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Geht’s noch?

Ich könnte jetzt umständlich einen Bezug zwischen Rechtsextremismus und Fußball herbeikonstruieren. Ich könnte behaupten, dass es jetzt, während der Sommerpause, auch mal an der Zeit sei, über „Fußball und Gesellschaft“ zu reden. Ich könnte das ganze stilistisch sauber mit einem Trikolon einleiten, das nicht zwanghaft zusammenkonstruiert daherkommt.

Tu ich aber nicht. Ich habe mich gestern Abend sehr erschrocken, als ich die Kommentare bei Stefan Niggemeier gelesen habe. Stefan Niggemeier hat einen Eintrag verfasst, der auf fremdenfeindliche und menschenverachtende Kommentare unter diesem Welt-Artikel hinweist, der vom Nazi-Überfall auf einen indisch-stämmigen Studenten in Dresden handelt.

Was sich danach in den Kommentaren abspielt, spottet jeder Beschreibung. Die übrige Diskussion handelt keineswegs davon, inwiefern und wann und wo Rechtsextremismus in Deutschland in den etablierten Medien geduldet wird, oder ob und wie in Deutschland der Rechtsextremismus salonfähig geworden ist, sondern davon,

dass sich viele ausländische Jugendliche wirklich sehr scheiße benehmen können, wenn sie in der Gruppe zusammen sind. (#3)

Sowas nennt man einen Reflexbiss. Kaum sagt man „rechte Gewalt“, schon heißt es „aber die Ausländer“. Wenn ich über sagen wir eine Vergewaltigung schreibe, schreit keiner schreien höchstens geistig komplett Verwirrte: aber die Frauen. Die provozieren das ja. In den Worten des hochverehrten Herrn Niggemeiers: Geht’s noch?

Ich weiß gerade überhaupt nicht, was ich schlimmer finden soll: Die Tatsache, dass auf der Welt-Seite nach wie vor fremdenfeindliche und menschenverachtende Kommentare stehen. Oder die Tatsache, dass jetzt bei Stefan Niggemeier Kommentare stehen, die sich wie eine Verteidigung für Fremdenfeindlichkeit und Menschenverachtung lesen.

Keine Kommentare

  1. 01
    dear

    „nach dem 2ten Weltkrieg (…) als wir uns aber durch UNSERE EIGENE KRAFT aus der Scheisse gerettet haben.“

    Den Marshall Plan mit samt den Milliarden und die benoetigen Arbeitskraefte in den 50ern haben wir wohl irgendwo unter den Truemmern gefunden.

  2. 02
    heffernan666

    alles mal wieder nur laberrhabarber! ausländerfeindlichkeit an allen ecken und enden! und immer wieder wird bezug genommen auf „sachen die ich selbst erlebt habe“!!! im fussball und darum gehts doch hier oder??? hat dieser scheiss nichts zu suchen! da sind wir uns doch alle einig? das fragezeichen geht nur an die unbelehrbaren!!! wir wollen fussball und sonst gar nichts!! bleibt locker!!

  3. 03
    Samuel

    Stimmt schon Aber trotzdem:

    „Dass sich viele ausländische Jugendliche wirklich sehr scheiße benehmen können, wenn sie in der Gruppe zusammen sind. (#3)“

    sagt der Junge der zumindest behauptet selber zur Hälfte Türksch-stämmig zu sein. Und er hat doch nicht mal unrecht. Natürlich ist rechtsradikalismus ein Problem, das man diskutieren sollte. Aber jeglicher Angriff auf Menschen, die man als Ausländer in der Presse verkaufen kann, wird groß aufgeblasen, die immer stärker werdende Kriminalität unter Menschen mit Migrationshintergrund (wobei viele den gar nicht haben, die Jungs sind längst integriert, siehe Hip-Hop Stil arke deutscher Vollspacken) in den kurz gemeldet Spalten verschwindet. Damit es nicht so aussieht als würde sich die DEUTSCHE Presse über Kriminalität von Seiten der AUSLÄNDER (und wie wir mit denen verfahren weiß man im Ausland schließlich) beschwert.Wir sind keine azis mehr. Alle zugewanderten Menschen benehmen sich ordentlich und wir müssen nur die bösen Altlasten bekämpfen. Dabei tun sich bekloppte Glaten und aggressive Hopper „Ausländer“ teilweise wirklich nix, was kriminelle Energie und Gewaltpotential angeht. Das dieser Angriff im Bus eine andere Geschichte ist, ist natürlich klar.

  4. 04

    @ heffernan666: Ja, stimmt schon. Keine Angst, das bleibt auch in Zukunft ein Fußballblog.
    @ Samuel: Also erstens tut das (fast) überhaupt nichts zur Sache, woher jemand stammt, wenn man sich zu Rassismus etc äußert. Ich sag ja auch nicht: Ich bin Franzose, ich darf das jetzt so und so sagen.
    Und wenn man über Rechtsradikalismus sprechen muss, dann sind doch solche Übergriffe der Anlass. Das Problem ist, dass man nicht über Rechtsradikalismus spricht, sobald in den Diskussionen sofort gesagt wird: Aber die Ausländer.
    Dass der Vergleich zwischen einer sehr gefestigten nationalen Struktur, die gezielt Aktionen in die Wege zu leiten in der Lage ist, national befreite Zonen schafft, halb in der Legalität, halb in der Illegalität agiert und einer höheren Logik folgt (als den Rechtsradikalen), und der Jugendkriminalität einzelner Gruppen egal welcher ethnischer Herkunft auf beiden Beinen hinkt, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.

  5. 05
    Samuel

    Das sage ich ja auch gar nicht. Ud man muss auch nicht jeden Rechtsradikalen Übergriff mit dem Kommentar „Aber die Ausländer…“ abtun. ch sage, bloß, dass hier zulande aus jedem Übergriff, den man irgendwie ins Rechtsradikale Schema pressen kann, eine mittlere Staatskrise gemacht wird, während die immer stärker werdende Jugendkriminalität die in allen ethnischen Kreisen wild um sich greift, immer wieder heruntergespielt wird…

  6. 06

    Sogar da würde ich widersprechen. Ich hab das lange Zeit ähnlich gesehen, als ich im Westen gewohnt habe. Aber seit ich in Berlin bin, und ziemlich viel mit Leuten aussem Osten zu tun hab, hat sich meine Einstellung dazu stark geändert. Was die aus ihren Heimatdörfern erzählen, davon hab ich zuvor höchstens in 23:30-3sat-dokus gehört. Dann hab ich mal angefangen, mich ein bißchen darüber zu informieren, und siehe da: von den meisten rassistischen Übergriffen hört man noch nicht mal was.
    Und das mit der Staatskrise erklärt sich für mich so: Organisierte, systematische Gewalt ist halt sehr viel gefährlicher, als eher zufällige Übergriffe von Jugendbanden. Schon klar, wenn man im konkreten Fall jemand verprügelt wird, isses eigentlich egal, wer das war. Trotzdem bleibt inner Gesellschaft organisierter Terror viel bedrohlicher.

  7. 07
    Samuel

    Organisierter Terror ist auch bedrohlicher. Nur sind die meisten rechtsradikalen Übergriffe in letzter Zeit alles andere als organisierter Terror. Glaubst du, dieser Angriff im Bus war organisiert? Das war eine Affektaktion von ein par vermutlich besoffenen Hirntoten, die auf irgend wen losgehen wollten.
    Und da finde ich es nicht weniger bedenklich, sondern eher schlimmer, wenn ein paar Jugendliche, die ein Mädchen drei Tage lang in einer Wohnung festhalten, vergewaltigen und quälen (Ich schätze mal du hast den Fall mitbekommen) am Ende einen symbolischen Tag Jugendhaft, so wie ein Rehabilitierungscamp irgendwo in Spanien und Sozialstunden aufgebrummt bekommen. Weil die Täter-Opfer Parteien aber nicht streng unterteilt waren, sondern deutsch und kurdisch „gemischt“, ist das ganze ziemlich schnell aus den Medien wieder verschwunden.

  8. 08

    Einzelne Fälle zu vergleichen finde ich immer schwierig. Da kann man dann immer noch einen draufpacken. Aber es gibt eine Nazi-Infrastruktur, eine (wenn auch heterogene) Gruppe, und das ist auf jeden Fall ein Unterschied. Organisation heißt ja nicht, dass da einer sitzt und sagt: So läuft’s.
    Ich hab den Fall nicht mitbekommen, und kann auch gar nichts darüber sagen. Aber wenn in Diskussionen darüber der Satz: „Aber die Nazi-Schläger…“ aufgetaucht wäre, hätte ich das für genauso grundfalsch empfunden, wie umgekehrt.