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Let’s rock again

joe strummer
(Hinten links: Joe Strummer. Vorne rechts: Joe Strummers Tennissocken)

Endlich konnte ich ihn sehen: „Let’s rock again“, Dick Rudes Dokumentation über Joe Strummer, gedreht in den Monaten vor Strummers Tod.

The biggest sin is to bore people.

So Joe Strummer in einem der vielen Interview-Takes der DVD, und beinahe hätte ich Dick Rude den Vorwurf dieser Sünde gemacht. Denn „Let’s rock again“ ist kein filmisches Meisterwerk und zu oft hat der Clash- und Strummer-Fan die Zitate gesehen, gelesen und gehört, die im Film auftauchen.

Doch nach der guten Stunde, die der Hauptfilm dauert, und ganz besonders nach dem Sichten der DVD-Extras wurde mir bewusst, dass es im Film nicht in erster Linie um Strummers Worte, sondern vielmehr um sein Handeln geht. Während Strummer mit stoischer Ruhe, Gelassenheit und Professionalität Zeit für alle Fans findet, Fotos machen lässt, Kleinphilosophien von sich gibt und damit dem bekannten Bild des alten Clash-Heroen entspricht, manifestiert sich zwischen den Zeilen und Bildern die wahre Aussage über den Mann, der als Kopf des End-70er Punkrocks gilt und die der Regisseur in einer Publikumsbefragung während eines New Yorker Screenings mit den Worten zusammenfasst:

„He was such a sweetheart.“

Wenn man Strummer dabei beobachtet, wie er, der als Teil einer musikalischen Revolution mit The Clash Platin-Alben veröffentlicht, höchst erfolgreich durch die ganze Welt getourt und das Leben nicht weniger Menschen beeinflusst (wenn nicht gar verändert) hat, bei einer Radiostation klingelt und um Einlass bittet um für die Mescaleros-Show am gleichen Abend Reklame machen zu dürfen, wenn man Zeuge wird wie er diesen Einlass erst erhält, nachdem er erwähnt, dass er mal bei The Clash gespielt hat, wenn man sieht, mit welcher Hingabe der Mann, der es alles schon gesehen hat, wieder von vorn beginnt und handgemalte Flyer auf der Straße verteilt… dann könnte das tragisch sein.

Ist es aber nicht.

Denn während andere Alt-Stars wahlweise mit meist peinlichen Neuauflagen ihrer früheren Bands touren um im Ruhm der vergangenen Zeiten baden zu können, erklärt Strummer das Hier und Jetzt zur Chefsache, sorgt sich um die Moral seiner jungen Band im Falle des Scheiterns der aktuellen Platte und hat vor allem ganz offenichtlich einen Heidenspaß bei seiner aktuellen Arbeit.

Wie gerne hätte ich etwas mehr erfahren über Strummers Leben zwischen The Clash und den Mescaleros, über seine Familie, über sein Verhältnis zu den alten Clash-Mitgliedern. Doch mit etwas Abstand rechne ich es Dick Rude hoch an, dass seine Doku mir mitteilt: Das geht dich nichts an und darum geht es hier nicht.

Der Film ist eine Momentaufnahme und steht ebenso in der damaligen Gegenwart wie es sein Hauptprotagonist tat, und er erfüllt damit die Aufgabe einer Dokumentation. Er ist weder sentimentaler Rückblick noch rührseliger Nachruf sondern zeigt freundschaftlich, respektvoll und auch mit Augenzwinkern den liebenswerten Menschen und leidenschaftlichen Performer, der Joe Strummer war.

Wer die Clash-Historie nachholen will, der greift am besten auf Don Letts‘ hervorragende Dokumentation „Westway to the world“ zurück. Wer jedoch wissen will, wie ein Rockstar aussieht, den der ehemalige Erfolg nicht zu einem Arschloch gemacht hat, dem sei „Let’s rock again“ ans Herz gelegt.

(Die beiden DVD-Links führen zu amazon, bei Kauf bekommt Spreeblick was ab)

9 Kommentare

  1. 01

    tolle kritik – etwas das beinahe langweilig genannt wurde will ich jetzt doch unbedingt sehen ;-)

    sicherlich auch deshalb weil es sehr beruhigend ist wenn leute, welche ihren „erfolgspeak“ schon hinter sich habe, dem leben immer noch alles abgewinnen koennen – so klingt das jedenfalls in der kritik

  2. 02

    Ja, so ist es auch. Es ist die menschliche Normalität und die bleibende Leidenschaft für Musik, die beeindruckt. Und natürlich die absolute Grandiosität von Strummers‘ Live-Präsenz, denn es sind auch viele Live-Mitschnitte zu sehen, was ich vielleicht noch hätte erwähnen sollen…

  3. 03
    Christian

    es macht immer wieder freude artikel zu lesen, die einen helden des verfassers behandeln. schon weil diese artikel nicht so eklig objektiv sind und weil man merkt, dass der schreiberling weiss wovon er redet/schreibt!

  4. 04
    Sebastian Sachse

    … und wer sich langweilen will, guckt sich Rude Boy an ;-)

  5. 05

    Ach komm, die Live-Mitschnitte in Rude Boy sind doch grandios! :)

  6. 06
    Stefan

    Und wer die Historie der Band nachholen will UND den Menschen Strummer wie aber auch die Menschen Jones/Headon/… kennenlernen möchte:

    Passion is a fashion von Pat Gilbert

    Die mit Abstand beste Clash-Bio, noch nicht auf Deutsch erschienen. Sehr persönlich&sehr lesenswert.

  7. 07

    Jau! Tolles Buch.

  8. 08

    Igitt, das Stinkesockenfoto ist ja eklig – aber als Punk darf man das… Zum Glück gibt es auch noch andere Rockstars, die nicht zum Arschloch mutiert sind und sogar noch leben. Ich denke da an Ray Davies (nochmal von der Schippe gesprungen) oder auch an Neil Young (zu dessen patriotischen Schlingerkurs sage ich mal lieber nichts). Egal, meine Lieblingsplatte von Joe Strummer ist und bleibt: The 101ers – ELGIN AVENUE BREAKDOWN.

  9. 09

    @Sebastian.
    Oliver meint:
    Ich protestiere!