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Die Mauer fällt noch dieses Jahr (1)

I live by the river!

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Irgendwann gegen Ende des Sommers im Jahr 1989 saß ich gemeinsam mit meinem Vater vor dem Fernseher. Wir verfolgten gerade die Nachrichten, als er plötzlich meinte: „Die Mauer fällt noch dieses Jahr.“

Gut, mein Papa hatte als Berliner seine eigene Geschichte mit der Mauer durch die Stadt, ein entfernter Verwandter wohnte im Osten, früher gab es wohl noch ein paar alte Bekannte, doch man hatte sich, kein Wunder, aus den Augen verloren. Aber wie kam er auf diese Behauptung? Ja, es bewegte sich richtig was, aber noch dieses Jahr?

„Das wird wohl noch ein bisschen länger dauern“, war meine Reaktion. „Wie wollen die das denn so schnell regeln?“

Er behielt Recht und geregelt wurde zunächst so gut wie gar nichts. Denn der Mauerfall am 9. November 1989 (nicht der Prozess der Wiedervereinigung, sondern der Mauerfall an diesem einen Abend, der für mich persönlich mehr Bedeutung hat als der 3. Oktober 1990) war mehr oder weniger ein Missverständnis. Eine neue Reiseregelung sollte in Kraft treten – demnächst? bald? jetzt? – und wurde auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Eine im Grunde dilettantische Mischung aus schlecht vorbereiteten SED-Mitgliedern und der Schnellinterpretation der Radio- und TV-Medien führte dann dazu, dass ab etwa 23 Uhr die völlig überforderten und uninformierten Grenztruppen dem Andrang der Massen nicht mehr standhalten konnten. Die Mauer war offen. Eine einmalige: Geschichte.

Nachdem ich mein gesamtes Leben bis dahin in West-Berlin verbracht hatte (mit Ausnahme einiger Urlaube natürlich und den immer wieder extrem anregenden Fahrten durch „die Zone“ nach „Westdeutschland“), befand ich mich am Abend des 9.11.89 irgendwo in der westdeutschen Pampa in einem Hotel. Wir waren auf Tour mit der Band unterwegs und gerade vom Gig zurückgekommen, als wir auf unseren Zimmern die Fernseher einschalteten. Eine Minute später standen wir alle im Hotelflur. Habt ihr auch den Fernseher an? Na klar! Also alle Mann auf ein Zimmer, fassungslos zusehen und sacken lassen, dass man als Berliner zu dieser Zeit an keinem falscheren Ort sein konnte, als wir es waren.

The revolution will not be televised, irrte sich Gil Scott-Heron. Zu unserem Glück, damals.

Wir waren eher eine Horde nörgliger Amateur-Analysten als dass wir die Sektkorken hätten knallen lassen. Es war keine Frage, dass wir gerade Zeugen der Geschichte waren, es gab keinen Zweifel daran, dass diese Mauer, die weg musste, nun endlich weg war und dass das ausnahmslos gut war.

Aber aus der Ferne konnten wir uns die sofortige Diskussion leisten. Wir waren weder trunken vor Freude noch im Taumel der Ereignisse. Wir saßen mit etwa acht Mann in einem durchschnittlichen und kleinen Hotelzimmer vor einem Fernseher und sahen Deutschlandfahnen und brüllende Menschen ohne Ende. Freundinnen und Freunde am Telefon waren, wenn sie überhaupt erreichbar waren (no Handies, Kids…), extrem gut auf-, wir hatten uns hingelegt. Und diskutierten beinahe emotionslos über die Folgen und Möglichkeiten dieser Maueröffnung.

Das könne nur funktionieren, wenn die DDR ein eigener Staat bleiben würde. Ein renovierter natürlich, aber ein eigener. So die Einen. Die Anderen fanden, es müsse nun halt wieder ein vereintes Deutschland geben, die DDR sei tot. Und der Rest hoffte, von beiden das Beste zu einem neuen Ganzen zusammenfügen zu können. Ein sozialistischer Kapitalismus. Oder so. Jedenfalls was ganz neues und ab jetzt Schlaraffenland für alle.

Wir waren alle frustriert davon, nicht in Berlin, nicht zu Hause zu sein. Die Distanz machte uns zu Beobachtern, wir waren keine Teilnehmer. Das sollte mir wenige Tage später noch viel bewusster werden, als wir in Berlin spielten. Für unser Heimspiel im damaligen „Quartier Latin“ (heute „Wintergarten“) hatten wir beinahe alle Tickets schon im Vorfeld verkauft. Doch am Abend war der Laden nur zu zwei Dritteln oder zur Hälfte gefüllt. Ein Konzert einer lokalen Band war in diesen stürmischen Tagen einfach so unbedeutend, dass man schonmal das bereits gekaufte Ticket verfallen ließ. Die Parties waren wichtiger.

Ich faselte auf der Bühne etwas davon, dass man jetzt sehr gut aufpassen müsse, denn wer weiß, wie schnell wir alle, West und Ost, vor vollendete Tatsachen gestellt werden würden, und die historischen Chancen und überhaupt und so weiter. Gemurmel. Fragende Gesichter. Was will der denn nun? Na gut, weiter im Set.

Das klingt alles, als wolle ich hier beweisen, dass wir ganz toll kritische Typen waren. Darum geht es jedoch nicht (obwohl wir natürlich tatsächlich ganz toll kritische Typen waren), denn erstens gab es viel schlauere und besser informierte Köpfe als uns und zweitens waren wir ja nicht die Einzigen, die den Wunsch nach Bedachtsamkeit äußerten. Doch das passte nicht. Wir waren jung und Teil der Party-Crowd, wir hätten wie alle anderen feiern und jubeln, den Moment geniessen sollen. Es war mir irgendwann peinlich, mich nicht dauernd zu freuen, sondern auf jeder Party, in jedem Gespräch Diskussionen anzetteln zu müssen, denn die meisten meiner Bekannten und Freunde schienen im andauernden Freudentaumel. Ich war der Spielverderber. Ich gehörte nicht dazu. Ich hatte den Kick verpennt, den alle in Berlin mitbekommen hatten. Dachte ich.

Denn wie konnte ich wissen, dass ich wenige Jahre später zu denjenigen gehören würde, die mit der Praxis der Wiedervereinigung intensiver beschäftigt waren als viele andere…

Hier geht’s weiter, weitere Kommentare bitte unter dem letzten Teil.

27 Kommentare

  1. 01

    Jaja, der Mauerfall…

    Erstaunlich, ich war 8, aber erinnere mich noch verdammt gut. Zu Hause vor dem Fernseher, die ganze Familie. Klar, wir hatten haben „Ostverwandschaft“, da wurde das sehr genau registriert.
    Für kritische Analyse hatten mir dann doch noch die Kapazitäten gefehlt…

    Interessanterweise war ja die Auffassung der souveränen und reformierten DDR auch in weiten Kreisen der Bürgerrechtler Ost verbreitet. Aber unser Mann aus Oggersheim wollte sich die Chance, in die Geschichtsbücher einzugehen, ebne nicht entgehen lassen. Und Kritiker wurden als vaterlandslose Gesellen abgestempelt.

  2. 02

    Ich war im August 89 nochmal in der DDR, da meine Oma gestorben war. Als Kind eines Menschen der dem Staat DDR 1956 den Rücken kehrte, habe ich als Wessi immer eiine sehr direkten Draht zur DDR. Am esten Tag gingen wir an einem Freitag Mittag spazieren. Da mein Vater ein sehr offener Typ ist, sprach einen Mann an, der seinen Trabi putzte: „Na, das Schätzchen pflegen? Haben sie ein paar Tage Urlaub?“

    Die Antwort von dem Mann werde ich nie vergessen. „Nee, ich bin arbeitslos. Ich arbeite bei Zeiss in Jena und unsere Sachen werden wir nicht mehr los. Darum bin ich hier und putze mein Auto.“ Daraus ergab sich eine sehr DDR kritsche Diskussion.

    Das dieser Mann sich, ohne mit der Wimper zu zucken, auf so ein Gespräch eingelassen hat, war mein persönliches Erlebnis an dem ich heute noch festmache, das die Bürger diesem Staat keine Chance mehr gaben. Die DDR war tot.

    Ich hätte aber damals auch nicht gedacht, das es soo schnell gehen würde. Vielmehr hatte ich Angst vor Aktionen der Staatsmacht wie im Juni 1953. Vor Waffen, Panzern und Toten. Ich werde nicht vergessen mit welchem Gefühl ich die Züge aus Prag durch die DDR ion Gedanken begleitet habe. Heute wissen wir das es alles _sehr knapp_ war.

    Darauf das das alles ohne Tote und Verletzte angegangen is, können die Bürger der DDR _sehr stolz_ sein. So etwas hat es vorher auch noch nicht gegeben.

  3. 03
    bussibaer

    ich habe die maueröffnung leider nicht live mitverfolgt.
    betrunken lag ich im bett und schlief.
    am nächsten morgen, noch immer leicht verkatert, traf ich menschen mit verheulten augen.
    zumeist ältere die glücklich darüber waren ihre verwandten im osten zu besuchen und das diese endlich in den westen zum verwandtenbesuch kommen können.

  4. 04

    Mauerfall. Wiedervereinigung. Das alles ging leider an mir mehr oder weniger vorbei. Denn ich war gerade mal 6 Jahre alt, als das alles passierte. Für mich gab es zu der Zeit wichtigere Dinge: die Einschulung, die ich gerade hinter mir hatte, das erste Mal Hausaufgaben machen, Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Klar hab‘ ich das, was da in der DDR ablief, irgendwo mitbekommen, doch irgendwie natürlich nichts so richtig verstanden. Die Bilder der vielen Menschen, die da auf der Mauer standen und feierten, die habe ich noch vor Augen – aber erst viele Jahre später habe ich erst *verstanden*, was da passierte. Das da ein ganzer Staat durch die eigenen Bürger zum Einsturz gebracht wurde. Das die Menschen ihr Schicksal damals in die eigene Hand genommen haben. Und das damals alles nochmal gerade so gut gegangen ist – denn Honecker hatte immer wieder auf die „chinesische Lösung“ (sprich: Massaker wie am Platz des Himmlischen Friedens) gedrängt…

    Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die damals in Leipzig, Berlin, Dresden und vielen anderen ostdeutschen Städten auf die Straße gingen. Sie haben gezeigt, was Demokratie wirklich bedeutet, wie das Volk sich, wenn es nur mal aufsteht, tatsächlich eine Stimme geben kann. Für mich sind diese Menschen, die auf die Straße gingen, obwohl sie riskierten, verhaftet oder schlimmstenfalls sogar getötet zu werden, die wahren Helden der Wiedervereinigung.

  5. 05

    Nach einem Jahr im Ausland (Internet gab’s noch nicht, nur manchmal vorgestrige Tagesschau-Videos im Goethe-Institut und Telefonzellen-Konferenzen) kam ich Mitte 1990 nach wohin zurück, wo nix mehr war wie vorher. Da auswärts hatte man uns häufig zu Podiumsdiskussionen eingeladen – wir beidseitigen Exildeutschen sollte gemeinsam etwas vertreten, was wir selber nicht verstanden. (Aus dem Osten waren nur „die Besten“= Kader entsand worden – die hatten natürlich Schiss.)
    Außerdem wurde uns unfreiwilligen Wende-Botschaftern ein Patriotismus abgefragt, über den wir niemals nachgedacht hatten. „Freut ihr euch denn gar nicht?“ – „Doch, doch, aber…“
    Bis heute manchmal ein seltsames Gefühl, diese „Wende“ komplett verpasst zu haben. In einer Art Zeitblase hängengeblieben. Bei fremdsprachigen Schausdiskussionen mit ein paar strammen Kadern…

  6. 06

    Die Weltbühne schrieb:
    >Gerade mit großem Neid einen Post beim Spreeblick gelesen.
    > Meine Generation hat ja von nichts mehr zu erzählen. Keine >historischen Umbrüche. Alles ändert sich nur schleichend.

    Habe ich in den achtziger Jahren auch gedacht. 1987 (in der DDR) mit Arbeiten angefangen, Leben durchgeplant bis zur Rente. Auf einmal fiel alles in sich zusammen … – also einfach die Hoffnung nicht aufgeben, Änderungen kommen schneller als man denkt ;)

  7. 07

    Viel schlimmer ist aber doch, dass die Kritiker recht behielten. Wer damals von Groß-Deutschland warnte, dass wieder Krieg in aller Welt führt, wurde doch 1999 bestätigt. Somit ist es keine Schande, sich heute als »Spaßverderber« zu outen. Auch wenn ich damals viel zu jung war, um die Tatsache an sich überhaupt mitzubekommen, dass sich nun irgendetwas ändert.

  8. 08
    Kasi

    @ Lars: Gibt es einen Unterschied zwischen einem „Großdeutschland“ und einem deutschen Staat, der sich seiner internationalen Verantwortung bewusst ist? Nur mal so rhetorisch gefragt….

  9. 09

    Deutschlands „Was hast du gemacht, als die Flugzeuge in die Türme flogen?“ heißt „Was hast du gemacht, als die Mauer fiel?“

  10. 10
    Soralis

    „Du bist ein Arschloch“,
    war der Kommentar meines Vaters, als ich im Frühjahr 89, nach den dortigen Wahlen, noch tönte es werde ewig zwei deutsche Staaten geben.
    Am Abend von Nine-Eleven, dem deutschen, saßen wir dann irgendwo in Süddeutschland vor dem Fernseher und tranken Bier. Er aus Freude, ich aus linker Frustration. Gemeinsam mit der Linken verpasste ich infolgedessen den Zug der Zeit und vertrödelte diese mit „Nie wieder Deutschland Demos“ in Frankfurt/West. Ja, zu einem linken Gesamtdeutschland hätte es heißen müssen.
    Inzwischen ist das Wirklichkeit, wenngleich die Linke so zerstritten ist wie eh und je.
    In Berlin traf ich dann 9 Jahre zu spät ein. Trotzdem war es immer noch eine faszinierende Stadt. Mein Vater war ein Jahr nach dem Mauerfall tot. Der Krebs hatte ihn dahingerafft, den 3. Oktober hatte er schon im Krankenhaus verbracht. Seitdem steht dieses „du bist ein Arschloch“ zwischen uns im Raum.
    Er hätte mir sicher noch manches zu erzählen gehabt…

  11. 11

    Mein erster Gedanke war damals: „DAS wird teuer!“
    „Ja und? Denk doch mal an die Leute!“, war meist die Antwort.
    Als dann der Soli kam und blieb und gar nicht mehr gehen wollte, änderten sich die Meinungen.
    Ich lernte zunächst in Niedersachsen, dann später in Hamburg viele Leute aus „Neufünfland“ kennen und schätzen.
    Mit Schwerin und Rostock verbindet mich inzwischen mehr als mit Stuttgart oder München (besonders im Hinblick auf die Sprache).
    :)

    Fazit: es wurde zwar wirklich sauteuer, aber es hat sich gelohnt.

    Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie Deutschland, wie Europa ausähe, wäre das nie passiert.

    http://www.google.ddr :)

  12. 12

    Die TLD der DDR wäre aber .dd gewesen.

  13. 13

    @Kasi: Der Unterschied ist Makulatur. Jedenfalls bedeutet die »internationale Verantwortung«, wie du es nennst, heute immer häufiger penetrante Arroganz und Großmachtstreben bedeutet.

  14. 14

    @Kasi: Der Unterschied ist Makulatur. Jedenfalls bedeutet die »internationale Verantwortung«, wie du es nennst, heute immer häufiger penetrante Arroganz und Großmachtstreben.

  15. 15

    Ja, ich bin auf die Mauer geklettert!
    Ich hatte Nachtschicht in der Sonderbar, einer allerfeinsten Kneipe in Göttingen, wo ich damals lebte, als mein Kollege Rossi reinkam und sagte „Leute, die Mauer fällt grade!“.
    Radio an, Wodka für alle,Zeitzeuge sein, Kritik später.
    Ich hatte grade Besuch aus Berlin, den ich nach Schichtende mit wässrigen Augen vor meinem Fernseher kauernd fand.
    Der Lift über die Mitfahrzentrale brachte uns im ADAC-Schlepp bis zur ersten Autobahnraste.
    Die allgemeine „Einhak-Stimmung“ schuf uns aber schnell zwei Plätze im nächsten Wagen nach B, der sich in den nicht enden wollenden Strom zum revolutionären Epizentrum fügte.
    Gegen zwei Uhr früh befand ich mich endlich auf der Strasse des 17.Juni, der Mauer entgegen, suchte Proletarier, fand Proleten- egal!
    Weil, wie geil ist das denn:
    Tausende, die mit Hämmern die Mauer demontieren!
    DeutschlandDeutschland-Rufe aus allen Kehlen zwar, aber nu lass mal gut sein, darum geht´s ja nicht, werdet ihr schon sehen, wenn eure bräsigen Köppe ausgenüchtert sind, demnächst.
    Dachte ich und bin über die Mauer gehüpft, um mich von verwirrten Grenzsoldaten zurückhiefen zu lassen.
    Warum auch nicht?
    Mit einem Bröckchen Beton in der Tasche dann ins Kumpelnest, wo ich mir zwischen Berliner Szenepublikum sofort völlig dämlich vorkam, ob meiner gutgläubigen Spass-Frömmigkeit.
    Und jetzt, als inzwischen Berlinerin, finde ich das Berliner Umland landschaftlich natürlich extrem attraktiv.
    Aber leben will an da nicht.
    Und das Mauerbröckchen hat nichtmals den Umzug hierher geschafft.
    Schade insgesamt.

  16. 16

    …Mauerbroeckchen habe ich auch gepickt, im scheisse kalten Winter 1989-90. Und dort gestanden, wo schon Loecher in der Mauer waren, aber sonst war noch vieles abgesperrt. Der Potsdamer Platz war da noch total unerreichbar, wie zufaellig hatten hunderte andere Leute auch dieselbe Idee. Wir waren die „Mauerspechte“, aber wussten nicht recht, wie man von der Mauer wieder nach Hause kommt

    Vormittags am 10. November war schulfrei, und ich hab auf der Mauer gestanden, teilweise in Angst um mein blitzneues Fahrrad das unten stand, wie albern. Fuehlte mich total historisch, aber erstmal versprach ich mir nichts davon – ich haette damals fuer getrennte Staaten votiert, die ihre Finanzen erstmal ordentlich regeln sollten vor den Gedanken an die Wiedervereinigung, haette man mich gefragt. Aber mit 15 darf man ja nicht waehlen, ich hab auch nicht allzu aktiv meine Meinung vertreten, da wollten alle was anderes und verwiesen auf das Grundgesetz etc etc.

    Der Radiosender 100,6 hatte damals die kommerziell geschickte wie fragwuerdige Idee, das Geraeusch der symbolischen Haemmer und Meissel aufzunehmen und als CD zu verkaufen. Nunja, ich mochte den Sender noch nie wirklich (ausser die vage schluepfrigen Nacht-Talk-Sendungen), weiss aber noch, wie Sommer 1989 in Berlin (West) 100,6 per Stoersender der Stasi zeitweise schachmatt gesetzt war. Im Grunewald kam nur Rauschen an, Fetzen von Musik drin. Irgendwas war im Gange, und der Urlaub in Ungarn war schon zum Auswandern in Gebrauch, wenn auch noch kein Massenphaenomen.

    Im Ausland werde ich ab und an noch gefragt, Deutschland, welches Deutschland? Ost oder West? Und das geilste passierte in England, in einem Kurs zu politischen Krisen und Konflikten: mein (englischer) Kommilitone fragte zum Thema, ‚when did Germany reunite? That was 1979, wasn’t it?‘. Innerlich fiel mir der Kinnladen runter, und obwohl ich bereits wusste, dass ich nicht das Mass aller Dinge sein konnte, wurde schlagartig klar, dass die Gesamtdeutschen sich immerhin Muehe gegeben hatten, einander zu verstehen. Andere waren da noch viel weiter zurueck.

    Herrjeh. So naiv die Zeit, so frisch die Erinnerungen. Gut dass das zum Gutteil ueberwunden ist!

    (Verzeiht meine Umlautarmut, ich schreibe aus dem Urlaub auf fernoestlichem Keyboard)

  17. 17

    Bei mir sah es eher so aus, dass ich noch in der selben Nacht mit meinen Eltern ins Auto, ja ein Trabbi, stieg und mit meinen beiden Brüdern aus Chemnitz raus und durch die Tschecheslowakai, ja damals auch noch ein Land, rein nach Bayern. Für mich damals das erste West Erlebniss. Einfach toll. Während meine Eltern noch beim Bürgermeister waren und ihr „Westdeutsches Empfangsgeld“ bekamen, stand ich mit meinen Brüdern in einem Spielzeugladen. Was war das für ein Paradies für uns. Wir allesamt noch jung … ich selbst war … 7 Jahre … Trotzdem kannte ich tolles Spielzeug nur von den zwei Westbesuchen meiner Eltern bei den sie uns bei Freunden lassen mussten, zwangsweise, damit sie ja auch zurückkommen.

  18. 18
    oxymoron

    auch ich war noch recht jung, 10 Jahre alt, um genau zu sein und als Bewohnerin des Tales der Ahnungslosen (im südöstlichsten Zipfel der DDR) hatte ich auch am 10.11. noch nicht viel Ahnung davon, was da eigentlich genau passiert war (ein paar Jahre vorher hab ich mich noch gewundert, was denn an einer Mauer in Berlin so besonders ist, Mauern gab es auch in meiner Stadt! ;o) ). Aber ich erinnere mich gut an die Zeit davor, die Flüchtlinge, die über Polen und Tschechien in den Westen wollten. Da ich direkt an der Grenze zu beiden Staaten lebte, hab ich vor allem davon was mitbekommen. Durch die Grenzflüsse kann man bei uns in der Stadt durchwaten und so wurden wir 4. Klässler mit unseren Schulsporttaschen argwöhnisch vom Zöllner auf der Eisenbahnbrücke begutachtet, die Hand ging schon ans Gewehr, wenn wir nur an der Neiße zum Stadion liefen…
    Keiner dachte wohl, dass es so schnell ging, meine Eltern kamen am 30.10. aus der BRD wieder und hatten sich von den dortigen Verwandten für unbestimmte Zeit verabschiedet. Sie hatten sogar in dieser Zeit einen Westbesuch bewilligt bekommen. Ich dachte allerdings, sie kommen nie wieder zu mir zurück…
    Schon ein lustiges Datum, jeder hat seine eigene kleine „Wo ich damals war“ Story zu erzählen. Ich stimme Johnny dabei zu, auch für mich ist der 9.11. wichtiger als der 3.10., selbst wenn ich Letzteren bewußter erlebt habe…

  19. 19
    Andi

    Ach sieh an, wie lustig, hier von der S-Bar in Göttingen zu lesen. Ich war an dem Abend bei der Geologen-Party ebenfalls in Gö. Allerdings hat die Meldung an dem Abend eigentlich nur bewirkt, dass man noch ein wenig lauter gefeiert hat, begriffen hat es in dem Moment keiner so richtig. Das Realisieren kam erst am nächsten Abend, als wir zur Grenze bei Duderstadt gefahren sind und dort tatsächlich einen komplett leer gekauften Aldi und eine Kolonne aus Trabis sahen.
    Und das erste Mal leicht genervt war ich zumindest und mit mir einige andere am darauf folgenden Samstag, als die Göttinger Innenstadt so voll war wie noch nie.

  20. 20