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Design Engaged 2005

Andrew Otwell ist der einzige Informations-Architekt in meinem Bekanntenkreis, der diese Bezeichnung verdient hat. Ich kenne außer ihm niemanden der es schafft, äußerst komplexe und sehr umfangreiche Strukturen von Datenbanken oder anderen Anwendungen übersichtlich zu visualisieren, ihnen eine nachvollziehbare Form zu geben und sie als Vorlage und Arbeits-Leitfaden für ein größeres Team sinnvoll und verständlich vorzubereiten. Es braucht eine bestimmte Art zu denken, um vielfach verzweigte Prozesse nicht nur vage, sondern sehr detailliert sowohl für Kunden als auch für die Produzenten beschreiben zu können – Andrew hat dieses Denken.

de01Und auch im „echten“ Leben ist der Mann ein Netzwerker. So hatte er im vergangenen Jahr einigen seiner Bekannten vorgeschlagen ein paar ihrer besten Designer-Freunde nach Amsterdam einzuladen, um dort eine kleine „by invitation only“-Konferenz ins Leben zu rufen: Design Engaged war geboren.

In diesem Jahr sollte der Erfolg wiederholt werden und Andrew, mit dem ich ein paar Monate lang während der defcom-Zeit zusammenarbeiten konnte, hatte uns um die Spreeblick-Räume und unterstützende Organisation vor Ort gebeten. Unsere Sympathie für Andrew und die einhergehende Überweisung vom Sponsor Nokia sorgten für eine Zusage unsererseits und so fanden sich am vorletzten Wochenende 35 kreative Menschen hauptsächlich aus den USA, vereinzelt aber auch aus Großbritannien, Schweden, Italien und anderen Ländern in unserem Büro ein, um Vorträge zu halten, sich auszutauschen, die Stadt zu erkunden und Spaß zu haben.

Unter den vielen spannenden Vorträgen, die ich leider nur am ersten der insgesamt drei Tage verfolgen konnte, wirkte der meinige mit dem Titel „What’s wrong with blog design“, zu dem Andrew mich eingeladen hatte, reichlich unakademisch und damit vielleicht sogar fehlplatziert. Eingeschlafen sind dennoch nur wenige der ausnahmslos ebenfalls bloggenden Zuhörer und so ergab sich wenigstens eine kleine Diskussion, die u.a. die Fragen aufwarf, ob umfangreiche Blogs notgedrungen früher oder später die Erfahrungen und Schritte großer Online-Magazine wiederholen müssen und ab welchem Punkt eine Leserschaft Ansprüche an einen Blog-Autor und dessen Arbeit und Erscheinungsbild stellt. Und ob diese Ansprüche eine Berechtigung haben.

Ebenfalls konnte ich in kleinerem Rahmen die Frage diskutieren, ob und (wenn ja) ab wann es Blogs geben wird, die nur gegen Bezahlung, dafür jedoch werbefrei lesbar sind. Allein die im Vergleich zu Deutschland viel entspanntere und dadurch wesentlich konstruktivere Herangehensweise der Amis an das Thema Online-Werbung auf Blogs empfand ich als Bereicherung meiner eigenen Überlegungen; man mag nicht immer der gleichen Meinung sein, doch ein Teil der Gedanken des Gegenübers bleiben immer hängen – food for thought eben.

de07Als Futter fürs Hirn empfand ich den Tag ohnehin, speziell durch den hervorragenden Entwurf einer gar nicht so unwahrscheinlichen Vision von Adam Greenfield, der aufgrund fortschreitender Verknappung der weltweiten Ölvorräte und anhand natürlicher und ökonomischer Wachstums- und Zerfallszyklen den Zusammenbruch der vorhandenen technischen Kommunikationsstrukturen vorhersagte. Die von Greenfield entwickelte Utopie einer Gesellschaft, die sich auf lokale, eben Öl-unabhängige Materialien und Informations- und Kommunikationsstrukturen zurückbesinnen müsste, machte nachdenklichen Spaß. Greenfields Buch zum Thema erscheint im Februar 2006.

Unglücklicherweise brach am ersten Nachmittag das durch 35 Laptops ohnehin schon überforderte Spreeblick-WLAN zusammen, die aus der Platine gebrochene Buchse für den Netzanschluss von Router und Telefonanlage in Geräteunion war die Ursache. Diese kleine technische Panne hatte jedoch einen hübsch zu beobachtenden Effekt. Denn während die versammelten Kommunikationsjunkies (die Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer liest sich für Interessierte wie ein Who-Is-Who eines Teils der englischsprachigen Netzwelt und ich wünschte, es hätte genug Zeit für viele Interviews gegeben – der Spreeblick-Podcast hätte sich gefreut!) bei funktionierendem Netzwerk konzentriert und still zuhörten und/ oder per IM mit dem Nachbarn plauderten, verwandelte sich die Stille mit Wegbruch der Internet-Anbindung in angeregte Einmischungen, vielfaches lautes Lachen und generell erhöhte verbale Kommunikation: Designers Engaged!

de06Nachdem ich den Samstag in Hamburg verbracht hatte, zeigte sich bei meiner Rückkehr unser Büro von einer völlig neuen, äußerst entzückenden Seite. Die Damen und Herren waren nämlich am Samstag durch die Hauptstadt gezogen und hatten für den Sonntag ihre Eindrücke in Ideen verschiedenster Art verwandelt, die Wände waren mit unzähligen grellfarbenen Post-Its tapeziert und Konzeptnotizen allerorts luden zum Lesen ein. Es macht ja immer Spaß, die eigene Heimat mit den Augen Nichteingeborener betrachten zu können, doch meine Favoriten waren eindeutig die „map of places gone“ (ein Stadtplan, der nicht mehr vorhandene Gebäude zeigt) und der mit Szenetipps gefüllte Kaugummi-Automat („Coole Party heute Abend im XY“ oder „in der soundso-straße hat im Hinterhaus ein neuer Laden aufgemacht“). Sehr, sehr schick und inspirierend, ich wünschte wirklich, ich hätte mehr mitbekommen können.

Thanks to Andrew and everyone involved for the inspiration , even if I could sadly only get a glimpse of it!

(Mehr Fotos von der Design Engaged gibt es bei flickr hier und hier zu sehen, diverse Buffet-Strategien sind hier zu bewundern und detaillierte Notizen von Matt Webb sowie kurze Eindrücke von Andrew gibt es ebenfalls. Und ein T-Shirt! Mehr Links auf der DE-Page.)

24 Kommentare

  1. 01

    Erster! Wie beim Sex hier …

  2. 02

    Sehr lesenswerter Artikel, hört sich auch für Nichtprofis interessant an!

  3. 03

    Noch ein Wort zu Layout möchte ich gerne verlieren: Der mittlere Frame (ist das ein Frame?), in dem der Text angezeigt wird, ist zu schmal oder der Text zu breit. Ich kann, wenn ich den Text mit der Maus markiere (mache ich gerne beim Lesen)nach links und rechts „ziehen“, wodurch die ersten oder letzten Buchstaben jeder Zeile verlorengehen.
    Habe ich bei anderen Seiten auch schon bemerkt.
    Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

  4. 04

    Text wird schmaler, sobald Zeit dafür ist. Und ist kein Frame, nein, die ganze Seite ist Frames-frei.

  5. 05

    Hallo? Hier ist seit langem mal wieder ein etwas interessanterer Artikel, der sicherlich auch Anregungen für Diskussionen bietet und ihr diskutiert wieder das neue Layout von Spreeblick? Mann…

    (ja, das musste mal raus.)

  6. 06
    paul

    @Texas-Jim: Frames — der war gut . . .
    sorry, musste mal raus
    (ever heard about this css-thing?!??)

  7. 07
    paul

    was das auf dem photo neben dem us-flag-decal-tagged ‚book? – ein farbraum-schutz-sleeve??

  8. 08

    Hui, da wäre meinereiner ja gerne dabeigewesen, klingt mächtig spannend…

    Werde jetzt wohl erstmal wieder Stunden damit verbringen, den ganzen Hyperlinks nachzugehen und von dort aus wieder weitere Hyperlinks usw. usf. – dabei müsste ich eigentlich 1000 andere Dinge erledigen.

    Kann denn nicht einer mal die Zeit anhalten, nur für ein paar Tage – bis man endlich mal den immer mitgeschleppten Berg wieder abgetragen hat? Johnny und Max könnten dann auch in Ruhe das Design und den Shop zu Ende basteln und die zahlreich versammelte Spreeblick-Leserschaft hat bestimmt auch viel zu tun.
    Also, wo kann man das beantragen, das mit der Zeit anhalten???

  9. 09

    paul: das sind nur bauklötze, wenn auch besonders schöne.

  10. 10

    jup, das klingt sehr spannend. wirst du noch ein bißchen zu den vorträgen schreiben, die mitbekommen hast? wäre toll.

    und dazu passend gleich noch die frage, wie sieht’s den mit den vorbereitungen zur re:publica aus? Ich hoffe es gibt bald ein paar neue informationen dazu …

    übrigens scheinst du dich ja so langsam als de:bug-author zu etablieren. gratuliere … großartige ausgabe diesmal.

  11. 11

    oliver: hatten gerade wieder re:publica-treffen, sobald die nervtötende raumfrage (was das kostet…) geklärt ist, gibt es alle details. am besten guckst du dir wegen der vorträge mal die diversen notizen der teilnehmer an, ich habe leider echt zu wenig mitbekommen, musste ja den neuen router installieren…

    re:de:bug: danke. :)

  12. 12

    Zur Raumfrage:

    Wäre es nicht nett, wenn es irgendwo ein Wiki oder sonst eine Liste von entsprechenden Räumlichkeiten gäbe?

    „Web 2.0“ ist ja quasi nur ein Platzhalter für die Diskussionen, aber eher erhoffe ich mir solche Wissensinseln wie halt ein Wiki/eine Liste von mietbaren Räumlichkeiten, als irgendwie stärker über Tagging, Flickr, Flock, Schnickschnackschnuck oder sonstwas nachzudenken…

    Was mich auch nervt und was bei „Web 2.0“ irgendwie verbessert werden müsste: Es gibt ja zu dem CMS-/Weblog-System auch eine eigene Community.

    Aber z.B. ist die von „typo3“ nicht so chaotisch und egoman, wie sich dagegen die Community von „Mambo“ (mittlerweile nach einem Streit und Trennung als Open Source in „Joomla!“ weiterentwickelt) darstellt.

    Bei „Mambo“/“Joomla“ mach irgendwie jeder Depp eine eigene Website aus, natürlich mit entsprechender Verwendung von „Mambo“/“Joomla“ im Domainnamen und Einseiger oder Interessenten werden erschlagen von sprichwörtlich tausenden Websites. Bei „typo3“ scheint das irgendwie gesitteter zuzugehen und ebenso bei anderen CMS-/Weblog-Communites.

    Keine Ahnung, ob der Platzhalter „Web 2.0“ daran überhaupt etwas ändern kann, schließlich hat das entfernt auch mit Medienkompetenz und Teamgeist zu tun, aber ich hoffe es irgendwie, den „Web 1.0“ kann schon ziemlich nerven/frustrieren…

    Es ist ja schließlich nicht jeder ein begabter Informations-Architekt…

    Zurück zu der Frage: Gibt es eine Liste von Räumlichkeiten, die man z.B. für sowas wie „re:publica 2006“ anmieten kann?

  13. 13

    Mieten kann man alles (ich rede von Räumlichkeiten). Man muss es nur bezahlen.

  14. 14

    ???

    Häh? Würde ein Wiki/Liste nicht all diese Informationen liefern?

    Also nicht nur „was kostet das ICC, was kostet das BCC, was kostet es bei Filesharing, was kostet Club XYZ?“, sondern auch Ausstattung, Variationsmöglichkeiten, Eignung für…/Nicht geeignet für…, ÖPNV-Anbindung, Parkplätze, Nutzung evtl. sogar kostenlos, usw. usf.?

    Wenn es aber darum geht, einen möglichst unbekannten und trotzdem geeigneten Ort zu finden, ist so ein Wiki/Liste natürlich nicht so schick, weil dort ja nur die bereits bekannten Orte auftauchen würden ;)

    Nur noch ein anderes Beispiel: Ich weiß von einer studentisch geprägten Redaktion, dass sie einen neuen Ort für ihre Treffen suchen und es war wirklich spannend zu lesen, welche Vorschläge mit Beschreibung von Vor- und Nachteilen sowie ÖPNV-Anbindung in deren Mailingliste gemacht wurden.

    Da waren richtige „Juwelen“ unter diesen Tipps, wo ich mir dachte, das würde bestimmt auch andere Gruppen interessieren, wie schade, dass es wohl kaum außerhalb dieser Mailingliste bekannt wird.

    Dafür wäre so ein öffentlich und gemeinsam erarbeitetes Wiki/Liste/… ideal und für Suchende aller Art dann auch interessant, oder?

    So etwas wie http://www.dienstag-abend.de/
    oder
    http://wikitravel.org/de/Berlin
    oder
    http://www.freifunk.net/wiki/
    geht ja schon in die Richtung…

  15. 15

    Ach so meinst du das. Jetzt verstehe ich.

    Ja, sowas wäre sehr cool. Hast du Zeit, sowas mal aufzusetzen und zu kommunizieren? Für re:publica ist es sicher zu spät, aber für andere oder einfach nächste Veranstaltungen wäre es extrem hilfreich.

  16. 16

    Thanks a million for the congenial, thoughtful environment and all the help you both offered. And the food was legedary, they’ll never stop talking about it.

  17. 17

    Re:publica… Genau. Eigentlich war doch da ein Wiki geplant, oder? Wikis eignen sich sehr gut zum Planen solcher Veranstaltungen (nicht nur zur Klärung Raumfrage).

    Ich hab‘ zum Beispiel gerade ein Wiki zur Klärung ganz allgemeiner Fragen (z.B. „Wie kocht man ein Frühstücksei?“) aufgesetzt: http://www.simplesteps.de (war mal so eine Idee), kann aber vielleicht auch als Beispiel dienen.

  18. 18

    king, schicke idee, die simplesteps!

  19. 19

    zu viel neunziger Jahre gaultier?

  20. 20
    plotti

    Ich fand das gute an blogs dass sie aussenrum grau sind und man das weiße besser lesen kann, aber jetzt ist alles weiß. naja ich weiß net… früher war alles besser.

  21. 21

    schwups, da kommt man wieder auf spreeblick und schwups neues design.
    finde es gut. so richt es nicht nach wordpress kubrick binarybonsai. interessant finde ich die entwicklung der designs von weblogs. hier sollte man mal eine historie anfertigen. kannst du mal einen styleswitschterschwitscherschitscher oder so einbauen? oder deine bisherigen designs posten. fände ich toll.

    1a kiste hier. am coolsten ist das logo und das man sieht was man schreibt (ajax?) ist das nen plugin?

    -jens

  22. 22

    jens, das WP-Plugin heißt LiveCommentPreview.

  23. 23

    mensch, danke. das rockt.

  24. 24
    rza

    johnny, ist das jetzt wirklich dein job?
    das was du den ganzen tag machst? irgendwelche banalitäten aufschreiben und dann die ganzen kommentare lesen. das kann doch nicht dein ernst sein. get a life!!!!