36

Moskau, Moskau! – Teil 1

moskau metro
Foto © Borya

I live by the river!

– Werbung in eigener Sache –
Der folgende Text und 14 weitere Kracher der Unterhaltungsliteratur befinden sich in dem eBook „I live by the river!“, das man hier für lächerliche € 0,99 kaufen kann und auch soll! Infos dazu gibt es auch hier.
– Ende der Werbung in eigener Sache –

„Bomberjacken und Jeans.“ Die Russen. Schon ein komisches Völkchen. Da versuchen wir uns seit Jahren von den Ketten des Kapitals zu befreien und dann wünschen die sich „Bomberjacken und Jeans“. Sonst nichts.

Musik? Njet. Bücher? No, thank you very much, no.

Zur Verteidigung der kommunistischen Jugend muss hinzugefügt werden: Es begab sich vor langer Zeit, nämlich im Jahr 1987, als ich diese Wünsche stellvertretend für die Ostjugend von einer befreundeten Berliner Journalistin zu Hören bekam. Und sie musste es wissen, denn erstens war sie schon oft in der damaligen Sowjetunion gewesen, zweitens stand ihre Vermählung mit einem russischen Zahnarzt bevor, der gleichzeitig Vorsitzender eines Moskauer Rocker-Klubs war, und drittens hatte sie unsere damals noch bestehende kleine Kapelle sowie einige andere Freunde zu eben dieser Hochzeit eingeladen.

Plan B in Moskau!“

Was für ein Satz!

Das fand auch die SPEX und ließ einen ihrer Autoren mit uns und den anderen geladenen Gästen in den Flieger steigen, der uns zu der Stadt brachte, von der aus wir nach Moskau weiterdüsen würden. Das heißt: Wir dachten, wir würden weiterdüsen. Denn während der Zubringer noch wie ein ganz normales Flugzeug aussah (sehr groß, aus Stahl, an den Flügeln etwas, das aussah wie Turbinen), nahm die zweite Maschine etwas Farbe aus unseren Gesichtern. Denn sie war viel kleiner. Und aus weniger Stahl. Und sie hatte kleine Windmühlen an den Flügeln.

Kurz nach dem Start erschloss sich auch gleich deren Funktion: Die sich schnell drehenden Rotoren sorgten dafür, dass unser Fluggerät nicht zu geradlinig flog, sondern uns stattdessen mit einem feinen Schlingerkurs bei bester Laune und vor allem wach hielt. Auch für den Wodka-Umsatz an Bord taten sie ihr bestes.

Trotz einer Flugreise kamen wir also, ausgerüstet mit unseren Gitarren (die durfte man mitnehmen, Verstärker jedoch nicht) sowie drei Koffern voller Bomberjacken und Jeans, etwas gerädert und leicht angetrunken in unserem Hotel am äußeren Rand Moskaus an. Bereits an der Rezeption wurde uns ans Herz gelegt, unser Westgeld keinesfalls an den dafür im Hotel vorgesehenen offiziellen Stellen, sondern besser privat zu tauschen, der Kurs sei etwa achtzehn Millionen mal günstiger. Unsere Rückfrage, wo man denn privat tauschen würde, wurde mit einem Lächeln quittiert. Das ginge mehr oder weniger überall.

Und so war unsere Zimmertür kaum zugefallen, als auch schon jemand an derselben klopfte. Der junge Mann in Bomberjacke und Jeans, der hereinspazierte, tauschte unser Geld zu einem Kurs, der auf der Anzeigetafel der offiziellen Wechselstube im Foyer keinen Platz gefunden hätte und begann danach sofort den Preis für unseren gesamten Vorrat an Bomberjacken und Jeans nach oben zu verhandeln.

Wir wären zu billig.

Wir winkten ab. Nein, nein, das wäre schon okay, wir wollten kein Geld damit verdienen sondern der russischen Jugend einen Gefallen tun. Ein Dankeschön quasi für die vielen hippen Roter-Stern- und Karl-Marx-Anstecker, die in Berlin kursierten. Nix da, er legte uns trotz unseres heftigen Widerstands das Doppelte von dem auf den Tisch, was wir ursprünglich verlangt hatten. Und erklärte uns verdutzten West-Affen nach Abschluss der Transaktion, dass er auf dem Schwarzmarkt schließlich das Zehnfache dafür bekommen würde, es wäre also alles in Ordnung.

Es war mittlerweile später Abend geworden und so gab uns der schlaue Händler noch einen guten Rat: Auf keinen Fall sollten wir uns ohne Tageslicht in die Umgebung des Hotels wagen. Das wäre gefährlich. In den unterirdischen Kanälen der Stadtränder würden die vom Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten ehemaligen Kindersoldaten leben, die keine andere Bleibe finden würden. Sie wären durch ihre Erlebnisse wahnsinnig geworden. Und außerdem bewaffnet. Sie würden Touristen überfallen.

Mit hinter unseren Rüclen gekreuzten Fingern versicherten wir dem Mann das Hotel nachts nicht zu verlassen und verabschiedeten ihn.

Kaum war wer gegangen, klopfte es schon wieder. Unser Lichtmann (der nicht wirklich zum Licht- sondern Spaßmachen mitgekommen war), zwei Meter groß und annähernd so breit, stand voller Abenteuerlust vor uns und dem Haufen fremdländischer Geldscheine auf unserem Tisch.

„Los, auf die Piste! Mal die Gegend ansehen!“

(Bitte hier entlang zum zweiten Teil)

36 Kommentare

  1. 01

    Komisches Land, komische Leute. Meine Freundin ist Russin.

  2. 02

    Coole Geschichte, und nicht einmal ist das Wort Russendisko gefallen, dankeschön. Freu mich auf die Fortsetzung.

  3. 03
    Harm

    Ah, super! Opa erzählt vom Krieg. ;-)
    Ich mach’s mir schonmal mit Lebkuchen vorm Kamin bequem.
    (Flugzeuge sind aber nicht aus Stahl, sondern aus Aluminium)

  4. 04
    kleines frühstück

    ….schmeiß die gläser an die wand mosku ist ein schönes land,
    Hahahahaha.
    moskau moskau brüderchen das glas ist leer doch im keller ist noch mehr,
    Hahahahaha.

    Ach so, das war gar nicht gemeint – T“˜schuldigung! :)

  5. 05

    Wann kommt den der zweite Teil. Da wo Ihr Euch den Kindersoldaten aus Afgahnistan im U-Bahn-Tunnel stellen mußtet. Wenn es den so war.

  6. 06

    @Harm

    Besserwissen will gelernt sein. Russische Flugzeuge waren im Gegensatz zu ihren Westpendants tatsächlich aus Stahl, dazu übrigens nicht vernietet sondern geschweisst. Nichts für Ungut, aber das musste ich mal eben loswerden…

  7. 07

    Dreitausend Betten Hotels und auf jeder Etage eine fette alte Vettel die
    das Geschehen im Auge hatte!

    Im Winter lutschen die Leute gerne Softeis und wenn bei der Metro eine Rolltreppe versagt dann steigt man mal über hundert Meter in die Höhe.

    Bus kaputt in Richtung Flughafen und der Flieger wartet nicht – kein Problem – Polizei hält die Privatwagen an und beschickt sie mit Touristen und ab zur Aeroflot.

    Wen der russische Petrorrubel kommt, dann wird bald Russland das für uns sein was einst die USA für uns war!

  8. 08
    kleines frühstück

    Klingt so ein bisschen wie TKKG des Ostblock’s!
    :)

  9. 09
    Simon

    der großteil sogar aus plastik. und wusstet ihr das das meiste zeug in den dinger mittlerweile geklebt ist? nach dem ich das gehört habe wurde mir schon etwas mulmig als ich das nächste mal im flieger saß und an meine zusammengeklebten plastikmodelflieger von früher dacht, welche ja mehr schlecht als recht zusammen hielten.

    nicht desto trotz eine schöne geschicht und ich freu mich auf mehr.

  10. 10
    westernworld

    ich hoffe du hast die eiserne regel nummer eins nicht mißachtet:
    der normale mitteleuropäer sollte auf gar keinen fall mit russen trinken gehen, die ganzen geschichten von wegen wodka pur aus zahnputzglässern sind wahr! meine leber ist mein zeuge, ich war mal zivi in einer beratungs- und betreuungsstelle für aus- und übersiedler ca. 1990. wir weicheier sind dafür nicht gemacht und die russen kostet es zehn jahre ihrer lebenserwartung. );-)

    bin schon gespannt auf der „tragödie“ zweiten teil.

  11. 11
    sunny3d

    ich bin auch gespannt. (it works!!)

  12. 12

    Das mit den Fliegern und dem Stahl tut mir leid, da bin ich Vollidiot… und was die Drogen angeht, westernworld… da komm ich noch zu. Im dritten Teil. Und zu den Etagenwächterinnen ebenso, Winfried.

  13. 13
    jochen

    im advent bringen sie alle mehrteiler.
    es funktioniert … auch ich bin gespannt.

  14. 14
    jochen

    nachtrag: ich bin mal als kind mit einer IL18 von berlin ans schwarze meer (bulgarien) in den sommerurlaub geflogen.
    man, war das aufregend! (es war auch meiner allererster flug)
    immer wenn ich heute fliege bewirkt die aufregung ein flaues gefuehl im magen und ich versuche die fluggeraeusche mit musik aus meinem mp3-player zu uebertoenen.
    schon toll diese kindliche naivitaet.

  15. 15
    Harm

    Uiuiui, ebenfalls meine Unkenntniss von Fliegern aus Stahl bzw. geklebten Komponenten bedauernd, (bin halt nur autodidaktischer 9/11 Hobbysachverständiger bzgl. Fluggerät), sehe ich weiteren Folgen in der TINAM Kategorie freudig entgegen.
    Vielleicht kannst Du die Moskau-Episode bis zum Fescht in Advents-Häppchen unterteilen? Sorry, ich steh auf die Droge Weihnacht.

  16. 16

    @nanomensch (6)

    Die Flieger sind wahrscheinlich nur aus Stahl (gewesen?), weil das ganze Alu für das Ostblock-Kotenmoos verwendet wurde…

  17. 17
    tofu

    …bin ja auch schon mal mit einer Tupolev (wahrscheinlich eine TU- 154) nach Bulgarien geflogen, war auf jeden Fall ein Abenteuer. Russland ist auf jeden Fall ein wunderschönes Land und die Russen in Berlin, die ich zu meinen Freunden zähle, sind allesamt sehr aufrichtige und nette Leute; aber was die mir für Geschichten über Russland erzählen ist teilweise einfach haaresträubend und das denke ich mir net aus, sondern bekomme das im Eins-zu-eins-Gespräch erzählt; vielleicht sprechen die Russen in Berlin offener darüber als in Russland, das weiss ich nicht; was ich aber aufgrund meiner Diskussionen mit gebildeten Russen weiss, ist, dass es vielen Russen gerne besser gehen würde und das kann man ihnen doch nicht verübeln, oder? naja, ich schweif schon wieder vom Thema ab, ich fand die Geschichte jedenfalls sehr interessant und witzig…

  18. 18
  19. 19
    kay

    @winfried aus chemnitz:
    die herrscherin des hotelflurs heisst deschurnaja. die zählt selbst bei abreise um 4 uhr in der früh nach, ob kein handtuch und kein glas als souvenir den weg in den koffer des touristen findet.

    interessant an russischen maschinen ist auch, dass die sitze oft nach vorn klappen, wenn dort niemand sitzt. neulich auf einem flug berlin-petersburg krachte plötzlich die deckenverkleidung herunter. wohlwissend waren die plätze nicht besetzt. airline pulkovo ist nicht so der bringer. da ist aeroflot viel besser. wenn man bei der airline zu zweit zu spät zum check-in kommt, bekommt man einfach ein platz in der business-class. das nenne ich mal gastfreundschaft…

    spannend waren auch die geschäfte russischer bekannter vor ein paar jahren. sie bauten (west-)deutschen „investoren“ potemkinsche dörfer in form gefakter werbung, anzeigen, plakaten (photoshop macht so vieles möglich) und kassierten kräftig ab.

    aber die killer unter den russlanderlebnissen ist definitiv gehacktes tv. vor ein paar jahren lief auf dem kanal des russischen rtl erst ein störbild und dann der dort gerade in den kinos laufende aktuelle terminator – einfach von der leinwand abgefilmt. nach über einer halben stunde war leider schluss mit lustig.

    und so weiter, und so weiter.

  20. 20
    Christoph

    @Karsten (16)

    .. und ein paar Megatonnen Al wurden wohl auch für Kantinen-Essbesteck verwendet ..

  21. 21

    haben die nicht auch aus Alu Geld (Münzen) gemacht?

  22. 22

    Hach schön :)Das klingt doch wie ein nächtlicher Spaziergang durch Neu-Kölln. Da gibts glaub ich auch Kindersoldaten.

    Wobei Bomberjacken wichen dann ja diesen Alpha-Industries Säcken in denen die Leute immer aussehen wie schlechtgenaunte Marshmellows.

    Trägt man die heute noch?

  23. 23

    @kay: Deine Russland Erfahrungen sind jedenfalls Echt!
    Mir krachte mal ne Maschine, in der ich gerade saß, und leider Null Flugerfahrungen hatte, bei spiegelglatter Eisbahn auf die Piste.
    Man beruhigte mich, das dies alle erfahrene sowjetische Kampflieger seien.
    Das stimmte, denn ich lebe noch!
    Hier in Deutschland hätten wir alle die Reisefirma verklagt – dort soffen wir Abends und mussten mit riesigen Männern tanzen, die Tartaren waren, und ihre Weiber waren so … Schön`… Dann viel ich um!

  24. 24
    ascoli

    Dann bin ich schon mal auf Teil 2 gespannt…

  25. 25
    kay

    @winfried aus chemnitz
    …und deine erfahrungen sind nicht minder authentisch.
    als empfehlung für jeden, der den osten noch besser kennenlernen will, empfehle ich moldawien. mit einer kleinen saab von budapest aus durch die karpaten fliegen, von einer freigiebigen stewardess mit moldawischen champagner versorgt werden und dann irgendwann landen und sich fragen, was ist hier eigentlich los.

  26. 26
    Schabernackensteak

    „Moskau ist ein schoenes Land…“

    Isses nich, aber ’ne dufte Stadt, das schon. Bin in der Naehe geboren worden, aber lang nicht mehr dort gewesen, aus Angst von dem nicht gerade zimperlichen Militaer eingezogen zu werden. Naja, feiern koennen die Leute, das kann ich bestaetigen.

  27. 27

    toll, kindersoldaten in den kanälen, das erinnert mich an die pygmäen in der kanalisation im besten comic der welt „ed, the happy clown“ von chester brown.

  28. 28

    Und wer noch mehr über Russland lernen will. dem sei folgender, von Natalia Danilova produzierter Weblog/Podcast empfohlen:
    http://natcast.de/

  29. 29

    Vielen Dank für den Hinweis in meinem Kommentar. Hab den peinlichen Fehler sofort ausgemerzt. ;) Happy Blogging weiterhin.

  30. 30
    Paul

    Hi,
    eine Frage, wie wird der Potcast aufgenommen? Einfach Mikro oda wie schaut das aus? ^^ Und gibt es demnächst vielleicht ein Spreeblick Forum?

  31. 31

    imposant prächtig, eindrucksvoll!

  32. 32

    Die Freundin eines guten Freundes ist auch Russin.