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Die lieben Nachbarn

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Karrikatur (Nico) aus Kactus

Die Globalisierung zwingt Unternehmen nach China, und „der Kapitalismus versetzt Chinas Regierung in die Lage, den Reichtum der Welt gerechter zu verteilen – auf unsere Kosten“.
– Die Welt am 13. Februar 2005

China ist heute schon die viertgrößte Wirtschaftsnation der Erde. Die chinesische Volkswirtschaft wächst so rasant, daß sie sich in nur neun Jahren verdoppeln könnte.
– Die FAZ am 29.09.2006

Wenn China als Akteur auf dem Weltmarkt behandelt wird, dann häufig unter diesen beiden Gesichtspunkten: als potentieller Markt und als zukünftiger Konkurrent. Allüberall werden gleichzeitig Angst vor dem neuen chinesischen Wirtschaftsmoloch und/oder Hoffnungen für neue Märkte, Expansionsgelüste befeuert. Mit welchen Methoden China global agiert, findet selten Erwähnung. Ein Beispiel.

Myanmar hieß früher mal Burma (oder Birma) und ist hierzulande vor allem als Reiseland mit lustigen Spitzdächern bekannt. Dabei wird es durch das momentan wahrscheinlich repressivste Militärregime weltweit geführt.

Grob schematisiert lassen sich in Myanmar zwei Konfliktlinien ausmachen: Erstens die staatliche Unterdrückung der demokratischen Bewegung, und zweitens die ethnisch-nationalen Konflikte an den Rändern des Landes.

Ethnische Kämpfe:
In Myanmar leben geschätzte 135 Ethnien, von denen einige nach der Unabhängigkeit streben. Deswegen kommt es immer und immer wieder zu Konflikten mit beispielsweise den Karen im Süd-Osten des Landes und den Shan im Osten. Human Rights Watch geht davon aus, dass allein die staatliche Seite 70.000 Kindersoldaten einsetzt. In einigen Gebieten gehören systematische Vergewaltigungen, Zwangsarbeit, Folter, Mord und Vertreibungen quasi zum Alltag. 300.000 Shan und 100.000 Karen sind vor diesen Zuständen schon geflohen.

Demokratische Bewegung:
1990 wurden zum ersten Mal seit dem Putsch 1962 wieder freie Wahlen zugelassen. Die regierungsoppositionelle Nationale Liga für Demokratie unter Aung San Suu Kyi holte überraschenderweise und trotz vieler Repressalien 81% der Parlamentssitze und wollte ein umfassendes Reformprogramm starten. Die Militärs setzten, da ihnen der Wahlausgang nicht gefiel, Aung San Suu Kyi unter Hausarrest und verhafteten oder ermordeten die wichtigsten Demokraten. Noch heute soll es laut AI in Myanmar 1100 politische Gefangene geben.

Seither wird Aung San Suu Kyi mit kurzen Unterbrechungen festgehalten; alle Jubeljahre lässt man ihr ein bisschen Freilauf. Das letzte Mal wurde sie am 30. Mai 2003 verhaftet, nachdem sie in der Provinz in einen Hinterhalt regierungstreuer Paramilitärs geraten war. Zahlreiche ihrer Begleiter wurden erschossen, und Aung San Suu Kyi wurde wieder weggesperrt.

Europa/USA
In den Neunzigern beginnen in den USA politische Studentenorganisationen, zum Boykott gegen Firmen aufzurufen, die in Myanmar und Nigeria investieren. Das sind zu der Zeit unter anderem Heineken, Pepsi Cola, Motorola, Texaco und Eastman Kodak. Sie schaffen es, über Zeitungen und diverse Aktionsformen ein breiteres Bewusstsein für die menschenrechtliche Situation in Myanmar zu schaffen, und bald boykottieren ganze Universitäten und, später, sogar der Staat Massachusetts Waren von in Myanmar investierenden Firmen.
Die EU war darüber nicht sehr glücklich: Zwar bereitete sie ein eigenes Embargo vor, schaltete aber die WTO ein: Die Bostoner Initiative verstoße gegen internationales Recht. Noch bevor es zur Verhandlung kam, untersagte der Bostoner Gerichtshof den Boykott, da er einen Eingriff in die außenpolitische Souveränität der USA darstelle.

2004 beschlossen die Europäer eigene Sanktionen, um auf die Befreiung Aung San Suu Kyis hinzuwirken. Bestehende Verträge mit den wichtigsten Staatsmonopolisten, unter anderem der Myanmar Oil and Gas Enterprise (MOGE), sind ausdrücklich nicht betroffen. MOGE kooperiert bei der Ausbeutung der Gasvorkommen in Yadana mit Total, das seine millionenschwere Verträge ungern gefährdet sehen würde. Nach Einschätzung Aung San Suu Kyis ist der Erdölkonzern „ždie wichtigste Stütze“ der Militärjunta in Rangun geworden. Obwohl das europäische Parlament vorschlägt, Verträge mit der MOGE aufzuheben, und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Gasförderung in Yadana bekannt sind, darf man kaum auf einen Rückzug Totals aus Myanmar hoffen. Ebensowenig wie den Rückzug der ganzen anderen Firmen.

China
Außenpolitisch isolierte sich Myanmar lange Zeit und ist erst seit kurzem auf der Suche nach Freunden. Die mächtigen chinesischen Nachbarn haben einige Interessen im Land der lustigen Spitzdächer, unter anderem einen privilegierten Zugang zum Indischen Ozean und den Ausbau des Mekong-Oberlaufs. Außerdem zwingt China die ständig heikle Situation zu Indien, sich Alliierte zu halten. Hausalliierte. Wie Haushasen. Dafür werden Waffen geliefert und Kredite zu niederen Zinsen vergeben. Der intensive ökonomische Austausch zwischen beiden Ländern unterstützt offensichtlich die momentane Militärdiktatur in Rangun, richtet aber für die burmesische Wirtschaft großen Schaden an. Der große Bruder springt auch außenpolitisch hilfreich zur Seite und hat vor kurzem gegen eine geplante UN-Resolution gegen Myanmar mit einem Veto verhindert.

Man fragt sich ein bißchen, was das immer heißt, man habe auch „über die Menschenrechtslage gesprochen“. Wahrscheinlich treffen sich dann die Staatsoberhäupter, der eine sagt: „Ihr müsst aber auch mal kehren in euren Gefängnisszellen, nicht?“, der andre nickt, während einen Raum weiter die Wirtschaftsvertreter Schwarzafrika unter sich aufteilen. Aber man hat ja auch was zu den Menschenrechten gesagt. Immerhin.

11 Kommentare

  1. 01
    Georg

    Ja ist schon krass was da in Burma seit Jahrzehnten läuft.
    Aber was kann China oder der Westen jetzt KONKRET da ändern?
    Sollte das ZDF dort dann nicht das Traumschiff drehen um den Leuten dort zu helfen bzw. nicht zu helfen?
    Ich denke für den Umgang mit Burma gibt es keine richtige bzw. gerechte Politik.
    Frédéric, das Aufzeigen von Mißständen in Ehren, aber Vorschläge kommen von Dir auch keine was man tun müsste um die Situation der dortigen Bevölkerung zu verbessern. Die Leute können sich nur selber Helfen indem sie die Militärjunta putschen. Dann kann man UN-Soldaten hinschicken und denen bei freien Wahlen „helfen“ Anders geht das heutzutage nicht (mehr).

  2. 02
    Malte

    zunächst einmal ist es doch ein schritt, überhaupt erst einmal von dem thema zu hören. meine myanmar-kenntnisse beschränken sich darauf, dass es mal birma hieß und burma genannt wurde oder umgekehrt. es muss nicht immer alles in einem artikel stehen.

  3. 03
    net

    @1: Das ZDF-Traumschiff wurde schon mal in Myanmar gedreht. (Kein Witz; das stimmt wirklich.)

  4. 04
    Stefan

    Und letztens erst einen „Reisefilm“ gesehn (nur kurz) in dem die Ursprünglichkeit und Natürlichkeit betont wurde, die Myanmar aufgrund seiner Militärdiktatur bewahrt habe. Da kriegt man dch echt das Kotzen..und muss dafür auch noch Gebühren bezahlen.

  5. 05
    jan

    burma hat kein öl oder andere bodenschätze, deswegen wird dort von aussen gar nichts passieren. für den parasitenimperialismus ist burma absolut uninteressant.
    wer was für burma tun will, kann am besten die flüchtlinkscamps jenseits der burma grenze auf thai teritorium unterstützen. alles andere ist illusorisch.

    ein paar eindrücke:
    http://www.dangngo.com/burma/

  6. 06
    Frédéric

    @ Jan: Das ist, soweit ich weiß, falsch. Die Gasvorkommen in Yadana sind bedeutend. Die Holzbestände auch. Da gibt es übrigens einen regen Schwarzmarkthandel mit China. Und wenn man sich mal die Liste der Unternehmen anschaut, die in Myanmar investieren, hat man nicht den Eindruck, dass es da nichts zu holen gibt.

  7. 07

    Das Standartgegenargument von chinesischer Seite wäre, kehrt doch bitte zu erst mal vor der eignen Haustüre. Mit welchen miesen Diktatoren und Menschenrechtsverletzern machen denn westliche Staaten seit Jahr und Tag Geschäfte.

    China agiert, wie alle anderen Staaten auch, realpolitisch. Myanmar ist zuallererst ein wichtiger Flottenstützpunkt für China, das damit direkten Zugang zum indischen Ozean und, ganz wichtig, der Strasse von Malaka hat, über die alle so dringend benötigten Öltransporte kommen.

    Was ich chinesischen Gesprächspartern dann immer sage, ist, dass im Westen durch die Möglichkeit des Protests und der freien Presse, Mißstände und Fehlentwicklungen zumindest publik gemacht werden können und, wenn ausreichender öffentlicher Druck da ist, sich vielleicht auch etwas ändert.
    Das wird es in China so schnell nicht geben.

  8. 08
    Frédéric

    @ fpk: Das stimmt, und deswegen wars mir auch wichtig, nicht nur mit dem Finger auf die andern zu zeigen, sondern auch den Okzident mitzuerwähnen. Allerdings zieht das Argument „Kehrt vor eurer eigenen Tür“ nur bedingt. China agiert ziemlich aggressiv in den Drittweltländern. Auch wenn Europa und Amerika alles andere als außenpolitische Musterknaben sind (im Gegenteil), konterkarieren chinesische Kreditvergaben etc eine westliche Politik, die bestimmt auch „realpolitisch“ ist, aber dank des öffentlichen Drucks eben nicht nur.

  9. 09

    Jaja. Das werden interessante Jahre, die da auf uns zukommen. Mit Chinas Aufstieg wird auch dessen internationales Gewicht zunehmen und die westliche Entwicklungshifepolitik vor Herausforderungen aber auch einige Offenbarungseide gestellen werden.

    Chinas Engagement, etwa in Afrika, ist nämlich nicht nur negativ zu bewerten. Klar Mugabe und Sudan sind die absoluten Negativbeispiele, aber in anderen Ländern, wie z.B. Angola, helfen die Chinesen entscheidend beim Aufbau moderner Infrastrukturen. Das ist natürlich kein Altrusimus, sondern auch mit eignenen Interessen verbunden (Zugang zu Rohstoffen meist). Leider waren westliche Regierungen und Firmen an so was oft überhaupt nicht interessiert.

    Das enorme angolanische Wirtschaftswachstum der letzten Jahre, ich glaube es waren bis zu 9%, hängt auch damit zusammen. Ohne Straßen und Elektrizität bringen einem die grössten Rohstoffvorkommen nix.

    Auf Phönix gab’s während des G8 ne interessante Reportage dazu. Weiß aber den Namen nicht mehr.

  10. 10
    Frédéric

    Angola ist, soweit ich das sehen kann, das perfekte Gegenbeispiel. Ein Land, das dreißig Jahre im Bürgerkrieg lag, dessen Infrastruktur komplett im Eimer ist, bekommt millionenschwere Kredite, gegen Öl. Soweit. Dazu muss man wissen, dass Angola eine der höchsten Korruptionsraten weltweit hat. Das läuft sehr interessant ab, ich werd da mal n Artikel drüber schreiben, glaub ich. Es kommt noch dazu, dass in den Verträgen drinsteht, dass chinesische Baufirmen die Aufträge zur Sanierung der Infrastruktur erhalten müssen. Das Geld wird an der einen Seite reingeschmissen, es kommt sehr viel weniger wieder dabei raus, und das wenige fließt wieder direkt nach China. ICh hab irgendwo gelesen, dass manche die chinesische Baufirmen sogar ihre eigenen Arbeiter einfliegen lassen. Angola sitzt dann auf einem Haufen Schulden. Das fällt bei mir unter negativ.
    Siehe auch hier

  11. 11
    Teresa

    Meine Empfehlung zu diesem Thema lautet „Burma All Inclusive“ – eine österreichische Semi-Dokumentation. Es ist die Suche nach der Wahrheit, die oft gerne ausgeblendet wird: „All inclusive“ einmal anders definiert.

    Kaum jemand wagt es in Burma kritisch über das Regime zu sprechen, zu groß ist die Angst vor Verfolgung, Folter und Haft. Bis auf wenige Ausnahmen wurden daher alle Interviewpartner anonymisiert oder aber durch Kunstfiguren ersetzt, die in einer fiktiven Handlung reale Umstände wiedergeben.

    Der Film BURMA ALL INCLUSIVE entstand ohne jede öffentliche Förderung. Alle am Film beteiligten Künstler und Kreativen arbeiteten, nachdem sie von den Zuständen im Land erfahren hatten, ohne Gage. Als kleinen Dank erhielten sie lediglich eine Flasche Kernöl. Das steirische Öl als neue Währung sozusagen.

    Regie: Roland Wehap
    Mit Stimmen von: Otto Clemens, Christian Ruck, Christoph Grissemann, Walter Prettenhofer, Ina Siber Willi Bernhart, Verena Weiss, Gregor Seberg, Klaus Kobald, Anja Feldmann, Dirk Stermann
    A 2007, 97 min, dt. OV