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Eine Frage des Preises

Ich verstehe das nicht. Ich verstehe das wirklich nicht. Seit drei Monaten zerbreche ich mir den Kopf darüber, was so toll an der Premier League ist. Warum alle die Premier League großartig, grandios und überhaupt megasuperfabelhaft finden. Und alle ganz neidisch sind, dass hier in Deutschland nicht Fußball gespielt wird wie in der Premier League. Nur ich nicht. Und so langsam stelle ich mir die Frage, ob ich entweder unfassbar dämlich bin, um all die Vorzüge der Premier League nicht zu begreifen, oder unfassbar miesepetrig, weil ich immer nur die blöden Nachteile sehe, oder einfach viel zu sehr französisch fühle, um irgendeine Sache englischer Provenienz gut zu finden (außer Punk und Monty Pythons).

Ist denn die totale Dominanz vierer Clubs kein Libidokiller erster Güte? Findet sich das Geld für Eintrittspreise von um die sechzig Euro den in jedermanns Portokasse? Bin ich denn als einziger der Meinung, dass beispielsweise Liverpool von der Anlage her den gleichen Fußball spielt wie Cottbus, nur eben siebenundzwanzig Etagen höher? Ist der englische Fußball denn qualitativ soviel besser?

Ich habe diese Saison einige wenige PL- und FA-Cup-Spiele gesehen, an keines kann ich mich gut erinnern, weil keines mich für den englischen Fußball entflammen hat lassen. Und dass hinterher nicht Herr Krapinski von den masurischen Seen, sondern Didier Drogba, der Weltstar, sinnlose Sätze ins Reporter-Mikrofon geleiert hat, hat mich nicht interessiert. Dafür war die Entäuschung viel größer, kein mördermäßiges Spitzenspiel der Extraklasse, keine Fußballoffenbarung erlebt zu haben.

An ein Spiel kann ich mich noch sehr gut erinnern, an das CL-Halbfinale. Chelsea-Liverpool, das Hinspiel. Das war ein Grottenkick auf extrem hohem Niveau. Kein Esprit, keine überraschenden Momente, kein Zauber – nichts. Nur Taktik, Disziplin, vermaledeites Preußentum. Es war, als säße ich in einem Sternerestaurant, und der gereichte boeuf bourguignon munde mir nicht, weil viel zu zäh. Und der kredenzte Burgunder passe auch nicht so wirklich, weil zu kalt. Da kommt man sich schnell als Nörgler vor, vor allem, wenn man ansonsten nur Bratwurst mit Pommes rot-weiß isst und dazu Sternburger trinkt. Trotzdem blieb ich bei meiner Meinung, sagte mir: Hier kommste nicht mehr her, und hab am nächsten CL-Spieltag schön für die WG gekocht. (Für Detailverliebte: Nudeln mit Tomatensoße gabs. Is auch mal ganz lecker.)

Deswegen habe ich mit Vergnügen einen Artikel im Observer wahrgenommen, der den englischen Lesern die Bundesliga als Utopia präsentiert:

Imagine a football fan’s utopia, where supporters decide ticket prices and who sits on the board; where players travel hundreds of miles to visit their fans and mingle with them at training; where supporters debate the finances of the club with the chairman and contribute to the design of their stadium.

Na gut, es geht um Schalke, den ewigen Verlierer. So wie die Bundesliga international als der ewige Verlierer dargestellt wird. (Ewigkeiten sind im Fußball ja immer sehr knapp bemessen, gefühlte drei Jahre ungefähr.) Trotzdem ist mir die Bundesliga ungleich sympathischer als die englische PL. Wenn es nur darum geht, ein paar mehr Stars in der Sportsschau Müll reden zu hören, dann ist mir persönlich der Preis zu hoch. Da ess ich lieber Bratwurst. Und finde noch nicht mal, dass sie schlechter schmeckt.

Keine Kommentare

  1. 01

    hm, einerseits und andererseits, wa?!

    schon schön, seinen verein finanziell saniert zu wissen, international zu spielen, fernsehgelder mitzunehmen und nicht nur zu testspielen mal dortmunds erste oder die bayern sehen. sensationell auch immer wieder dieses foto mit Raul, Ronaldo, Beckham, Figo und Zidane, und alle in den weißen trikots von real madrid.

    wenn ich´s mir aber aussuchen kann, ist mir ein stehplatz für sechsfünfzig „an der alten försterei“ lieber. Und david bergner ist mir allemal näher als david beckham.

    ist aber sicher so´ne grundsätzliche frage: warum gehst´n Du zum fußball?

  2. 02

    Weil’s Spass macht, 22 Leuten zuzuschauen, die auf einem grünen Rechteck einem weißen Ding hinterherrennen und erst damit aufhören, wenn der schwarze Mann pfeift. Und wegen lecker Bratwurst natürlich :).
    Oder um slber dem weißen Ding hinterherzujagen.

  3. 03

    Bei mir ist es genau andersherum. Ich habe mich mit dieser Saison endgültig in die Premier League verliebt, die Bundesliga läuft nur nebenher. Nicht jedes Spiel in England ist ein Knaller, ohne Frage. Doch habe ich nur selten ein Spiel gesehen, das Larifari dahinplätscherte Premier-League-Spiele sind fast immer eines: intensiv bis auf die Knochen, es gibt richtig was aus der Abendkasse.

    Dazu kommt: Es wird fast nie geschwalbt, selten gemeckert und noch seltener sich am Boden gewälzt. Ich habe einfach keine Lust mehr auf Kicker mit Balkannamensendungen, die sich über den Rasen wälzen, als hätte ihnen eine Mafia-Abordnung gerade die Brust mit MG-Kugel gesiebt. Oder Kicker, die den Gegner erst umsensen, dass das Schienbein bricht und dann fünf Minuten lang über eine gelbe Karte diskutieren, die der Schiri sowieso nicht zurücknehmen wird.

    Und schließlich: die Stimmung. Keine Arschloch-Wichser-Hurensohn-Beschimpfungen, stattdessen chorale Gesänge und absolute Unterstützung der eigenen Mannschaft. Und deshalb ist mir Bolton lieber als Wolfsburg und Sheffield lieber als Bochum. Und am allerliebsten ist mir der zaubernde Kindergarten von Arsenal.

  4. 04

    ich bin übers fußball-fotografieren zum fußball-kucken gekommen. die dicke berta und das oly find ich einfach nicht lustig, und wenn Du fotografierst, ist ein kleines, schmusiges fußballstadion schlicht besser geeignet als ein leichtathletikstadion.

    es gibt so zwei arten von spielen für mich: die zum ankucken, weil ich einfach mal was schönes sehen will, augen erholen und so – und da reicht mir dann aber fernsehen oder feuermelder; und dann gibt´s die, wo ich zwingend hingehen muss – egal, wie schlimm sie sind. Solche, wo nie ein Ball ankommt, oder wo ein stürmer komisch kuckt, weil der als flanke gemeinte ball plötzlich im tor zappelt. ich finde das lebensnäher, wirklicher und menschlicher. bißchen wie auf´m dorf wohnen: Du kennst die in Deinem block einfach alle. naja, und das mit der bratwurst – das kommt noch dazu :)

  5. 05

    Den einen Punkt kann ich verstehen: Wenn ich sterbende Schwäne sehen will, gehe auch ich lieber in die Oper, und schlechtes Schauspiel hat noch nicht mal im Vorabendprogramm von RTL seine Berechtigung. Da könnten sich die BL-Kicker schon mal an der PL orientieren. Wobei die ja nicht moralisch gefestigter sind, sondern nach der Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode vom englischen Publikum erzogen wurden.
    Was die Stimmung anbelangt – Vorsicht, Informationen aus fünfter Hand, ich war noch nie in einem englischen Stadion – hab ich Gegenteiliges gehört. Die sei schon lange nicht mehr so gut wie früher, weswegen sich auch Initiativen zur Wiedereinführung der Stehplätze gegründet haben.
    Als Momentaufnahme regt sich in mir leises Verständnis für eine Sympathieumschichtung nach England. Sehr leises. Die Bedenken überwiegen (und das Gefühl ist einfach nicht da). Langfristig glaube ich, dass die Entwicklungen – Privatinvestoren, Starkult, Abgrenzung von Publikum und Fankultur – dem Fußball nicht guttun.

  6. 06

    Da gabs doch auch vor einiger Zeit mal einen 11Freunde-Artikel zu. Von wegem „gelobten Land“ und das das nicht unbedingt so sei.
    Ansonsten ist diese englische attitude einfach geil. Ich für meinen Teil freuhe mich kindisch, wenn ich sehe das Fussball auch ohne Schwalben und meckern geht. Aber ich find da habens wir in der Bundesliga noch gut. Man werfe nur mal einen Blick gen Süden.

    Das einzige was mich zur Zeit an der Bundesliga stört ist, dass es manchmal Spieltage gibt wo kein wirklich schönes Tor fällt. Nur rummgekicke, Hühnerhaufen und der Ball ist drinn. Obs in England aber besser ist kann ich nicht sagen, dafür fehlt mir der Überblick.

  7. 07

    „This. Is. Anfield.“
    (lange vor der Premier League)

  8. 08

    Wer hat Euch denn den Quatsch erzaehlt dass es in der Premier League keine Schwalben gibt und nicht gemeckert wird?

    Die machen sich hier jetzt noch ueber Klinsmann lustig weil der so leicht hinfiel. Drogba hat(te) einen extrem schlechten Ruf als Schwalbenkoenig. Mourinho meckert eigentlich jeden Tag ueber die Schiedsrichter und wie schlecht sie doch Chelsea behandeln. Diverse Spieler (Keane hat da mal sehr nett ueber die Lachsschnittchenfans oder so aehnlich gemeckert) und auch die Radiokommentatoren aergern sich regelmaessig ueber die Luxusfans in den Lounges die 10 Minuten vor Spielende aufbrechen um nicht im Stau zu stehen.