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Zaunlos glücklich

bush.JPG
Abfotografiert von PHOENIX

Mein allergrößtes Problem ist, dass ich nicht über Wasser laufen kann. Daraus resultieren alle anderen Probleme. Zum Beispiel meine schwankende Haltung zur Frage, welche Protestformen richtig sind.

Was legal ist, steht nun fest. Kilometer entfernt vom Zaun, hinter dem die Regierungschefs gefangen sind, darf friedlich vor sich hin demonstriert werden. Nur wem soll man dort etwas demonstrieren? Gibt es dort wenigstens Heidschnucken? Kann von einer Durchsetzung des Demonstrationsrechts nicht erst gesprochen werden, wenn der Zaun fällt wie einst die Mauer?

Der Fall der Mauer war das prägendste politische Ereignis meiner Generation. Friedlicher Protest, Massenflucht und wohl auch der wirtschaftliche Zusammenbruch der DDR ermöglichten ihn. Die globalisierungskritische Bewegung aber erhielt ihren Schwung erst durch die Battle of Seattle.

Wenn ich mich durch das Fernsehprogramm quäle, das ebenso plätschernd vor sich hin sendet, wie die Demonstranten demonstrieren sollen, seine Soaps und Talkshows unter das Volk bringt, wird deutlich: Proteste können so fantasievoll sein wie von André Heller auf LSD entworfen, so charmant wie ein Badetag mit Audrey Tautou – dem Fernsehen ist das egal.

Ich teile vermutlich nicht einmal die politischen Ziele der meisten Demonstranten. Ich konnte sie nicht alle fragen. Aber dass sie ihren Protest denjenigen mitteilen können, die es angeht, ist wesentliches Merkmal des Wettstreits der Ideen, der eine Demokratie ausmacht.

Erst wenn George Bush schreien muss, damit er das Getöse übertönen kann, hat der Protest eine Stimme. Die Gewalt, die am Samstag dumm war, könnte heute klug sein (Wohlgemerkt: Gewalt gegen einen Zaun, nicht gegen Menschen in Uniform, darüber ist auch nicht zu diskutieren).

Könnte sie nicht?
Ich kaufe mir jetzt Schwimmflügelchen.

27 Kommentare

  1. 01
    leo

    Die Tage dachte ich genau das gleiche: Was ist das Demonstrationsrecht wert, wenn mit aller Gewalt versucht wird, zu verhindern, dass die Verantwortlichen die Proteste wahrnehmen. Ich kann mich irren, aber ich meine früher ging es Sicherheitsleuten primär darum, dass Leib und Leben von Politikern geschützt wird, aber hier scheint es um eine völlige Abschirmung zu gehen.
    Ich habe heute am Rande einen Fetzen aus den Pro7-News aufgeschnappt, der in etwa so klang (nicht der genaue Wortlaut):

    „Das unfassbare geschah – Demonstranten gelangten bis zum Zaun. Nahezu in Sichtweite zum Gipfel.“

    Wozu wird eigentlich so ein unsäglich teurer Zaun gebaut, wenn er schlussendlich nicht einmal die Gelegenheit haben soll, zu verhindern, dass die Linie auf der er steht übertreten werden kann?

  2. 02

    @leo: Genial und richtig deine abschließnde Frage…

  3. 03

    Ein Badetag mit Audrey Tautou … hm .. das klingt sehr sehr sehr lecker :-)

  4. 04

    Wenn statt 2000 (?) 80.000 Menschen Steine geschmissen und statt fünf stattliche 200 Autos gebrannt hätten (ja ja, ich weiß….), wären ruckzuck 80.000 Leute am Zaun gewesen. Und das hätte mit Sicherheit weitere 80.000 Menschen agezogen. Und DAS wäre laut geworden.

  5. 05
  6. 06
    leo

    * gelöscht war der falsche Artikel :) *

  7. 07
    Manuel

    Abruf ;-)

  8. 08
    Malte

    @ raucherblog
    aufruf?

  9. 09

    Ich schließe mich dem Fanclub von Audrey Tautou an (wir sind nun zu Dritt). Und die Zäune mag ich sowieso nicht.

    Aber jetzt im Ernst: die Ideen, die hinter dem G8-Gipfel stecken, sind so abstrakt und amorph, so undefinierbar… Und die Gastgeberin und ihre Gäste sind in Wirklichkeit so machtlos, dass außer dem Zaun als Symbol keine weiteren Angriffsziele zur Verfügung stehen. Um nicht missverstanden zu werden: die Einwände der Demonstranten gegen die Praktiken der globalisierten Wirtschaft sind durchaus gerechtfertigt, und das Primat der Ökonomie über das Wohlbefinden der Menschen ist eindeutig falsch, aber das Sich-Im-Recht-Fühlen reicht nicht angesichts der Realität. Vor allem aber: die Mächtigen hinter dem Zaun sind genauso Getriebene wie wir – bloß auf einem anderen Niveau. Das Gipfeltreffen ist eine Show, die zwangsläufig alle Proteste gegen sich selbst zur Show machen lässt. Das Problem der Macht kann sowieso nur über die Wahlen entschieden werden, und das ist gut so. Lieber eine 20-30-40-jährige Evolution, als hecktisches Handeln unter Druck. Erziehung der Politiker im für manche enttäuschenden Tempo bringt mehr. Ich behaupte das als einer, der Erfahrung mit anderen politischen Systemen hat. Konsens zwischen Millionen abgezweckter Egoismen ist der bessere Weg, als radikaler Umschwung im Namen einer Ideologie, selbst wenn diese verspricht, viele Leute glücklich zu machen. Zwischen einem Projekt und seiner Realisierung treffen wir immer wieder auf den schwachen Glied der Kette – den Menschen. Wir können uns nicht über ihn hinwegsetzen.

    Das Spektakel im Heiligendamm ist ein Witz, obwohl diese sieben Männer und die eine Frau ihre Ernsthaftigkeit behaupten. Den Protestlern scheint es auch ernst zu sein. Hm…

    Übrigens, ein schönes Pop-Art Video der weißrussischen Band Lyapis Trubetskoy, das gerade die Hit-Paraden in Russland stürmt:
    http://vision.rambler.ru/users/lyapistrubetskoy/1/1/

    Es passt irgendwie:

    In der Linken ein „Snickers“,
    In der rechten Hand – „Mars“
    Mein PR-Manager ist
    Karl Marx

  10. 10

    Ich habe einen grossen Teil meiner Gedanken zu dem Thema schon beim Suppeneintrag hingeschrieben. Aber einen Teil davon will ich hier noch einmal aufgreifen an einem Deiner Punkte:

    Erst wenn George Bush schreien muss, damit er das Getöse übertönen kann, hat der Protest eine Stimme. Die Gewalt, die am Samstag dumm war, könnte heute klug sein

    Ist das wirklich kluge Gewalt? Ist den Gegner niederzubruellen wirklich klug? Welcher Gegner wird sich durch niederbruellen ueberzeugen lassen? Ein schwacher Gegner vielleicht (der Bush bestimmt nicht ist) und selbst wenn, wird man dann nicht selber zum Bully, zu etwas ueber das man sich bei anderen beschwert?

    Neuraum bringt es schoen auf den Punkt:

    Lieber eine 20-30-40-jährige Evolution, als hektisches Handeln unter Druck. Erziehung der Politiker im für manche enttäuschenden Tempo bringt mehr.

    Das kann ich unterschreiben und habe mir vorgenommen dies im kleinen fuer mich wieder mal zu tun. Meine Abgeordneten und Kandidaten anzuschreiben. Oder bei Gelegenheit sogar anzusprechen. Manchmal antworten die sogar und vielleicht habe ich dadurch einen Gedankenprozess bei einem Politiker in Bewegung gesetzt

  11. 11
    riot!

    «Sie haben dich im

    Beton geboren und heut beklagen

    sie sich, dass du Betonkind

    Steine an den Händen hast.»

  12. 12
    Jayzon

    Meine Meinung -> siehe „Daniel Rosenthal verhaftet“ #12
    ansonsten:
    Zum Badetag wäre ich auch dabei, fantastische Idee ;-)

  13. 13

    Proteste können so fantasievoll sein wie von André Heller auf LSD entworfen, so charmant wie ein Badetag mit Audrey Tautou – dem Fernsehen ist das egal.

    Tagesschau von gestern, zweiter Themenblock:
    http://www.tagesschau.de/sendungen/0,,OID6883650_VID6884122,00.html

    Spaziergänge über Felder, Straßen und Schienen be-setzen, unterm Wasserwerfer duschen – wie früher bei Freund Castor. Das ist doch sympathisch und kriegt prominente Sendezeit im Ersten. Könnte schlimmer sein, oder?

  14. 14

    Malte, Dir kann geholfen werden. Auch bei Deinem allergrössten Problem:

    http://trampofoil.com/
    oder hier:
    http://www.human-powered-hydrofoils.com/

    Schwimmflügel brauchst Du trotzdem.

  15. 15
    Peter H aus B

    Kindergarten.

  16. 16

    Vorsicht!
    Da kommt ein Erwachsener.

  17. 17

    In Rostock wurde auch so demonstriert:
    http://www.youtube.com/watch?v=zvcjl_ndjIU

    Die „Loveparade“ wurde organisiert von der „Hedonistischen Internationale“:
    http://www.hedonist-international.org/

  18. 18
    Malte

    @ kornecke
    aber doch unter der überschrift: „demonstranten drangen in sicherheitszone ein“. sitzblockaden zum beispiel stellen eine nötigung dar.

  19. 19

    > Erst wenn George Bush schreien muss, damit er das Getöse übertönen kann,
    > hat der Protest eine Stimme.

    Da bin ich aber entschieden anderer Meinung!

    Getöse und Geschrei ist für mich kein „Wettstreit der Ideen“. Die ganzen G8-Proteste kann man meiner Ansicht nach auch leider knicken, weil es sich in Nebenschauplätzen und Meta-Diskussionen ergießt. Oder welche konkreten Kritikpunkte am hießigen G8 Arbeitsprogramm gibt es? Welche Kritikpunkte der Demonstranten finden einen Widerhall in den Medien? Denn die Generierung von Aufmerksamkeit ist ja eigentlich die Aufgabe einer Demo! A la „Hundertausend Ärzte haben heute in Buxtehude gegen Gesundheitsreform xyz demonstriert. Sie sagen XYZ ist schlecht, weil etcl und so blabla“. Stattdessen geht es jetzt um Metadiskussionen wie Polizeiaufgebot, den Schwarzen Block und Gewalt.

    In der Online-Welt wären das nichts anderes als Trolle: Angela-girl redet in ihrem Podcast über „Klimawandel und Energieeffizienz“ und begrüßt den Neuling Sarkozy, Tony Blair setzt in seinem Blog einen Trackback, George Bush schreibt einen zurückhaltenden Kommentar und dann trudeln durch die Blog-Charts Tausende Leser die ein die sich beschweren, dass sie gegen Irakkrieg und die böse Globalisierung sind und auch mal was sagen wollen. Einige versuchen sogar eine DDoS Attacke, weil der Protest erst dann eine Stimme hat, wenn die Webseite nicht mehr läd.

    Hinkender Vergleich ja, aber die Bannmeile um Parlamente und Verfassungsgericht hat auch ihre Berechtigung. Ich weiß das ihr euch alle solidarisiert mit den Demonstranten, teils weil ihr selbst in Rostock wart, teils weil man sich bei einer Berichterstattung/Kommentierung eben für eine Seite entscheiden muss. Aber ein Gipfeltreffen demokratisch gewählter Regierungen mit Getöse übertönen zu wollen, so sehr man einzelne Vertreter nicht mag, kanns ja wohl auch nicht sein.

  20. 20
    leo

    „Aber ein Gipfeltreffen demokratisch gewählter Regierungen mit Getöse übertönen zu wollen, so sehr man einzelne Vertreter nicht mag, kanns ja wohl auch nicht sein.“

    Nun ja, es kann schon mal sein, dass ein Arbeitgeber etwas lauter wird, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht gut macht.

  21. 21

    Nun ja, es kann schon mal sein, dass ein Arbeitgeber etwas lauter wird, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht gut macht.

    Dann ist das aber ein schlechter Arbeitgeber. Ein guter Arbeitgeber trainiert seine Arbeitnehmer und hilft ihnen ihre Arbeit gut zu erledigen indem er ihnen eine angenehme Arbeitsumgebung schafft.

  22. 22
    leo

    Ich kann mir da nichts vorwerfen. Ich investiere eine Menge Geld in die Arbeit unserer Politiker. Deren Arbeitsumgebung ist weitaus grosszügiger gestaltet als mein eigener Arbeitsplatz. Sie bekommen mehr Geld als ich und ihnen stehen derzeit Heerscharen von Beratern in Clownskostümen zur Verfügung. Darüber hinaus habe ich stets ein offenes Ohr für meine Vertreter, für den Fall, dass sie mal wo nicht weiterkommen oder gewisses Know How fehlt. Wenn aber alle diese Massnahmen nicht fruchten, dann ist es doch fairer eine deutliche (etwas lautere) Warnung auszusprechen, als sofort zu kündigen.

  23. 23

    Wenn die Arbeitgeber allerdings langfristig mit den Leistungen der Arbeitnehmer unzufrieden sind, verstehe ich nicht, wieso sie dann die Arbeitnehmer nicht im Rahmen der geltenden Kuendigungsfristen entlassen und durch besser qualifizierte und geeignete Kandidaten ersetzen?

  24. 24
    leo

    Das verstehe ich auch nicht. :)

  25. 25

    Meine Wahrnehmung als Demoteilnehmer der Solar-Drums-Gruppe:
    in Rostock am 02.06.07

    Die Stimmung und Atmosphäre im Demozug (Einer von Zweien)
    vom Sammelpunkt Hamburgerstr/Reutershagen
    war ausgesprochen freundlich, friedlich und hat mir viel Spass und Freude bereitet.

    Nirgends um uns herum war eine Spur von Gewalt oder Zerstörung zu erleben!!!

    Polizeimannschaften habe ich während des Demonstrationweges nicht gesehen, erst am Rostockerhafen, dort dann allerdings massiv.
    Der über dem Hafen schwebende Hubschrauber, die immer wieder im Laufschritt auftretenden Polizeitrupps in Kampfschutzausrüstung verbreiteten eine unangenehme aggressive Stimmung.

    Insgesamt überwiegen bei mir die entspannten, friedlichen Eindrücke
    der Aktionen von Solar-Drums und anderen Teilnehmern des Demozuges
    und des Camps am Schlachthof.

    Dank auch an Isabel von Greenpeace-Hamburg für ihre Arbeit im Camp und
    die CAMP AG für die hervorragende Organisation des Camps am Grenzschlachthof.

    http://www.picasaweb.google.de/woschanova => Bilder & Video aus Rostock