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Kill Biller

hass liebe

(Foto © dev null)

Maxim Biller konnte mit einem Adjektiv seine Gegner lähmen, mit einem Nebensatz töten, er war der Meister des in Buchstaben gehüllten Hasses.

Wie der Killer Bill in Tarantinos Film wurde er zur Strecke gebracht durch eine Frau, die er einst sehr geliebt — und dann fürchterlich verletzt hat.

Er schilderte in dem Roman Esra seine Beziehung zu dieser Frau, malte auch ihre Mutter in den schillerndsten Farben. Die Frauen erwirkten erst eine Unterlassungserklärung, dann zwei, dann drei, dann vier, schließlich wurde der Roman von der höchsten zivilrechtlichen Instanz, dem BGH, verboten.
Jetzt wollen Mutter und Tochter einen Ausgleich für die ihnen zugefügten Schmerzen.

100.000 € möchten sie vor Gericht erstreiten. Der Verlag Maxim Billers will unterdessen vor dem Bundesverfassungsgericht eine Aufhebung des Verbots erwirken.

Der Deutsche P.E.N., der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Verband deutscher Schriftsteller haben sich gegenüber dem Bundesverfassungsgericht gegen ein Verbot des Buches ausgesprochen.

Hundert prominente Figuren der Literaturszene haben einen Aufruf unterschrieben, der unter anderem in der Süddeutschen veröffentlicht wurde.

Es wäre der Ruin der Literatur, es wäre der Bankrott der Kunstfreiheit, wenn künftig jeder, der sich in einem Werk der Fiktion wiederzuerkennen glaubt, auf Schadensersatz klagte.

Das wäre in der Tat das Ende. Wer außer Stephen King und Walt Disney könnte noch Bücher veröffentlichen? Hat nicht jeder Roman Anknüpfungspunkte in der Realität? Und beschreibt nicht jeder Blogger Ereignisse aus seinem Leben?

Das Ende der Kunst also?

Und dann noch die von den im heiligen Zorn vereinigten Schriftstellern herausgestellte Absurdität des Sachverhaltes:

„Esra“ ist also verboten: Erstens, weil die Klägerinnen darin vorkommen. Und zweitens, weil sie es gar nicht sind.

Das klingt nach Kafka, verfilmt von Terry Gilliam.

Zusätzlich widersinnig erscheint die Klage der Frauen, wenn man sich vor Augen führt, dass nur wenige Menschen darauf gekommen wären, dass es sich um diese beiden handelte, hätten sie nicht geklagt, denn tatsächlich sind sie nicht so bekannt, wie sie sich wähnen. Die betroffene Schauspielerin hat im Laufe ihrer Karriere in zwei Filmen mitgewirkt.

Der Fall scheint also klar, zwei Frauen nehmen Rache an einem Schriftsteller, ihr Motiv ist Geltungssucht, die Gerichte verkennen den künstlerischen Akt und sprechen, blindwütig wie Justitia nun einmal ist, Verbote aus.

Und ist es nicht so, wie der Verfassungsrichter Dr. Stein in seiner abweichenden Meinung zu dem Mephisto-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 schrieb? Dass nämlich

die Kunst eine ihrer wichtigsten Aufgaben nicht erfüllen könnte, wenn ihr die Verwendung von Daten aus dem Persönlichkeitsbereich in allen Fällen untersagt werden würde, in denen befürchtet werden muß, daß ein Teil der Öffentlichkeit die kunstspezifische Wirkung des Kunstwerks nicht zur Kenntnis nimmt, es vielmehr einseitig an außerkünstlerischen Maßstäben mißt und auf diesem Wege zu einer negativen Einstellung der Person gegenüber gelangt, über die sie aus dem Dargestellten etwas zu erfahren meint.

Noch nie habe ich mich bei der Lektüre von Lottmann oder Stuckrad-Barre, die häufig Figuren in ihren Romanen auftauchen lassen, die die Namen von Prominenten tragen, gefragt, ob diese nun tatsächlich wie beschrieben gehandelt haben und erst recht nicht habe ich meine Meinung über diese Prominenten durch die Beschreibungen beeinflussen lassen.

Es sind Romane und wie meine Mutter immer sagte: Papier ist geduldig.
Aber dann habe ich mir die Urteilsbegründung des BGH zum Verbot durchgelesen.

Und die Geschichte sah ganz anders aus.

Biller hat Ankerplätze in der Realität geschaffen, die die Frauen unverwechselbar machen. Und dann die Personen, die nun keine Figuren mehr waren, auf eine Art entstellt, die als Motiv für den Roman nur noch eine Möglichkeit lassen: Rache.

Die Mutter der Schauspielerin ist Trägerin des alternativen Nobelpreises. Sie hat den Preis erhalten, weil sie sich gegen den Goldabbau mittels Zyanid in der Türkei eingesetzt hat. Im Roman wird geschildert, dass dieser Einsatz nur erfolgte, weil sie auf ihrem eigenen, ergaunerten Grundstück kein Gold gefunden hat.

Weder Verlag noch Autor bestreiten, dass dieser Teil der Geschichte frei erfunden ist.

Außerdem wird sie als alkoholkranke, depressive Tyrannin, die mit der Mafia paktiert, gezeichnet. Und das ist nur ein Bruchteil der ihr angedichteten negativen Eigenschaften.

Unwidersprochen entspricht auch keines dieser Details der Wahrheit.

Das tatsächlich schwerkranke Kind der ehemaligen Schauspielerin, die der Figur der Esra entspricht, wird durch die Erzählung an die Öffentlichkeit gezerrt, eine Abtreibung und intime Details werden ausgebreitet — sowohl das Bettgeflüster als auch die Abtreibung sind wiederum erfunden.

Hätte Biller ein Sachbuch über die Hintergründe des Alternativen Nobelpreises schreiben wollen — niemand hätte ihn gehindert. Hätte er aus der türkischen Schauspielerin eine norwegische Dichterin gemacht — es hätte seine Freiheit nicht beeinträchtigt. Der künstlerische Wert wäre nicht gesunken.

Einer seiner Kompromissvorschläge war, den Kampf gegen den Goldabbau mittels Zyanid in den Kampf gegen den Goldabbau mittels Bauxit umzudichten.

So laufen Scheidungsprozesse in der fünfzehnten Runde ab, nicht der Kampf um künstlerische Freiheit.

Hass ist ein viel zu selten gewordenes Element in der Kunst, Hass ist zweifellos geeignet, jedem Text eine archaische Kraft einzuhauchen, die den Büchern eines Alles-Gutfinders wie Florian Illies so sehr fehlt.

Ausgerechnet der schon erwähnte Joachim Lottmann verteidigt daher Billers Roman. Merkwürdig, dass es ihm selbst so gut gelingt, den Hass in seinen Büchern an Stellen zu platzieren, in denen keine der von ihm der Realität entnommenen Personen vorkommt.

Was das Schmerzensgeld angeht, muss sich Biller keine Sorgen machen; deutsche Gerichte haben eine geringe Neigung, erlittene seelische Qualen in Geld aufzurechnen.

Gerade wenn das die Beleidigung enthaltende Werk nicht viel länger das Licht der Welt gesehen hat als eine durchschnittliche Stubenfliege.

30 Kommentare

  1. 01

    € 100.000,–? Ist den beiden eigentlich klar, in was für Fällen ansonsten so eine Summe als Schmerzensgeld gewährt wird? Wenn man damit vor einem deutschen Gericht durchkommt, sehe ich bald die ersten die ihre Katzen in der Microwelle trocknen.

    Nein, sorry, null Verständnis von meiner Seite.

  2. 02

    ich finde den artikel toll, grossartig malte. vor allem weil ich gar nicht mitbekommen habe, wie der plötzlich die richtung wechselt…

    zur sache: ja, es ist halt irgendwie arm, wenn man sein „talent“ zur grossen abrechnung einsetzen muss, um die gekränkte eitelkeit zu stillen oder was auch immer. muss echt nicht sein.

    und dennoch: muss es sein dürfen. irgendwie. find ich. oder auch nicht. ach, ich weiss nicht…verwirrend das.

  3. 03

    hmm. dieses rufschädigungstheater und solche geschichten, sind sicherlich dinge, die tatsächlich folgen haben können für die betroffene, unschuldige(?) person. sei es in finanzieller, oder in anderer hinsicht. aber sollte man deshalb alles was in diese richtung geht sofort präventiv verbieten?
    ich behaupte mal, dass frau esra oder frau esra senior auch ohne dieses buch nicht zum neuen bondgirl avanciert wären…

    in jedem fall ein ganz gutes beispiel für die fehlende verhältnismäßigkeit im deutschen strafrecht. ich weiß es nervt, immer wieder den vergleich zur bestrafung von vergewaltigern – im speziellen bei kindesvergewaltung – herbeizuführen, aber da sind diese 100.000 euro doch sehr hoch-, bzw die bestrafung der eben genannten zu niedrig gegriffen.

  4. 04

    Im Gegensatz zu den meisten anderen, die immer gleich reflexhaft protestieren, hast du wenigstens mal nachgelesen. Danke dafür. Es fiel mir bisher schwer vorzustellen, dass jemand gegen ein Buch klagt, wenn es nur Inspirationen der eigenen Person enthält. Bzw. umgekehrt: Wieso sollte so etwas nicht schon vorher passiert sein?

  5. 05
    Gene October

    Vorweg genommen, ich kenn das Buch und die kritischen Passagen nicht. Aber es kann unter keinen Umständen sein das eine „Fiktive“ Geschichte eines Schriftstellers, der Justiz unterliegen kann. Vielleicht ist Maxim Biller mit seinem Buch zu weit gegangen, aber er muss als Schriftsteller und Künstler die Möglichkeit haben fiktive Geschichten zu publizieren. Das er sich damit evtl. als rachsüchtig und kleingeistig outet steht auf einem anderen Blatt. Wenn jeder Künstler, Journalist, Blogschreiber oder Texter sein Werk vor der Veröffentlichung erst auf solch rechtliche Konsquenzen prüfen muss verlieren wir einen grossen Teil unserer Demokratien.

  6. 06

    Ist das nicht wundervoll ?
    Endlich hat man wieder die Gelegenheit Partei für eine Seite zu ergreifen und die einzige objektive Wahrheit der Antwort auf die Frage nach dem, was künstlerische Freiheit tatsächlich ist, für sich und für alle anderen klar darzustellen und zu beantworten.

    Oder eben auch nicht.
    Sei es drum, dann hat Biller eben karikiert, persifliert und dämonisiert, durch die Scheiße gezogen und lächerlich gemacht.
    Mir stellt sich da eher die Frage, was das Gewese darum soll ?

    Es ist wie bei einem schlechten Film: wenn du ihn nicht magst, verlass das Theater oder hol dir noch ein Bier, vielleicht bessert sich dann der Film noch.
    Hätten die beiden Damen nicht geklagt, würden zum einen jetzt nicht die Verkaufszahlen von Billers anderen Büchern nach oben schnellen und zum anderen gäbe es dann auch keinen Ansporn für die beleidigten Frauen eine Klage rauszuhauen.

    Aber wenn jemand Geld mit etwas verdient, das anscheinend auf ‚Kosten‘ anderer entstanden ist, dann wittert immer jemand Kohle und Aufmerksamkeit.

    Die realen Personen hinter den Antagonisten seines Werkes mögen nicht geltungsgeil sein, jedoch erscheinen sie in dem Licht der Klage ihren ‚bösen‘ Versionen sehr viel ähnlicher als sie es sein wollen würden (was für ein Satz).

    Wäre das Buch ein Buch, das für sich beansprucht biographische Tatsachen widerzuspiegeln, dürfte man als ‚Opfer‘ durchdrehen, aber das tut es nicht.

    Klappe zu.

  7. 07

    Hat nicht Eminems Frau (oder Ex-) ihn auch verklagt und gewonnen? Wobei Eminem natürlich nicht einmal so getan hat, als wäre der Song Fiktion…

  8. 08

    Sehr netter Artikel, und volle Zustimmung von mir. Rachegefühle sind kein Motiv, das Kunst antreiben darf. Als Künstler wie als Blogger hat man eine gewisse Verantwortung, und wer diese Verantwortung verletzt, der darf sich nicht hinter Meinungs- oder Kunstfreiheit verstecken, wenn es daran geht, die Folgen zu tragen.

  9. 09
    wtf

    Johnny: Werte Kim ist wieder mit Eminem zusammen.

    Simon: Soso, Kunst darf also aus gewissen Dingen heraus nicht entstehen. Mit anderen Worten darf Kunst also nicht frei und ohne Regeln sein.

    Auch nicht schlecht. Ist eine Meinung.

  10. 10
    heidrun

    wtf: kunst darf natürlich aus allem möglichen heraus entstehen. ich glaube nicht, dass simon das bestreiten täte.
    ich denke nur, dass er recht hat, dass sich einer, dem es nur ums öffentliche waschen schmutziger wäsche geht, nicht hinter dem argument verstecken dürfen sollte, das sei ja alles kunst. dass er wichtige fakten in seinem roman nicht verändert hat, obwohl es diesem als literarischem werk nicht geschadet hätte, sagt jawohl alles.
    biller ist ja eh nicht glücklich, wenn er nicht über andere herziehen oder über israel reden kann. ich halte ihn für untalentiert, gehässig und neidvoll, und das habe ich schon zu „tempo“- und „zeit magazin“-zeiten getan. der typ ist für mich eine absolute hassfigur.

  11. 11
    heidrun

    … aber das mit der schmerzensgeldforderung halte ich trotzdem für komplett überzogen.

  12. 12

    Heidrun, wie bei Schönheit ist Kunst eine Frage danach, wen man fragt.

    Wer ein Buch füllen kann, das dann auch noch gelesen wird, hat zumindest (noch) mehr Talent als ich.
    Wenn Biller untalentiert ist, will ich gar nicht wissen, wie weit links vom Nullpunkt Ergüße meiner Marke zu finden sind.. falls man nach diesen überhaupt sucht :lach:

    Zu dem was Simon schrieb: scheiß schwer zu sagen, wie er verstanden werden wollte. Zwei Leute verstehen alleine schon ein einziges Kommentar auf zwei sehr verschiedene Weisen.

    Bei einem Buch muss die Menge an Meinungen schrecklich groß sein.

  13. 13
    matze

    malte, hast recht, Kunst muß frei sein, aber Hass ist billig.

    Herr Biller hat sich halt an seiner Ex gerächt und die rächt sich nu an ihm. Anders isses nicht.
    Und er will nich die Welt dran teilhaben lassen? Das ist Literaten Big Brother.

    Außerdem soll eine Autor nicht nur über sich schreiben, wir Leser sind schließlich keine Psychiater – naja wir sollten es nicht sein.
    Aber allzu viele sind leider Voyeure.

  14. 14

    quote wtf: „Es ist wie bei einem schlechten Film: wenn du ihn nicht magst, verlass das Theater oder hol dir noch ein Bier, vielleicht bessert sich dann der Film noch.“

    der vergleich, das ganze sei wie mit einem schlechten film, hinkt in meinen augen.
    überzeichnen wir die geschichte beispielsweise ma folgendermaßen: ein sog. „künstler“ ermordet seine ehemalige lebensabschnittsgefährtin, und richtet sie anschließend derart her, dass sie wie die mona lisa ausschaut. – das ganze geschieht natürlich ohne jegliche rachegedanken, sondern lediglich im namen der freien kunst. bla, blubb, schließlich gibt es ja auch in diesem fall immer noch einige zuschauer, die eben dies als künstlerisch wertvoll empfinden.

    aber: sollen deshalb alle anderen aus dem theater verschwinden, sich nen bier holen und wegsehen?

    also auch wenn ichs grundsätzlich oke finde dass sich die beiden frauen da son bissl echauffieren, will ich relativierend aber auch noch ma bemerken wie überzogen trotzdem diese schadensersatzforderung is…

  15. 15

    Ja, das sollten sie in dieser überzeichneten Situation. Wie auch alle Menschen, die Musik zu hören bekommen, die sie nicht mögen, irgendwann den Platz räumen werden, so werden sich Menschen auch nicht mit Dingen umgeben oder befassen wollen, die für sie keine Kunst darstellen.

    Hinweis an alle anderen: wir befinden uns gerade in einer überzeichneten und fiktiven Geschichte. Wer mir jetzt mit ‚Mord ist strafbar‘ kommt, hat da bei dem Wort ‚Freiheit‘ einiges missverstanden.

    Ich könnte dir, Euter, auch die Frage stellen, ob es Sinn macht sich über etwas zu ereifern, das sich dem eigenen Verständnis für Kunst verschließt ?
    Die meisten Leute gehen an Büchern und Werken einfach vorbei, die sie nicht interessieren.

    Also, pf. Für machne sind auch Splatterfilme Kunst, für andere nicht. Entweder wir sind frei in unsere Werken.. oder eben nicht.
    Da gibt es kein Teils- Teils. Leider.

  16. 16
    heidrun

    es gibt da einen ganz guten satz, von dem ich leider vergessen habe, welcher kluge mensch ihn gesagt hat, ich glaube, es war benjamin:
    „ein schrei ist kein gedicht“. das ist mein maßstab, den ich an kunst anlege. hat jemand etwas verarbeitet, macht er seinen gedanken deutlich, hat er überhaupt etwas dabei gedacht, will er in kommunikation mit seinem/n rezipienten treten oder ging es ihm nur um „so geht es mir, so fühle ich mich, das will ich jetzt direkt einfach mal sagen.“. das ist nämlich befindlichkeitskacke und selbstbespiegelung. das macht biller in allem, was ich bisher von ihm gelesen habe. langweilig. bzw. ärgerlich. aber „esra“ hab ich nicht gelesen, wie wahrscheinlich keiner hier :-)
    „Wer ein Buch füllen kann, das dann auch noch gelesen wird, hat zumindest (noch) mehr Talent als ich.“ – glaubst du? die bildzeitung wird auch von vielen gelesen, „crazy“ von alexa von hennig-von lange (die ich ja amliebsten mit biller auf eine einsame insel verbannen würde), war auch ein riesenerfolg, trotzdem ein scheissbuch. die massen können recht haben, müssen aber nicht. ich finde es quatsch zu sagen, wenn etwas von vielen gut gefunden wird, dann muss es ja ganz ok sein. das ist dieses dieter-bohlen-argument. ich finde, es wird mehr polemik gebraucht, sonst gibt das so ne einheitssoße.

  17. 17
    Malte

    Es geht nicht darum, ob Billers Buch Kunst ist, das ist es ohne Frage. Und so sieht es auch das Gericht: Der beanstandete Roman fällt in den Schutzbreich dieses Grundrechts, denn er ist das Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung, in dem Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien des Autors in literarischer Form zum Ausdruck kommen.
    Das ist die Definition, die das BverG geprägt hat, der BGH hat die Schablone auf Billers Buch gelegt und sie hat gepasst.
    Es geht hier um die tiefgreifende Persönlichkeitsverletzung, die durch diesen Roman begangen wurde. Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit müssen in diesem Fall gegeneinander abgewogen werden, keines dieser Grundrechte genießt von vornherein einen Vorrang. Man hätte leicht zu einem Modus Vivendi finden können, der so ausgesehen hätte, dass die Personen des Romans ausreichend verfremdet worden wären. Dies ist nicht geschehen, so blieb nur das Verbot.

  18. 18
    heidrun

    malte: vom bgh lass ich mir nicht erzählen, was kunst ist :-)
    ansonsten stimm ich dir voll und ganz zu.

  19. 19

    Nur, weil hier so viel diskutiert wird, wie ich denn verstanden werden wollte ;-): Ich denke, dass Kunst natürlich nicht frei und ohne Regeln sein darf. Wie jede Form von Freiheit findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen in den Rechten anderer. Das ist ein allgemeiner Rechtssatz und imho nicht diskutabel.

    Anders sieht das mit der Frage aus, woraus Kunst entstehen darf: Da dreht es sich nur noch um meine persönliche Meinung. Ich denke, auch aus der Perspektive von jemandem heraus, der selbst Kunst macht, dass Rachegefühle ein schlechter Ansporn sind. Einerseits ist Kunst nun einmal Gegenwartsreflektion, und als solche kann auch kein Aspekt ausgeklammert werden – auch nicht so „negative“ Emotionen wie Hass oder Rachedurst. Andererseits denke ich, trägt man als Künstler, insbesondere als einer, der auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, eine gewisse Verantwortung. Kunst ist kein reiner Ego-Trip, sondern sie strahlt nach außen, hat Effekt auf andere Personen. Kunst, die von Rache angetrieben wird, läuft leicht Gefahr, zur Waffe zu werden. Und das muss dann wirklich nicht sein.

  20. 20

    Was machen eigentlich Menschen, über die nicht-authorisierte Biografien geschrieben werden (z.B. Harald Schmidt)? Offiziel ignorieren.
    Folgenes Szenario: Biller veröffentlicht im nächsten Jahr die Überarbeitung „des wohl umstrittesten Buches 2006“. Rumms! Geld!
    Zensur bleibt schädlich. Für die Kunst. Zumal wenn gerichtlich verfügt. Für die einzelnen Menschen bedeutet sie aber manchmal auch eine Entlastung (Caroline-Urteil etc.)
    Trotzdem mag ich den Biller. Emotionen sind gut und Rache nicht immer verwerflich. :)

  21. 21
    Malte

    Harald Schmidt müsste nur einer großen überregionalen Zeitung seiner Wahl ein Interview geben und seine Sicht der Dinge vekünden. Prompt hätte er einen größeren Leserkreis erreicht als eine gänzlich unbekannte Biografin es mit einer zusammenfantasierten Biografie jemals könnte. Das ist hier ja gerade das Problem: Die Frauen hatten nicht die geringste Chance, ihre Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen, keine der beiden ist Schriftstellerin, Waffengleichheit besteht nicht.
    Von Zensur kann hier gar keine Rede sein, es geht lediglich um die Durchsetzung eines Unterlassungsanspruches.

  22. 22

    Ich denke, über die Definition von „Zensur“ kann man auf jeden Fall streiten. Was der aktuelle Fall mit Zensur gemeinsam hat, ist, dass hier von staatlicher Seite eine Veröffentlichung verhindert hat – Denn der Staat untersagt hier das Verkaufen des Buches, nicht die beiden geschädigten Frauen. Dass es sich bei der unterdrückten Information nicht um politische Inhalte handelt sondern um Kunst persönliche Beleidigungen, ist meines Erachtens irrelevant.

    Wer nun denkt, dass Zensur in Deutschland grundsätzlich unzulässig ist, der sei an dieser Stelle auf Art. 5 Abs. 2 GG verwiesen: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

  23. 23
    jo

    OT:
    ab in die ecke malte! bah, stuckrad-barre lesen. und das auch noch mehrfach. gibt das nicht ausschlag? retina fäule? lobus knoten? wo soll das noch enden. nachher fängt hier noch jemand an kaminer zu zitieren….

  24. 24

    da auch ich männer, frauen, hunde aus meiner umgebung in geschichten präsentiere (wen sonst?), finde ich das urteil oberdoof. selbst wenn jemand einen ganzen roman als retourkutsche abfasst, na und? soll er doch. muss man doch nicht lesen, den scheiss.

  25. 25
    heidrun

    also, der vergleich von stucki mit kaminer hinkt jawohl. soo schlecht ist der kaminer auch nicht :-)

  26. 26
    Malte

    Kaminer ist mir zu nett. (Ja, ich weiß: Seltsamer Vorwurf in dem Kontext. Aber man kann böse sein, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.)Habe mal den Fehler gemacht, ein Buch von dem mit in den Urlaub zu nehmen – musste dann jeden Tag eine Stunde laufen, um die Süddeutsche zu bekommen, irgendetwas Bedrucktes brauchen meine nervösen Augen nämlich.

  27. 27
    heidrun

    mir ist kaminer auch zu nett, aber ich find ihn nicht so anstrengend wie stuckrad-barre. der hat mal in einem interview gesagt: „wenn man die begriffe ’stuckrad-barre‘ und ‚arschloch‘ googelt, kriegt man über soundsoviel treffer.“ fremdschämen deluxe! wie kann man so doof sein! der wird mit der henning von lange und dem biller auf die einsame insel gesteckt, wenn ichs mir recht überlege.

  28. 28

    Kunst muß frei sein; eine Zensur von oben ist ein kulturelles Armutszeugnis. Ich halte es, wie Kurt Tucholsky in seinem Pamphlet „Kunst und Zensur“ concludiert: Eine Zensur darf allenfalls durch das Rezeptionsverhalten des Publikums stattfinden, nicht aber durch den Staat. Ich akzeptiere, wenn ein Autor in der Gunst seiner Leser fällt, weil diese annehmen, er hätte mit seinem Roman irgendwelche Rachegelüste befriedigen wollen und deshalb davon Abstand nehmen, seine Bücher weiterhin zu kaufen. Ich akzeptiere nicht, dass der Staat dies für mich und alle Mitbürger entscheidet. Ich fühle mich durch Zensur, ob Vor- oder Nachzensur, als Künstler beraubt und als Bürger entmüdigt.