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Dresden

Im Zug nach Dresden erinnere ich mich, dass mein letzter Besuch in dieser Stadt vierzehn Jahre zurückliegt. Da er im Rahmen einer Tournee mit meiner damaligen Band stattfand ist das aber ohne Belang, denn wenn man den Nachmittag bei schlabbrigen Brötchen im Backstage-Raum einer eiskalten Konzert-Halle, den Abend auf der dazugehörigen Bühne und die Nacht in einem Hotelbett verbringt, ist die Stadt, in der dies alles stattfindet, nicht existent.

Ich bereite mich mental auf die kommenden Stunden vor, die ich zuerst bei schlabbrigen Brötchen im Zug, dann auf einer Bühne des Veranstaltungsortes und später in einem Hostelbett verbringen werde und sinniere darüber, dass sich diesbezüglich in meinem Leben abseits der eigenen Wohnung nur die Schlafstätte etwas verschlechtert hat, was ich, Optimist, der ich bin, nicht als sozialen Abstieg deuten mag. Selbst wenn ich mich beim Betreten meines Hostelzimmers an den neben dem Preis größten Unterschied zwischen einem Hotel und einem Hostel erinnern lassen muss: Betten selbst machen, Waschzeug und Handtücher bitte mitbringen. Das Erste bekomme ich hin, das Zweite und Dritte habe ich vergessen, obwohl ich es als Douglas-Adams-Fan besser wissen müsste.

Um das klarzustellen: Ich hätte auch ein Hotel nehmen können, aber beim Kongressveranstalter, der Fahrt und Unterkunft übernimmt, handelt es sich nicht um einen PR- oder Marketing-Unternehmen, daher muss man die Kosten nicht künstlich in die Höhe treiben. Ich werde auch ohne Handtuch und Seife gut schlafen. Allein schon deshalb, weil ich am nächsten Morgen nicht durch für die Uhrzeit viel zu fidele und wahlweise zu schlecht oder zu gut gelaunte Kinder erwachen werde, sondern weil ich nicht mehr müde bin. Luxus, sei mein für eine ungewaschene Nacht!

Der Chaos Computer Club Dresden hat mich als Moderator der Podiumsdiskussion eingeladen, die den Abschluss des Kongresses zum Thema Datenspuren bilden wird.

Einladungen vom CCC freuen und ehren mich immer wieder sehr, ist es doch dieser unstrukturierte und doch immer wieder irgendwie organisierte Haufen von Freaks, Spezialisten, Künstlern, Spinnern, Aktivisten, Experten, Fantasten, Visionären, Technikern, Hippies, Punks, Kreuz- und Quer- und FreidenkerInnen, der meine Technik- und auch Gesellschaftssozialisierung erheblich mitgeprägt hat. Gäbe es den CCC nicht, müsste man ihn sofort ins Leben rufen.

Aber es gibt ihn ja, ich moderiere also sehr gerne und mache mir keine Sorgen darüber, dass zwei der vier Podiumsgäste bis zehn Minuten vor der ohnehin laut Zeitplan bereits seit einer Stunde überfälligen Diskussion noch nicht erschienen sind und dass das Thema noch nicht so richtig feststeht. Wird schon alles klappen. Tut es dann auch.

Etwa einhundert Leute sind wir noch, als es um kurz nach 22h losgeht, zu moderieren habe ich Markus Beckedahl (u.a. netzpolitik.org), Padeluun (u.a. FoeBuD), Andi Müller-Maguhn (u.a. CCC) und Matthias Hanich und natürlich ein Publikum, das im Gegensatz zu vielen anderen Kongressen über keineswegs geringeren Wissensstand verfügt als die Teilnehmer auf der Bühne. Wie bei den meisten CCC-Veranstaltungen führt diese Tatsache zu einer angenehmen „Wir“-Stimmung im Raum, wie bei den ebenfalls meisten CCC-Veranstaltungen fällt jedoch die Abwesenheit der „anderen Seite“ auf, mit der es sich sicher nochmal spannender diskutieren ließe. Fukami hat’s als Organisator mehrfach versucht, aber „die wollten alle nicht“. So sieht’s aus mit der deutschen Streitkultur. Oder mit dem Diskussionswillen mit dem CCC zum Thema Datenschutz.

Natürlich gibt es trotzdem genug unterschiedliche Standpunkte, Meinungen und Herangehensweisen, die Publikumsbeteiligung ist auffallend hoch und ich bemühe mich in meiner Funktion als Gesprächs“leiter“ mehr oder weniger erfolgreich, hier und da so etwas wie ein Fazit aus den einzelnen Teilnehmern herauszukitzeln, weitere angedachte Aspekte der Diskussion aufzugreifen oder einfach nur langatmige Monologe abzukürzen und vor allem diese selbst zu vermeiden.

Der Abend gelingt allen Beteiligten recht gut und selbstverständlich bleiben alle Diskussionen offen. Niemand erwartet abschließende, unumstößliche Thesen, denn allen ist die Komplexität der Thematik bewusst und so gibt man sich nach etwa anderthalb Stunden mit Denk- und Reflektionsansätzen zufrieden: Was kann und sollte ich persönlich gegen die zunehmende Datenerfassung tun? Hat ein Generationswechsel stattgefunden, was die Sensibilisierung der Bevölkerung bezüglich der Datenschutzproblematiken betrifft? Könnte eine höhere allgemeine „Awareness“ überhaupt noch etwas bewegen? Sind wir mit unseren Handys und Digicams und Blogs nicht selbst die größten und sogar freiwilligen Datenerfasser?

Fakt ist: Persönliche Daten werden nicht nur erhoben, sondern auch gesammelt und an verschiedenen Stellen ausgewertet und vor allem verkauft, wenn mal nicht von inländischen Unternehmen und Institutionen, die den deutschen Datenschutzgesetzen unterliegen, dann eben von internationalen. Fakt ist auch, dass diese Daten einen sehr hohen politischen und wirtschaftlichen Wert haben, sei es zur Erfassung von Werbeempfängern und zur gezielten Ansprache von Wählern, zur Bonitäts- und Kaufverhaltensprüfung von Kunden, zur sozialen, moralischen und religiösen Hinterfragung von Arbeitsplatz-Bewerbern, aber auch zur Planung von möglicherweise notwendigen Evakuierungen ganzer Landkreise im Fall von ökologischen oder durch terroristische Anschläge verursachten Katastrophen.

Futter fürs Hirn, Futter für wenigstens einen weiteren Spreeblick-Artikel zum Thema in den kommenden Tagen.

Dankeschön für die Einladung, Fukami!

Zurück im Hostel Mondpalast sind die Zimmer nach Sternzeichen benannt, die von jungen Menschen mit dem vorübergehenden Berufswunsch „Künstler“ an die jeweilige Wand gestrichen wurden. Ich begebe mich nach einer kurzen Kaltwasserwäsche unter meine selbstbezogene Schütze-Decke und nutze den heißen T-Com-Punkt, um Mails und Kommentare zu lesen. Die gebuchte Stunde verfällt nach etwa 30 Minuten, da das Hostel-Personal beim Schließen des Cafés im Erdgeschoss auch den Stecker des DSL-Modems gezogen hat. Ich freue mich auf intensiven Mailverkehr mit dem Hotspot-Support und weiß jetzt schon, dass der Versuch der Rückbuchung eines Teils meiner Zahlung genauso aussichtslos sein wird wie die Diskussionsversuche mit der Hostelleitung.

Vor der Kappung meiner drahtlosen Verbindung zum Datenmassenspeicher habe ich jedoch noch Gelegenheit, ein mir bis dahin unbekanntes, sehr unterhaltsames Blog zu lesen, das mich an einigen Stellen zu echtem Lachen bewegen kann (was einem erstens beim Lesen von Blogs immer seltener passiert und zweitens allein in einem stillen Hostelzimmer mit dem Namen „Schütze“ etwas befremdlich vorkommen kann). Hier ist so eine Stelle.

Meine Gedanken vorm Einschlafen kreisen um eine technische Lösung, die Verlinkungen von Spreeblick zu anderen Sites automatisch an die Vibrationsfunktion des Handys des oder der Verlinkten koppelt, um den meiner Willkür unterliegenden Cybersex-Erlebnissen eine haptische und dabei doch sehr safe-e Note zu verleihen. Da mir das zwar durchaus reizvoll, aber irgendwie zu einseitig erscheint, verwerfe ich den Business-Plan mit dem Namen „Spreeblick Orgasmatron (Beta)“ und stelle mir stattdessen Frank beim Küssen vor, während im Hintergrund „Reach for the sky“ von Social Distortion erklingt.

Einen hübschen Kiez rund um die Louisenstraße hast du da übrigens, liebes Dresden!

7 Kommentare

  1. 01

    Ja, den haben wir. Und genießen ihn immer und gerne und wieder. ;-)

    Und verdammt verdammt verdammt das ich das vergessen habe. Wäre gerne dagewesen und hätte es bestimmt auch noch geschafft, ein weiteres kühles Blondes meine Kehle erfrischen zu lassen. Der Mondpalast ist eigentlich recht nett, nur sind die Leute durchaus manchmal etwas verpeilt, wie Du ja auch erleben durftest. Nebenan gibts übrigens leckere Bagels, falls mal wieder einer der Leser hier vorbeischaut.

  2. 02

    lustig. ich hab mich auch gerade die tage daran erinnert, dass ich 1984 das letztemal in dreseden in der scheune war. verdammt. verdammt. ist das lange her.

  3. 03
    Johannes

    Ich darf darauf hinweisen dass die T-Com im Gegenzug für Registrierung mit einer Emailadresse eine Stunde WLAN-Internetzugang verschenkt. Ist natürlich ein bisschen dumm, das so im Nachhinein zu sagen, aber vielleicht hilfts ja beim nächsten Mal.

  4. 04

    Man sollte noch sagen, dass es das mit der kostenlosen Stunde auf world-of-hotspot.de gibt. Aber ich dachte, die hätten das schon längst mal abgestellt.
    Weil ich sag mal: ist schon schön, wenn man eine eigene Domain mit unendlichen eMail-Adressen hat.

  5. 05

    :-*

    (so geht doch der knutsch-smiley, oder?)