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In den Wald schrein

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Bild: „Introvertiert“ (2002) von Kim J. Köster

„Bürgernähe“, das ist so ein Wort, das mich immer an Schunkelveranstaltungen erinnert, mit Parteiplakaten, wo als Rahmenprogramm der jeweilige Kandidat auf irgendeiner Bühne mitten im Nirgendwo irgendwelche saudämlichen Platitüden von sich gibt. Möglichst markig bitte. Kleinbühnen-Selbstproduktion.

Dabei soll’s ja vorkommen, dass die Entscheidungen des jeweiligen Abgeordneten beim Bürger auf – um es vorsichtig auszudrücken – sanftes Unverständnis stoßen. Man sie ihm also nahe bringen sollte. In einer Welt, die besser ist als unsere, würden Politiker auf öffentliches Nachfragen der Bürger öffentlich reagieren. Und Fragen gibt’s tatsächlich einige.

Von Herrn Steinmeier beispielsweise hätte ich gerne gewusst, was eigentlich deutsche Soldaten noch in Afghanistan zu suchen haben, und so einiges zum Thema Kurnaz brennt mir auch noch unter den Nägeln. Herr Müntefering hätte mir ruhig nochmal erklären können, warum die Mehrwertssteuer denn um drei Prozent erhöht worden ist, obwohl die SPD im Wahlkampf eine Erhöhung definitiv ausgeschlossen hat. Ob er nicht befürchte, mit einer Rentenerhöhung von 0,54 % ganz Rentnerdeutschland in den kollektiven Wohlstandstaumel fallen zu lassen. Von Herrn Glos hätte ich gerne gewußt, ob sich seine Meinung, Atomenergie sei unverzichtbar, inzwischen geändert hätte, und ob er nochmal so Sätze sagen würde wie:“Aus Gründen der Klimavorsorge, der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit können wir zum jetzigen Zeitpunkt auf die Kernenergie nicht verzichten.“ Klimavorsorge? Herr Glos? Jemand da? Außerdem hätte ich gerne von Herrn Merz gewusst, ob seine Arbeit im Finanzausschuss nicht durch seine Nebentätigkeiten als Rechtsanwalt, als Vorsitzender des Beirats beim AXA Konzern, als Mitglied des Aufsichtsrates bei der AXA Versicherung, der DBV-Winterthur, der Deutschen Börse, der Interseroh AG, der IVG Immobilien AG, als Mitglied des Verwaltungsrates bei der BASF Antwerpen und der Stadler Rail AG, als Mitglied des Beirates bei Borussia Dortmund und als Mitglied des zentralen Beirates bei der Commerzbank, wie soll ich sagen, ob es da keine Interessenkollisionen gibt. Und dem Herren Schäuble – obwohl, nee, da is eh alles zu spät. Es wäre wohl sinnvoller, die Frau Merkel zu fragen, wann denn demnächst in ihrem Kabinett ein Innenministerposten neu zu besetzen wäre.

Um nur ein paar zu nenen, die mir auf Anhieb durchs politisierte Bewußtsein huschen. Schön wäre das, Antworten zu hören. Möglich wärs ja. Das Problem ist: Sie antworten nicht. Zugegeben: Viele Politiker haben ihre Schwierigkeiten mit dem Internet und so, das wissen wir ja inzwischen. Aber simple Mails beantworten, das müsste doch dann fast noch drin sein.

Die Kabinettsmitglieder aber sehen das anders: Bei Franz Müntefering ging bei 38 Fragen genau einmal der Anrufbeantworter an. Da ist Wolfgang Schäuble schon besser: Da macht sich wenigstens einer die Mühe, auf alle 71 Fragen ne Standardantwort zu posten, in der der Innenminister angibt, nicht mit Menschen kommunizieren zu wollen, deren Email-Adresse er nicht habe. Herr Schäuble, rufen Sie mal in Ihrem Ministerium an, die ham meine. Ganz sicher.

Nicht viel besser sieht’s bei Michael Glos (22-0), Horst Seehofer (38-2), Franz Josef Jung (10 – 0) und Anette Schavan (27 – 0, AB-Funktion) aus. Sigmar Gabriel beantwortet immerhin manche Fragen automatisch, andere tatsächlich. Steinmeier, Steinbrück, von der Leyen (die einstmals ein Blog ihr eigen nannte), Tiefensee und de Maizière kann man sowieso nicht fragen, weil die Herrschaften nicht Mitglied des Bundestages sind. Schade eigentlich.

So, liebe Volksvertreter, jetzt hätte ich noch gerne gewußt, warum so viele unter Ihnen betroffene Gesichter machen, wenn’s um die Themen Wahlbeteiligung, Bürgernähe und Politikverdrossenheit geht. Dass man nicht jede Frage beantworten kann oder will, ist mir auch klar. Ein paar zumindest. Damit ich nicht jedesmal laut loslachen muss, wenn einer von Ihnen irgendwas von „Bürgernähe“ in die Mikrofone seiert.

Und bevor mir jetzt einer sagt, das gehe gar nicht, wegen des zeitlichen Aufwands oder sowas: glatt gelogen. Angela Merkel bekommt das ja auch ganz gut hin, nicht? [Edit: Oder auch nicht. Siehe comments eins und zwei.] Heidemarie Wieczorek-Zeul, Brigitte Zypries (die übrigens zu ihrem inzwischen dahingeschiedenem Blog „der“ sagt) und – zumindest teilweise – Ulla Schmidt auch. Und ziemlich viele Hinterbänkler sowieso. Vielleicht, weil die noch darauf angewiesen sind, dass man sie ernst nimmt.

Sie dürfen, liebe Volksvertreter, gerne auch in den Comments antworten. Oder – sofern Sie eines betreiben – auf Ihren Blogs. Sollten Sie die nicht sowieso nur für Wahlkampfzwecke nutzen.

Mit Dank an Lena für die Aufregung Anregung.

5 Kommentare

  1. 01

    Bei Angela Merkel als positiven Vergleich das Beispiel von DirektzurKanzlerin anzugeben, finde ich etwas fehlplatziert. Die Fragen, die das komplizierte Procedere der etwas merkwürdigen Plattform durchlaufen, werden vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung beantwortet. Toller Service für die Kanzlerin, das hätten andere sicher auch gerne. Angesehen davon beantwortet das Amt auch normale Mails, man muss noch nicht einmal DirektzurKanzlerin nutzen. Interessanter ist ein Versuch, Angela Merkel bei Abgeordnetenwatch oder ihrer Webseite zu kontaktieren und das dann mal zu vergleichen.

    Aber ansonsten teile ich die Einschätzung, dass Dialog mit den Bürgern in der Politik eher als anstrengend und zeitraubend angesehen wird. Für die Mitarbeiter der Politiker…

  2. 02
    Frédéric

    @ Markus: Danke für die Info, ich mach mal nen Verweis. Bei Abgeordnetenwatch enthält sie sich der Stimme.

  3. 03
    Stefan

    Das Problem liegt nicht an unseren angeblich so ignoranten Politikern, sondern schlicht und einfach an unserem Wahl/Demokratiesystem. Unsere Abgeordneten haben es einfach nicht nötig, sich mit kritischen Bürgerfragen auseinanderzusetzen, da nicht der Bürger sie wählt, sondern die Partei sie *aufstellt*. Das einzige, was der Bürger zutun hat, ist zu bestätigen (und der ist ganz froh drüber, dass er für einen prominenten Politiker stimmen kann).

    Ich finde nicht, dass man den Politikern das zum Vorwurf machen sollte. Unser System ist auf Funktionieren ausgelegt (auch wenn das unglaubwürdig klingt), heißt, es soll für jedes Spezialgebiet ein Experte jeder Partei zur Verfügung stehen, die ein Gesetz erarbeiten, Streitigkeiten werden in den Ausschüssen geklärt. Das beinhaltet auch, dass die Meinung des Bürgers außerhalb der Wahlzeiten nicht wichtig ist (kann auch positive Auswirkungen haben, zB werden Regierungen stabiler und unabhängiger).

    In einem Land mit Mehrheitswahlrecht sieht die Sache interessanterweise anders aus: Hier versteht sich der Abgeordnete als Gesandter seiner Region und fühlt sich seinen Wählern direkt verpflichtet. Er wird wahrscheinlich jede Frage beantworten und auch regelmäßig in seinem Wahlkreis auftauchen. Als Nachteil hat dieses Wahlsystem aber, dass es meist nur zwei Parteien gibt, Minderheitsmeinungen also wenig beachtet werden; während es bei einem Mehrheitswahlrecht darauf rausläuft, dass jede Partei sich einbringt (va in Ausschüssen).

    Wenn die Fragesteller wirklich eine Antwort bekommen wollen, sollten sie sich vielleicht an die SPD/CDU-Kreisgeschäftsstelle oÄ wenden, da stehen die Chancen gut.