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Der Turnschuh, der Fußpilz, die Stimme des Volkes

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Foto © kurren

Wenn 36 % aller Amerikaner glauben, die Regierung stecke hinter den WTC-Anschlägen, und 40 % Saddam Hussain für den Türme-Zertrümmerer halten, bleibt für Osama bin Laden nicht viel übrig.
Aber der höhlenbewohnende Massenmörder mag seine Enttäuschung zügeln: Gut möglich, dass es sich bei diesen Umfragen so verhielt wie damals bei der Sache mit den Turnschuhen.

Kennt man ja: Wenn der Kuchen redet, muss der Krümel schweigen.
Der Chef des Umfrage-Instituts „Man-wird-ja-wohl-mal-fragen-dürfen“ (Name geändert) hatte keine Zeit.
Daher erklärte er uns, vier illusionslosen Studenten, in angemessener Hektik den Job.
„Wir haben vom Fußpilzmittelhersteller Fungicaust (auch dieser Name wurde geändert) den Auftrag erhalten, Leute zu befragen, ob sie Fungicaust benutzen. Wir haben uns deshalb überlegt, dass ihr als Einstieg Turnschuhe nehmt!“

Dieser Chef war also nicht nur charismatisch, dynamisch und hatte clever geheiratet (seine Frau hatte ihm den Laden bezahlt), er war auch noch weise: Denn fremde Menschen auf ihre Zwischenzehproblemzone anzusprechen war nicht sehr erfolgsversprechend.
Daher sollten wir sagen: „Entschuldigen Sie, ich sehe, Sie tragen Turnschuhe.“

Nach einem gemeinsamen zufriedenen Blick auf die Schuhe des vom Passanten zum Verharrenden gewordenen sollten wir weiter nach dem Grund dieser Vorliebe fragen.
Über einige Umwege schließlich (Was machen Sie beruflich? Wie häufig waschen sie außerhalb des Duschens ihre Füße?) sollten wir die entscheidende Frage stellen:
„Hat das Tragen von Turnschuhen bei ihnen jemals Fußpilz verursacht?“

Nun wollte der Arzneimittelhersteller natürlich nicht wissen, ob die Menschen Fungicaust benutzen, denn dafür hätte er sich nur die Absatzzahlen anschauen müssen, schließlich dient so ein Fußpilzmittelfläschchen nur in den seltensten Fällen als Wohnungsdekorationsaccessoire.
Die Umfrage war nur der Köder für verschiedene Zeitschriften, im Rahmen eines kleinen Artikels über die Risiken des Turnschuhtragens Fungicaust zu erwähnen.
Das hatte mir mein Freund M. erklärt, der mir den Job verschafft hatte.
Es war eine Win-Win-Win-Situation:
Der Fußpilzmittelhersteller hatte Werbung, das Umfrageinstitut wurde erwähnt und die Zeitschrift musste keinen teuren Journalisten bezahlen, der sich einen Artikel aus dem Hirn quält.

Und auch wir waren fein raus, denn die von uns ermittelten Fragen sollten nur Rohmaterial für die Kreativität unserer Chefs sein.

„Wenn die Zahlen nicht wie gewünscht sind, werden sie geändert“, erklärte mir M.

Ausgerüstet mit elaborierten, tabellengeschmückten Zetteln, fingen wir also an, hatten bald raus, dass wir die Teenager alle kriegten, wenn wir behaupteten, dass wir eine Umfrage für RTL machten, und mussten uns daher keine Sorgen machen, dass wir die gewünschten 1000 Befragungen nicht erreichen würden.

Das Dumme war nur: Die jugendlichen Füße strotzten vor Gesundheit, kein durch Turnschuhe verursachter Pilz weit und breit und als sich endlich ein junges Mädchen zum kitzeligen Problem bekannte, hatte sie es durch das Tragen von Turnschuhen kuriert.
Fungicaust kannte keiner.

Wenn man mit einer größeren Menge von Menschen zu tun hat, drängen sich im Laufe des Tages verschiedene vulgär-soziologische Erkentnisse auf.
Junge Menschen sind freundlicher als Ältere, besonders wenn man sie belügt.
Und: Erstaunlich viele Menschen sind ernsthaft verrückt.

Ungefähr 10 % von ihnen sieht man das sofort an und befragt sie daher nicht.
Aber bei 20 % der Befragten bereut man es sofort.
Da werden dann Krankengeschichten ausgebreitet, Theorien über den Kapitalismus und Fußbulimie (der schlanke Fuß, der schlanke Fuß!) angestellt.
Und es wird geschrieen:
„Macht etwas Anständiges!“
Dieser Ausruf kommt bevorzugt von älteren Männern und wird gern durch ein angedeutetes Drohen mit der Gehhilfe untermalt.

Daher war unsere Freude am nächsten Tag nur sehr verhalten, als uns von der Agentursekretärin erklärt wurde, wir müssten von nun an nur noch ältere Menschen befragen, denn die seien unterrepräsentiert.

Auf unseren Einwand, diese wären immun gegen Turnschuhwerbung und neigten daher zu festem Schuhwerk, ging ein Gedankensturm durch die Agentur, dessen Resultat erneut das Genie unseres Chefs bewies:

Unsere Turnschuhtypenklassifizierung, die bisher lediglich den klassischen Sportschuh, den Trendschuh und den Bowlingschuh enthalten hatte, wurde um die Kategorien Segeltuchschuhe und sportlicher Schuh für Ältere erweitert.

Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen, enthusiastisch zogen wir in eine neue Schlacht um die Gesundheit des Fußes, aber Petrus, der berühmte Spötter und Schöngeist, bremste uns aus:

Im einsetzenden Regen setzten die ängstlichen Alten auf jede erdenkliche Fußbekleidung, die kein Turnschuh war, und auch Segeltuchschuhe erspähte keiner von uns, möglicherweise, weil wir uns darunter nichts vorstellen konnten.

Horden von turnschuhtragenden Jugendlichen karawanisierten an unseren begehrlichen Blicken vorbei, aber die waren schon statistisch erfasst und daher Tabu.

Also machten wir das, was wir schon von unseren gemeinsamen Werbeaktionen kannten: Wir dachten uns Interviews aus.
Wir setzten uns in ein Café und füllten die Zettel im Akkord mit hochgerechneten Werten, es ging uns leicht von der Hand, nur die Erfindung von Berufen machte uns Schwierigkeiten.
Also saßen wir da und zermarterten uns die studierten Köpfe, was es denn überhaupt so gäbe:
Wir saßen tief drin in einem kreativen Loch.
„Lehrer“ warf müde einer ein, „Rentner“ murmelte ein anderer, „Frührentner“ überbot der Dritte.

Aber auch das war schließlich vollbracht.
Und noch heute prangt die Studie auf der Seite des Instituts mit bahnbrechenden Erkenntnissen, wie:

Von den 10,2 %, die Turnschuhe auch im Beruf tragen, ist fast die Hälfte zwischen 36 und 50 Jahre.

Bezogen auf den Familienstand kann festgehalten werden, dass Alleinstehende am häufigsten Beschwerden haben (12,1 % leiden unter verstärktem Fußschweiß).
Dieses erklärt vielleicht auch, warum sich diese stark mit ihren Füßen beschäftigen.

Nur Fungicaust taucht nicht mehr auf in der Studie.
Aber was weiß schon der Krümel.

10 Kommentare

  1. 01

    Außerdem gaben sich in einer repräsentativen Umfrage eine große Mehrheit der Befragten erheblich verärgert gegenüber den Erhebungen vor der Bundestagswahl 05. Und es sage niemand, das hatte doch nichts mit Fußpilz zu tun.

  2. 02

    Schöner Text.

    Hinzufügen läßt sich noch, daß politische Umfragen ähnlich fragwürdig sind: außer bei der Sonntagsfrage gibt es fast immer einen Auftraggeber, der ein bestimmtes Ergebnis will — da werden dann die Fragen entsprechend formuliert.

  3. 03

    Malte, DAS ist groß! :))

  4. 04
    liok

    Sehr schöner Text!!
    Nur leider finde ich den link nicht, in dem steht, daß
    „36 % aller Amerikaner glauben, die Regierung stecke hinter den WTC-Anschlägen“
    …??

  5. 05
    Malte

    @ liok
    So, habe einen neuen Link reingesetzt, danke für den Hinweis.

  6. 06

    Na, in dem verlinkten Artikel steht:

    „36 Prozent glauben, die Regierung habe den Anschlag gewollt, um im Nahen Osten intervenieren zu können.“

    Ist schon was anderes, oder? ;)

    Bei Telepolis noch ein Artikel zum Thema.

  7. 07
    mark

    Sorry, aber irgendwie bin ich zu blöd für den Text. Kann mal jemand einem (sonst nicht so Dummen) erklären was der Autor uns (mir) eigentlich damit sagen möchte?

  8. 08
    JinJin

    Habe als Studentin lange Jahre mein Geld mit dem Fälschen von Werbe-Umfragen verdient.. Gab immer 20-60 € für ein Interview über Tiefkühlkost oder Haarschampoos, wahlweise war ich dann eine alleinstehende Reiseverkehrsfachfrau oder junge Hausfrau und Mutter oder in fester Partnerschaft lebende städtische Angestellte. Trau keiner Statistik…

  9. 09
    Malte

    @ Mark
    Was verstehst du denn nicht?

  10. 10

    Ich denke der Artikel läßt sich leicht mit den bekannten Worten „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ zusammenfassen. Außerdem soll zum Ausdruck kommen, dass viele Studien nur Mittel zum (ganz anderen) Zweck sind (Werbung bspw.).

    btw: Netter Artikel! :-)