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Lebt Elvis?

Autogramm

Ich kann wirklich jeden (und jede!) verstehen, der (oder die!) Elvis Costello nicht mag. Nicht im arroganten „das verstehen eben nur Wenige“-Sinne, sondern ganz ehrlich. Man muss viel Glück gehabt haben, um Zugang irgendeiner Art zu dem Mann und seiner Musik zu haben.

Bei mir war es der glückliche Umstand, dass ich Ende der 70er einfach alles und wirklich alles in meine Ohren kippte, was auch nur annähernd als „Punk“ oder „New Wave“ (das durfte man damals noch sagen) durchging. Selbst ein Dire Straits Album kaufte ich versehentlich, da könnt ihr mal sehen.

Elvis Costello gehörte zweifelsohne wirklich zur New Wave, schließlich stand er auf Fotos x-beinig da, spielte eine mir bis dahin unbekannte Fender Jaguar und trug neben einem schlecht sitzenden Anzug auch noch eine Brille. Mehr New Wave gab’s nicht für’s Geld.

Und selbst, wenn das für heutige Ohren lächerlich klingen mag: Die ersten beiden Costello Alben, My Aim Is True (1977) und This Year’s Model (1978) waren das Aufregendste und „Schrägste“, was ich zu diesem Zeitpunkt meines noch jungen Lebens gehört hatte. Ich liebte diesen Mann und seine Band The Attractions, die gemeinsam mit vielen Kollegen ihrer Epoche bewiesen, dass man weder schön sein musste noch gigantisches und teures Equipment benötigte, um wichtige Musik zu machen.

Erst mit wachsendem Musikverständnis der folgenden Jahren gelang es mir, die Unterschiede zwischen den einzelnen Bands und Künstlern klarer auszumachen als durch simple „laut und schnell“- oder „schräg und auch mal mit unverzerrten Gitarren“-Kategorisierungen.

Während die Sex Pistols zum Beispiel sicher keine Amateure, aber auch keine Virtuosen waren (und das auch nie sein wollten oder sollten), wurde selbst dem jüngsten Costello-Fan schnell klar, dass dieser Mann und seine Band „echte“ Musiker waren, Menschen, die sich mit musikalischen Arrangements befassten und deren Texte viel intelligenter, dadurch aber nicht weniger effektiv in das Gesicht des Musik-Establishments spuckten, als die ihrer „härteren“ Kollegen (und Kolleginnen!).

Gerade aber als ich mir sicher war, die Wurzeln Costellos (wie auch die von Dr. Feelgood, Eddie and The Hot Rods, Nick Lowe oder auch Ian Dury and the Blockheads) im klassischen Rhythm’n Blues erkannt zu haben, begann Costello Country zu machen (Almost Blue). Begab ich mich auf die Suche nach den musikalischen Gründen dafür, konterte er mit purer Popmusik (Punch The Clock). Selbst Burt Bacharach und das Brodsky Quartet machte der Mann mir schmackhaft, und das will was heißen.

Zugegeben: Bei seinen Ausflügen in die Klassik muss ich (noch?) passen und ich will gar nicht genau wissen, was ihn zur Kooperation mit Anne-Sofie von Otter getrieben hat.

Während man also eine Menge über Elvis Costello sagen kann, darf man ihm weder musikalisches Play Safe noch Stagnation vorwerfen. Ähnlich wie The Clash (die er wie jeder gute Erdenbürger verehrt) erweiterte Costello meine musikalischen Horizonte mit beinahe jedem neuen Song. Und das seit knapp 30 Jahren. Eat this, Adam Green (kann ja noch kommen).

Nach fünf E.C. Konzerten, die ich in den vergangenen 25 Jahren gesehen habe und einem Interview, das ich ca. 1988 führen durfte (ja, bei E.C. darf man), standen die Zeichen für das Konzert am vergangenen Freitag in Berlin sehr gut. Denn die Ankündigung „Elvis Costello and the Imposters“ bedeutete neben dem Erscheinen des Meisters selbst auch noch ein Wiedersehen mit zwei Dritteln der Attractions: Dem unglaublichen Steve Nieve am Keyboard, den zu beobachten eine wahre Freude war und ist, und dem von meinem Platz aus doch sehr frisch wirkenden Pete Thomas am Schlagzeug. Vervollständigt wird das Quartett durch Davey Faragher von Cracker am Bass, der auch die Backingvocals liefert (und das sehr bravourös).

Bevor ich weiter klinge wie der Musikexpress: Ich will ein solches Line-Up bitte nie wieder im Veranstaltungssaal der Universität der Künste Berlin sehen müssen. Mir ist schon klar, dass die Band weniger zu ackern hat, wenn nicht geraucht wird und dass die Menschen im Publikum, die E.C. erst seit dem Bacharach-Album kennen, unter Umständen damit körperlich überfordert gewesen wären, hätten sie zwei Stunden lang stehen müssen (nein, M. und D., damit meine ich nicht euch, denn wir wären gemeinsam in der ersten Reihe gewesen!). Aber furiose Versionen von Klassikern wie „Radio, Radio“, „Watching The Detectives“, „Pump It Up“ oder „(I Don’t Want to Go to) Chelsea“ im Sitzen auf bzw. gegen Ende im Stehen zwischen Stühlen hören zu müssen, war sehr qualvoll und fies.

Spielt E.C. eine Akustik-Tour, dann ist es durchaus angebracht, sich einen netten Sitzabend zu machen. Man könnte dabei sogar noch nett was essen. Aber bei einer solchen Tournee mit Band und (auch) altem Material passt das nicht. Das muss auch der Chef selbst wissen. Denn die Stuhlreihen führen zu einer noch größeren Distanz zum Künstler, als sie ohnehin schon vorhanden ist. Und durch genau diese Distanz, diese etwas zu präsente Ehrfurcht vor der Darbietung und dem Mann, findet man sich quasi bei einem Gottesdienst statt auf einem Konzert wieder. Die sonst typischen Zwischenrufe, die Costello nicht selten zur unterhaltenden Kommunikation mit den Anwesenden verleiten, der Kontakt mit dem Publikum also, der dem Mann nicht fremd ist… Das alles geht flöten.

So bleibt die etwas zu distanzierte Erinnerung an einen zwar dennoch großen Abend mit fast allen Klassikern (wer noch nie bei „I Want You“ geheult hat, und zwar vor mitfühlender Wut und Eifersucht, sollte sich als nicht existent betrachten), und vielen grandiosen neuen Songs, aber eben leider ohne das dazugehörige Gefühl im Bauch und im Herz.

Allein die Tatsache, dass bestimmte Songs beinahe in Originalbesetzung zu hören waren, rechtfertigt den Eintrittspreis, aber wie gerne hätte ich dabei ein Bier in der Hand gehalten und laut mitgegröhlt. Wie gerne hätte ich diesen inzwischen 51 Jahre alten Elvis Costello, der eigentlich Declan Patrick McManus heißt und vor seiner Karriere als Musiker Programmierer war (!), schwitzen und hart arbeiten sehen, wie gerne hätte ich die Spucke zwischen seinen Zähnen hervorspritzen sehen, wenn es bei Watching The Detectives heißt:

Though it nearly took a miracle to get you to stay,
it only took my little fingers to blow you away.

Naja. Nächstes Mal. Hoffentlich.

Als Leckerbissen für Costello-Fans noch dies hier:

Im Dezember 1977 sollten Elvis Costello und die Attractions bei Saturday Night Life spielen. Während die Band für „Radio, Radio“ stimmte, wollten die Produzenten der Fernsehshow lieber „Less Than Zero“ hören und sehen, da sich „Radio, Radio“ kritisch mit der Medienlandschaft auseinandersetzte (1977, Kids!).

Während des Liveauftritts startete E.C. auch mit „Less Than Zero“, stoppte dann aber nach wenigen Sekunden die Band, um sich mit den Worten „Es gibt absolut keinen Grund, dieses Stück hier zu spielen!“ und einem kurzen „One, Two, Three, Four!“ in eine furiose Version von „Radio, Radio“ zu stürzen. Sehen kann man das als 36 MB MPG Video hier.

Costello bekam daraufhin Auftrittsverbot bei SNL. Dieses Verbot musste man jedoch ob seines großen Erfolges dreizehn Jahre später aufheben und lud ihn erneut ein. Im September 1999, zum 25. Jubiläum von SNL, wiederholte Elvis seine Performance von 1977, diesmal natürlich nach Absprache mit dem Sender und gemeinsam mit den Beastie Boys (!), die zunächst „Sabotage“ starten, um dann von E.C. unterbrochen zu werden und mit ihm erneut „Radio, Radio“ zu spielen.

Auch dieses fantastische Zeitdokument kann man sehen, diesmal als 5,2 MB Windows Media File, und zwar auch hier.

Get it while it’s there.

7 Kommentare

  1. 01

    Unter ähnlichen Bedingungen hat es mal ein Konzert – ich weiß nicht mehr – von Bobby Bird oder Maceo Parker (oder war es gleich James Brown?) gegeben – in einem Bochumer Hörsaal, zwischen zerkratzten Klapptischen und Stühlen, mit Schiebetafeln im Hintergrund und einem Hausmeister an der Seite, der striktest Ordnung hütete („I’m coming, I’m coming, Baby…“).

  2. 02

    ich glaub ja vieles, aber das mit dem Hausmeister will ich einfach nicht glauben… ;-)

  3. 03

    goncourt [aufgebracht]: Was, Sie wollen wohl sagen, ich erzähle Geschichten!
    majo [besänftigend]: Na, wer wird denn gleich…
    goncourt: Ich werd Ihnen… Hausmeister! Komm her!
    hausmeister [aus dem Off]: grmpf.
    goncourt: Komm sofort her, Hausmeister! Sofort!
    hausmeister [läßt sich widerwillig herbeiziehen]: Komm ja schon.
    goncourt: Hausmeister, habe ich jemals gelogen?
    hausmeister [räusper]
    goncourt: Warst Du am ….19…:…Uhr in Bochum und hast rumgestänkert?
    hausmeister: naja…
    goncourt: …
    hausmeister: Ja. –
    goncourt [triumph]

  4. 04

    Ich liebe die „Kooperation mit Anne-Sofie von Otter“, das war meine erste Bekanntschaft mit E.C.. Jetzt bin ich dabei, mich in seine übrigen Werke einzuhören. Das Konzert in Hamburg am Wochenende konnte ich leider nicht besuchen; ich hätte ihn gerne live gesehen :-(

  5. 05
    Ulf

    Lieber Johnny,

    du bist ein alter Sack :)
    Und fuer solche wie uns heisst es dann:
    „One day you’re gonna have to face
    A deep dark truthful mirror …“
    Der Mann hat naemlich auch in den 90gern
    noch wundervolle Stuecke geschrieben,
    leiser, weiser, – ich wollts nur mal sagen.

  6. 06

    Hey Johnny,
    in Ergänzung zu Deiner treffenden Costello-in-Berlin-Konzert-Beschreibe hier ein in englisch verfasster, grossartiger Bericht desselben Konzerts, erschienen auf der, glaube ich, DEFINITIVEN Costello-Fan-Seite: http://www.elviscostello.info/concert/05/050128.berlin.php
    Den Autor des Berichts kennste, denke ich, aber das kannste ja mal selber rauskriegen ;-)
    Schade, dass wir und nicht getroffen haben, ich versuchte — soweit das im Umfeld träger Säcke ging – in der vierten Reihe zu rocken. Grosser Abend.
    Und thanx für die Links auf die SNL-Auftritte!
    See you – und diesmal nicht erst wieder in Köln …
    hest ;-)

  7. 07
    the_stephan

    alte saecke ole, sag ich da!
    zwei nachtraege: mein letztes e.c-konzert in der udk-halle war das mit dem brodski-quartett, und da hats perfekt gepasst, genau wie fuer das voll-auf-die-zwoelf-set anfang der neunziger die kurkapellenmuschel im hamburger stadtpark, sehr geil.
    einen wichtigen, den letzten seiner vornamen muss ich hinterherreichen: ALOYSIUS, drum auch woanders gern gelegentlich DPA MC MANUS.
    cheers! sp