(Foto: bullish1974 — »Megaphone«)
»Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
hier spricht Ihr Bürgermeister. Oder… ich sollte wohl besser sagen… der Mann, den Sie für Ihren Bürgermeister halten.
Es ist sicher billig, wenn ich behaupte, ich sei das Opfer einer Verwechslung, denn obwohl in meinem Falle eindeutig eine solche vorliegt, habe ich die mit ihr verbundene Macht sehr genossen und zu meinem Vorteile bewusst eingesetzt.
Ich bin kein Opfer. Ich bin Täter.
Als man vor Jahresfrist an mich herantrat mit einem fertigen Vertrag, man mir eine Assistentin zur Seite stellte, man mir „ºfreie Hand“¹ bescheinigte, und ich nur noch meine Unterschrift auf die gestrichelte Linie setzen musste… wie hätte ich widerstehen und ablehnen können?
Die Hoffnung in den Augen der Verantwortlichen! Die Freude in den Augen der Kinder! Die allgegenwärtige Aufbruchstimmung und das grenzenlose Vertrauen!
Ich bin ein schwacher Mensch. Ich bin kein Held. Ich hätte „ºnein“¹ sagen müssen, aber mich überkam ein Gefühl von Allmacht, von Unberühr- und Unbesiegbarkeit. Die Welt lag mir sprichwörtlich zu Füßen, ich durfte mit ihr spielen und sie nach meinem Gutdünken formen.
Und… vielleicht… es hätte auch gut gehen können.
Viele meiner Entscheidungen wurden mit Verwunderung aufgenommen doch ohne Murren und mit größtmöglichem Enthusiasmus umgesetzt. Ich hatte zu jeder Zeit den absoluten Rückhalt in sämtlichen Teilen der Verwaltung. Niemand legte mir Steine in den Weg, niemand boykottierte mich oder meinen Stab, niemand arbeitete gegen mich und meine Projekte.
Den Niedergang der Stadt habe ich, nur ich, ich… alleine… ganz alleine zu verantworten. Ich habe mich übernommen, mir nicht zu viel sondern alles zugetraut, und habe nicht nur ein paar Kleinigkeiten sondern schlichtweg alles falsch gemacht.
Ich weiß, ich hätte früher… ganz zu Anfang… hätte ich… ich hätte die Wahrheit auf den Tisch packen sollen, hätte aufstehen sollen und sagen: „ºIch bin das nicht, ich heiße nur so ähnlich. Ich bin nur ein einfacher Schreiberling, nicht Euer Bürgermeister; von Städtebau habe ich keine Ahnung, ihr habt den falschen.“¹
Doch wie gesagt, ich war zu schwach.
Ich kann am heutigen Tage nicht viel mehr tun, als um Verzeihung bitten. Verzeihung für das… ja, Chaos, welches ich angerichtet habe. Verzeihung für die katastrophalen Zustände, die miserablen Zukunftsaussichten und vor allem für die von mir begangene wissentliche Täuschung derjenigen, die mir ihrerseits loyal, offen und ehrlich zur Seite standen.
Ich weiß, dass ich den großen Schaden und das schlimme Leid weder ungeschehen noch wiedergutmachen kann. Alles, was mir bleibt, ist daher dies: Heute, mit sofortiger Wirkung, lege ich mein Amt nieder.
Gott schütze Sie.
Es tut mir leid.«
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