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Ein Märchen (3 von 4)

(Hier geht’s zum ersten bzw. zweiten Teil)

Am letzen Tag des dritten Wartemonats (also am letzten Tag des insgesamt sechsten Monats und höchstwahrscheinlich nach zwei Dritteln der gesamten Wartezeit) klopfte es an der Tür des königlichen Mittagsschlafgemachs. Da es gerade Mittag war, befand sich der König in diesem Gemach und rief: „Herein, wenn’s kein Schneider ist!“. Er musste mal wieder über sich selbst lachen. Die Tür wurde aufgerissen und herein stürmten etwa 43 junge und bildhübsche, für die Jahreszeit eher unzureichend bekleidete Mägde (es ging so schnell, dass man sie nicht genau zählen konnte und darüber war der König sehr froh, denn er war ohnehin schlecht im Rechnen), die sich ohne Zögern auf den Mittagsschlaf-Divan direkt neben den König stürzten und sofort damit begannen, diesen (den König, nicht den Divan) zu streicheln und zu liebkosen und ihre Schenkel an ihm (dem König, nicht dem Divan) zu reiben, wie es die Statistinnen in Hiphop-Videos tun. Dabei schlugen sie fortwährend die Augen wie ein Reh kurz vor der Erschießung auf und behielten ihre Münder leicht geöffnet als hätten sie Schnupfen und könnten daher nicht durch die Nase atmen.

Der König, der wie jeder andere Mensch ein solches Verhalten bei echtem Weibsvolk noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte, nicht einmal bei Samantha, der Köchin, die ansonsten wirklich nicht von schlechten Eltern, ich kann euch sagen, huiuiui, staunte nicht schlecht und rief: „Haltet ein, ihr verrückten Weiber, lasst von mir ab und kommt zu Sinnen!“

Natürlich sagte er das nur in Gedanken und ließ die Frauen weitermachen.

Nun fragt ihr euch vielleicht, wie sich der König, der immerhin sieben Söhne hatte, also auch verheiratet sein musste, denn in diesen Zeiten musste man selbst als König verheiratet sein um Kinder haben zu können, nicht biologisch, das ging natürlich auch damals schon ohne Ehe, aber eben moralisch und gesellschaftlich und was sollen denn die Nachbarn denken, wie sich also dieser König zu solch lasterhaftem Verhalten hinreißen lassen konnte. Was würde seine Frau, die Königin, dazu sagen, sollte sie plötzlich das Gemach betreten?

Nun, liebe Leserinnen und Leser, die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach zu beantworten. Die Königin war nämlich schon lange tot. So. Ihr könnt euch also abregen, alles soweit okay, sieht man von dem tragischen Umstand ab, dass die Königin nicht mehr lebte und der König somit alleinerziehend war, aber als König hatte man ja genug Personal, da hatte man nicht wirklich viel mit der Erziehung zu tun, man hätte nicht nur das Amt des Königs sondern auch noch das des Familienministers bekleiden können, so viel Personal hatte man. Und was habt ihr denn überhaupt gedacht, warum die Königin bisher nicht in dem Märchen aufgetaucht ist? Auf Kegeltour? In der Küche? Im Turmspring-Saal? Zum achten Mal schwanger? Nix. Sie war tot. Und sie war nicht nur tot, sondern sie hatte auf dem Sterbebett (das glücklicherweise nicht mit dem Mittagsschlaf-Divan des Königs identisch war, denn das wäre nun wirklich einen Schritt zu weit gegangen, nein nein, zum Sterben gab es einen eigenen Raum) zu ihrem geliebten Mann gesagt, oh König, mein geliebter Gatte, hatte sie gesagt, mein Schnurzipurzi (so nannte sie ihn, wenn es kein anderer hören konnte, nur Franz hatte es mal belauscht und war davon sehr angewidert, er brauchte viele Jahre, um darüber hinwegzukommen), sollten sich jemals etwa 43 wildgewordene Mägde auf dich stürzen und sich benehmen wie die Statistinnen in Hiphop-Videos, dann ist das okay, du kannst es mit dir geschehen lassen, zumindest wenn ich schon eine Weile tot bin. Mindestens ein paar Tage. Solange ich noch lebe, lässt du aber gefälligst die Finger von anderen Weibern und besonders von der Köchin Samantha (lange Geschichte, das mit der Köchin, aber sie hatten sich danach wieder berappelt und beschlossen, es nochmal miteinander zu probieren).

So eine coole Königin war sie nämlich, die Königin Samantha (nein, ich verstehe das mit den weiblichen Vornamen in diesem Regierungsbezirk auch nicht, keine Ahnung, vermutlich ein lokales, mittelalterliches Ritual). Sie hatte nicht nur sieben Söhne unter Schmerzen in die Welt gebracht (alles Hausgeburten und denkt nur nicht, dass der König dabei anwesend gewesen wäre), sondern sie war auch noch sehr liberal und locker, außer bei der Kiste mit der Köchin damals, aber das war auch etwas ganz, ganz anderes. Und nun war sie eben leider auch noch tot.

Als letzte Person betrat Franz den Raum, in der einen Hand eine große Flasche irgendwas, in der anderen eine tütenförmig geformte Zigarette und in der anderen (der König war nicht so gut im Rechnen) einen kleinen Spiegel mit weißem Pulver darauf. In einem seiner Nasenlöcher steckte ein zusammengerollter Geldschein und in seinem Arm ein medizinisches Spritzbesteck.

„Franz!“, rief der König erfreut aus, „Ich rufe erfreut deinen Namen aus!“

Franz wankte zu seinem Vater herüber, den er zwar hören aber nicht sehen konnte wegen der ganzen Weiber. „Vtr!“, lallte er, „’schab dnnn Sinn dsss Lebnz gefundn!“

Mit diesen Worten fiel Franz vornüber, voll auf die Fresse. Er hob den blutenden Kopf (damit hätten wir das mit der Aufmerksamkeit gut hinbekommen, wenigstens halbnackte Frauen und jetzt auch noch Blut!) und lallte weiter. Soweit ihn der König richtig verstehen konnte, berichtete Franz von seiner sechs Monate dauernden Tour, während der er jede Schänke, jedes Freudenhaus und jeden Drogendealer des Landes kennen und schätzen gelernt hatte. Die Völlerei, die Vielweiberei, der Rausch seien der wahre Sinn des ansonsten doch so tristen und sinnlosen Lebens, meinte Franz und nachdem der König, in einem Arm eine Frau, im anderen eine Flasche irgendwas und im anderen (das Rechnen…) ein medizinisches Spritzbesteck (der König lehnte das Rauchen strikt ab), selig lächelnd an seinem liegenden Körper heruntergeschaut hatte, konnte er seinem Sohn nur zustimmen.

Die Monate vergingen und Franz, Hans und ihr Vater (die anderen vier Söhne waren auf einer längeren Klassenreise) übten sich in Extremhedonismus. Waren sie einmal nicht völlig breit oder mit den Mägden beschäftigt, ritten sie eines der Tausenden von Pferden aus, die sie allesamt Samantha (nach der verstorbenen Königin) benannt hatten oder erfanden aus Spaß neue Gesetze und trieben obszön hohe Steuern ein. Abgesehen von dann und wann auftauchenden Kopfschmerzen ging es ihnen prächtig. Beschaffungskriminalität war nicht ihr Problem.

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1 Kommentar

  1. 01

    achso – ich soll noch den vierten Teil abwarten, bevor ich kommentiere. Ist OK. Sorry.