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Kleinkunst well done

Es gibt Worte, bei deren Erwähnung ich Hautausschlag bekomme. „Kleinkunst“ ist so ein Wort.

Ich denke an weiß geschminkte Menschen, die so tun, als wären sie hinter einer Glasscheibe. Ich denke an „Performer“, die zuschauende Menschen gegen deren Willen in ihre fuchtbar unwitzige Darstellung einbeziehen wollen, notfalls, indem sie diese einfach am Arm auf die Bühne zerren. Ich denke an Jongleure mit Lach-mich-aus-Mützen. Und an Clowns, die mir schon als Kind Angst gemacht haben, da ich ihrer guten Laune immer misstraut habe (Steven Stephen King scheint es ja ähnlich gegangen zu sein).

Den gestrigen Besuch des „Berlin lacht„-Straßentheater-Festivals schiebe ich also einfach auf die Kinder (die können ja noch nicht lesen), wobei man selbst die Kleinen eher mit Zuckerwatte als mit Feuerspuckern und Jongleuren locken kann. Und auf die Tatsache, dass mein Zustand gestern nach frischer Luft schrie.

Und tatsächlich entsprachen die ersten Eindrücke meinen Erwartungen. Clowns mit einer auffallend häufigen Vorliebe für Fäkalhumor (natürlich weiß geschminkter Pantomine führt den Gang zur Toilette vor, dreimal an unterschiedlichen Stellen gesehen und dreimal hat keiner gelacht), Menschen auf Stelzen, ebenfalls weiß geschminkt, laufen durch die Gegend und gucken, als hätten sie gerade Pilze geschluckt (außer, wenn Kinder versuchen, sie von den Stelzen zu schubsen, dann werden sie ganz schnell ganz grantig).

Aber was soll ich euch sagen? Ich wurde überrascht! Denn ich wurde doch noch herzhaft zum Lachen gebracht, von Herrn Hunderpfund alias Peter Weyel nämlich, der leider eine ganz unlustige Website hat, live aber der wohl schlechtgelaunteste Komödiant und Artist, den ich je erleben konnte.

Herr Hundertpfund ist ein mürrischer, dürrer Kerl mit einem (hessischen?) Dialekt, der seiner schlechte Laune sehr gut steht und der zu Beginn seiner Show erstmal viel Zeit mit dem Verscheuchen der Kinder verbringt („Verpisst euch mal bitte, ja?“), um sie kurz danach wieder einzuladen: „Nee, war nur Spaß, kommt her, setzt euch in die erste Reihe, geht um Sex und Gewalt“.

Er stellt ein vorbeigehendes älteres Ehepaar als „Meine Ex, mein Dealer“ vor und fragt – wir sind in Kreuzberg: „Wer versteht’n hier Deutsch? Zehn Prozent, naja. Und wer versteht irgendeine Sprache, egal welche? Nochmal zwei Prozent. Is‘ egal, gibt auch was zum Gucken.“

Am schlimmsten findet Herr Hundertpfund aber nicht sein Publikum, sondern sich selbst. Und sowas ist ja immer sympathisch. Zumal der jonglierende und sich verrenkende Mann mit unglaublicher Lässigkeit und Präzision Dinge vorführt, die weit über dem üblichen Straßenfest-Niveau liegen. „15 Jahre hab‘ ich für den Scheiß geübt, und jetzt interessiert’s wieder keinen. Naja. Ich kann’s ja selber nicht mehr sehen, aber nach so langer Zeit schult man ja auch nicht mal so eben um.“

Wenn der Künstler selbst seine Artistik dann die ganze Zeit mit süffisanten und abfälligen Bemerkungen kommentiert („Wahnsinn, drei Kegel hinter’m Kopf, boah, hab ich ja noch nie gesehen…“), bin ich am Grinsen und freue mich darüber, dass sich die Kleinkunst offensichtlich doch weiterentwickelt hat.

Die Kinder fanden übrigens den völlig wahnsinnigen niederländischen Feuerspucker cool. Und die Zuckerwatte.

15 Kommentare

  1. 01

    jaaaa, ich fand den „völlig wahnsinnigen niederländischen Feuerspucker“ auch ganz großartig! ich glaub, der hat beim üben schon zuviel feuerwasser runtergeschluckt. ;)

  2. 02
    dk

    Man, sogar „Comic Sans“ auf seiner Seite — die wirkt wirklich erstmal sehr unverdächtig nach der üblichen „Kleinkunst“.

    Wenn mich auch ein „Verpißt euch mal bitte, ja?“ noch nicht so sehr zu Freudensprüngen über eine Rehabilitierung des Begriffs Kleinkunst veranlasst und ein „geht um Sex und Gewalt“ von weitem betrachtet auch eher etwas platt wirkt. Aber: Dabeisein ist bekanntlich alles, wahrscheinlich hat der Mann es einfach sehr charmant übel gelaunt rüberzubringen verstanden gewusst.

    Ha, Leute auf Stelzen, ich wusste beim Druck auf „Weiterlesen“, die würden noch kommen! In unermesslicher Weisheit wurden so Typen auf Stelzen sogar mal für eine Ausstellung an unserer Universität angagiert und das war Deplazierung auf hohem Niveau. Da überkam mich allerdings Mitleid.

  3. 03
    dk

    @dk: angagiert –> engagiert

  4. 04

    kleinkunst mag ich auch nicht. noch weniger als deutsche TV-produktionen.
    ich mag aber flattersatz. denn der sieht gut aus und lesen kann man ihn viel besser als den blocksatz.

  5. 05
    Meck

    Ich mag bei McDonalds den Cheeseburger gerne, der sieht viel besser aus als der McRib und schmecken tut er auch besser. Und ist günstiger.

    Man man man…

  6. 06

    Falttersatz haben wir ausprobiert (bin auch eher Blocksatz-Feind), sieht leider im Gegensatz zu Print hier nicht gut aus, speziell in den Comments nicht.

    dk: Ja, man muss den Tp dabei sehen. Bei Tippen fand ich es auch nicht mehr so gut, aber wenn man dabei war… :)

  7. 07

    In der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg rollten sich andauernd zwei Damen in knallbunten Strumpfhosen übereinanderher. Im Rahmen des Berlin lacht – Festivals. Nur gelacht hat keiner. Ansonsten mehr Futtertröge und üblicher Marktkitsch. Sah eigentlich aus, wie der nordische Weihnachtsmarkt zu Weihnachten, die Temperaturen passten am Wochenende ja ganz gut.

    Positiv dennoch: Bei einem Plattentrödler im Innenhof eine alte Jazzplatte in leidlich gutem Zustand gefunden.

  8. 08

    Ich find’s ja interessant das Kleinkunst in Deutschland TOTAL was anderes ist als in Österreich. Das würde bei uns unter Comedy, eine art echt dumme Blödelei, fallen.

    Bei uns versteht man unter Kleinkunst/Kabarett durchaus politische, sehr gesellschaftskritische „Shows“. Hmm, schwer zu erklären, aber es geht hier nicht darum, dass sich jemand auf der Bühne zum Affen macht, sondern das alltägliche Situationen und Gesellschaftliche verhältnise auf überspitzte Weiße dargestellt werden, so dass sie einerseits lustig sind, aber anderer seits zum Nachdenken anregt.

    Nur mal ein paar Kabarettgrößen in keiner speziellen Reihenfolge:
    http://www.hader.com/
    http://www.gunkl.at/
    http://www.dorfer.at/
    http://www.geocities.com/Athens/Forum/9962/helmutqualtinger.html (HELMUT QUALTINGER)
    http://www.knowme.at/htms_neu/reset/reset_m.htm (LUKAS RESETARITS)
    http://kundendienst.orf.at/starsimorf/steinhauer.html (Erwin Steinhauer)
    u.v.a.m.

    Eine gute Definition und geschichtl. Übersicht über Kabarett in Ö.:
    http://www.kabarett.cc/div/definition.php

  9. 09
    toni

    …bei Kleinkunst muss ich immer an Fußball denken
    (C.U. Wiesner nach einem Beitrag über Fußball: „Kommen wir von der Kleinkunst jetzt wieder zurück zur Literatur…“)

  10. 10

    yeah, qualtinger rockt ! kann ich nur weiterempfehlen.

  11. 11
  12. 12

    Ich will nicht schlecht über Euch reden,
    ist ja doch nur primitiv.
    Ich verabscheue Euch wegen Eurer Kleinkunst zu tiefst.
    (Tocotronic)

  13. 13

    joschwa, danke. wie peinlich (ein fehler mit historie bei mir leider :)). geändert.

  14. 14

    Clowns und ähnliches Zirkusgesindel hab‘ ich auch nie so richtig gemocht. Ich halt’s lieber mit anderen Kleinkünstlern: den Kabarettisten. Urban Priol, Volker Pispers, Dieter Hildebrand, …

  15. 15
    mArTiN

    Und noch ein ehrwürdiger Träger des deutschen Kleinkunstpreises:
    http://www.dietrich-kittner.de/