Wir waren alle so um die 17/18 Jahre alt, als einige meiner Schulfreunde und auch ich begannen, uns Jobs neben der Schule zu suchen. Den süßen Versuchungen der Unterhaltungs- und Textilindustrie ausgesetzt reichte unser Taschengeld nicht mehr.
Es musste mehr her.
Einer von uns stand eines Tages mit einem Anzug und Krawatte in der Hofpause und brüstete sich mit seinem neuen Superjob und den Summen, die er verdiente. Er vermittelte Versicherungen. An Renter und andere alte Leute, alles ganz legal. Er ging in Altersheime und quatschte die Leute so lange zu, bis sie jeden Vertrag unterschrieben, denn (den mit einem fiesen Lachen unterstrichenen Satz werde ich nie vergessen): „Die sind doch viel zu blöd, um den ganzen Kram zu lesen, das können die ohnehin nicht mehr erkennen! Hahaha!“
Die meisten von uns lachten mit, teils, weil sie die Geschichte wirklich „cool“ fanden, teils aus Gruppenzwang.
Ich war ja schon immer so’n ernsterer Typ. Ein, zwei meiner Freunde auch. Wir gingen in eine andere Ecke, und das erste und einzige Wort, das zu dem Thema fiel, war:
„Arschloch.“
ich stell jetzt einmal die provokante these auf: „alles was mit geld zu tun hat ist irgendwie abzocke“
und das abzocke allgemein beschissen ist wissen ja alle.
ausserdem: am besten überlebt sichs in der „freien marktwirtschaft“ ohne der schweren bürde von gewissen und rückgrat, oder?
..schön..
UND wir leben mittlerweile wirklich in der „Freien Marktwirtschaft“ – haben wir alle schon gemerkt.
Die im Grundgesetz verankerte „Soziale Marktwirtschaft“ ist doch nicht mehr vorhanden…..
DAS hat uns die Amerikarisierung neben den Verlust der wahren Werte immerhin gebracht……ARMES DEUTSCHLAND!
Diesen angesprochenen Typus vom geldgeilen Jugendlichen erlebe ich bei mir in der Schule auch noch. Zwar nicht als Versicherungsmakler, aber als Verkäufer von Losen im Call Center oder als Gehilfe einer Vermögensberatung…
Und das die alten ja sooo dumm sind hör ich auch wieder, kann mich dir nur anschließen *Arschlöcher*
@stonerjoe: So unsympathisch mir dieser Typ auf dem Schulhof doch gleich vor meinem geistigen Auge erscheint, aber die These „alles was mit Geld zu tun hat ist abzocke“ ist ja mindestens genauso daneben. Erinnert mich ebenso an meine Schulzeit und die dort ungemein angesagte marxistische Gang, deren Mitglieder die einzige Wahrheit für sich gepachtet hatten, das Kapital vernichten wollten und Schlipsträger mal gleich an die Wand stellen wollten – und aus den wohlhabensten Familien kamen. Die Jungs und Mädels waren mir genauso suspekt. Heute sind sie alle Ärzte oder Rechtsanwälte mit Haus in Berlin Nikolasee. So viel zum Thema Ideologie.
Geld verdienen ist absolut ok, und wenn man es mit guten und kreativen Ideen schafft, ist das durchaus bewundernswert. Alte Leute Abzocken gehört allerdings sicher nicht dazu.
@Lord of Karma: Die kaum noch erkennbaren sozialen Aspekte der Marktwirtschaft (früher auch Kapitalismus genannt) – es gibt sie noch, sonst wäre mein Netto nicht nur 40% dessen, was mein AG an Lohnkosten für mich aufbringen muss – sind nicht durch die Amerikanisierung verschwunden, sondern durch das fehlende soziale Gewissen – durch den Untergang der DDR. Nicht das ich die DDR hofieren möchte, aber sie war ein zweiter, anderer deutscher Staat, mit dem sich die Politik immer vergleichen musste. Das ist für eine Gesellschaft gar nicht mal so schlecht, wenn ein „Anstandswauwau“ anspornt, _für_ die Menschen, und nicht nur für einige wenige Menschen ein Gesellschaftssystem zu gestalten.
Zu Johnnys unkapitalistischem Verhalten sage ich nichts. Aber wenn er mal Rentner ist, hat er Zeit, all solche Erlebnisse zusammenzubringen und die Konsequenzen zu ziehen – falls es eine Wiedergeburt gibt. :)
@ HagK: Johnny wird (leider) keine Rente mehr bekommen…..außer er hat ne Privatrente…und selbst die ist nicht sicher!
Die DDR als „Anstandswauwau“ und Vorbild für die Bundesrepublik zu bezeichnen finde ich doch etwas überzogen.
@Harald – Ich habe die DDR nie als Vorbild für irgendeinen Staat bezeichnet. (Wobei sie für einige sogenannte sozialistische Staaten wohl Vorbild, weil menschenfreundlicher hätte sein können). Es war aber (meiner Meinung nach) trotzdem eine Abwägung und Beobachtung beider Systeme da, nicht nur militärisch/sicherheitspolitisch.
Nichts funktioniert pauschal, es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern auch ganz viel grau und auch ganz viel bunt.
Geld ist nicht gleich Böse und ich verhalte mich auch nicht unkapitalistisch, ich würde mich lächerlich machen, wenn ich das behaupten würde. Es geht doch aber (noch! :)) gar nicht um die Revolution oder um Staatsformen, sondern um die persönliche Entscheidung, wie man mit seiner Umgebung (staatlich und privat) umgeht. Und auch dabei sehe ich keine eindeutig beschreibbare Lösung, sondern nur die individuelle Reaktion und – immer besser – Aktion.
Ich brauche keinen Staat, um meine persönlichen Grenzen ziehen zu können oder eigene Prioritäten zu setzen und ich hoffe, ich werde nie in einem System leben müssen, das mir diese aufzwingt.
Es gibt jede Menge Leute, die ihren (vielleicht temporären) Weg gefunden haben und zufrieden und erfolgreich in ihrem eigenen *und* im Sinne der Allgemeinheit sind. Und das ist doch schon etwas.
Bisschen großes Thema für die Kommentarfunktion eines Weblogs vielleicht… :)
Dass man „in der Marktwirtschaft“ ohne Gewissen und ethische Werte aukäme ist eine gewagte Behauptung, die aber in einigen Fällen durchaus belegbar ist. Dass man besser fährt nicht wirklich (jedenfalls nicht langfristig):
vgl: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18260/1.html
Ach, den Typus habe ich auch kennengelernt, so anno 89 zu Abi-Zeiten.
Er verdingte sich für die HMI und kam von heute auf morgen mit Sprüchen wie „Stell dir vor, du legst jeden Tag zwei Mark auf den Tisch und ich lege zwei Mark dazu“ an und versuchte allen, die er kannte (und das waren nur Teenies wie ich damals) seine Vermögensbildung zu verchecken. Nur Monate später hatte er keinen einzigen Freund mehr, zuletzt habe ich ihn vor sieben, acht Jahren in einem Handy-Laden arbeiten sehen. Strafe muss sein ;-)
Also ich finde das, was du in deinem Blog beschrieben hast, wirklich schlimm.
Das ist bei meinem Großvater auch so.
Er ist 80 geworden, schon ein wenig senil und wohnt alleine, seitdem seine Frau vor knapp 7 Jahren gestorben ist.
Nunja, zumindest kam vor knapp einem Jahr ein Vertreter bei ihm vorbei und hat ihn halt vollgequatscht und wahrscheinlich so lange „beraten“, bis er gekauft hat.
Mittlerweile hat mein Großvater einen Staubsauger von Vorwerk, zwei (!!) Lebensversicherungen, einen sehr teueren Telefonanschluss (neben seinem normalen Telefonanschluss, was ich nicht ganz kapiere, da ja eigentlich nur einer geht) und einen Haufen anderer Sachen.
Jetzt könnte man sagen: „Naja, wenn er es annimmt, ist er ja selbst Schuld.“
Aber man muss sich überlegen, dass man in dem Alter schon ein wenig anders ist. Außerdem wäre es auch ein sehr schwerer Schritt seine Geschäftsfähigkeit aufzuheben, um somit solchen Haustürgeschäften den Riegel vorzuschieben.
Was ich damit sagen will ist, dass ich sowas wirklich total scheiße finde und wirklich nicht verstehen kann, wie Menschen andere (vor allem ältere) Leute wegen Geld belügen und verarschen können.