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Ein seltsamer Tag

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Als ich heute morgen aufstand, stellte ich fest, dass sich die Welt verändert hatte. Jeder Gegenstand in meiner Umgebung schien nicht mehr an seinem gewohnten Platz zu sein, was selbstverständlich Unsinn war. Das Bett stand noch an genau jener Stelle, an der ich mich gestern Nacht zur Ruhe gebettet hatte. Der Schrank stand genauso in der Ecke, wie der Spiegel noch an der selben Stelle hing wie abends zuvor, und doch: ich konnte sie spüren. Eine winzige Verschiebung der Welt, kaum auszumachen, lies das Echo der Dinge ein klein wenig anders klingen, durch Veränderung der Positionen im Raum, und sei es auch nur um den tausendsten Teil eines Tausendstel Millimeters. Ein seltsamer Tag war angebrochen.

Benommen wankte ich ins Bad. Beim Zähneputzen, wie so oft erschreckt durch den müden und von schwarzen Ringen umrandeten Blick, versuchte ich dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Immer noch hatte ich dieses unheimliche Gefühl, die Welt sei minimal aus dem Takt geraten. Selbst der Rhythmus, in dem ich gewöhnlich die Zahnbürste an den Zahnreihen auf und ab führte, war nun ein anderer und auch die Wassertropfen aus der Duschdüse platschten mit fremden Geräuschen auf meine Haut. Das Frühstück viel wie immer recht üppig aus, ich brut meine Spiegeleier mit Speck, goß mir ein Glas Orangensaft ein, aß dazu eine Orange und einen Joghurt. Aber alles schmeckte anders, ohne dass ich sagen könnte, warum.

Dachte ich zunächst, auf dem Weg zur Arbeit würde sich, durch das alltägliche Tohuwabohu auf den Straßen verdünnt, dieses Gefühl einer entrückten Welt verflüchtigen, so war doch das Gegenteil der Fall. Die Menschen auf den Straßen gingen einen kleinen Hauch zögerlicher als sonst. Kaum wahrnehmbar hatten sie ihren Schritt verlangsamt, bewegten sich wie in Zeitlupe, nur schneller. Auch schienen andere von den Veränderungen in meiner Umgebung nicht das geringste zu bemerken. Stumm gingen sie ihren Geschäften nach oder auch redend und plappernd, wenn es ihre Geschäfte erforderten. „žDas bildest Du Dir ein, Du hast gestern einfach ein Bier zuviel getrunken“ sagte ich zu mir selbst, aber es half nicht. Es blieb dieses seltsame Gefühl in der Magengegend, das heute morgen irgendetwas ganz und gar falsch war.

Die Tatsache, dass der Zug, in dem ich in die große Stadt gefahren war, menschenleer auf den Stahlschienen vor sich hin fuhr, führte ich zurück auf den Kater, den ganz Deutschland heute morgen zu haben schien. Überhaupt war der Hauptbahnhof, an den vorangegangenen Tagen noch überfüllt mit Fußballfans aus Korea, Japan, Australien oder Mexico, heute morgen nur spärlich bevölkert. Ich begrüßte den Obstmann mit den Worten „žNa, nicht so viel los heute, wa?“, der mir ein „žJa, kein Wunder, oder?“ zurückgab. Ich nickte etwas verwundert ob der lakonischen Antwort, nahm meinen mittelgroßen Obstsalat und verabschiedete mich.

Auf dem Bahnhofsvorplatz lagen die Leichen der vergangenen Nacht. Bierdosen stapelten sich über Papptellern neben Mülltüten. Gestern hatten wir eine Riesenparty. Überall. Ich habe mitgefeiert. Nach dem erlösenden Torschuß Neuvilles in der 90. Minute waren in ganz Deutschland alle Dämme gebrochen. Selbst zuhause in meinem Kaff fuhren fahnenschwenkend die Auto-Konvois durch die Gassen und wildfremde Menschen fielen sich auf der Straße in die hochgerissenen Arme. Vielleicht war dieser vortägliche Freudentaumel der Grund, warum mir heute morgen alles so fremd und unwirklich und langsam vorkam? Vielleicht war es doch nur mein Kater? Mit diesen Gedanken spielend stieg ich, wie an jeden Morgen, in die Straßenbahn, die sich ebenfalls – man ahnt es bereits – langsamer als sonst durch die Straßen schlängelte.

Da mich zu diesem Zeitpunkt nichts mehr wunderte, fragte ich mich auch nicht, warum in der Straßenbahn auffällig wenige Menschen saßen und auch nicht, warum diese meistens den älteren Semestern zugerechnet werden konnte und auch nicht, warum die Straßenbahn heute nicht rasend und bremsend von Haltestelle zu Haltestelle hetzte, sondern gemächlich von Station zu Station fuhr. Kopfschüttelnd stieg ich an der Schwedler Straße aus und ging die letzten 200 Meter zu Fuß. Dort angekommen, schloß ich auf, betrat das Büro, ein verkatertes aber fröhliches „žGuten Morgen“ auf den Lippen, als ich die Worte verwarf und mich verwundert umsah. Es war niemand hier. Na gut, ich war vielleicht etwas früh, denn trotz der Party gestern hatte ich mich aufgerafft und war mehr als pünktlich am Arbeitsplatz eingetroffen. Meine geschätzten Kollegen sahen das scheinbar etwas anders, dachte ich und fing an, E-Mails (ebenfalls: außergewöhnlich wenige, waren denn alle Elektronen in den Leitungen verrückt geworden?) zu beantworten und traf dabei auf eine vom Chef.

Auf einmal ploppten alle Gegenstände an ihren richtigen Platz, der Rhytmus der Welt beschleunigte sich und die Welt wurde laut, belebt und bunt. Auf einmal nahm ich die Menschen war, die sich auf der Straße wieder im richtigen Takt bewegten und die Straßenbahn ruckte wie gewohnt durch die Hanauer Landstraße. Die Welt drehte sich wieder normal, der Tag war sonnig und warm und gar nicht mehr seltsam.

In der E-Mail meines Chefs stand geschrieben:

„žWie Ihr wißt, bin ich am Freitag beim Argentinien-Spiel. Wir sehen uns also erst Montag wieder. Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende und einen erholsamen Feiertag.“

Also aß ich flugs meinen Obstsalat, packte meine Tasche, fuhr wieder nach Hause und fing an zu tippen.

(Und wo und wer heute frei hat, das klären wir in den Kommentaren.)

41 Kommentare

  1. 01
    Thorsten

    Frankfurt hat frei – aber den Kopf noch voll von einer fantastischen Fussballnacht ;-)

  2. 02
    jochen

    ganz NRW, z.B.

  3. 03
    Christian

    frei? ist irgendwas?

    gruß aus Hamburg ;)

  4. 04

    beim Lesen dachte ich du läufst irgendwo in Bayern rum, hier ist Feiertag

  5. 05
  6. 06
    Heide

    Dortmund hat frei (und einen kollektiven Kater).

  7. 07

    @ mathse: ich bin in frankfurt mit restalkohol ins büro und wieder zurück gefahren.

  8. 08

    heute Feiertag in Wiesbaden Sehen sie Herr Nerdcore auch Ihnen hätte ich helfen können. ;) Oder waren sie bei den Suchanfragen schon dabei? Aber nach Wiesbaden hätten sie wohl nicht gesucht. Jedenfalls wünsch ich auch allen einen erholsamen Feiertag. Ich muß allerdings arbeiten. Küchenhuren kennen keinen Feiertag. ;)

  9. 09

    England arbeitet. Na ja, bis um 16:00, wenn sich die meisten in den Pub aufmachen werden um das Spiel (und die Wiederauferstehung Rooooooooooneys) anzusehen. Was morgen ist werden wir dann so um 18:45 wissen.

    Schottland arbeitet auch. Und auch dort werden sich so einige um kurz vor 17:00 in den Pub aufmachen. Allerdings weniger um England siegen zu sehen sondern um T&T und insbesondere (Jason) Scotland anzufeuern.

  10. 10
    marci

    „Das Frühstück viel wie immer recht üppig aus“

    Wieviel?

  11. 11

    ach so…haha…und ich wollte erst sagen: rene, du hörst zuviel radiohead.

  12. 12
  13. 13

    Frei wie sonstewas. Nach der Party gestern kein Wunder – und ich wohn in ’ner Kleinstadt, verdammt!

  14. 14

    Im katholischen Österreich ist natürlich frei :-) Und der clevere Mitarbeiter hat sich natürlich auch den Freitag frei genommen und genießt so ein schön verlängertes Wochenende.

  15. 15
    kid474

    Frei? Was ist das denn für ein Fremdwort?!

  16. 16

    Berlin arbeitet. Hmpf! Alle Anderen sind nur faul ..

  17. 17

    Hier in Schweden ist auch kein Feiertag, aber das geringe Nachrichtenaufkommen in diversen deutschen Newsfeeds ließ mich schon skeptisch werden ;-)

  18. 18

    Bremen arbeitet (oder liest Spreeblick).

  19. 19

    Tja, ich habe mich gestern auch gewundert, wie ich beim Spiel mitgefiebert habe und beim Tor gejubelt habe… Erstaunlich.

    Naja, vielleicht werde ich auch nur alt ;-))

  20. 20

    Argh. Falscher Beitrag :))

  21. 21

    Ganz Frankfurt hat frei „¦.Ganz Frankfurt? Nein! Ein unbeugsamer Selbstständiger hört nicht auf, die Tastatur zu malträtieren.

  22. 22

    Was denn bitte fürn Feiertag? Hupenrepariertag? Tag des Leberriss? Alles sehr seltsam.

  23. 23

    HMpf nicht frei …

  24. 24

    Happy Kadaver (gleicher schlechter Witz wie jedes Jahr ;-)
    Fronleichnam.

    Rheinland-Pfalz, frei :D

    (Haette mir auch nicht gut getan Gestern… ueber 24h auf den Beinen *brrr*)

  25. 25

    Do.: Frei (Feiertag)
    Fr.: Frei (Brückentag)
    Sowas ist mir aber auch schon passiert…ich hab es aber immerhin beim Schließen der Haustür bemerkt.

  26. 26
    Jens

    Hab auch vergessen, das heute Feiertag ist. Wäre ich doch gestern mal einkaufen gegangen… Hoffentlich kümmert sich der türkische Dönerverkäufer nicht um christliche Feiertage…

  27. 27

    Mittelfranken –> Frei.
    Habe heute mit meinen Eltern beim Mittagessen drüber diskutiert. Mein Vater hat während seiner Lehre einen halben Tag frei bekommen, wenn er vom Pfarrer eine Bescheinigung mitgebracht hat, dass er bei der Prozession war. Das war Flexibilität in den Betrieben… ;-)

    So, ich stell dann schonmal den Grill bereit und freu mich auf meine Steaks heute Abend.

    Grüße an alle die Arbeiten müssen
    Phil

  28. 28
    p.n.

    Bielefeld hat frei, wie der Rest NRWs, auch wenn es angeblich gar nicht existiert. Irgendwas katholisches ist heute, so viel zumindest habe ich rausbekommen, aber was, das weiß ich noch immer nicht. Fronleichnam lese ich oben. Hab ich schon mal gehört; kann ich aber nicht einordnen. Nur langweilig, das ist es schon irgendwie.

  29. 29

    Wie Thomas schon sagte: Sachsen schuftet(e) heute.

  30. 30
    Dagger

    Berlin sah sehr nach in Blau-Gelber Hand aus.

    Aber frei haben? Schön wärs…

  31. 31
    das Gnu

    México „arbeitet“ auch … Hier geht die Praty morgen um 14:00 Uhr los.

  32. 32

    @ Nilz (11): Zuviel Radiohead hören, das geht doch gar nicht!

  33. 33

    Deutschland feiert als wüssten sie, dass es nicht mehr lange etwas zu feiern gibt. Nicht frei in HB. Obwohl vom Papier her Katholik.

  34. 34

    @ rené: und ich dachte schon, das kommt gar nicht mehr…hehehe

  35. 35

    Auch Stuttgart bzw. BaWü hatte frei. Ich wäre heute morgen auch zu nichts in der Lage gewesen. Aber morgen wieder Vorlesung, also mal langsam ins Bett.

  36. 36

    ich war nur froh, das ich sowieso schon Urlaub hatte, sonst hätte ich das vielleicht auch noch vergessen! Und das mit den Feiertagen ist eh immer so ne Sache! Wieso können die eigentlich nicht einheitlich sein in Dtl.?

  37. 37

    zugegeben, mit dem beitrag selbst hat das jetzt nichts zu tun, aber….:

    ein frankfurter landsmann und nicht-berliner bloggt bei spreeblick, dem berlinerischsten aller blogs, mit? Jetzt kann ich sie aber spüren. Die winzige Verschiebung der Welt, kaum auszumachen. :-)

  38. 38

    mach doch mal diesen das Frühstück „viel“ „aus“ Rechtschreibfehler mit Tipex aus dem Artikel weg, bitte.

  39. 39

    Ich hatte irgendwie drauf gewartet :) feiner Artikel, René!

    (Die Sache mit den Feiertagen überfällt mich auch immer. Da fahren die U-Bahnen so selten, und die Läden sind zu. )

  40. 40

    @Eva
    Ja, Läden zu, weniger U-Bahnen und trotzdem Telefon-Tarife wie an nem Werktag. Hmpf!
    Zum Glück zahlt man da ja (auf dem Festnetz) eh nicht mehr viel.