenes Verhalten bescheinigen, Steineschmeißer wurden rigoros und schnell rausgefischt. Wasserwerfer oder sogar Tränengas kamen nicht zum Einsatz. Damit hielt sich auch die Zahl der Verletzten auf beiden Seiten in Grenzen.
    Alles in allem lässt das für die nächsten Jahre auf friedliche Feiern hoffen.

    ps: großes Lob auch an die MyFest-Leute, die ihr Fest in der Oranienstraße bis 23.00 Uhr am Laufen hielten.

  4. 04

    Das mit der Polizeipräsenz ist immer ein sehr strittiges Thema, auch wir hier in Dresden machen jedes Jahr wieder zur BRN (nicht unbedingt erfüllender Artikel) unsere Erfahrungen damit. Das tolle ist ja, dass es Prolltouristen sind, die sich auf den an sich friedlichen Veranstaltungen tummeln, um dann Randale zu machen. Hier reisen teilweise Nazis aus dem Umland an, um das eher alternativ ausgerichtete Stadtfest in Verruf zu bringen.

    Klar fühlt man sich irgendwie anders, wenn die Robocops direkt neben einem stehen, und so richtig „auf den Putz“ haut man dann eben doch nicht. Andererseits glaube ich, dass es einige Gewaltbereite gibt, die sich einfach nicht aufhalten ließen, wenn es die Männer in grün nicht gäbe.

    Die Polizisten hier, mit denen ich mich dann mal unterhielt, waren alle sehr nett und freundlich (und einigermaßen gut vorbereitet), besonders wenn man das NRW-Wappen auf ihren Uniformen bedenkt. Mir wurde auf meiner ersten Bunten Republik, als ich mit Bänderriss und Krücken unterwegs war, sogar angeboten, mich nach Hause zu fahren (die 500 Meter habe ich dann auch so geschafft).

    Was für mich wirklich ein Problem darstellt sind die von Dir erwähnten Kameras. Mich würde auch mal interessieren, was die mit den gesammelten Daten machen. Als ich einen Polizisten mal danach fragte, wusste er auch keine bessere Antwort, als gleich mal meine Personalien aufzunehmen. So konnte Video-Footage und persönliche Daten perfekt verbunden werden…

  5. 05

    Ich habe gestern einen sehr entspannten 1. Mai in Berlin erlebt und nur heute morgen im Fernsehen kurz die Bilder aus X-Berg gesehen. Vielleicht war ja der kurze Ausschnitt, den ich gesehen hatte nicht repräsentativ, aber neben einigen Krawalltouristen standen vor allem die Fotografen und Fernsehkameras in der 1. Reihe, um möglichst gleich bei der Musik dabei zu sein, wenn es losgeht. Daß das für einige unserer einfacher gestrickten Mitbürger vielleicht auch ein Anlaß sein kann, bischen zu randalieren, weil sie dann ins Fernsehen kommen, darüber sollte die Pressemeute mal nachdenken.

  6. 06

    Der (mediale) Anblick der tatsächlich technisch hochgerüsteten Fronten hat mich doch etwas nachdenklich werden lassen. Vielleicht ist die Zeit vorbei, in der Steine fliegen, vielleicht wird jetzt mit bösen MMS geworfen.

    Außerdem immer wieder dabei: Kameraleute, die sichtbar die Arbeit einzelner Polizisten behinderten – ohne dass die Beamten eine Handhabe hätten…

    Ironie des Schicksals: Fernsehfritzen, die auf Straßenschlachten hofften und danach den Bericht „Zum Glück bleib es vergleichsweise ruhig!“ senden mussten.

  7. 07

    Nach erster Presseschau in allen Richtungen scheint es eine relativ ruhige Nacht gewesen zu sein im SO36.

  8. 08

    Die Polizeipräsenz war sicher unangenehm. Allerdings empfand ich diese als ‚angenehmer‘ als in den Jahren zuvor. Die Polizei kreuzte erst in dem Moment auf (20:40), als es Mariannenstr. Ecke Naunynstr. zu Krawallen (?) kam. Ich habe nicht genau gesehen, was der Auslöser war. Nur ein zwei Knaller gehört. Danach rückte die P. vor, verhielt sich aber recht zurückhaltend. Es beruhigte sich schnell wieder und das P.-aufgebot wurde zurückgefahren. Von diesem Moment an wurden an alles Eckenin der Umgebung ca. 10 P. postiert. Durch diese ‚kleinen‘ Gruppen war die Provokation geringer.. naja zumindest war sie nicht so zentral. Ich kann mich erinnern letztes Jahr Einsatzgruppen in 50-Mann (und mehr)-Stärke im Gleichschritt durch die Straßen marschieren gesehen zu haben. Im Vergleich dazu war die provokation erheblich geringer. Ich hatte ebenfalls den Eindruck, dass ein Großteil der Anwesenden darauf wartete, dass es ‚endlich‘ losging. Habe ähnliche Kommentare gehört wie Du, Johnny. Der politische Kern war wohl bereits mit der 18Uhr-Demo aus Kreuzberg raus Richtung Mitte unterwegs, wo es wohl ein paar kleinere Ausschreitungen gab.
    Etwas früher an diesem Abend fiel mir eine ca. 7-köpfige Gruppe der sächsischen(?) Polizei auf, die die oranienstr hinuterlief. Die machten das, was ich bei den meisten anderen Polizisten vermisste: Sie lachten und wirkten gelassen und wenig arrogant (abgesehen von der Montur[ Helm am Koppel]). Die Reaktion des anwesenden Publikums war überweigend sehr positiv und gelassen.

  9. 09
    Els

    Also hast du doch wie alle anderen irgendwie mitgewartet…. Hingefahren, um zu sehen, ob was passiert? Und das werden die meisten von den Mitwartenden doch auch gemacht haben….. Oder?

  10. 10

    Nachdem ich lange Zeit am Boxhagener Platz und am Mariannenplatz gewohnt habe, bin ich jetzt unweit des Mauerparks heimisch, kenne die Maifestspiele also aus jahrelanger eigener Anschauung. Und der Eindruck eines eigentlich sinnentleerten Rituals hat sich über die Jahre zunehmend verstärkt.

    Insofern kann man der Polizei nur zu einer geglückten Deeskalations-Strategie gratulieren. Klar mußte so manche Einheit zusätzlich ermahnt werden, doch bitte bei freiheitsentziehenden Maßnahmen gegen Steinewerfer nicht allzu martialisch aufzutreten, aber gerade das zeigt, daß Deeskalation auch von oben wirklich gewünscht war, und ein Aufschaukeln der Gewalt verhindert werden sollte.

    Nur werden die Einsatzhundertschaften jetzt wieder Übungen veranstalten müssen, wenn das jährliche Manöver mit unbezahlten Statisten weiterhin ausfällt.

  11. 11

    Els, nö, ich musste nochmal ins Büro, sonst hätte ich es mir gespart. Wollte auch eigentlich etwas anderes tippen an dem Abend.

  12. 12
    Nil

    „Krawalle an der HipHop-Bühne“!

    Nach einem sehr entspannten Tag auf dem Mariannenplatz kam ich mit drei Freunden gegen 18:00 an der HipHop-Bühne Nauny/Mariannenstr. an. Auf der Bühne spielten im 30-Minutentakt verschiedene Bands und MC’s.
    Dabei kam es zweimal zu Schlägereien, die aber jedesmal von den Besuchern untereinander ausgetragen wurden (HipHop-Gang-War?“). Das war jedes mal sehr unschön. Aber nach kurzem Gewühl ging es dann weiter.

    Am schlimmsten war jedoch der Angriff auf Eko-Fresh. Eko wurde gegen 20:00 auf der Bühne unter großem Jubel angekündigt. Allerdings gab es in der Menge auch eine Gruppe, die ihn massiv beschimpften. (Ich blicke bei dem ganzen HipHop-Gedisse nicht ganz durch). Eko versuchte die Gruppe zu beruhigen „Hört bitte auf. Das wird nicht gut gehen“. Sein Auftritt kam gut an, aber nach ungefähr einer viertel Stunde bekam er aus der Masse eine Dose oder Flasche direkt ins Gesicht geworfen. Das Entsetzen war groß. Die Jungs auf der Bühne versuchten zu beruhigen. Die gute Stimmung war aber hinüber. Wenig später mischten sich einige Autonome der 18:00-Demo unter die Masse und begannen die mittlerweile unauffällig angerückte Polizei mit Flaschen zu bewerfen. Für einen kurzen Augenblick eskalierte dann die Situation und der Platz war ruckzuck gefüllt mit Einsatzkräften. Das war dann leider das Ende der Party. Zumindest bis gegen 22:00 (als ich ging).

    Fazit:
    Es war eine wirklich coole Party, die leider von aggresiven Jugendlichen aus der eigenen Szene angegriffen wurde. Ein goßes „Daumen hoch“ für den Typen der Zwischenmoderationen. Er hat versucht die Menge zu beruhigen und gleichzeitig ein paar „witzige“ Statements abgegeben: „Stoiber ist ein muttgeficktes Stück Sch****…:)

  13. 13

    Was genau ist an dem Spruch jetzt „Daumen hoch“? Über die Nichteignung einer Person kann man ja einer Meinung sein, die muss dann aber nicht auf diese Weise geäußert werden.

  14. 14
    Nil

    „Daumen hoch“ soll heißen: Der Typ hat diverse mehr oder weniger witzige Ansagen gemacht. Außerdem hat er jedes mal wenn es brenzlig wurde, versucht die Menge zu beruhigen. Und Sprüche die Stoiber und Roland Koch beleidigen finde ich in ihrer rohen, naiven Direktheit dann doch auch mal lustig. Der beste Spruch des Abends von ihm aber war: „Wo sind meine Ausländer?!“… Wie gesagt…Daumen hoch!!

  15. 15

    Also, den ersten Teil kann ich auch nur mit Daumen hoch bewerten. Allerdings: Alles, was nur an irgendwelchen niederen Instinkte appelliert, um damit die Masse auf seine Seite zu bewegen, ist imho ein No-No. Sei es Bush-bashing (wenn gar nichts mehr geht sehr beliebt, besonders bei semi-professionellen US-Punkbands, die sonst nicht überzeugen können), Stoiber-Verarsche usw: wer es nicht schafft, halbwegs intelligent mit den Personen umzugehen, vor denen auch meiner Meinung nach nicht häufig genug gewarnt werden kann, sollte nicht auf unter die Gürtellinie zielen, sondern lieber Schweigen. Kann sein, dass es auch solche Sachen sind, die mich der gesamten Hiphop-Kultur doch etwas befremdlich gegenüberstehen lassen.

  16. 16
    mardoen

    mir wurde erzählt dass die randale angeblich auf nächste woche verschoben wurde. um die teuren einsatzkosten der polizei schnell mal zu verdoppeln.

    obs stimmt sehn wir ja dann am samstag.