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„Weichselblick“ oder: Wieso ich meinem Vater ein PocketDrive 6in1 schulde

Irgendwann schlug meine Tante vor „lasst uns doch alle mal nach Polen fahren“. Mein Großvater wurde in der Nähe von Kalisz Pomorski* geboren, bevor er sich 1922 auf die Wanderschaft aufmachte um sich dann in Großmühlingen in der Nähe von Magdeburg niederzulassen. Gesagt, getan. Also, nicht ganz so schnell: beim ersten Versuch musste ich absagen wegen zu viel zu tun, beim zweiten mal meine Tante selbst. Aber aller guten Dinge sind drei, und so setzen meine Eltern, meine Tante und ich uns in Auto um uns nach Kalisz Pomorski zu begeben.

Gleich vorweg: die Polen sind elende Lügner, zumindest was die Verkehrszeichen angeht. Mal steht dran wo es hingeht, mal nicht, mal wird man in die falsche Richtung geschickt, und wenn irgendwo 80 dransteht fahren eh alle 120 (ich natürlich vorneweg). Angekommen sollte es ein ganz entspanntes, analoges Wochenende werden. So richtig nur mit face2face und so. Mein Notebook habe ich sicherheitshalber zu Hause gelassen. Erstens weiss man ja nie und zweitens war es mir nach einigen Wochen harter Arbeit nur Recht den Bildschirm für ein paar Tage mal nicht vor der Nase zu haben. Ausserdem war mir absolut klar, dass man in einem Kaff mit 6.000 Einwohnern im tiefsten Polen sowieso kein Internet hätte — und mal ganz ehrlich: ohne Internet sind diese ganzen Computer doch eh nichts wert.

Nachdem wir angekommen waren suchten wir uns in diesem Kuhkaff also ein Hotel. Der nette Herr von der Rezeption teilte uns nach Übergabe der Schlüssel sofort mit, dass wir für das Kennwort des hoteleigenen WLANs nur fragen brauchten — schliesslich sei dies im Preis inklusive. Ich war wie elektrisiert. Nicht, dass ich erwartet hätte, dass in Polen noch mit Rauchzeichen kommuniziert würde, aber … ich hatte das schon erwartet. Kostenloses WLAN in einem Dörfchen in Polen? Wo die Telekom einige Bezirke Berlins noch nicht mal mit DSL versorgen kann? „Hast du etwa dein PowerBook nicht dabei?“ fragte mich mein Vater. „Ja, ich glaube ich muss mir heute Abend mal euer iBook ausleihen.“ Also nichts gegen Suchtprävention, aber nur wenn es unbedingt sein muss. „Es wäre doch großartig, wenn ich auf Spreeblick einen Artikel über Polen schreiben könnte und dieses — wie heisst dieses Kaff doch gleich?“ Sucht lässt sich recht leicht als Arbeit tarnen, insbesondere weil sie sich so ähnlich sind.

Also los, die verbleibenden Stunden noch nutzen, damit wir uns hier rumtreiben können. Ich habe Fotos von Störchen gemacht, von lustigen Litfasssäulen die aussehen als ob sie Pickelhauben aufhätten, von amerikanischen Flaggen in polnischen Kneipen, von Papstplakaten und in Säulenform geschnittenen Hecken — alles nur um am Abend ein wenig surfen zu dürfen. Noch schön was Essen gewesen, sich nett unterhalten, und dann, als es später wurde: „ja, ähm, kann ich noch mal? Also das iBook, du weisst doch — Arbeit.“

Puh, sie haben es mir abgenommen. Ich stelle jetzt noch rasch das Video von der sprechenden Ampel rein, danach kann ich was anderes machen. Fällt keinem auf. Dieses eigentlich ganz witzige Video von der Ampel, die die ganze Zeit mit einer sympathischen Frauenstimme erzählt dass sie rot ist und man jetzt nicht gehen sollte. Viel netter als dieses Rumgepiepse dass man von Berliner Ampeln so kennt. Aber wie bekomme ich das Video von meinem Telefon auf das iBook? Via Bluetooth wäre es ganz einfach — nur kann das das iBook nicht. Zum Glück hat mein Vater ein 6in1 PocketDrive Lesegerät zum auslesen von Speicherkarten dabei, da gehen auch MemorySticks rein. MemorySticks schon, aber nicht der tolle MemoryStick Duo den mein Telefon hat. Mist. Aber mein Nokia, das kann doch Bluetooth! Also den Film vom SonyEricsson Telefon auf den Nokia PDA kopiert und dann bei YouTube reinstellen. Aber mein Nokia will im Gegensatz zum iBook nicht mit dem Hauseigenen WLAN zusammenspielen. Nichts, kein Kontakt, ich hab alles probiert und ich bin Profi.

Aber, aber, aber, das 6in1 Pocket Drive kann doch wenigstens die SD-Cards lesen, die in meinem Nokia stecken! Also Video auf die Karte kopiert, Karte rausgezogen, rein in das Lesegerät, rangesteckt ans iBook und … nichts. Karte ein wenig tiefer reingeschoben, ich kann sie auf dem Desktop sehen, ich kopiere es und schaue mir das Video an und … bin im falschen Film. Also Karte wieder raus. Ich probiere den Nippel der Karte zu erwischen, um sie wieder aus dem Lesegerät zu befördern — die steckt verflucht tief drin, da komm ich nicht ran. In einem Anfall blinder Wut** zerlege ich das Lesegerät in seine Bestandteile, biege mir eine Ecke frei sodass ich mit einem Schlüssel ganz vorsichtig die Karte aus dem Gerät schieben kann. Das Ergebnis sieht dann ungefähr so aus:

Im zweiten Anlauf klappt dann alles. Schaut es euch an, geniest es, und denkt immer daran was andere (ich) durchmachen mussten um euch dieses Video zu zeigen.

Und hier ist es nun, das einzig wahre, echte, sensationelle Video von der sprechenden Ampel:

Großartig, oder?

* den Namen von dem Ort weiss ich auch nur, weil die Handys (oder Handies?) in Polen neben dem aktuellen Netz auch den Ort anzeigen.

** falls euch irgendjemand im Radio oder sonstwo erzählen sollte, dass man an diesem Wochenende wegen des Papstbesuchs in ganz Polen keinen Alkohol kaufen oder bestellen könnte: das ist eine glatte Lüge. Ich hätte fast meinen Urlaub abgebrochen wegen solcher lächerlichen Behauptungen.

22 Kommentare

  1. 01

    Das hat sich voll gelohnt, Max. Alles. Das Video ist großartig, ich will auch sprechende Ampeln!!

    Grüße an alle! :)

  2. 02
    msc

    Sprechende Ampeln… einfach gräßlich!
    Wir wissen doch wohin das führt. Bald sprechen die Türen.

  3. 03

    Die Grüße! Die richte ich noch aus. Ich habe noch Bilder von meinem Vater im Mahoni T-Shirt, die kommen aber erst wenn ich wieder am eigenen Rechner sitze.

  4. 04

    Pah! Bald sprechen die Zigarettenautomaten!!

  5. 05

    Und was sagt die Ampel bei Grün? Kannst Du uns ja morgen Abend schicken. ;)

  6. 06
    msc

    Die Sirius-Kybernetik-Corporation ist also eine polnische Firma ;-)

  7. 07
    andre

    Die Ampel sagt: „ÅšwiatÅ‚o czerwone. Chcesz przejść, naciÅ›nij przycisk.“ (Rotes Licht. Wenn Du auf die andere Seite willst, drücke den Knopf). Bei grün müsste sie dann mit „ÅšwiatÅ‚o zielone …“ (Grünes Licht) anfangen …

  8. 08
    Fade

    Also ich find die Städteanzeige auf den Handydisplays nett, sowas gibt es bei uns noch? nicht, fände ich mal ne sinnvolle Bereicherung, über die Ampeln lässt sich ja streiten ;)

  9. 09

    Ich habe auch so einen tollen 10in1-Cardreader. Aber die Karte meines Nokias geht erst beim zehnten Versuch.

  10. 10

    Voll geil, ne? Ich hab ne Kaffeemaschine und nen Lap.

  11. 11

    Jetzt erst festgestellt, dass Spreeblick macht kaputt tatsächlich doch ganz gut auch zu diesem Artikel passt. War also wohl doch eher die Schuld von Max mitseinen Zerstörerischen Aktionen als der Web 2.0 Virus von Johnny … ;-)

  12. 12

    Na, hat sich doch gelohnt ;-)

    Erinnert mich an die „Musik-Ampel“ aus der Beyond-Episode aus Animatrix…

  13. 13

    „und mal ganz ehrlich: ohne Internet sind diese ganzen Computer doch eh nichts wert.“

    Recht hat der Mann!

  14. 14

    Und jetzt stell Dir vor, Du wohnst ein Haus weiter und diese dämliche Ampel quasselt den gaaaaaaaaaanzen Tag .. (und Nacht?) ;-)

  15. 15

    Fade: Die Städteanzeige würde einen auch immer daran erinnern, dass jemand weiß, wo man sich gerade aufhält ;-)

  16. 16
    TriIIian

    Die Städteanzeige könnte man ja noch etwas präzisieren, sodass einem immer die Zelle angezeigt wird, in der sich das Handy gerade befindet. Diese Information könnte man dann eigentlich gleich automatisch an einen Anrufer übertragen lassen und schwupp – wären 90% der U-Bahn- und Bus-Telefonate eingespart („Hallo Schatz, bin jetzt am Görli, in fünf Minuten zu Hause.“)… Naja, wenn ich mir das jetzt so überlege, haben die Netzanbieter daran wohl eher kein Interesse… höchstens bei Flatrate-Patienten;-)

  17. 17

    Trillian: So einen „Service“ gibt es schon und es ist beängstigend: http://technology.guardian.co.uk/news/story/0,,1699156,00.html

  18. 18
    Fabi

    1) Bei D2 damals gabs mal, daß die Vorwahl angezeigt wurde von dem Ort, in dem man sich grade befindet. Muß man nur noch den passenden ORt zu finden ;o)

    2) @Johnny: In Italien in Cinque Terre hab ich mich mal mit nem sprechenden Zigarettenautomaten rumquälen müssen. Das schlimmste war, daß es damals noch keine Euro gab und der Autmat partout meine Lira-Scheine nicht haben wollte.

    3) Vielleicht nicht in ganz Polen, aber zumindest in den Städten, in denen der Papst ist/war. Und ich weiß wovon ich schreibe, bin nämlich dieses Wochenende sowohl in Warschau als auch in Krakau gewesen. Keine Chance, nicht mal ein Bierchen kriegt man…Aber morgen ist alles wieder vorbei.

  19. 19
    Fabi

    Nachtrag:
    Meiner Meinung nach ist die Lebensweise in Polen schon näher an den USA dran als in Deutschland

  20. 20
    AVisioN

    Ähh Johnny, Du weisst aber bestimmt dass Zigarettenautomaten sich in Italien hübsch brav bedanken und Dir einen schönen Tag wünschen ??

  21. 21

    Wir haben in der Firma einen Zigarettenautomaten der die Uhrzeit anzeigt und sich auf Türkisch (glaube ich) bedankt.