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1984 – Teil 1

I live by the river!

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„Wieso schreibst du nicht mal wieder was aus der Zeit mit der Band? Haste lange nicht gemacht!“, meinte er.

Stimmt eigentlich, dachte ich. Wieso schreibe ich nicht mal wieder was aus der Zeit mit der Band? Hab‘ ich lange nicht gemacht!

Gegen Ende 1983 hatte sich meine erste Band „System“ aufgelöst, die neue Kombo namens „Plan B“ war am Start. Die erste Halle, die sich traute uns auftreten zu lassen, war das Berliner LOFT, damals noch unter der Leitung von Monika Döring, die uns irgendwie mochte ohne uns vorher gehört zu haben.

Noch während wir die ersten Songs probten, bekam ich Anfang 1984 Wind davon, dass The Clash im Rahmen ihrer aktuellen Tour am 19. Februar 1984 ein einziges Konzert in Deutschland spielen würden, in der Düsseldorfer Philipshalle nämlich. Ausverkauft, Wochen vorher. 5.000 Leute? 6.000? Egal, ich musste nach Düsseldorf, ich musste sie zum dritten Mal sehen. Zumal es darum ging die neue Besetzung zu erleben, die, wie sich später herausstellen sollte, die letzte und unrühmlichste werden sollte.

Während ich begann mich ans Telefon zu hängen (es gab noch kein Internet… bin mir nicht einmal sicher, ob man schon Tastentelefon hatte… war es überhaupt ein Telefon? Vielleicht habe ich doch noch getrommelt…?) um Karten zu organisieren, kam mir eine grandiose Idee um Geld zu sparen: Wir würden unseren zweiten Gig überhaupt als Vorgruppe von The Clash spielen. Dann bräuchten wir auch keinen Eintritt zu zahlen.

Man muss bei dieser Geschichte zwei Dinge im Kopf behalten:

Erstens, dass The Clash trotz der Trennung von Mick Jones eine ziemlich erfolgreiche Band geworden waren, die Platin in den USA machte, mit großen Tournee-Veranstaltern arbeitete und in für Punkrock-Verhältnisse ziemlich großen Hallen spielte. Eine Band also, die Mitte der Achtziger ebenso unerreichbar schien wie die Bands der Siebziger, gegen die sie sich anfangs aufgelehnt hatte. Und zweitens, dass mir das alles schnuppe war. The Clash waren die wichtigste Band der Welt für mich und ich war 19 Jahre alt, es gab nichts, was ich nicht erreichen konnte, wenn ich es nur wollte. Und ich wollte. Ich wollte mit Plan B als Support für The Clash in Düsseldorf spielen. Mit acht halbfertigen Songs, wenn ich mich richtig erinnere.

Also nahm ich mir etwa zwei Wochen vor dem Clash-Gig in Düsseldorf die Tournee-Daten aus einer englischen Musikzeitung vor und sah nach, in welcher Stadt, in welchem Land sich die Band zur Zeit aufhielt. Das Konzept einer Tournee-Organisation war mir zu diesem Zeitpunkt nur ansatzweise bekannt, ich wusste jedoch, dass die Band immer (wirklich immer?) mit einem persönlichen Manager und Pressesprecher namens „Kosmo Vinyl“ unterwegs war und ich wusste, dass es zwecklos sein würde, die Band persönlich zu erreichen. Als einzige Person also, die mir außer den Bandmitgliedern „bekannt“ war, würde Kosmo Vinyl diejenige sein, die ich zu erreichen gedachte.

Aber wie? Und wo? In einem Hotel, natürlich, einem recht großen. In der Stadt, in der sie am gleichen Tag spielen würden, ist doch klar. Also am ersten Tag meiner Recherche (und auch an den folgenden) noch irgendwo in Großbritannien.

Nun ist es eine Sache, wenn sich ein kaltschnäuziger, naiver 19-Jähriger ans Telefon klemmt und davon überzeugt ist, dass sein Englisch ausreichen würde um einen Support-Gig während einer laufenden Tournee klarzumachen. Eine ganz andere Sache ist es, wenn diese Tournee durch Irland oder Schottland führt und die Telefonisten der großen Hotels dieser Städte eine ganz eigene Vorstellung von der englischen Sprache haben, die von meinem Schul- und Punkrock-Englisch nicht unerheblich abwich. Es war leicht, die fünf größten Hotels in den Städten auszumachen. Es war aber fast unmöglich, die Leute in diesen Hotels zu verstehen. Ich wusste in vielen Fällen einfach nicht, ob die Band nicht im betreffenden Hotel abgestiegen war, ob man sie verleugnete, ob mich keiner verstand oder ob ich die Sätze in der Leitung falsch interpretierte. Und ich hatte vor allem nach einigen Tagen der Recherche keine Schimmer, wie hoch meine Telefonrechnung ausfallen würde.

Meine Band lachte mich mittlerweile aus. So geht das nicht. Das klappt nie. Lass es sein.

Dann, nach vielen frustrierenden Telefonaten, zwei Tage vor dem Düsseldorfer Konzert, am 17. Februar des Jahres 1984, wähle ich die Nummer eines Hotels in Schweden, denn Stockholm steht auf dem Tourplan. Super: Das Englisch der Rezeptionistin ist genauso schlecht wie meins und ich spule den mittlerweile gut trainerten Satz mit einer Betonung ab, der bei meinem Gegenüber keinen Zweifel daran aufkommen lassen kann, dass die Band und ich dickste Freunde sind und mich der Anruf mehr Zeit kostet, als ich mir eigentlich erlauben kann:

„Hi, can I speak to Mr. Kosmo Vinyl, please? He’s with a band from England called The Clash and he’s staying in your hotel.“

„Sure, just a second.“

Leider schmilzt in diesem Moment mein Telefonhörer (mit Spiralkabel, es gab nämlich noch keine… ach, egal). Zumindest fühlt es sich so an. Tatsächlich ist es aber nur literweise Schweiß, der urplötzlich und ohne Vorwarnung an meinem gesamten Körper einschließlich meiner Hände entlangrinnt. Meine Muskeln haben zudem in einem spontanen Akt des Aufstands beschlossen, sich nie wieder dem Terror-Regime meines Hirns zu unterwerfen und verdammt nochmal, ich war schon sehr, sehr lange nicht mehr auf der Toilette!

Was soll das? Als nächstes steht „Okay, thanks anyway, have a nice day!“ im Drehbuch, so, wie ich es die ganzen Tage vorher auch gesagt hatte. Auf „Sure, just a second“ bin ich nicht vorbereitet!

„Hey“, tönt es grimmig aus meinem Hörer.

Er hat schlechte Laune, ich rufe lieber später nochmal an. Nein, er ist es überhaupt gar nicht. Es ist ein anderer, diesmal männlicher Telefonist, der mir sagen wird, dass Mr. Kosmo Vinyl who is with a band from England called The Clash gar nicht in our hotel abgestiegen ist. Und was macht dieser Kloß in meinem Hals?

„Am I talking to Kosmo Vinyl of The Clash?“ – „Yes, you are.“

Jetzt ist es eh vorbei, er ist komplett genervt, ich höre sowas, drei Worte genügen mir und meinem Kloß und meinen hirnbefreiten Muskeln und ich habe auch schon drei Kilo abgenommen.

„Hi. Äh. Also. We are a band from Berlin we are called Plan B we like The Clash very much we wanted to ask if you have a support band for the concert in Düsseldorf or not we wanted to know if maybe it is possible to play before The Clash we could come to Düsseldorf we don’t need money we like The Clash.“

Stille.

Aber er ist noch dran. Und er hat noch nicht gelacht. Er sagt:

„How do I fucking know that you’re not a fucking heavy metal band with fucking Flying V guitars?“

Berechtigte Frage. Nicht wirklich freundlich vorgetragen, aber ich beschließe, mich nicht an Stilfragen aufzuhalten. Das Problem ist nur, dass ich mir keine Antwort auf eine solche Frage zurechtgelegt habe.

Dann macht es „klick“.

Nicht am Telefon, sondern in meinem Kopf: Der Mann ist Punkrocker! Das ist seine Art, freundlich zu sein! Ich beschließe, alles auf eine Karte zu setzen und mit gleichartiger Freundlichkeit zu antworten.

„I would hardly call you in Stockholm and ask you to let us support The Clash if we were a fucking heavy metal band with fucking Flying V guitars“, antworte ich mit zitternder Stimme und überrascht darüber, woher ich das Wort „hardly“ plötzlich habe. Und füge noch schnell ein „wouldn’t I?“ hinzu, noch heute ganz oben in der Liste meiner persönlichen Sprachtriumphe.

Er seufzt.

„Tell you what, we actually haven’t got a support on this tour, so here’s what we can do. You’ll be there at six with your own amps and drums. Bring a tape so I can listen to it. If I like it, you can play.“

„Good!“, sage ich, noch heute ganz oben in der Liste meiner persönlichen Sprachniederlagen.

Das war’s also. Ich hatte es geschafft. Wir würden als Vorgruppe für The Clash spielen, alle Clash-Fans würden uns lieben, wir würden goldene Schallplatten bekommen und berühmt werden. Nur, dass wir gar keine Platten oder auch nur Demo-Tapes hatten, sondern nur eine furchtbare Kassettenrekorder-Aufnahme aus dem Übungsraum. Und dass ich meiner Band unmöglich sagen konnte, dass wir auf Verdacht nach Düsseldorf fahren würden um vielleicht The Clash zu supporten.

Also beschloss ich zu lügen. Ich sagte der Band, dass der Gig klargeht und die Band war von den Socken. Und recht motiviert, um es mal vorsichtig auszudrücken. Einer kannte einen mit einem Kleinbus für das Equipment, Papa borgte mir seinen Wagen für weitere Mitreisende. Und so machten wir uns zwei Tage nach meinem Telefonat mit Herrn Vinyl gleich morgens auf nach Düsseldorf. Man wusste ja nie, wie lange man der Grenze warten musste. Damals gab’s nämlich noch die Grenze und übrigens auch kein Internet…

(Der zweite Teil mit Kommentaren ist hier)

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