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Die zwei Brunnen

Horstoman (Name geändert; Frédéric) ist im Iran geboren und hat dort die ersten Jahre seiner Kindheit verbracht. Sein Vater ist Iraner, seine Mutter Deutsche — sie emigrierten kurz nach der Revolution in die Nähe von Köln. Horstoman hat in den vergangenen Sommern im Zuge seines Studiums jeweils mehrere Wochen im Iran gearbeitet und gelebt. Ich wollte wissen, wie’s war, und sonst auch noch so einiges. Interview nach dem Klick.

Horstoman, fühlst Du Dich eher als Europäer, als Deutscher oder als Iraner?
Das ist ja ne komische Frage…

Ja, das mit den Einstiegsfragen hab ich noch nicht so ganz raus…
Eigentlich lehne ich diese Staatszugehörigkeitsgeschichten, diese nationalen Konzepte ab. Ich fühle mich weder als „Deutscher“ noch als „Iraner“, genausowenig wie als „Chilene“ oder „Kongolese“. Damit kann ich nichts anfangen.

Ich meinte das auch eher kulturell, also auf Deine Sozialisation bezogen.
Da ist der Bezug zum Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts schon stärker. Vor allem, was die Denkströmungen und dergleichen anbelangt, die „Lebensphilosophie“. Ich spreche auch besser Deutsch als Farsi, aber kulturell kann man da keinen richtigen Schnitt machen: Ich höre sowohl europäische als auch traditionelle iranische Musik, ich mag die klassische iranische Literatur und das Essen aus der Region, und so weiter.

Woher kommen Deine Bezüge zum Iran?
Die kommen einerseits durchs Studium, da setzt man sich viel mit der Geschichte, mit der Kultur auseinander. Und andererseits natürlich persönlich, durch die Familie. Ich bin vor zwei Jahren das erste Mal seit unserer Ausreise wieder den Sommer über im Iran gewesen, und dieses Jahr auch. Aber es bestand ja auch davor immer Kontakt zur Familie, es gab die Erzählungen der Eltern. Die Bezüge sind schon sehr wichtig, ich kann das aber nicht aufdröseln. Ich kann nicht sagen: Dieser Teil von mir ist iranisch, jener deutsch und der da eher aus der postromantischen Epoche der anglophonen Kultur oder so. Das funktioniert nicht.

Wie empfindest Du das Bild, das man hierzulande vom Iran hat?
Ich glaube, dass es verschiedene Bilder gibt. Eines davon rezipiert sehr stark die achemenidischen Reiche, die alten persischen Kulturschätze. Da gibt es sehr häufig Ausstellungen und dergleichen.
Ein anderes ist von den politischen Umwälzungen von vor 28 Jahren geprägt, die insbesondere in den USA am Ursprung eines Traumas stehen. Man hat einfach nicht verstanden, was damals im Iran passiert ist, wie es zur Stürmung der amerikanischen Botschaft kam und so weiter. Dieses Unverständnis herrscht auch heute noch vor und wurde bestimmt verstärkt durch populäre Bücher und Filme, wie „žNicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoody und William Hoffer.

Oder 300…
300 hat sehr viel mehr mit Fantasy zu tun. Es stimmt, dass viele Iraner diesen Film als Affront begriffen haben, als willentlich falsche Darstellung ihrer Kultur. Ich glaube das nicht. Erstens halte ich Snyder nicht für intelligent genug, Geschichte bewusst fälschen zu wollen. Zweitens ist der Film historisch gesehen dermaßen absurd, das kann man gar nicht ernst nehmen, finde ich.

Da wird sich ja viel an alter griechischer Geschichtsschreibung abgearbeitet…
Griechische Kriegsrhetorik fände ich die richtigere Bezeichnung. Es stimmt, viele Motive kennt man aus den alten Texten: Das Unverständnis gegenüber einem Herrscher, der sich selbst als Gott bezeichnet, oder die transvestite Darstellung des Königs, oder, besonders abwegig, die Darstellung der Unsterblichen, die unter ihren Masken Dämonenfratzen verbergen.
Man muss aber nicht so tun, als kämen nur die Perser schlecht weg in dem Film. Die Spartaner werden schon als sehr kulturlos dargestellt. Als beispielsweise Leonidas den persischen Abgeordneten tötet, der völlig ungläubig schreit: „žThis is madness“, und Leonidas antwortet: „žThis is Sparta!“ — das ist ja keinesfalls eine positive Darstellung von Sparta.

Wir könnten noch über die faschistoiden Elemente im Film sprechen, aber kommen wir lieber zurück zum Iran-Bild hier im Westen. Im Grunde ist es ja ziemlich neu, dass der Iran auf der Weltbühne den Bösewicht gibt.
Das stimmt. Der Schah war in Deutschland ja gern gesehener Gast, und Heinrich Lübke hatte ja sehr gute Beziehungen zu ihm gehabt (lacht). Der Schah galt auch als Aushängeschild für die Entwicklung der Staaten im Nahen und Mittleren Osten. Die Ausnahme wäre wohl Großbritannien, da ist die Abneigung schon etwas älter. Der Iran war ja eine informelle Kolonie damals.
Außerdem ist das Bild geprägt von Unwissenheit. Ntv beispielsweise bekommt es bis heute nicht hin, bei Beiträgen über den Iran die richtige Flagge einzublenden. Da wird mal die alte Schah-Flagge gezeigt, ein andermal die irakische Flagge und so weiter. Das ist zwar nur ein kleines Beispiel, aber ich verstehe das als Symptom.

Wie hat man im Iran die Diskussion um Atomwaffen und Atomenergie wahrgenommen?
Mit großem Unverständnis. Viele haben sich gesagt, dass man ja, wie alle anderen Staatsbürger auch, ein Recht auf Atomenergie habe. Warum nicht? Was haben die gegen uns?

Wie empfindest Du das Bild, dass man hier von Ahmadinedschad zeichnet?
Das ist bis zu einem bestimmten Grad politisch gefärbt. Aber auch da fällt das Zwiespältige auf: Einerseits ist der Iran ein sehr wichtiger Wirtschaftspartner gerade für Deutschland, andererseits bedient er auch eine Angst, mit der man spielen kann im politischen Kabarett. Ahmadinedschad bietet sich da durch seine unbesonnene und sehr aggressive Politik an, um den Vorderen und Mittleren Orient abzuhandeln.

Aber Ahmadinedschad negiert das Existenzrecht Israels. Das geht ja wohl weit über politisches Kabarett hinaus.
Ja, das ist richtig. Er ist natürlich ein Fanatiker und gehört nicht in die Politik. Ich nehme ihn als unbesonnenen, unintelligenten Menschen wahr; ich habe den Eindruck, er glaubt an eine gewisse religiöse Spiritualität, die ihn stützt.
Er hat auch einen bestimmten Rückhalt im Klerus, die ihn protegieren, andere benutzen ihn, und er spielt wiederum sein eigenes Spiel. So geht das runderherum.

Hier wird er ja als Gefahr empfunden.
Er steht, glaube ich, für die Gefahr, die von der gesamten dritten Welt ausgeht. Da geht ja alles zusammen: Die Achse des Bösen, der erstarkende Islam, oder, wie man hier sagt, der Islamismus, das ist klar die Kategorie, in der er hier wahrgenommen wird.
Ich persönlich finde ihn auch wirklich gefährlich, wie alle Fundamentalisten, die meinen, dass sie die Wahrheit besitzen und deswegen nicht mehr diskutieren müssen, weil ja schon klar ist, wer Recht hat. Man muss allerdings auch nicht so tun, als wäre das nur ein iranisches Problem.
Die Gefahr, die von Ahmadinedschad ausgeht, besteht auch in einer bestimmten Unberechenbarkeit. Ich bin mir aber nicht sehr sicher, ob er nicht gerade durch sein Verhalten sehr berechenbar ist.

Wie verhält es sich mit im Iran mit Antisemitismus?
Es gibt einen starken Antisemitismus im Iran, wie es ihn auch in Europa gibt. Er wird dort offener ausgesprochen. Es gibt insgesamt sehr starke xenophobe Tendenzen.
Die dreckigsten Arbeiten zum Beispiel machen auch die Migranten, die Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan. Da gibt es eine konkrete Form gesellschaftlichen Rassismus. Die Afghanen sind gezwungen, jede Art von Arbeit zu Hungerlöhnen zu machen, und werden sehr schlecht behandelt. So ein bisschen die Türken und Polen des Iran. Die Analphabetenquote ist sehr hoch, und die Menschen haben häufig noch nie darüber nachgedacht, was sie da so sehr hassen. Es gibt auch eine Tendenz, das dritte Reich zu glorifizieren. Das hat nicht nur mit dem Antisemitismus zu tun, sondern auch mit einem spezfisch persischem, arischem Selbstverständnis. Das Ariertum wurde auch vom Schah starkgemacht, als ideologischer Gegenpol zu den islamisch geprägten arabischen Staaten. Und je nachdem, wer fragt, versteht sich ein Iraner eben als Arier, oder als Moslem, immer anders.

Klingt schizophren…
Ich würde den Iran als schizophrenes Land bezeichnen, auch die Einwohner, in dem was sie tun, wie sie handeln. Das drückt sich auch im Gesellschaftsbild aus. Das sind 60 bis 70 Millionen Einwohner, und dann kommt es eben darauf an, wen man gerade fragt. Die Menschen auf dem Land sind sehr konservativ. Richtung Norden, insbesondere in Teheran, gibt es eine breite Basis von europäisch orientierten Menschen, wobei beispielsweise Ahmadinedschad, der mehr Ausdruck der Konservativen ist, durchaus auch in den Städten einen starken Rückhalt hat.
Im Grunde kommt es darauf an, ob die Leute durch die Revolution Vorteile hatten oder nicht, und wie ihr Stand zum Westlichen ist. Es gibt auch viele junge Menschen im Iran, die ihren Eltern Vorwürfe machen, warum sie die Revolutionsbewegung unterstützt haben. Es war ja nicht so, dass da nur ein paar Bekloppte die amerikanische Botschaft gestürmt haben, sondern die Revolution hatte ja eine sehr breite Basis, aus vielen Lagern.

Was dann aber in einer religiösen Führerschaft mündete…
Ja, das stimmt. Das eigentlich Oberhaupt ist der 12. Imam, der dann verschwunden ist in seiner Kindheit, der anscheinend noch in einem Brunnen sitzt (lacht).

Was is denn das für ne Geschichte?
Da zeigt sich auch sehr schön die Schizophrenie der iranischen Gesellschaft: Es gibt dort angeblich nämlich zwei Brunnen, einen für Männer und einen für Frauen. Das ist ja eine heilige Stätte, und da herrscht Geschlechtertrennung. Deswegen gibt es wohl zwei Brunnen.

Der Imam hat sich geteilt.
Das ist etwas unklar, wahrscheinlich sitzt er lieber bei den Frauen (lacht). Aber wie dem auch sei, die Regierungslegitimation geht zurück auf einen Text von Chomeini, in dem die Regierung den Geistlichen im Iran übertragen wird, bis der 12. Imam wieder aus seinem Brunnen steigt. Das ist die Grundlage der iranischen Republik.

An der Brunnengeschichte zeigt sich auch, dass man die Frauen nicht komplett ausschließt aus der Gesellschaft. In einem Land, das über lange Zeit sehr konservativ war, existiert natürlich ein starkes Rollenverständnis: Der Mann geht theoretisch arbeiten und versorgt die Familie. Praktisch ist es so, dass häufig die Frau auch arbeiten geht, weil es die ökonomische Situation erfordert. Kleidervorschriften sind für Frauen natürlich wesentlich rigider. Frauen müssen also beim Besuch heiliger Stätten mit besonderer Bedeutung den Tschador anziehen, was man aber im eigentlichen Stadtbild kaum antrifft.

Wie wird der Westen im Iran wahrgenommen?
Auch im Iran begreifen viele Leute die Welt in einem Ost-West-Schema, und der Westen ist eben Europa. Es gibt viele Menschen, die keine konkrete Vorstellung davon haben, wie Europa eigentlich aussieht, oder wie die verschiedenen Nationalstaaten in Europa aussehen, wie die Menschen dort leben. Sie kennen eigentlich nur polemische, stark überzeichnete Ansichten, genauso wie hier auch.
Eine Frage, die sehr häufig aufgetaucht ist, war: Glauben die Menschen dort an Gott? Für sie kommt das so vor, als würden die Menschen hier nicht nur nicht an Gott glauben, sondern wirklich verachten, und absichtlich antitheistisch leben. Das sind so Sachen wie der Alkoholkonsum, Polygamie, sowas. Im Grunde ist es die Angst davor, dass Menschen anders sind, und gegen das stehen, was man selbst lebt.

Viele Ängste, die man dort hört, kommen einem sehr bekannt vor. Die Kategorien der Ängste sind sehr ähnlich, nur die Inhalte sind verschieden.

Gehen wir zurück zu den Lebensumständen im Iran: Inwiefern ist man in seiner individuellen Freiheit eingeschränkt?
Das öffentliche Leben ist eben sehr anders im Vergleich zu hier. Es gibt keine Bars, keine Kneipen, es herrscht striktes Alkoholverbot. Es gibt wohl Cafés, wo man sich treffen kann, aber die meisten gesellschaftlichen Aktivitäten finden im Schoß der Familie statt. Es ist schwierig, mit anderen Menschen in Berührung zu kommen. Es gibt sogenannte Pasdaran, also Sittenwächter, die in den Straßen kontrollieren, ob nicht verwandte Jugendliche unterschliedlichen Geschlechts zu sehr miteinander in Berührung kommen. Das führt dann zu ziemlich absurden Gegenmaßnahmen: Es gibt in Teheran auch eine Allee, wo Frauen und Männer beispielsweise an Feiertagen immer auf und runter fahren, um durch die Autoscheiben miteinander zu kommunizieren. Dann stellt sich ein Pasdar an den Strassenrand, und wenn ein Auto zu häufig die Allee hoch und runter gefahren ist, wird es rausgewunken und muss eine andere Straße nehmen. Aber irgendwie bekommt man immer Kontakt, Menschen lassen sich nicht so einfach kontrollieren. Bei orthodoxen Familien wird allerdings immer im weiteren Familienkreis geheiratet wird, einfach deswegen, weil es ansonsten eben wenig Berührungspunkte zwischen Mädchen und Jungs gibt. Normalerweise vereinbaren die Eltern die Ehe…

Also Zwangsverheiratungen…
Ja, Zwangsverheiratungen. Kommt aber darauf an, in welchen Familienkreisen. In Teheran dürfte das ziemlich selten sein, und wenn, dann unter Rücksprache mit den Kindern. Wie das auf den Dörfern ist, oder bei den nomadischen Stämmen, weiß ich nicht.
Man muss auch sagen, dass Zwangsverheiratungen für viele nicht als Eingriff in individuelle Freiheiten wahrgenommen wird: Da herrscht eher das Gefühl vor, dass das so sein müsse. Man kennt es gar nicht anders. Das ergibt sich aus der gesellschaftlichen Struktur, und wird häufig gar nicht als Problem wahrgenommen.

Was passiert mit Leuten, die das als Problem wahrnehmen?
Kommt darauf an, wie es geäußert wird. Auf der Straße wird eben viel geschimpft, und viel geredet. Aber wenn es ums tatsächliche Handeln geht, kann das im Gefängnis enden.

Wenn sich beispielsweise junge Frauen nicht an die Kleidungsvorschriften halten, werden sie mit zur Polizeiwache genommen, für Stunden festgehalten, bekommen hohe Geldstrafen und so weiter. Es kommt auch zu polizeilichen Übergriffen gegenüber den Mädchen und jungen Frauen.

Es gibt deutlich mehr Menschenrechtsverletzungen als hier. Im Iran gibt es sehr sehr viele politische Gefangene, die tatsächlich sehr schlecht behandelt werden. Es wird wohl darauf angelegt, dass sie während der Inhaftierung sterben. Es gibt auch sehr viele Menschen, die ohne Angabe näherer Gründe im Gefängnis sitzen. Und Hinrichtungen, auch Steinigungen. Das wird auch im Iran medial verarbeitet: Die beiden jungen Männer, die auf frischer Tat bei homosexuellen Handlungen ertappt wurden, sind an einem riesigen Kran gehängt worden, damit viele Menschen das sehen.

Das hat ja schon, so traurig es ist, Tradition, und nicht erst seit 27 oder 28 Jahren. Die Leute, die unter dem Schah in den Gefängnissen gefoltert haben, sind nach der Revolution nicht arbeitslos geworden. Das Folter Know-How kommt schon aus der Zeit davor. Nach der Revolution kam es zu einer Art Scheinfreiheit, für kurze Zeit.
Da wurde gesagt: Jeder kann sagen oder tun was er möchte. Darüber wurde dann Buch geführt, und anschließend wurden die entsprechenden Leute dann inhaftiert. Zu der Zeit waren die Gefängnisse unglaublich überfüllt, was sich noch nicht einmal mehr vor der Menschenrechtskommission der UNO hat richtig verbergen lassen. Einer der Sonderbotschafter hat dann die Gefängnisse besucht und fand die Zustände ganz furchtbar. Einige Zeit später kam er dann wieder und war überrascht, dass in den Gefängnissen wieder so viel Platz war. Da sind wohl viele Gefangene hingerichtet worden.

Welche Rolle spielt der Iran im Weltgefüge?
Ahmadinedschad hat viele diplomatische Reisen gemacht, um an die panarabisch orientierten Staaten heranzurücken. Das ist der Versuch, sich aus der politischen Isolation zu befreien, ohne an Europa heranzurücken, sondern sich über die islamischen Staaten wieder ins Spiel zu bringen. Es gibt auch die Bemühung, sich an Russland anzunähern. Die letzten beiden Jahre sind geprägt vom Versuch, sich aus der wirtschaftlichen Isolation zu manövrieren.

Hierzulande wird gerne gefordert, dass die islamistisch geprägten Länder die Aufklärung nachzuholen hätten. Was sagst Du zu solchen Statements?
Ja, dann kommt aus dem Iran der Vorwurf, dass Europa die menschliche Nähe vergessen hätte. Traditionen und so was, Familie, die Nähe zu den Menschen, die einem viel bedeuten, sie sehen im Individualismus den Vorboten zum uneingeschränkten Egoismus gegenüber allen anderen Menschen.
Aber mir stellt sich dabei auch immer die Frage, was das sein soll, diese Aufklärung.

Damit wird wohl so verstanden, dass sie Garant ist für Vernunft, Freiheit, Laizismus, Säkularimus und so weiter…
Ja, ich denke, dass das politisch motiviert mythologisiert wird. Allein schon dieser Kult um Galilei, der ist ja ein Säulenheiliger. Was den Säkularismus anbelangt, da sind ja viele Diktaturen im Orient säkularer als beispielsweise die Bundesrepublik. Also, man weiß eben nicht so richtig, was das heißen soll, „ždie Aufklärung nachholen“. Gar nichts wahrscheinlich.

Ich habe viele Menschen kennengelernt, die sich zum Islam bekennen, regelmäßig beten und so weiter; die aber gleichzeitig akzeptieren, dass ich nicht praktiziere. Auch für diese Menschen ist Glaube Privatsache. Als ich allerdings in Qom war, da musste man sich stärker religiös verhalten. Qom ist die Stadt, in der der Klerus unterrichtet wird. In Teheran ist das wieder ganz anders.

Was im Iran eben unverständlich bleibt, ist, wenn man sich keiner Gruppe zugehörig fühlt. Der Islam ist im Iran ein wichtiger Sozialisierungsfaktor. Man trifft sich in der Moschee, man spricht dort, feiert dort: sie ist das Zentrum der gesellschaftlichen Interaktion. So wie auf den Dörfern nach wie vor die Kirche. Man muss also irgendwie Christ sein, oder Zoroastrier oder Moslem, oder Jude: jedenfalls einer Gruppe zugehören.

Hattest Du den Eindruck, dass Deinen Cousinen oder Cousins im Iran etwas fehlt?
Die wirtschaftliche Perspektive. Sie haben Angst, nicht vorwärts zu kommen und die Familie nicht ernähren zu können. Das ist auch der Grund, warum viele im Iran nicht leben möchten.

Da nähern wir uns hier ja an…
Ja, das kann man so sagen. Aber bei vielen hatte ich auch den Eindruck, dass sie meinen, in Europa sei alles sehr viel besser, also auch wieder eine völlig überzeichnete Sicht der Dinge. Was in jeder Hinsicht wünschenswert wäre, ist eine größere Bereitschaft zum Dialog, und zwar von Seiten der Staaten. Ich bin häufig, auch bei religiösen Jugendlichen, auf eine Art Neugier gestoßen. Viele würden gerne mal in den Westen, auch um zu schauen, ob sich die Stereotype bestätigen oder eben nicht bestätigen. Aber da gibt es kaum Möglichkeiten. Der iranische Staat versucht das zu verhindern, und von Seiten der europäischen Staaten wird die Einreise ja verunmöglicht. Allein ein Visum zu bekommen ist für viele schon ausgeschlossen. Das sollte sich ändern, im direkten Kontakt lösen sich eh die meisten Vorurteile in Luft auf. Man fragt sich hinterher, woher die eigentlich gekommen sind.

17 Kommentare

  1. 01

    Da stand der Esel zwischen zwei Haufen Futter und konnte sich nicht entscheiden und er … !

    Nicht Ahmadinedschad wird im Westen geliebt sondern der Friede, also die Abwesenheit von Krieg, im Iran!

    „Osho“ ist zum Beispiel die Lektüre der Studenten vom Iran bis Indien.

    Der Säkularismus ist ebenso kein Weg wie der Monotheismus!

  2. 02
    clara

    interessant!

    ich weiß, das ist jetzt das offensichtliche, aber das pseudonym ist echt doof gewählt – horstoman klingt in meinen europäischen ohren wie kneipensprech – kick an, da issa wieder der horstoman. hast du vielleicht aber auch beabsichtigt. :)

  3. 03

    interessantes Interview. Aber das Pseudonym ist wirklich schlecht gewählt… Ansonsten angenehm zu lesen, auch wenn ich nachher das Gefühl habe, nicht neues, sondern nur Bestätigungen gelesen zu haben.

  4. 04
    clara

    doch, für mich war vieles neu – weil ich nämlich nicht die geringste ahnung habe, wie der alltag im iran aussieht, außer den oberflächlichen bildern, weiß ich zu wenig. pasradan – weiß ich jetzt.

  5. 05
    clara

    pasdaran. pardon!

  6. 06

    Danke sehr!
    Wir brauchen mehr von Leuten wie (ich spar mir das Pseudonym ;o) ), die zwischen Kulturen vermitteln können. Die nicht in schwarz und weiß denken, sondern auch das positive einer anderen Denkrichtung erklären.
    Haß entsteht m.E. aus Unwissen und der folgenden Angst.

  7. 07
    Frédéric

    Wenn ihr weitere Fragen habt an (hihi) Horstoman (hihi), könnt ihr die übrigens gerne stellen. Entweder ich leite die weiter, oder (hihi) Horstoman (hihi) antwortet innen Kommentaren.
    Ich geh dann mal zum Humor-Tüv (hihihi).

  8. 08

    Lieber Horstoman aus dem Land der Arier – Iran – fahren die jungen Leute aus Teheran wirklich so gerne Ski und trinken heimlich Alkohol?

    Lesen die Studenten wirklich den OSHO?

    Wie währe es denn mit einigen Links wo sich Deutsche und Iraner direkt unterhalten könnten?

  9. 09
    Horst

    Hi ihr alle,
    erstmal finde ich es schön, dass es Interesse an einem Austausch gibt,
    ich stimme jj zu, das einander Kennenlernen ist die beste Voraussetzung bestehende Ressentiments ab zu bauen.
    Soweit ich gehört habe, bekommt man in Iran jegliche Form von Alkohol, man muß dann jedoch die entsprechenden Schwarzmarktpreise bezahlen können und die sind höher als hier, bei wesentlich niedrigeren Löhnen.
    Ja, Skifahren ist durchaus ein populärer Sport. Bin leider noch nicht in den entsprechenden Saisons dort gewesen. :-)
    Hmm, keine Ahnung ob dort viele Osho lesen. Ich weiß, dass es ein großes Interesse an esoterischen Themen gibt.
    Der Austausch über das WWW ist nicht so einfach, der iranische Inlandsgeheimdienst beschäftigt eine Armee von Menschen, die auslädische Seiten auf Konformität überprüfen (nackte Frauen/Männer, usw.) mein Account bei T-Online war beispielsweise aus Iran nicht zugänglich. Versuchen könnte man es aber sicherlich einmal!

  10. 10
    clara

    @horst, würdest du in den iran auswandern und wenn ja warum und wenn nein warum nicht?

    @frederic – wie bist du denn auf „horstoman“ gekommen? (ich frag auch nicht mehr:(

  11. 11
    Frédéric

    Eigentlich ist Horstoman selbst auf Horstoman gekommen. Und ich fands urkomisch. Zaza meinte mal, mein verschobener Humor sei ein Geburtsfehler.

  12. 12
    jochen

    ich komme einfach nicht mit solchen gegensaetzen klar:

    Ja, dann kommt aus dem Iran der Vorwurf, dass Europa die menschliche Nähe vergessen hätte. …

    und

    … Die beiden jungen Männer, die auf frischer Tat bei homosexuellen Handlungen ertappt wurden, sind an einem riesigen Kran gehängt worden, damit viele Menschen das sehen.

    da ist das ja noch richtig harmlos gegen:

    Es gibt sogenannte Pasdaran, also Sittenwächter, die in den Straßen kontrollieren, ob nicht verwandte Jugendliche unterschliedlichen Geschlechts zu sehr miteinander in Berührung kommen.

    natuerlich haben die homosexuellen in einigen teilen europas einen schweren stand, aber offiziell gehaengt wird eher selten.

    btw., vielen dank fuer das interview.

  13. 13
    Horst

    Naja, Horst war meine Idee,
    Herr Reporter, Horstoman war, soweit ich mich erinnern kann, Ihr Vorschlag.
    Ich glaube nicht, dass ich nach Iran auswandern würde, dauerhaft meine ich. Meine Freunde und Bekannten leben alle hier, warum sollte ich das alles aufgeben? Ich kann mir aber durchaus vorstellen saisonal dort zu leben, also jeweils ein paar Monate dort zu verbringen.

    Es ist keine Entschuldigung der Vorfälle dort, dass Homosexualität auch in vielen Teilen Europas nicht toleriert wird, es ist jedoch kein Phänomen eines Unrechtsstaates sondern ein gesellschaftliches Problem. Das Umdenken müßte dem entsprechend in der Gesellschaft stattfinden, so wie das hier in den letzen Jahrzehnten stattfand. Es sind noch keine 100 Jahre vergangen, dass Homosexualität auch in Europa von staatlicher Seite unter Strafe stand (auch im 19. Jh.!). Der einzige Weg ist da meiner Meinung nach, der inter/ und intrakulturelle Austausch. Es wird leider noch ein langer und harter Weg für die iranischen Schwulen und Lesben sein, bis sie ein ähnlich ruhiges Leben in Iran führen können, wie es in den Großstädten Deutschlands möglich ist.
    Bei vielem sind es die konservativen Vorstellungen mancher EinwohnerInnen Irans, die Grundlage und Legitimation für solche Gesetze bilden.

  14. 14
    Frédéric

    @ Horstoman (hihi): Eine Frage hätt ich noch: Wie siehts denn mit oppositionellen Bewegungen aus? Also innerhalb und außerhalb des Irans?

  15. 15

    Hi, Mr. X (hehe)

    ich bin irakisch-deutsch gemischt, und primär sunnitisch in Damaskus aufgewachsen. Daher war mir die schiitische Brunnen-Geschichte des Mahdi völlig unbekannt. Um so mehr danke ich dafür, denn sie paßt wunderbar in mein Interessenspektrum (siehe http://www.buch-der-synergie.de)

    Bei Goethe hieß es Cider’s Quell – im Arabischen nannte man ihn Khidr, den Propheten der Fruchtbarkeit, der Quellen und Brunnen. Ob da wohl eine ‚Personalunion‘ mit dem aus seinem Brunnen steigenden Mahdi vorliegt?!
    Salam!

  16. 16
    Horst

    @ Frédéric:
    Hmm, ich denke es ist in Iran ein schmaler Grat, auf dem man als OppositionspolitikerIn bewegt. Die Mojahedin-e Khalq sind meiner Meinung nach keine Alternative, sie haben (soweit ich das beurteilen kann) keinen Rückhalt in der breiten Bevölkerung. Sie sammeln in den Städten europas Geld für ihren „Widerstand“, bei dem sie in der Vergangenheit auch Bombenanschläge verübten. Das kann aber nicht der Weg sein.
    @ Herr Khammas:
    Kann schon sein; wobei mich das durchaus auch an den Ab-/Aufstieg des Tammuz in/aus der Unterwelt erinnert. Hat schon was chthonisches.
    Es gibt ja verschiedene solche Verquickungen, ich habe in Iran auch die Sage von Khosrow Anushirwan gehört, der in einer Höhle ausharrt, bis der Mahdi zurück kehrt, um mit ihm gemeinsam die Erde von allem Übel zu befreien.

  17. 17
    jochen

    @ 13: das sehe ich genauso. hier muss ein umdenken in der bevoelkerung stattfinden und dann wird auch die gesetzgebung einen wandel erfahren. erschreckend aber dass anscheinend die bevoelkerung hinter solchen bestrafungen steht (ansonst haetten oeffentliche hinrichtungen bestimmt keinen so hohen zulauf) und traurig dass das wohl bedeutet dass es nicht die letzte hinrichtung von menschen gewesen sein wird mit der begruendung dass sie von den traditionellen (bzw. konservativen) vorstellungen abweichen.
    mein unrechtsbewusstsein laesst mich solch ein verhalten verabscheuen und daran wuerde sich auch nichts aendern wenn mir jemand erklaeren wollte dass es sich um die verteidigung von traditionellen werten und lebensweisen handelt (oder salopp formuliert: andere laender andere sitten). da mache ich beim iran keine ausnahme.

    und darum wuerde ich unter diesen satz

    Aber mir stellt sich dabei auch immer die Frage, was das sein soll, diese Aufklärung.

    zum beispiel schreiben:
    – niemand darf hingerichtet werden, auch nicht auf grund seiner sexuellen ausrichtung.
    oder
    – es ist egal ob man in qom oder teheran lebt, man hat ein recht auf die gleiche (faire) behandlung.

    ich gebe zu dass ich mir das natuerlich viel zu einfach vorstelle und sicherlich muss einiges differenzierter betrachtet werden. aber da kommt man ja vom 100sten ins 1000ste ;-)