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TRAINER

Mein Lieblings-Trainer war der Ekki. Der war schwer in Ordnung. Er nahm uns Jungs ernst, und er war jung. Gerade mal zehn Jahre älter als wir. Wenn überhaupt.
Ich erinnere mich an ein Spiel in der A-Jugend.
Es war am Ende der Saison und es ging um alles oder nichts. Aufstieg in die Niederrheinliga, wo Mannschaften wie Fortuna Düsseldorf und Mönchengladbach warteten, oder ein weiteres Jahr gegen die Sportfreunde Witzhelden.
Mitaufstiegskonkurrent war der Sport-Club Reusrath, der kurioserweise einen weiblichen Trainer hatte, die hagere Frau Zimmermann. Sie sah aus wie eines ihrer Hühner, die sie im Holzverschlag hinter dem Aschenplatz hielt. Wenn wir zum Auswärtsspiel nach Reusrath fuhren, in der üblichen Wagen-Kolonne, krähte und gackerte es aus allen Seitenfenstern.

Ekki nahm mich vor dem Aufstiegs-Match beiseite.
Ich sollte nicht nur die Nummer 10 des Gegners mattsetzen, sondern auch das eigene Spiel ankurbeln.
“Trainer”, sagte ich, “das schaff ich nicht.”
Zwar hatte er mich im Laufe seiner Amtszeit schon vom Sturm ins Mittelfeld zurückbeordert, was überraschenderweise gut funktionierte, doch dem Spielmacher der gegnerischen Mannschaft auf den Füßen stehen UND den Ball verteilen?
“Glummi”, sagte er, “du machst das.”

Das Spiel endete unentschieden, was uns nicht weiterbrachte. Wir hätten gewinnen müssen, um aufzusteigen. Dennoch war es das Spiel meines Lebens, an diesem Nachmittag. Ich rannte mir die Lunge aus dem Leib, ich verteilte die Pille wie eine ehrgeizige Stationsschwester, ich riss das Trikot mit der gegnerischen Nummer 10 in kleine Bröckchen und schnippte es noch ins Aus, als die Hühner in ihrem Verschlag schon den Aufstieg feierten.

Ohne dass Ekki je ein Wort darüber verloren hätte, er war Manager eines renommierten Solinger Unternehmens.
Kurz nach seinem fünfzigsten Geburtstag fiel er in der Kantine tot vom Stuhl. Einfach so.
Das Herz.
Ich war auf seiner Beerdigung, drei oder vier Jahre ist das her, an einem sehr blauen Frühlingstag. Ein Schwarm Kraniche zog über den Parkfriedhof und ich fragte mich ernsthaft, warum niemand “Hintermann!” ruft, wenn der Tod so plötzlich kommt.

Vor Ekki gab es zwei weitere Trainer, die Herren Becker und Klinkenmann.
Alfredo Becker trainierte uns von der E- bis zur C-Jugend. Er war der Typ Trainer, wie es ihn damals, in den späten Sechzigern, frühen Siebzigern, zuhauf gab: stramme Plauze, Kippe im Hals, Trinkernase. In seinem Fall kam noch eine schwere Gesichts-Akne dazu, als hätte man ihm in der Jugend eine Ladung Schrot verpasst, aus nächster Nähe.
Meist stand Alfredo Becker am Spielfeldrand und kratzte sich den Bauch.
“Duca, du fauler Hund, lauf!”
Mario Duca war unser freundlicher kleiner Italiener, dem ich viele Jahre später die erste Begegnung mit der Gräfin verdankte. Er sah ein bisschen so aus wie Honore de Balzac, wenn Honore de Balzac Mario Duca geheissen hätte.
“Duca, fauler Hund! Lauf!”
Mehr ist nicht geblieben von Alfredo Becker, einem Trainer von altem Schrot im Gesicht.

Dann war da noch der Klinkenmann. Er hat uns nur eine Saison lang gecoacht. Ein Volltrottel vor dem Herren. Von nichts eine Ahnung, aber immer am Plappern. Bei Heimspielen lief er nervös hinterm Tor auf und ab, ein grosser Mann, bestimmt zwei Meter gross, und der Wind brutzelte sein dünnes Haar zu einer Sturmfrisur hoch, die er verzweifelt in den Griff zu bekommen versuchte, er drückte sich das Haar platt bis zur nächsten Böe.
“Kommt heiss aus der Sahara!” plapperte er dann in den Wind und niemand hörte hin.
Als Geschäftsmann sorgte er nicht nur dafür, dass sein hüftsteifer Sohn Achim als Vorstopper einen Stammplatz genoss, er schusterte ihm sogar Berufungen in die Niederrheinauswahl zu. Alles nur Beziehungen.
Am Wochenende fuhr Klinkenmann mit Sohn und Frau gerne auf die Königsallee nach Düsseldorf. Da saßen sie dann zwischen all den Bonzen und Schickimickis herum und furzten vorstädtisch ins Gestühl.

Irgendwann in den Neunzigern hab ich beide wiedergesehen, Vater und Sohn, in einem schäbigen Kiosk am Stadtrand, den sie gerade übernommen hatten.
Das war ihnen so peinlich, sie taten so, als hätten sie mich nicht wiedererkannt. Ich liess mir eine schöne Tüte Süssigkeiten zusammenstellen. Für einen Heiermann. Aber nur süss-sauer. Keine Lakritze.
“Das schmiert von innen”, lachte ich.

2 Kommentare

  1. 01

    Wann wird Sönke Wortmann deine Erinnerungen verfilmen?

  2. 02
    karlzwo

    So komplett ohne “ich-schreib-eine-tolle-selbsterlebte-oder-vielleicht-auch erfundene-Geschichte”-Flausen. Sauber. Schön.