Wer wie ich in einer metaphernarmen Umgebung aufgewachsen ist, freut sich schon, wenn ihm das Bild gelingt, eine WM sei wie die Besteigung eines Achttausenders. Auch wenn der größte Teil des Weges geschafft ist, wird die Luft soviel dünner, dass die letzten tausend Meter schwieriger sind als der bisherige Aufstieg. Durch das Ausscheiden Brasiliens ist dieses Bild jedoch verrutscht.
Jetzt ist die Situation vergleichbar mit der des letzten Levels bei einem Computerspiel; man hat den Endgegner vor sich, muss aber dann noch das einstürzende Gebäude verlassen. Dabei ist der Endgegner die anspruchsvollere Aufgabe, aber das Verlassen hat durchaus seine Tücken, man ist angeschlagen von dem großen Kampf, gleichzeitig euphorisiert und plötzlich heißt es you lose.
Italien ist der Gottseibeiuns des deutschen Fußballs. Technisch beschlagene Mannschaften werden in Zweikämpfe verwickelt und geschlagen, defensive Mannschaften werden mit Katapulten belagert und geschlagen. Aber eine Mannschaft, die technisch hoch gerüstet ist und ihr defensives Konzept keine Sekunde vernachlässigt, das überstieg bisher meist das Vermögen der Deutschen.
Wenn man allein die Vereine, bei denen die Argentinier angestellt sind, mit denen der Italiener vergleicht, wird deutlich, wie groß die Steigerung ist, die die deutsche Mannschaft bewältigen muss. Musste man sich in der letzten Woche mit Spielern von Villareal, Athletico Madrid und anderen Vereinen der zweiten spanischen Kategorie herumschlagen, so trifft man morgen auf die feine Auslese der Seria A. Allerdings nicht auf die allerfeinste. Luca Toni mag der erfolgreichste Stürmer der vergangenen Saison gewesen sein, aber das waren Fritz Walter jr., Klinsmanns Terzettpartner, und Ulf Kirsten auch häufig. Trotzdem standen sie in der Hierarchie immer unter Völler und Klinsmann. Die im internationalen Vergleich besten Stürmer der Seria A sind Schewtschenko und Adriano, beide schon ausgeschieden, die besten Mittelfeldspieler sind Kaka und Nedved, nicht Totti. Aber gerade das Nicht-Vorhandensein von Superstars ist das Geheimnis der aktuellen italienischen Mannschaft. Deren größter Star ist der tief in den Juventus-Skandal verstrickte Marcello Lippi.
Trotzdem spielen die Italiener weniger schematisch als die Argentinier, ausgerechnet in der Offensive sind sie einfallsreicher und durchschlagskräftiger.
Nun läge es nah Defensive mit Defensive zu beantworten, gerade in Erinnerung an jenen Abend in Florenz. Doch damals ist die deutsche Mannschaft nicht an ihrer stürmischen Herangehensweise gescheitert, sondern an einer überdurchschnittlichen Fehlerquote beim Passspiel, die die ganze Mannschaft erfasst hat und wie einen Hühnerhaufen auf Ecstasy aussehen ließ. Schon angesichts des Schicksals der Ukraine mit ihren sechs Verteidigern verbietet sich ein Ausweichen auf eine Defensivtaktik. Man geht ja auch in den Straßenkampf mit einem Boxweltmeister nicht mit Handschuhen sondern mit einem Messer.
Aber nur offensiv sein ohne den Todesstoß zu platzieren, das wäre auch blöd.
Wie macht man also ein Tor gegen Italien?
Man kann es sie selbst erledigen lassen, wie es die Amerikaner vorgemacht haben, aber auch dafür braucht man zunächst einen Eckstoß.
Lehrreich sind die Heimspiele von Bayern und Werder gegen Turin.
Dort war zu sehen, dass auch die beste Abwehr ins Taumeln gerät wie ein Ephebophiler beim Anblick von Tokio Hotel, wenn die Herrschaft über das Mittelfeld energisch errungen wird, die Außen dribbelstark in den Strafraum vordringen und über Allem der Geist schwebt:
Wir schlagen sie.
Um letzteres braucht man sich bei Klinsmanns Psychodoping keine Sorgen zu machen.
Und noch eins ist tröstlich:
Italien ist zwar der Endgegner, der stärkste verbliebene Widersacher. Aber es ist ein altes Videospiel aus den 90ern, der Gegner ist einschätzbar, die Moves und Skillz nicht State of the Art. Italien 2006 ist keine Übermannschaft wie Frankreich 2000 oder Ajax Amsterdam 1995, beides Mannschaften, für die es nur ein Gegenrezept gab: Cheats aus dem Internet besorgen.
Die Cheats kann man den Blauen mit den Schwitzeflecken an der Achsel überlassen, sollte der Schiedsrichter über keinen eigenen Telefonanschluss verfügen, dann hat Deutschland insgesamt die eindeutig besseren Karten.
eh malte, nun übertreib mal nicht. sicher sollte man auch den italienern mit dem nötigen respekt begegnen, aber was diese mannschaft bei dieser wm bisher geleistet hat, war eigentlich unter aller sau. man sollte diese grottenkicks noch einmal vor seinem geistigen auge revue passieren lassen:
ein 2:0 gegen ghana, bevor die mitbekommen hatten, dass die wm losgegangen war und sich auf die kälte in deutschland einstellen konnten; ein 1:1 gegen die fußball-zwerg-macht usa – haha – und dann noch ein 2:0 gegen völlig unterhopfte tschechen, die irgendwie keinen bock auf wm hatten.
achtelfinale gegen die aussies: no comment, da hätte man auch den 1. fc irgendwas spielen lassen können und letztlich ein 3:0 gegen die tschernobyls, denen offensichtlich der brennstoff nach der vorrunde ausgegangen war.
das einzige was mir sorgen macht, ist die erinnerung an ‘82: fetter liga-skandal in italien und eine mannschaft, die mit ihrem scheiß kattennatschioh und richtigen müllspielen weltmeister wird. allerdings: sie haben heuer keinen paolo rossi, aber wir haben lehmänn – ich freu mich schon aufs elfmeterschießen!
Sehr schön. Sowohl der Gottseibeiuns, vor allem aber der Hinweis auf die Vereine der Spieler. Auch bei der Einschätzung des Florenz-Spiels sind wir einer Meinung.
Allerdings setzt die Herrschaft über das Mittelfeld bei dieser Weltmeisterschaft (und eigentlich überhaupt) voraus, dass man den Gegner in Zweikämpfe verwickelt. Dennoch stimmt’s, wenn man die Italiener schlagen kann, dann vor allem über außen. Und mit viel Laufarbeit.
Ergänzend noch mein aktuelles Mantra: “Unterschätzt mir die Portugiesen nicht”.
@albarracino
und in welchem spiel bitteschön hat denn deutschland so richtig überzeugt?
@david:
da fallen mir mindestens vier ein.
@albarracino
ja, aber seit 1990 gerechnet.
Bittere Schweizer…tsss.
@Franz
Ja, das auch. Aber auch scharfsinniger Beobachter.
‘Tschuldigung, eigentlich wollte ich schreiben:
I smell a bitter Swiss…
Bitter ist auf deutsch wohl nicht die richtige Formulierung.