39

Thommy

thomas_gottschalk.jpg
Foto: Mandydale

Von Wetten dass wird gern gesagt, es sei die letzte Sendung, vor der sich die ganze Familie versammelt. Ich glaube auch daran, dass das so ist. Allein: die Familie sitzt nicht mehr gemeinsam vor dem wärmenden Fernseher.

Der Großvater Hans hockt im Gemeinschaftsraum des Altenheims, zugedröhnt mit Acetylcholinesterasehemmern. Er war noch gar nicht dement, als er in das Heim kam, aber seine Gehirnzellen sahen keinen anderen Ausweg als Selbstmord. Die Tarnfröhlichkeit der Pflegerinnen, das religiöse Erbauungsprogramm aus den Lautsprechern, die ganzen alten Leute: Das alles ließ die Proteine suppen. In einer halben Stunde wird er ins Bett gebracht werden, eine Stunde später als sonst, denn es ist ja Wochenende. Der Fernseher dröhnt noch lauter als der Hohlraum in seinem Schädel. Er meint, den jungen Mann mit dem gebleichten Pudel auf der hohen Stirn schon mal gesehen zu haben, er lächelt, aber er weiß nicht, warum.

Der Vater Joachim schaut sich das bunte Treiben in seiner 1-Zimmer-Wohnung beim dritten Bier an. Für ihn ist das neue Unterhaltsrecht nicht von Interesse, weil er keine neue Freundin hat. Seine Aussicht auf Sex reduziert sich auf das Spätprogramm der kleinen Privatsender. Solange da noch nichts geht, starrt er auf die Wetten dass-Couch in der vagen Hoffnung auf ein verrutschtes Dékolleté.

Die Mutter Elke lässt den Fernsehr laufen, während sie ihrer besten Freundin Maria vom Speeddating am Vortag erzählt. Sie schmückt es etwas aus, denn niemand wollte ihre Kontaktdaten und sie beginnt sich zu fragen, ob der Beziehungsmarkt für 49jährige Frauen nicht ähnlich kompliziert ist wie das Leben für Bananenmark-Junkies in der DDR.

Die Tochter Melanie ist schon vor einer Stunde zum Vorglühen gegangen, ihr kleiner Fernseher läuft aber noch. Ihre Verhütungsmittel werden sich nicht mit dem Alkohol vertragen und bald wird sie an Samstagabenden wieder zuhause sitzen.

Der Sohn Andreas hängt vor dem PC und plant akribisch einen Amoklauf, von dem er weiß, dass er ihn nie ausführen wird, weil es ihm an Waffen, allgemeinem Know-How und Geld für schwarze Kleidung fehlt. Auch sein Hass ist eher mittelmäßig. Für Amoklaufplanung gibt das Fernsehen nichts her, aber er hofft auf ein wenig Hass. Deshalb schaltet er nach der Eurovisionsfanfare nicht ab.

Obwohl also nachweislich niemand mitbekommt, was Thomas Gottschalk da an mehreren Samstagen des Jahres treibt, wirft man ihm vor, ein Fummler zu sein, ein Lustgreis, ein Schleichwerber.

Früher dachte ich, dass nur mein neurotisches Gehirn sich sorgt, dass das Deutschlandbild von internationalen Prominenten durch Wetten dass irreparabele Schäden davonträgt. Mittlerweile habe ich häufiger gelesen, dass Andere diese Sorge teilen.

Tatsächlich ist Gottschalk nicht mit professionellen Kriterien zu fassen , vielleicht noch nicht einmal mit gängigen menschlichen. Seine Gesprächsführung ist irgendwo zwischen Langeweile und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom angesiedelt, er schäkert wie ein Gigolo-Roboter, dessen Festplatte schon lange nicht mehr defragmentiert wurde, seine Witze hat er im Rahmen eines Trickbetrugs der Großmutter von Fips Asmussen abgerungen, er ist zotig wie Matrosenfeigwarzen und seine Kleidung. Da bleibt mir nichts, als einen Punkt zu machen.

Und doch hat dieser Mann einen Job, krisensicherer als der Papst. Und er hat ihn zurecht.

Gottschalk ist die Versinnbildlichung der Westalgie. Das ist mir zwar selber eingefallen, aber es stand schon vor zwei Jahren im Berliner Kurier. Gottschalk ist die Bundesrepublik Deutschland, mehr noch als Helmut Kohl und das famose Zartgemüse aus der Dose. Er ist die Bundesdauerwelle, er ist der ewige Träger des Neonschweißbandordens.

Als ihn vor Äonen Frank Elstner als seinen Nachfolger präsentiert hat, da war meine Mutter entzückt ob seines „kodderigen“ Mundwerks. Mein Vater zog es vor, keine Meinung zu haben. Ich habe mich gefreut. Er war die Erlösung von all den Schlipsträgern und Spitzespringern, von den Salbaderern, Schmierlappen und Scheitelträgern, die ansonsten die Unterhaltung in smegmaschmierigen Fingern hielten.

Und von Kulenkampff, der meine Mutter empörte, weil er „immer die jungen Dinger betatschte“.

Das Betatschen von jungen Dingern gehört mittlerweile auch zu den letzten Freuden von Thomas Gottschalk. Wobei ich bezweifele, dass er daraus einen echten Lustgewinn zieht. Der Beweis ist sein Haar. Wie jeder Mann trägt er das Haar so wie zu der Zeit seines größten sexuellen Erfolges. Männer, die die Frisur noch ändern, hoffen noch auf ihren größten sexuellen Erfolg. Wahrscheinlich versucht er nur, die Atmosphäre aufzulockern. Wahrscheinlich denkt er sogar „Atmosphäre“ und nicht „Atmo“. Denn er ist nicht Oliver Geissen. Unser Radio-Profi Holger hat mir vor dem Interview mit Phillip Lahm geraten: „Wenn gar nichts geht, dann fass ihn an. Das ist eine derartige Grenzüberschreitung, dass er verunsichert sein wird, dann kannst du mehr aus ihm rausbekommen.“ Ich habe Phillip Lahm nicht berührt und ich habe nichts aus ihm herausbekommen. Man kann aus Menschen, die kleine Konzerne sind, nichts herausbekommen.

Wenn Thomas Gottschalk vor zweitausend Zuschauern internationale Weltstars und deutsche Weltstars, den Kaiser und den Schimmi und den Schumi und den Klinsi und die Franzi und die Vroni in einer Mehrzweckhalle interviewt, dann könnten die Fragen von einem internationalen Philosophenteam zusammengestellt worden sein, das Gespräch würde nicht intelligent werden.

Solange es also Sendungen wie Wetten dass gibt, braucht das ZDF Thomas Gottschalk. Wenn er in einigen Jahren Jahren Oliver Pocher als seinen Nachfolger vorstellen wird, dann wird die Mutter Elke ob Pochers „frecher Schnüss“ jauchzen und ihrem Mann Joachim, mit dem sie es nochmal versucht, ein Bier aus der Küche holen, Melanie wird ihrem kleinen Sohn erklären, dass Fäkalsprache nur im Fernsehen erlaubt ist und Andreas wird sogar auch mal das Zimmer verlassen. Um seine neuen schwarzen Klamotten vorzuführen.

39 Kommentare

  1. 01
    Dr. Gonzo

    Direkt maxgoldtig! (Wenn Malte Goldt nicht mag, darf er das auch gerne überlesen)
    Schön ist es trotzdem!
    Und wahr.
    Leider?
    Zum Glück?

  2. 02

    Meine Eltern haben über die Witze von Thomas Gottschalk immer gelacht und bei Günther Jauch haben sie dann geweint. So weit reicht die Emotionalitätsspanne im Deutschen Fernsehen.
    Ich selbst konnte einfach irgendwann die Haare nicht mehr sehen.

  3. 03

    Du bist sowas von auf dem Punkt.

    Ich mochte „Wetten das…?!“ noch, als Traktoren auf Eier balancierten und nicht mehr, als Hunde Ballons zerbissen.

    Um Osten gab es Frank Schöbel und natürlich Wolfgang Lippert. Der passte, aus ostdeutscher Sicht, gut zu „Wetten Das …?!“ Hat er doch mit dem Tatschen angefangen.

  4. 04

    der gottschalk tatscht doch nur rum, weil die klientel des zdf (alte geile opas) auch gerne ihrer geilen pflegerin untern rock zu greift. oder so

  5. 05

    Als meine Oma ins Altersheim ging, nachdem sie zuerst nicht wollte, hat es ihr dort sehr gut gefallen, sie hat sogar gesagt, dass sie da schon früher hätte hingehen sollen.

    Also bitte mal das Klischee „Alter Mensch vegetiert im Altersheim dahin“ weniger strapazieren. Danke.

  6. 06
    Sebastian

    Aus meiner Zivizeit kann ich das Argument der Rekordverblödung dank Haloperidol usw. leider bestätigen auch wenn ich in einem Behindertenwohnheim arbeitete. Leider.

  7. 07
    westenworld

    „in den mehrzwechkhallen ahnt man es hat alles keinen zweck.“*

    *zitat eines heutzutage unertäglich gewordenen ehemaligen deutschlehrers.

  8. 08

    als ich vor jahren von einem ostdeutschen bezirk berlins in einen westdeutschen bezirk zog, hatte ich mich ratzfatz angepasst – vielleicht war ich schon immer westdeutscher gewesen, als meine ostdeutschen freunde. egal. auf jeden fall habe ich mal in einem bus eine ältere frau kennen gelernt, die gerade vom kudamm shoppen kam und die meckerte und meckerte über den osten (ich blieb undercover) – bis sie in seufzern sich erleichterte und die guten alten zeiten zurück wollte – den boris und unsere steffi und so…
    jaja, dachte ich so.
    wir müssen der westalgie ein forum bieten – vielleicht erledigt sie sich dann von selbst ;)

  9. 09

    Ich habe zuweilen den Eindruck, daß deine Texte aus Anhäufungen längst ausgelutschter Klischees bestehen.
    Und überhaupt: Warum ist es jetzt nötig, über „Wetten dass…“ zu lamentieren, wo doch jeder halbwegs intelligente Mensch begriffen haben sollte, daß diese Sendung eben keine geistreichen Neuerungen, sondern nur einigermaßen niveauferne Unterhaltung bietet?
    Es bedarf auch keines Abgrundsfamilienbeispiels, um zu erläutern, daß ein Massenpublikum nur erreicht werden kann, indem man den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht…

  10. 10

    …ist das so etwas wie ein fülltext? auf halde geschrieben, und wenn einem gerade nichts oder wenig anderes oder noch seltsameres in den sinn oder in den kopf oder womöglich in den schoß fällt, dann…? nein? ja, dann.

  11. 11

    haldol, haldol,
    wir sind vergnügt und froh!
    auf weitere 80 jahre tommy!

  12. 12

    Hat Malte etwa schon wieder außerhalb der Tagesaktualität gedacht und geschrieben? ich weiß nicht, was mit dem Jungen los ist. Ich muss mit ihm reden. Wenn das so weitergeht, steht eine Abmahnung ins Haus.

    Was ist mit 50 Jahre Europa, geht das noch oder ist das durch?

  13. 13
    matze

    @johnny
    Ich würde sagen, Europa ist schon seit mehreren tausend Jahren durch.
    Also, ein Tag mehr oder weniger, das macht den Kohl auch nicht fett.

    @malte ich mag die Sichtweise, erklärt mir endlich, wozu Gottschalk gut ist. Und es ist beruhigend zu wissen, daß man nix verpaßt, denn er hat sich scheinbar seit 20 Jahren nicht geändert.

  14. 14

    Ich sehe mir keine Fernsehwerbung an und habe an Samstagabenden wahrlich Interessanteres zu tun, als diesen oder einen anderen Mist anzuschauen. Sinnloser kann man die Zeit nicht totschlagen, als dieser blondierten und dauergewellten Karikatur eines Moderators beim Brabbeln und Grabschen zuzusehen. Man kann ihn und andere Gestalten also problemlos ignorieren. Kurz vor dem ersehnten Zustand des Vergessens dieser Rückfälle in vorzivilisatorisches menschliches Verhalten muß man ausgerechnet in Blogs daran erinnert werden. Erst beim Niggemeyer, jetzt bei Malte. Warum nur?

  15. 15

    das ist absolut das letzte, herr haeusler, das ist wirklich das allerallerallerletzte. also das letzteste. an das ich beim lesen gedacht habe.

    europa?

    (im hintergrund die brechstange – KLONG)

  16. 16

    und wir begrüßen die zuschauer in der schweiz…

  17. 17

    Malte war für Spreeblick ein Glücksgriff! (Klingt irgendwie komisch) Obwohl ich seine Texte zu Beginn überhaupt nicht mochte, bin ich nun mit wachsender Regelmäßigkeit begeistert und er spricht mir aus der Seele.

  18. 18
    heidrun

    sich übers fernsehprogramm zu beschweren, ist schon längst durch, macht man nicht mehr, aber sich immer wieder zu beschweren, über welche themen hier geschrieben wird, obwohl es einen im netz noch viel weniger jucken müsste, das kommt gut. nee, is klar.

  19. 19

    Heisst das jetzt, dass Fooligan ohne Malte auskommt?

  20. 20

    …komisch. bei kommentaren zu malte sehe ich immer zwei so regenschirme fuchteln.

  21. 21

    @hans suffragetten haben in geheimbünden überlebt. ;)

  22. 22

    Gottschalk musste ja mal kommen. Das ist so wie über Microsoft schimpfen und Mozilla bejubeln. Mal abgesehen davon ist der Text göttlich. Und überhaupt muss es ja nicht immer aktuell sein.

  23. 23

    @johnny [13]: Ich gebe zu, daß das Aktualitätsargument kein gutes ist. Und daß jedem freigestellt sei, was er thematisiert, steht auch fest.
    Dennoch merke ich an, daß ich hier, wie häufiger bei Maltes Texten, leider die interessante Komponente vermisse…

  24. 24

    Malte is the new Johnny!

  25. 25
    westernworld

    nun laßt mal den malte im kiez!
    der text ist ok, gibt gar nichts zu meckern daran.
    unterhaltsam und flüssig, besser als vieles was unter den kopfzeilen
    großer zeitungen verbrochen wird.
    das malte nicht jeden tag einen geistesblitz wie beim verfassen des kerner/raf textes haben kann ist erwartbar und nicht weiter zu erörtern.

    ihn aber mit dem meister selbst, also max goldt, zu vergleichen halte ich für verfrüht und vermessen, vielleicht wir er ja noch ein ganz großer ich wünsche es ihm und uns auf jeden fall.

  26. 26

    Angenehmer Text mit Biss und Durchblick.

  27. 27
    ES

    „Malte is the new Johnny!“

    Nein.

  28. 28

    … is the new… Das ist mal was, was wirklich durch ist.

    Ich weiss garnicht mehr, wo ich das gelesen habe vor längerer Zeit, aber die Beobachtung „Samstag abends haben 64 Millionen Deutsche Besseres zu tun als Wetten, dass…? zu gucken“ fand ich sehr gut.

  29. 29
    Maltefan

    Ist mir schon fast peinlich das wieder zu sagen, aber: Großartige Schreibe – ich habe laut gelacht :-)=).

    Trotzdem, kleiner Continuity-Fehler: Die Mutter die oben noch Elke hieß, heißt unten Maria (wie ihre Freundin).

  30. 30
    barz4

    Das war ja mal ein Augenöffner. Mir sind ganz neue Einsichten gekommen. Jetzt bitte etwas Gesellschaftskritisches zu Harald Schmidt. Dessen Show will ich auch nie wieder schauen können, ohne mich wie der Bodensatz der Gesellschaft zu fühlen.

  31. 31
    Malte

    @ Maltefan
    Danke, ich sollte meine Texte zuerst zu dir schicken :)

  32. 32
    Maltefan

    @Malte
    Gerne. Ich les auch freiwillig Dein Buch Korrektur ;-)

  33. 33
    jp

    kann mir mal jemand das bild erklären?

  34. 34
    barz4

    Schnapsflasche mit Perückenhaar auf Parkbank. „Blond“ weil Bildnegativ. Bringt zudem eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Molotowcocktail.

    Eine vollständige Bildexegese wäre absolut lohnenswert. Natürlich sollte voher die Wahl der Illustration gesamtthematisch im Kontext des verwendeten Mediums, auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Implikationen und des historischen Kontextes unter Berücksichtigung der Personen des Illustrators, des Autors und nicht zuletzt des Verlegers kritisch beleuchtet werden.

    Damit kann dann auch jemand gleich sein Abitur- oder sonstiges Klausurtrauma verarbeiten.

  35. 35
  36. 36
    DrNippel

    hab ein backenkrampf vom dauergrinsen

    jeha danke für den klugen text

  37. 37

    *applaus* grosses Tennis. Danke.

  38. 38
    arne

    sehr schöner text, hat mich gut unterhalten!