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Updating Burma, Birma, Myanmar: Something new on the Eastern Front?

Als in Myanmar die Mönche auf die Straße gingen, war die Überforderung in den deutschen Medien mit Händen greifbar: Myanmar? Burma? Birma? Pagodien? Wie nenn mers denn jetzt? Und die Hauptstadt? Ach, is gar nicht mehr Rangon? Und was passiert jetzt wo nochmal genau? „žSafranrevolution“, sagst Du? Ja, toll, das nehmen wir. Und als dann Eva Herman kam, ging ein kollektives Aufatmen durch die Kommentatorenreihen: Weitere Nachrichten entnehmen Sie bitte der Rubrik „žferner liefen in aller Welt“, danke. Dabei war bis vor kurzem noch gar nicht so klar, was in Myanmar eigentlich vor sich gegangen ist. Erst jetzt zeichnet sich so langsam ab, was sich im Spätsommer ereignete. Zeit für eine Reinspektion.

Der erste Teil des Artikels basiert in weiten Teilen auf dem Report des Office of the High Commissioner for Human Rights von Paulo Sergio Pinheiro, Menschenrechtsbeauftragter der UNO, der Mitte November für fünf Tage Myanmar bereiste und einige Nachforschungen insbesondere zu den Ereignissen zwischen 26. und 29. September anstellte.

Vielleicht ahnten die Generäle rund um Than Shwe sogar, was auf sie zukommt: 2007 hatte unruhig begonnen in Myanmar. Von Februar bis April war es immer wieder zu Demonstrationen gekommen, und als am ersten Mai einige Bürgerrechtler Diskussionsforen zu Arbeiterrechten veranstalten, griffen sie hart durch: Die Organisatoren Thurein Aung, Wai Lin, Myo Min und Kyaw Win wurden zu 28 Jahren, Nyi Nyi Waw und Kyaw Kyaw zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Das kam auch in der Vergangenheit häufig vor, nicht umsonst zählt Myanmar zu den repressivsten Regimes der Welt. Und nachdem sich im Frühsommer die Lage beruhigt hatte, beschlossen die Generäle die Anhebung der Ölpreise. Klar: Es kam zu Demonstrationen.

Die erste fand am 19. August in Rangon, der ehemaligen Hauptstadt, statt, Mönche waren noch keine dabei: nur Demokraten. Für die interessiert man sich nicht sonderlich, weder innerhalb der Landesgrenzen noch international. Also schickten die Generäle ihre SAS-Milizen, um die Veranstaltung zu sprengen. Es gab Festnahmen, Verletzte, und es sah so aus, als sei das Ding gegessen. In Myanmar existiert kein soziales System: Die Ärmsten der Armen, denen 45 Jahre Misswirtschaft, Bestechlichkeit und „Reformen“ jede Zukunftsperspektive außer dem Hungertod genommen haben, werden in den meisten Fällen Bettelmönche. Was Preiserhöhungen in einem solchen Kontext anrichten, ist einfach zu verstehen, aber fatal: Die, die was haben und geben könnten, haben und werden immer weniger. Die, die nix haben, werden immer mehr.

Das schlägt sich natürlich auch auf die Lebenssituation der Mönche nieder, die aber — obwohl es eine lange Tradition des Widerstands innerhalb der Mönchsgemeinschaft, dem sogenannten Sangha gibt — bisher meist die Füße stillgehalten haben. Denn normalerweise beruhigt das Regime die religiösen Oberhäupter dadurch, das es Pagoden vergoldet oder sonstwie „spendet“ – es finden sich immer religiöse Oberhäupter, die die Phalanx des Protests für ein bißchen mehr Prestige durchbrechen. 1990 ist so schon einmal der passive Widerstand der Mönche gebrochen worden. Diesmal aber nicht, denn die Bewegung hörte nicht mehr auf die religiösen Führer. Diesmal kam es nach einiger Verzögerung zu spontanen Demonstrationen der Mönche, zum Beispiel in Pakokku, am fünften September. Es ist bis heute nicht ganz klar, was genau schief gelaufen ist, jedenfalls lösten SAS-Milizen, Polizei und Militärs die Veranstaltung gewaltsam auf: Mönche wurden verletzt, teilweise schwer, einer — so ging das Gerücht — starb. Als am nächsten Tag militärische Offizielle das Kloster betraten, wurden sie von erbosten Mönchen kurzerhand festgesetzt.

Am neunten November September gründete sich die All Burma Monks Alliance, die vier Forderungen stellte: Erstens sollte sich die Regierung öffentlich für die Ereignisse in Pakokku entschuldigen; zweitens müssten die Rohstoff- und Ölpreise gesenkt werden; drittens seien alle politischen Gefangenen inklusive Aung San Suu Kyi freizulassen; und viertens solle die Regierung in den Dialog mit demokratischen Kräften treten. Das Ultimatum lief am 18. September aus. Die Bewegung nahm Gestalt an. Trotzdem handelte es sich bei den Demonstrationen nicht um koordinierte Aktionen. Es kann also keine Rede sein von einer politischen Bewegung, obwohl sich von Anfang an 88er-Studentenführer und NLPD-Aktivisten beteiligten. Erst gegen Ende September verdichteten sich die Organisationsstrukturen, Allianzen bildeten sich stärker aus. Das ist wohl einer der Gründe, warum die Junta vorerst auf Waffengewalt (sieht man von Pakokku ab) weitestgehend verzichtete. Zumindest bis zum 26. September. In den Tagen zuvor, nachdem das Ultimatum ausgelaufen war, schwellten schwollen die Proteste täglich an, ohne dass das Regime reagiert hätte. Erst am 26. September eskalierte die Situation. Oder so: ließen die Generäle die Situation eskalieren.

Als in Rangun eine friedliche Demonstration gewaltsam aufgelöst wurde, setzten Polizei, Militär und SAS-Milizen Tränengas und/oder Rauchbomben, Schlagstöcke und Schußwaffen ein, laut Zeugenaussagen kam es zu gezielten Tötungen und dem Einsatz von Scharfschützen. Von da an schlug die Junta mit all ihrer zur Verfügung stehenden Kräfte zurück und erstickte die friedliche Revolte binnen weniger Tage. Am Ende soll es laut Regierungsquellen 15 Tote gegeben haben. Pinheiro kann 31 Opfer beweisen, Dissidenten sprechen von mindestens 200 Toten.

Parallel zur Niederschlagung der friedlichen Demonstrationen setzte die Junta umfassende und erschreckend effektive Zensur- und Repressionsmaßnahmen um: So wurden am 28. September die Internet-Verbindungen ins Ausland gekappt. Tagsüber wurden die „žRädelsführer“ identifiziert, nächtens beiseite geschafft. Außerdem sollten die Mönche von der Straße runter. Ganze Klöster wurden geräumt, amerikanische Diplomaten berichteten, sie hätten mindestens fünfzehn Klöster leer aufgefunden. „Lastwagenweise“ seien die Mönche deportiert worde, sagte der französische Botschafter Jean-Pierre Lafosse. Kurze Zeit darauf bereiste der UN-Untergeneralsekretär Ibrahim Gambari das Land und lieferte ein weiteres Mal Beweise für die politische Wirkungs- und Hilflosigkeit der UN. Nachdem er mit Aung San Su Kyi zusammengetroffen war, ließ Than Shwe ihn einige Tage warten, bis er ihn zu einem, hm, irrelevanten Gespräch traf — zu diesem Zeitpunkt waren die Demonstrationen weitestgehend niedergerungen.

Nachdem sowohl China als auch Russland UN-Sanktionen abgelehnt hatten, blieb es bei einer konsequenzlosen Missbilligung durch den Sicherheitsrat. Und das ist schon beinah das Ende der Geschichte, oder eben der Anfang:

Mehr als 1.160 politische Gefangene sitzen unter menschenunwürdigen Bedingungen in Haft. Folter, Hunger und Zwangsarbeit sind in Gefängnissen die Regel. Kindersoldaten werden zwangsrekrutiert. Ethnische Minderheiten werden unterdrückt, aus ihren Dörfern vertrieben und zu Zwangsarbeit verpflichtet. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und faire Verfahren werden systematisch verletzt.

Bei aller Missbilligung, die China verdient hat für die Unterstützung des Militärregimes in Myanmar: Der Westen hat sich alles andere als vorbildlich verhalten. Okay, die USA haben ihre (seit Jahren bestehenden und sehr rigiden) Sanktionen auf den Diamantenhandel ausgeweitet. Allerdings wirken die Rufe britischer Politiker nach Demokratie in Myanmar bei 750 Millionen Euro* britischer Direktinvestitionen etwas als eines der Länder mit den umfangreichsten Direktinvestoren, nunja. Doppelzüngig. Und dann der französische Außenminister Bernhard Kouchner. Kouchner kann durchaus als Myanmar-Experte bezeichnet werden: Schließlich hat er in einem Bericht über TOTAL Arbeitsmethoden auf den Feldern von Yadana für okay-hey befunden, Menschenrechtsverletzungen hätte es da, sagt er, nicht gegeben. TOTAL verhalte sich total toll in Myanmar, (anderswo wahrscheinlich auch, zum Beispiel zu Hause, falls es das gibt) und man müsse am Ende den Managern lastwagenweise Blumen schicken für ihren Humanismus. So, und wer hat hier jetzt geradeLobbyist gedacht?

Schön auch die sehr gemächliche Reaktion des Außenministeriums:

Wir begrüßen den friedlichen Verlauf der Demonstrationen. Wir haben Sympathie für diese friedlich agierenden Demonstranten.

Soso, Sympathie. Von Sympathie kann man sich aber nicht viel kaufen, unglücklicherweise. Von Antipathie vielleicht schon, zum Beispiel bei Fritz Werner, zum Beispiel Sturmgewehre.

Seit 1989 haben alle Bundesregierungen behauptet, keine Genehmigungen für Rüstungsexporte nach Birma mehr zu erteilen. Die bis 2004 vorliegenden Übersichten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zeigen jedoch, dass in fast jedem Jahr mindestens ein Antrag auf Lieferung von Dual-Use-Gütern bewilligt wurde – obwohl seit 1991 ein EU-Waffenembargo gilt! Außerdem fällt auf, dass das Zollkriminalamt 2001 wegen der Lieferung von Anlagen zur Sprengstoffherstellung ermittelte und es zwei Jahre später sieben Verurteilungen wegen des Exports von Munitionsmaschinen gab.

Wer solche Sympathisanten hat und so weiter. Und wenn jetzt die Medien mit wichtigen Fingern nach China zeigen (wo das Böse haust), wäre mitunter der Hinweis angebracht, dass die heimische Wäsche nicht eben blütenweiß und wohlduftend ist. Um es mal vorsichtig zu formulieren.

*Leider weiß ich nicht mehr, aus welcher Quelle ich die Zahl habe, und meine Englischkenntnisse sind zu tieferen Recherchen ungeeignet. Wenn jemand zufälligerweise genaueres dazu weiß: Danke für Hinweise. [Update: Nachgebessert. Danke, der_baer_fm.]

Weiterführende Links

Myanmar-Artikel auf Spreeblick

Renaud Egreteau: Keine Revolution für Birma

Seite des Office of the High Commissioner for Human Rights über Myanmar, auf der sich auch der Pinheiro-Report findet.

Blog4Burma: „Right after the „Free Burma“-campaign ended, it seemed the topic lost its appeal for most of the participients. But for the Burmese people the situation has not really changed for good. A group of European bloggers and a native Burmese joined forces in the BLOG4BURMA initiative, to connect their further writing and support one another in the common goal to keep the topic in the focus of the blogosphere.“

Und zum Abschluß: der Burma-Ticker

16 Kommentare

  1. 01
    reply

    „wäre mitunter der Hinweis angebracht, dass die heimische Wäsche nicht eben blütenweiß und wohlduftend ist. Um es mal vorsichtig zu formulieren.“ Warum formulieren Sie vorsichtig und warum verwenden Sie soviele Floskeln in dem Artikel? Das ist ärgerlich. Die Frage, was nach den Protesten im September passiert ist, ist richtig.

  2. 02

    Danke, dass du die Geschichte weiterverfolgst. Im Mainstream hat man sie ja bereits vergessen! Um so wichtiger ist dein Beitrag.

  3. 03

    „Am neunten November gründete sich die All Burma Monks Alliance, die vier Forderungen stellte(…) Das Ultimatum lief am 18. September aus.“

    äh… ist das November letztes Jahr oder wie?

  4. 04
    der_baer_fm

    Hi, Was ich für die 750 Millionen britische Direktinvestitionen gefunden habe
    sind mehrere Verweise auf eine Meldung von Japan Today.
    Die Meldung ist vom ist vom 29. November diesen Jahres und
    sagt, dass es im Fiskaljahr 2006 (das bis Ende März ging) insgesamt 750 Millionen US-Dollar an Direktinvestitionen aus aller Welt ins Land geflossen sind.

    http://www.japantoday.com/jp/news/422188

  5. 05
    der_baer_fm

    (Was ist eigentlich mit der praktischen Vorschaufunktion passiert? Früher – da wäre mir das mit der Formatierung nich passiert. Die Rechtschreibfehler schon.. :-( )

  6. 06

    ichweißnicht, ichweißnicht – ich denke recht häufig, dass bestimmte themen überhaupt nur der exotischen bildbeilage wegen serviert werden. ich nehm´s erstaunt zur kenntnis, dass spreeblick an so sachen dran bleibt. danke, frédéric!

  7. 07
    Frédéric Valin

    @ Bootie: Hups. Danke, ich werds verbessern. September war gemeint.
    @ der_baer_fm: Danke. Dann bin ich einer Fehlinfo aufgesessen.

  8. 08
    Frédéric Valin

    @ reply: Floskeln, naja. Vorsichtig, ja. Brachialrhetorik ist meine Sache nicht, Skandalgeheische kann ich nicht ab. Lieber vorsichtig als ein Brandartikel: für Skandalisierungen bin ich nicht so sehr zu haben.
    Fakten mag ich lieber.

  9. 09
    Artikel zu lang!

    Bringt doch solch lange Artikel als druckbares PDF raus, diese 5cm Absatzbreite und dafür 20m Artikellänge sind nicht so der Bringer.

  10. 10
    joux

    Guter Artikel, da darf ich hoffentlich kleinlich sein und den Duden schwingen:
    „schwellten die Proteste täglich an“ -> schwellen, schwoll, geschwollen.

    Danke, mehr!

  11. 11
    Frédéric Valin

    joux, da hast Du Recht. Danke!

  12. 12

    @#616952: vielleicht kann man die Formatierung des Druck-Layouts per CSS beeinflussen, so wie Wikipedia es tut? Dann kann man sich selber so ein PDF per Druckertreiber ausgeben lassen und schon breitformatig lesen. Vielleicht mal eine Idee für Spreeblick?

  13. 13

    Danke für diesen Artikel. Sehr gut. Sehr gut gemacht, gut, dass das wieder aufgegriffen wird. Ich bin sehr überzeugt von diesem Medium. Und jetzt mach ich noch meine Anti-Stasiverzeichnis-Lied fertig.