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Schiedsrichter

[Disclaimer: Dies ist ein Klagelied, eine traurige Jeremiade auf den einsamsten Mann auf dem Platz, auf den vielverachteten, verpönten Aussätzigen des Spiels: den Schiedsrichter. Es wird in diesem Beitrag unter anderem darum gehen, nicht nur das traurige Schicksal der Einsamkeit und Verlassenheit des Schiedsrichters zu beweinen, zu beklagen und zu beschluchzen, sondern auch dem Verb einen überproportionalen Platz im Satzgefüge einzuräumen. Freunde des sachlichen Wortes sei geraten, die Lektüre an dieser Stelle abzubrechen und an anderem Ort weiterzulesen. Ich ergieße mich hier jetzt nämlich.]


Die Rede vom „Sündenbock“ rührt von einer alten jüdischen Tradition her, die besagt, dass – sollte ein Stamm sich in eine unbehagliche Situation gebracht haben oder Jehova den Stamm zu strafen wollen scheint – ein Bock mit allen Sünden der Gemeinschaft beladen in die Wüste zu schicken sei. Ungefähr, wie es alle Beteiligten einer Mannschaft fordern, wenn sie nach Niederlagen auf den Schiedsrichter zu sprechen kommen. Auch ich hatte zu meiner aktiven Zeit wenig Sympathien für die Männer in Schwarz, bis ich mich selbst einmal in die Lage versetzt sah, mir ein schwarzes Jersey überzuwerfen, die Pfeife in die Hand zu nehmen und – aber hört selbst:

Es ist in der Berliner Freizeitliga Usus, dass jeder Spieler jedes Vereins pro Saison ein Spiel pfeift. Dies war mir ebensowenig bewusst wie der Umstand, dass in unserer Mannschaft der Spielführer die Schiedsrichtereinteilung übernommen hatte. Ansonsten hätte ich es für keine gute Idee gehalten, ihn gleich im ersten Training drei Mal zu tunneln, was er mir nicht nur über Wochen nicht verzeihen wollte, sondern auch seinem Unmut lange Zeit durch grimmiges Minenspiel und spitze Bemerkungen Ausdruck zu verleihen suchte. Meine Versuche, bei Bier und nettem Plausch Versöhnung zu stiften, scheiterten regelmäßig, was ich dem Umstand zu verdanken hatte, dass er, der Spielführer, als brasilianischstämmiger Einwanderer ein Privileg auf das Tunneln gelten machen zu dürfen glaubte (4 Verben!).
Jedenfalls fand er nach Wochen die passende Gelegenheit, mir meine unbedachte Unverschämtheit aufs grausamste und mit Zinsenszins heimzuzahlen. Mit den Worten „Du pfeifst am Sonntag, zehn Uhr früh“ klopfte er mir die Schultern und griente schelmisch in mein Gesicht.

Am nächsten Sonntag stand ich leicht verkatert noch immer herb alkoholisiert, aber pünklich auf dem Feld. Mein Lampenfieber erhöhte sich nicht unwesentlich, als ich die Namen der Kontrahenten in meinen eigens mitgebrachten Notizblock eintrug: Bosporus Tigers gegen Cameroon Power. Ich sah den beiden Mannschaften beim Aufwärmen zu, und eine Welle Testosteron schwappte über den Platz. Plötzlich fühlte ich mich sehr klein, sehr verletzlich, und am liebsten wäre ich zurück in Mamas Unterleib gekrochen. Aber hey! Man muss ja auch was zu erzählen haben im Leben.
Dennoch möchte ich gerne darauf verzichten, die folgenden 90 Minuten direkt zu erzählen, und bitte deswegen den imaginären Fussballreporter, nennen wir ihn Blökmann, hier das Spiel schriftlich aufzuzeichnen, unter besonderer Berücksichtigung des Referees.

(10:00) Anpfiff. Der Schiedsrichter steht im Mittelkreis. Er macht nicht den Eindruck, denselben verlassen zu wollen. Vielleicht sollte ihm jemand einen Korbstuhl und Kaffe bringen.

(10:03) Der Schiedsrichter pfeift einen unberechtigten Elfmeter für die Bosporus Tigers. Unglücklicherweise spricht er französisch, und versteht deswegen die Hasstiraden, Schmährufe und Morddrohungen der Kameruner bis ins Detail.

(10:06) 1:0 für die Tigers.

(10:10) Der Schiedsrichter steht zum wiederholten Male dermaßen ungünstig, dass ihn ein sprintender Spieler über den Haufen rennt und ausknockt. Der Kapitän der Tigers beginnt ihn anzuzählen.

(10:27) Der Schiedsrichter hat bei einem seiner rar gesäten Versuche, das Spielfeld zu überqueren, seine Pfeife verloren. Alle Spieler helfen mit suchen.

(10:35) 1:1 aus stark abseitsverdächtiger Position. Glücklicherweise versteht der Schiedsrichter kein Türkisch und befindet sich somit nicht in der aussichtslosen Lage, kraft seines Kopfes die Ehre seiner Mutter verteidigen zu müssen.

(10:40) Der Schiedsrichter pfeift zur Halbzeit, sucht die Tankstelle auf der anderen Strassenseite auf und genehmigt sich zur Kräftigung einen drei Jägermeister.

(11:00) Anpfiff zur zweiten Halbzeit. Der Schiedsrichter torkelt leicht.

(11:09) Ein wundervoller Freistosstreffer aus 28 Metern sollte eigentlich die erneute Führung für die Tigers bedeuten. Unglücklicherweise hat der Schiedsrichter den Ball noch nicht freigegeben, so dass der Freistoss wiederholt werden muss. Unglücklicherweise für den Schiedsrichter.

(11:27) Ein rüdes Foul an der Mittellinie. Rudelbildung. Der Schiedsrichter versucht sich als Friedenstruppe. Bis ihm der Kapitän der Kameruner Mannschaft ins Gesicht schreit: „Du hälst hier eh erstmal die Fresse, Du Opfer!“

(11:32) Das Rudel entrudelt sich. Glimplicher Ausgang, zumal nur drei Spieler bluten.

(11:33) Revanchefoul. Rudelbildung. Siehe oben.

(11:39) Revanchefoul. Rudelbildung. Siehe oben.

(11:42) Der Schiedsrichter schleicht sich zum Ausgang des Sportplatzes, pfeift kurz entschlossen das Spiel ab und flüchtet durch die Tür, auf die Strasse, springt in ein Taxi und sagt zum Taxifahrer: „Please, far far away.“

Ende der Übertragung. Es gibt Momente, in denen man sich nicht schämt, sich zu fühlen wie Wumbu. Ich hatte mir im Anschluss an jenes Spiel mehrmals überlegt, auszuwandern, da ich als Neuköllner immer befürchten musste, gewissen Spielern auf einem unschuldigen Einkaufsbummel zu begegnen. In die Diaspora gehen. Wieder so ein alter jüdischer Brauch.

Meinen Spielführer zu tunneln habe ich trotz seiner X-Beine nie mehr gewagt. Und Schiedsrichter beschimpfe ich seither auch nur mehr mit angezogener Handbremse. Die armen Kerle.

Keine Kommentare

  1. 01
    tylerdurden

    ich spiele in der TU Uni-Liga, allerdings noch nich lange, und deshalb weiss ich garnich, wie das im freizeitfussball im vergleich zu „richtigem“ fussball aussieht. darf der schiri karten verteilen? wenn ja, is man nach ner roten karte auch gesperrt? weil wenn dem so wäre, hätte der schiri ja ne wesentlich unantastbarere position. scheinbar ist dem nicht so.

  2. 02

    Weiß nicht, wie das inner TU-Liga geregelt. Normalerweise gibt’s nur 5 Minuten Strafen und Platzverweise, keine Karten. Gesperrt wird man nicht, wär ja auch albern, kann ja keiner überprüfen. Aber wenn eine Mannschaft häufiger auffällig wird, kann’s zu Punktabzügen kommen bis zum Ausschluss aus dem laufenden Spielbetrieb.

    Als Schiedsrichter biste die ärmste Sau aufm Platz und kannst nur hoffen, dass keine der Mannschaften Lust hat, sich zu prügeln. Wenn’s körperlich wird, hat jeder Spieler 10 andere Freunde, der Schiedsrichter genau zwei: Seine Beine. Zum Weglaufen.

  3. 03

    schiri, wir wissen wo dein auto steht … yippieh! weisste, was noch toller ist? wenn der schiri ´ne frau ist, und die soll dann den 22 typen auf´m platz ansagen was geht. bibiana steinhaus zum beispiel, die is´eine, die das kann.