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The Tankstellenfachkraft from hell

Das Konsumentenleben wird immer absurder, und bei guter Grundlaune, die heute vorhanden ist, bringt es mich tatsächlich zum Lachen.

So auch heute Morgen, als ich beim Zahlen an der Tankstellenkasse noch ein Croissant mit auf den Weg nahm. Jahrelang habe ich die Tankstellen-Backtresen boykottiert, heute konnte ich nicht anders.

„Beim Kauf einer unserer Supersnacks können Sie hier ein Los ziehen und haben die Chance, einen kostenlosen Kaffee dazu zu gewinnen“, erklärt mit die wirklich sehr nette Verkäuferin, offenbar frisch von der Schulung zurückgekehrt.

Ich zögere ob der drei weiteren Kunden hinter mir und in dem Bewusstsein, dass die bevorstehende Kaffeeverlosung den Gesamtvorgang meiner Bezahlung um einige Stunden verzögern könnte.

„Wenn sie eine Kaffeetasse sehen, ist es leider eine Niete. Bei zwei Tassen haben sie einen Kaffee aus unserem Sortiment ihrer Wahl gewonnen. Drei Tassen bedeuten…“.

In der einen Hand mein Portemonaie, in der anderen meine Autoschlüssel, versuche ich umständlich das verdammte Los zu öffnen. Der Herr hinter mir zieht die Augenbrauen hoch und tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen.

Verdammt. Zwei Tassen. Ich hab’s befürchtet.

„Hey! Herzlichen Glückwunsch! Das freut mich aber für Sie! Möchten Sie einen normalen Kaffee, einen Latte…“- „Wissen Sie“, unterbreche ich die Dame freundlich, „ich glaube, ich muss jetzt los und hier warten ja auch noch so viele Leute und…“

„Natürlich, das ist gar kein Problem! Sie können das Los an jeder unserer Zweigstellen einlösen. Allerdings sollten sie vielleicht nicht zu lange warten, nicht dass die Aktion in einem halben Jahr vorbei ist und sie den Kaffee verschenken“, erläutert die Tankstellenfachkraft lächelnd.

Ich verschenke keinen Kaffee. Ich habe ja gar keinen gekauft. Ich beschließe, die Grundsatzdiskussion zu verschieben, stecke das Los in meine Geldbörse und sehe die Verkäuferin in Erwartung der Zahlungsanweisung an.

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Vielleicht noch etwas zu trinken aus unserer Kühlbox?“

Verdammter Mist, du dusslige Kuh, lass mich jetzt endlich zahlen!

Denke ich.

Und sage: „Das ist sehr nett, aber danke, nein.“

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

Ja, denke ich. Sie könnten Ihrem Chef sagen, dass er eine Tankstelle betreibt. Keine Bäckerei und auch keinen Rummelplatz. Sie könnten ihm sagen, dass ich es seit vielen Jahren aufgegeben habe, auf einer Tankstelle nach einem Maulschlüssel zu fragen oder jemanden um die Überprüfung des Ölstands meines Wagens zu bitten, denn ich gebe mich nur ungern der Lächerlichkeit preis.

Aber ich sage es nicht, sind mir doch die wirtschaftlichen Nöte und Zwänge der Tankstellenpächter bewusst und außerdem ist die Frau wirklich nett und kann nichts dafür (zumindest letzteres ist in vielen anderen Fällen kein Argument, aber ich habe ja, wir erinnern uns, gute Laune).

Es ist geschafft. Ich habe bezahlt und es ist mir gelungen, das Wechselgeld mitsamt Portemonaie zu verstauen. Der inwischen reichlich genervte Kunde hinter mir, im Verlauf des Losverfahrens durch Dauerseufzen unangenehm aufgefallen, ist an der Reihe: „Die Vier bitte!“

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ – Sie lässt nicht locker.

„Nein, danke“, erwidert der Mann. „Ich möchte nur meine Wechselgeld zurück“

Die automatische Glastür gibt mir den Weg nach draußen frei. Doch bevor ich den Verkaufsraum endgültig verlassen habe, höre ich sie noch einmal, immer noch mit dem gleichen Kunden:

„Möchten Sie vielleicht ihren Wagen waschen?“

los

22 Kommentare

  1. 01
    neolith

    Hehe, Terrorservice.
    Aber in zwei Wochen hat sich das vielleicht bei ihr gelegt… ;)

  2. 02

    hach, schön. service mitten in der wüste. gehen sie mal zu meinem gitarrenarzt, da wären sie froh um gelegentliches nachhaken.

  3. 03

    September 1999, gerade in Berlin angekommen und auf Wohnungssuche, die ersten Termin waren schon gemacht, aber ich hatte noch keinen Stadtplan. Also an der Tanke angehalten und mich in dem reichhaltigen Kartensortiment neben dem Kassentresen umgeschaut. Unschlüssig stand ich da zwei Minuten, verschiedene Kartenmodelle vergleichend, als mich der junge Tankstellenangestellte hinter seinem Tresen anraunzte: „Wat, willste ooch koofen oder nur kieken?“
    Und ich dachte nur: „Willkommen in Berlin, die sind ja richtig putzig hier!“ Und nach sechs Jahren in dieser Stadt denke ich immer wieder „Die tun nix, die wollen nur spielen!“
    ;-))

  4. 04

    „Ditt is’n Kiosk hier, keene Bibliothek!“ Auch echt gehört. Und im Schwimmbad, mit Megafon zu einem, der auf dem Fünfer etwas zögerte:

    (Fieeeep) „Ditt is‘ keen Aussichtsturm!“ (Fieeeep)

    Ganz herzliche Leute, wir Berliner. :)

  5. 05
    Stefan_K

    … aber Ihr meint es nicht so, oder?

  6. 06
    Martin

    @Stefan_K: Doch! ;-)

  7. 07
    Justus

    Bin ja selbst einer, legendär empfand ich aber folgende Situation beim Bäcker:
    Stehe brav in der Schlange, hinter mir geht die Tür auf und eine Frau in Kostüm flötet in Richtung Verkäuferin/Bäckerin „Haben Sie auch Croissants?“
    Bäckerin: „Ja, wenn Sie die Tür zumachen und ich hier Wasser reinlasse, können Sie hier auch schwimmen.“

  8. 08
    M°

    Ach, das können Hamburger auch. Letztens in der Buchhandlung um die Ecke:

    „Kundenservice bieten wir nicht, dafür müssen Sie schon zu Amazon gehen“

  9. 09

    dazu aus der neuen brandeins:
    „žVerständnisvoll und fürsorglich gibt deshalb die Northwest Airlines ihren amerikanischen Passagieren ein gelbes Merkblatt mit auf den Weg nach Germany, welches helfen soll, den Schock bei der ersten Begegnung mit deutschem Service zu mildern: ‚Besuchern aus den USA kommen Verkäufer und Bedienungspersonal unterkühlt und abweisend vor. Dieses Verhalten ist für das Dienstleistungsgewerbe in Deutschland völlig normal und nicht unhöflich gemeint!‘
    Dagegen hilft sicher auch kein ‚Bitte schön, mein Herr‘ — aber es könnte ein Anfang sein.“

  10. 10
    tanja

    Um´s mit den Worten eines Berliner Busfahrers zusammen zu fassen: „Wir sind hier nich bei Arte, Schätzchen!“

  11. 11

    Neulich im proppevollen Restaurant: Besucherin am Nebentisch beschwert sich, da sie schon seit 30 Minuten auf Ihr Essen wartet. Der Kellner: „Wenn’s schnell gehen soll, müssen sie an ne Curry-Bude gehen!“ :)

    LG, Neri
    http://www.neriphim.de

  12. 12
    Heiko_L

    Richtig. Ganz herzliche Leute, wir Berliner. Ganz gleich, ob hinter oder vor dem Tresen …

    … Bedienung “ Darf’s zur Boulette noch ’ne Schrippe sein?“ Kunde: „Danke nee, is ja schon genug Semmel drin, wa!

  13. 13
    haake

    Letztes Jahr auf der Weihnachtsfeier ca. 70 km nordöstlich von Berlin, die südamerikanische (kölner) Band wurde von einer Djane abgelöst (1,60m, recht stämmig gebaut, Gothiclook). Ihr Kommentar zur freundlichen Frage nach einem Song:

    „Ick spiel keene Wunschmusik“

    Es konnte sie im Laufe des Abends keiner überzeugen :-)

  14. 14

    ich kann mich noch erinnern, s-bahnhof alexanderplatz kurz nach der wende: (krächtz) ZUURÜÜÜCKBLEIBNNN!!!! …. bitte (krächtz). der ganze bahnsteig hat sich verwundert angeguckt.
    richtig schlimm finde ich das taubstumme kassenpersonal, welches zwar auf ansprechen reagiert, aber sonst zu keinen weiteren reaktionen fähig ist.

  15. 15
    lame

    neulich im bus: „nee, du kannst hier noch nich‘ rin. ick hab jetzt pause“. kurzer blick auf meine plattentasche: „aber rooch doch einfach noch ’n joint, oder so.“

  16. 16

    Es hat sich aber auch ne Menge getan, was das angeht in Berlin. Seit ich in Berlin wohne, bin ich nur freundlichem Bäckerpersonal begegnet.

    Wenn man einem gewissen Horst Evers glauben darf, war das wohl mal anders. (Sehr zu empfehlen ist dabei dieses Buch von ihm.)

  17. 17

    Überall wird sich beschwert, dass Deutschland eine Servicewüste sei, aber wenn man mal Service bekommt, ist’s auch wieder zuviel… Das soll mal einer kapieren…

    Habt ihr schon einmal versucht, im Media Markt Beratung zu kriegen? DAS ist Servicewüste! ;)

  18. 18

    Nicht nur bei Media Markt, auch Saturn ist ganz weit vorne, wenn ich mich hier mal ausnahmsweise selbst verlinken darf.

    Neulich im Taxi. Ich hatte Zeit, der Fahrer aber offenbar nicht. Bretterte mit 80 durch die Strassen.
    Ich so: Hamses eilig? Ich nicht.
    Er so: Keine Antwort
    Ich so: Könnten Sie bitte etwas langsamer fahren?
    Er so: Bin ick hier bei „Wünsch dir was, oda was?“

  19. 19

    In Berlin bin ich mal in der Tram eingeschlafen, in der 20. An der Endhalte hat der Fahrer mich mit mehreren Ohrfeigen unsanft geweckt. Beim aus-der-Tram stolpern rief er noch „dit is hier keen Parkplatz“ hinterher. Da sind die Hamburger Busfahrer netter, die halten sogar nochmal an um zum Bus rennende Leute aufzunehmen.

  20. 20
    pedro

    als berliner in dresden komm ich mir des öfteren verarscht vor, ob der widernatürlich wirkenden freundlichkeit. fällt mir echt schwer mich dran zu gewöhnen, in meiner stammbäckerei penetrant angelächelt zu werden.

  21. 21
    el Cid

    is ja spassig mit euch
    ick liebe die hauptstadt

  22. 22

    Dit is nunmal ne Berliner Eigenart andere „freundlich“ auf etwas hinzuweisen!
    Ich als Berliner in Stuttgart studierend vermisse diese nette Ader!
    Letztemal in Berlin war ich auch in ner Berliner Volksbank und habe freundlich eine , schätze knapp 50 jährige, verbitterte,“ junge“ Dame gefragt ob denn diese Bank in der Cash Group sei, darauf folgte ein „wat?“(mit sehr unwissenden Blick) „nee, sowat ham wa nich!“! Da wusste ich wieder was ich vermisst habe!