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„Mit Pro-Gaming wird man kein Millionär“

Ein Gespräch über professionelles Spielen gegen Geld mit Christian Brand, PR-Manager bei Turtle Entertainment und zuständig für die Electronic Sports League, kurz ESL, und dort speziell dem Pro-Gaming-Bereich. Marcel ‚k1llsen‘ Paul, Spieler für den Clan ESC.IcyBox. Alexander Holtz-Shedden, Moderator bei ESL.tv und dort überwiegend für den PR-Content zuständig. Und Rolf Platschka, Gründer und Clanmanager von ESC.Icybox.

Der Clan Schroet Kommando aus Deutschland waren 1997 die ersten, die das Gaming professionell betrieben haben. Marcel, wie kommt man dazu?
Marcel: Na angefangen hats bei mir damit, dass mein Bruder mir irgendwann 1999 ein Computerspiel gezeigt hat. Hat mir gut gefallen, aber da war Online-Gaming noch kein Thema. Ich habs dann heimlich gezockt, wie kleine Brüder eben so sind. Nach einer Weile hab ich dann gesehen, dass mehr dahinter steckt, selber angefangen, online zu spielen, auf kleineren Online-Turnieren mit 32 Teilnehmern aus Europa, und mit Sachpreisen als Gewinne. Danach ging alles ganz schnell, es kam das erste Event in Frankreich, 2004 war das. Die Atmosphäre dort mit all den Zuschauern und der Support der Spieler dort war super, und ab da war klar, dass will ich länger machen. Selber spiele ich im Clan ESC.IcyBox, der auch noch andere Spiele professionell spielt, bspw. Counter-Strike Source, Starcraft, FIFA usw. Wir sind in den deutschen Ligen schon ganz gut vertreten.

Und du bist vertraglich an den Clan gebunden?
Marcel: Ja.

Ist das dann dein Hauptberuf?
Marcel: Ich versuche es, es dazu zu machen, derzeit kommen aber noch Minijobs dazu. Zum Leben reicht es noch nicht.

Wie sieht denn ein Tag von dir aus?
Marcel: Wie jeder andere auch, also nicht, dass ich nur zocken würde. Geht schon mal gar nicht, ich bin Vater und will natürlich Zeit mit meiner Familie verbringen. Wenn Event XY ansteht fängt man so ca. zwei Wochen vorher mit der Vorbereitung an, und kurz davor können es auch mal vier, fünf Stunden am Tag sein. Ansonsten ist das eher locker, ein Stündchen oder so.

Vertraglich gebunden… gibt es auch sowas wie Vertragsstrafen?
Marcel: Glaube schon… haben wir sowas?
Rolf: Selbstverständlich. Es ist ja nicht nur der Clan, sondern auch für die Sponsoren, d.h. der Besuch eines Turniers ist Pflicht, ganz klare Sache. Mindestleistung, also eine bestimmte Platzierung, gibt es nicht, jeder gibt eine Selbsteinschätzung ab, die möglichst nicht zu hoche sein sollte, und die man durch Motivation, Spaß und Leidenschaft entsprechend steigern kann.

Festgehälter?
Rolf: Natürlich. Das ist ein ganz normales Arbeitsverhältnis.
Christian: Funktioniert wie im Fussball, nur mit kleineren Gehältern. Bei den Intel Extreme Masters füllen wir die Hallen schon ordentlich, das ist Gänsehautatmosphäre. Bei der Organisation der Ligen haben wir uns am klassischen Sport orientiert, also Sponsoren, Preisgelder usw. Die Clans haben das dann adaptiert, professionalisiert, und sich zu Breitensport-Teams entwickelt. Die Durchführung eines Turniers gleicht ebenfalls dem Fussball, wir haben Interviews vor und nach den Games, Sponsorenwände für Photos etc… so finanzieren wir ja auch die Liga. So hat sich das in den letzten 10 Jahren entwickelt – Preisgelder im sechsstelligen Bereich, erster Platz in der Liga ist mit 130.000€ dotiert, in der ESL wurden bisher fast vier Millionen Euro ausgeschüttet… das sind schon Zahlen.
Rolf: Um mal ein Beispiel zu nennen, unser Clan betreibt zwei Bootcamps, zu denen Teams aus der ganzen Welt kommen und trainieren können, um sich auf ein Turnier o.ä. vorzubereiten, den Gegner mal vor Ort zu haben und natürlich um die Gamer kennenzulernen. Und da sieht das dann ein bisschen anders aus, da haben wir klare Tagesabläufe mit Essenszeiten, Training, Theorie usw…

Kann denn jeder in der ESL mitmachen?
Christian: Ja, es ist ein Special Interest Social Network. Jeder kann sich kostenlos anmelden, sein Profil erstellen, Spiele angeben, wir haben da einige 100 zur Auswahl, Photo hochladen, sowas eben. Dann sucht man sich eine Ladder, also eine Funliga aus, die haben kein definiertes Ende und laufen die ganze Zeit, um Gegner zu finden, die ungefähr gleich stark sind. Ich zum Beispiel dürfte der absolut grottigste Starcraft-Spieler überhaupt sein, und selbst ich würde dort noch jemanden auf meinem Niveau finden. Aber nur 1% von den Spielern in den Ladders schaffen es in den Pro-Gaming-Bereich. Schon allein, weil nur die wirklich großen Spiele bzw. die mit einer großen Community zu Pro-Games werden können. Wegen dem Aufwand, klar, aber natürlich auch wegen dem Interesse – Online-Schach ist bei uns jetzt weniger gefragt, obwohl wirs haben. Counterstrike und Counterstrike Source sind nach wie vor riesig, da gibts eine große Community, das macht die Sponsorensuche einfacher. Starcraft II, ganz frisch, Quake Live, gerade letzteres hat die ganzen alten Gamer nochmal angezogen. Wir beobachten, welche Titel am besten laufen, oder eben auch nicht. Warcraft 3 fliegt zum Beispiel bald raus.
Alter ist übrigens egal, eSports sind nicht daran gebunden. Spiele wie FIFA werden turnusmäßig ausgetauscht, klar, aber Counterstrike 1.6 ist zum Beispiel perfekt ausbalanciert und hält sich entsprechend sehr lange. Gerade Spiele, die competitive gespielt werden können, haben nicht die Turnaround-Rate von 6 Monaten, sondern bringen auch danach noch Kohle ein – teilweise sogar über 10 Jahre oder mehr.

Okay, wie siehts denn mit dem Status von Pro-Gaming in Europa aus?
Marcel: Nicht so. Gerade in Deutschland hängen einem ständig die Medien in den Rücken und berichten schlecht, was sich im Kopf brandmarkt. Die Eltern sehen das, geben es so an die Kids weiter, dass die ja nichts damit zu tun haben sollen, aus Angst oder so.
Rolf: Für uns als Clan wäre es wünschenswert, die Lobby dahinter zu bündeln und mehr Öffentlichkeitsarbeit zu machen, mehr als der Veranstalter, der ja den Geldaspekt im Hinterkopf hat. Wir sind da schon in Gesprächen mit den anderen Clans. Das sind einfach keine Kellerkinder mehr. Da sind Dinge passiert, ja, aber die sind nicht von Gamern verübt worden, das waren soziale Probleme, die dazu geführt haben. Das sind Ausreden, um es sich einfach zu machen. Ja, es ist schwer, Fuss zu fassen und gemeinsam zu arbeiten.
Christian: Ja, ist ein Problem. Gerade hier in Deutschland hat Gaming einen ganz anderen Stellenwert. Wer mit Spielen nicht aufgewachsen ist hat eine andere Wahrnehmung davon: Spielen seien für Kinder, was nicht stimmt, der durchschnittliche Zocker ist mittlerweile 30 Jahre alt, und Spiele würden abstumpfen, was auch durch Studien widerlegt ist.
Rolf: Die halten sich fit, die machen Sport, sind im Beruf, studieren, die hocken nicht im Keller vorm Monitor mit Tunnelblick, das sind vielschichtige Kids, die muss man einfach fördern.
Alexander: Die Eltern sehen halt den Monitor, auf einmal kommt Manschinengewehrsound aus den Boxen, und dann kriegen sie Angst. Aber es ist eins, es zu sehen und was anderes, es zu spielen.
Adrian: Wir haben dafür z.B. in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung die Eltern-LAN gegründet, auf der Eltern zusammen mit Medienpädagogen in einer geschützten Umgebung die Spiele ausprobieren und nachvollziehen können.

Alex, wie muss ich mir ein Turnier im Pro-Gaming vorstellen?
Alex: Na ich bin mittlerweile ja weniger Moderator, aber generell machen wir Liveübertragungen im eigenen Studio und natürlich auch vor Ort vor Publikum. Mittlerweile mache ich aber mehr Dokumentationen über Pro-Gamer, wie sie das Turnier abseits der Bühne erleben, was der Fan eben nicht sieht. Vorbereitung, die Theorie, nicht nur das stupide Spielen, gerade das, was ich den Fans, aber auch den eher spiele-fremden Menschen näher bringen will.

Also gibt es Fans?
Marcel: Klar! Kommt schon nicht selten vor, dass man nach einem Photo oder Autogramm gefragt wird.
Christian: Marcel hat eben das Quake Live Turnier vor Publikum gewonnen, die sind da ausgerastet, haben geklatscht und gejubelt, auch, als er den Scheck, wie hoch war gleich? 3.500$? Genau, als du den hochgehalten hast, das ist Gänsehaut. Die Jungs sind Stars, wer so gut spielt ist ja ein Vorbild. Angefangen hats ja so, dass man Anfang der 90er auf LAN-Parties Zettel mit Ranglisten hatte. Dann kamen die Mailboxen und man dachte sich, man könnte die Listen ja zusammenführen, um zu schauen, wer der Beste ist. Das waren aber nur die Nicknames. Tja und dann kam das Internet mit den graphischen Möglichkeiten, und da war klar, genau da gehört Gaming hin. ISDN hat für gute Pings ja schon gereicht. Und heute ist es gang und gäbe, dass man von den Stars Vor-, Nachname und Gesicht kennt, wir haben ja auch Livestreams von den Events mit tausenden Zuschauern auf der ganzen Welt.

Angenommen, ich will unbedingt Pro-Gamer werden…
Marcel: Du musst dich orientieren, dir Spiele anschauen, die Demos davon, die auch kommentiert werden. Beginnen zu verstehen, was du wie zu tun hast. Dann legste los, guckst, wo es hinführt, ob es dir gefällt, Spaß macht, obs weiter geht. Die ersten Onlineturniere, da kommste vielleicht in Runde 1 oder 2, und nimmst dir dann vor, nächstes Mal vielleicht in Runde 3 zu kommen, die ersten Steigerungen eben. Hocharbeiten eben. Körperliche Fitness ist wichtig, der Kopf muss funktionieren – normales Essen, geregelter Tagesablauf, solche Dinge…
Alex: Und Talent natürlich. Training, ja, aber ohne Talent gehts nicht. Marcel hier spielt nur eine Stunde am Tag und macht mich trotzdem regelmäßig platt.
Rolf: Wir haben im Clan den Fokus auch auf den Nachwuchs, den wir fördern wollen. Das ist ja schon wichtig, um die Liga am leben zu halten, deswegen machen wir Jugendaufklärung und führen die Kids an den PC ran. Und es ist ja völkerverbindend, Voicetools erlauben einem internationale Kontakte, man lernt sich darüber kennen, trifft sich auf Events vor Ort, das verbindet einfach. Es ist aus einer Nische heraus eine globale Kultur geworden. Ich mein, wieviele Gamer kennt man denn, die auf einmal sieben, acht Monate in ein anderes Land ziehen können, weil sie die Möglichkeit vom Clan oder vom Sponsor kriegen? Es gibt sogar Sponsoren, die die Ausbildungsplätze stellen und das Gehalt bezahlen, damit sie sich kleine Sonderreche einholen können, z.B. mal einen Tag mehr für ein Turnier frei kriegen.

Also achtet ihr auf eine normale Laufbahn?
Rolf: Ganz klar. Wir bieten ja auch Praktikas oder Lehrstellen im Clan an.
Christian: Nichts ist ja schlimmer als der Fussballer, der mit 19 den Profivertrag unterschreibt, mit 20 einen Kreuzbandriss hat und auf der Straße sitzt, weil er sonst nix gemacht hat. Es ist risikobehaftet, und ob man sein Leben darauf gründen sollte muss jeder für sich entscheiden. Aber es braucht ganz klar einen Plan B, mit Pro-Gaming wird man kein Millionär.
Rolf: Marcel macht z.B. gerade ein Praktikum als Eventkaufmann bei uns, um mal reinzuschnuppern und zu schaun, obs ihm gefällt. Sowas wird von den Clans sehr ernst genommen, und es gehört mittlerweile auch einfach dazu.
Christian: Es ist auch interessant zu sehen, was aus den ersten Pro-Gamern geworden ist. Der eine ist Kapitän einer Zweitliga-Fussballmanschaft, ein anderer Geschäftsführer der ESL, wieder ein andere sitzt in China und macht dort Business im Gaming-Bereich, der nächste leitet SK Gaming… alle, die sich in den 90ern dachten, wir müssen das jetzt mal auf eine geschäftliche Grundlage hieven, aus denen ist was geworden. Firmenchefs, gaming evangelists, in den 30ern, aber immer noch Spaß am zocken.
Rolf: Clanmanagement ist genauso, das war vor sieben Jahren mal ein Hobby, heute ist das ein Fulltime-Job. Da sind die verschiedenen Abteilungen, die ineinandergreifen, das kannste nicht mehr Abends nach Feierabend mit ein bisschen Smalltalk managen. Die Zeiten sind vorbei.
Christian: Ja, eSports ist ein Geschäftszweig geworden, in dem viele Menschen Geld verdienen: Gamer, Clanmanager, Moderatoren… es gibt Ausbildungsberufe, und ich sag mal so, vom LKW-Fahrer bis zum Moderator brauchen wir so viele Leute, um das irgendwie stemmen zu können. Und Rolf braucht jede Menge Leute, um den Clan am Leben halten zu können, das ist ein unglaublicher Verwaltungsaufwand geworden. Das hat nicht mehr viel mit „lass mal ne kleine LAN machen!“ zu tun – ich kann mir aber auch nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu machen. Es ist total geil.

8 Kommentare

  1. 01

    Sehr schöner Artikel! Eine kleine Anmerkung habe ich jedoch: Marcel hat nicht das Turnier in Starcraft, sondern in Quake Live gewonnen (s. Antwort von Christian Brand auf „Also gibt es Fans?“). Da hat sich der Herr bestimmt versprochen.

  2. 02
    Jeriko

    Ist korrigiert, danke!

  3. 03
    Besucher2778

    „Wenn Event XY ansteht fängt man so ca. zwei Wochen vorher mit der Vorbereitung an, und kurz davor können es auch mal vier, fünf Stunden am Tag sein. Ansonsten ist das eher locker, ein Stündchen oder so.“

    Jaja, hat sich nix geändert… ;))

  4. 04
    ber

    Zu diesem Thema sei auch folgende Doku empfohlen:
    http://www.fragmovie.com

  5. 05

    Danke für dieses Interview! Ich hab‘ zwar nicht besonders viele neue Infos bekommen, aber mich interessiert, wie aus den „Zocker-Kindern“ normale Menschen werden – durch solche Bericht-Erstattung. Danke. :)

    Pro-Gaming wäre für mich nichts, da mir das Talent und der Ehrgeiz (im Gaming-Bereich) fehlen, aber ich bin neidisch auf die Jungs! Freut mich, das man inzwischen damit tatsächlich Geld verdienen kann und dass die Firmen/Sponsoren das so gut annehmen.

  6. 06
    jan

    Die DeCL ist auch nicht mehr, was sie mal war :(