Die aktuelle Lieblingsbeschäftigung meines acht Monate alten Sohnes ist das Einreißen von Bauklotz-Türmen. Ich staple die bunten Steinchen kunst- und liebevoll, er schmeißt sie um. Im Minutentakt. Ohne Unterlass.
Er lernt dadurch — so heißt es — Grundprinzipien wie Ursache und Wirkung und bekommt angeblich eine Art Anschauungsunterricht in Sachen Schwerkraft.
Fast Forward ins Jahr 2020: Mein Sohn, mittlerweile 13, schlägt mich zum 140. Mal in einem futuristischen Autorennen. Danach fährt er seinen 80. Kantersieg in Folge ein; in FIFA21. Ich werde fluchen, er wird sich langweilen.
Es wird so kommen, ich weiß es.
Ich werde mich dagegen zu wehren versuchen, ganz klar. Ich werde es auf neue Controller schieben, auf meine schwindende Sehstärke, auf die mir fehlende Zeit zum Üben.
Es wird nichts daran ändern. Er wird mir Vorsprung geben, mich auf halber Strecke überholen und mir davonfahren. Er wird sich eine Halbzeit lang aufs Verteidigen konzentrieren und mich trotzdem mit 8:0 nach Hause schicken. Seine Finger werden mehr als doppelt so schnell über die Tasten fliegen, und seine Reaktionszeiten werden nur Bruchteile meiner eigenen betragen.
So in etwa:
Hinterher wird er mir dann erklären, wie ich mit meinem neuen HoloPhone 3D-Scans machen kann, und weil ich mich trotz allem etwas dämlich anstelle, wird er lachen und sowas sagen wie: »Wirst alt, he?«
Er wird mir in allen technischen Belangen so restlos überlegen sein, dass ich mir grundsätzlich vorkommen werde wie aus der Steinzeit. Während er bereits über »Intu-Aktivität«, »Paratasking« und »neo-generische Benutzerführung« sinnieren wird, werde ich ganz profan über immer noch miserabel übersetzten Handbüchern brüten.
»Klicken Sie den besten Schalter.«
Es wird scheinen, als sei ihm all das in die Wiege gelegt worden, während ich mir alles mühsam erarbeiten musste und weiterhin muss. Und das verrückteste: Es stimmt.
Mein Sohn wächst auf inmitten technischer Wunderwerke, an die sich meine Generation erst hat gewöhnen müssen. Mein erster Computer war ein C64, und ich kann mich noch daran erinnern, wie ich bei meinen Großeltern vorm Fernseher saß und meinem Opa zeigen wollte, was man »damit alles anstellen kann«.
Farbbalken. Simons‘ Basic.
Unsere Kinder sehen den »Brotkasten« maximal im Museum und erfahren ihn als Folklore. »Oh, Papa erzählt wieder vom Krieg«, so in etwa. All die in Erfüllung gegangenen Science-Fiction-Prognosen — Plasma-Bildschirme, Video-Konferenzen, drahtlose Datenübertragung usw. — sind alltägliche Selbstverständlichkeiten, an die sie sich nicht mal »herantasten« müssen. Sie sind umgeben davon, leben und spielen davor und damit.
Meine ersten Gehversuche am Klavier sind nicht dokumentiert (besser so). Die meines Sohnes habe ich auf MP3. Ich habe nicht etwa eine Kamera draufgehalten oder so; sein Klavier ist ein drei Oktaven umfassendes MIDI-Keyboard, angeschlossen an einen iMac. Er setzt sich daran, haut sprichwörtlich in die Tasten, ich klicke auf »Aufnahme«.
Ich habe keine Ahnung, wie das sein Verhältnis zu Instrumenten und/oder zum Musikmachen beeinflussen wird, aber eines weiß ich: Er spielt, er lernt. Ursache, Wirkung, Krach machen. Mal schauen, wann er die erste Gitarre zerdeppert.
Vor allem aber muss ich schauen, wie ich mit ihm Schritt halten kann; ich habe mir daher für die Zukunft drei Ziele gesetzt:
Erstens: Was auch immer sich mein Sohn zu Weihnachten wünscht, sei es ein »Visitrack« oder eine »SonTendo 720« — ich muss jeweils wissen, was genau das ist und was es macht.
Zweitens: Ich muss in mindestens einem Videospiel auf lange Sicht besser bleiben als er; hoffentlich in FIFA.
Drittens: Ich sollte in Browserfragen am Ball bleiben…