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Drei alte Hüte

hut
Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt
Wie weiß ich’s noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

Cord. Er war aus Cord. Aus schwarzem Cord. Obwohl: Er war schon etwas angebleicht, der Deckel eingedellt, die Ränder begannen auszufransen, die ersten Nähte gingen auf und das Etikett löste sich. Außerdem roch er ein wenig, modrig, wie trocknendes Papier. Er war ja auch schon etwas älter, der Beste, wäre er ein Hund gewesen, er hätte beim Treppensteigen die Hinterläufe nachgezogen. Wahrscheinlich hätte er gehechelt, wenn er dann endlich am Treppenabsatz angekommen wäre.

Jetzt ist er weg. Einfach so: verschwunden. In einem fremden Auto davongefahren. Weil ich ihn achtlos abgelegt habe, auf die Rückbank. Beim Heimstoppen, aus dem Urlaub. Wahrscheinlich liegt er da jetzt noch, in irgendeinem Auto irgendwo in Meckpomm. Mein alter Hut. Und zur Strafe muss ich mit einem albernen Kopftuch, einem besseren Putzlappen durch die Gegend springen. Die ersten Passanten haben schon hinter meinem Rücken getuschelt, wie albern ich aussähe. Und die Kassenfrau bei Plus konnte sich eines Grinsens nicht enthalten. Die grinst sonst nie. Die zuckt sonst höchstens epileptisch mit den Nasenflügeln.

Zaza meint, ich solle das mit Fassung tragen. Das sei nun die Strafe für meine Unachtsamkeit. „Du bist doch sonst nicht so empfindlich“, sagt sie. Und das stimmt ja auch. Mir kann eigentlich jeder ans Bein pissen, und ich denk mir nur wahlweise: Isch bin aus Neukölln, Du Muschi. 44 Alda. Oder aber: Jungejunge, wenn ich Du wär, und Du ich, und Du wärst so wichtig für mich wie ich jetzt gerade für Dich, Jungejunge, da wär ich aber lieber ich. Oder irgendwas in die Richtung. Nur hat das eben viel mit dem Hut zu tun.

Ein Hut ist nicht nur einfach ein Bekleidungsstück, das man beliebig ersetzen kann. Unter einem Hut kann man sich verstecken, wenn man sich schämt oder im falschen Moment grinsen muss, man kann unter einem Hut gefährlich hervorlinsen, wenn man den richtigen Winkel, die richtige Kopfbewegung trifft, man kann ihn sich tief in die Gedanken ziehen, damit keiner reinschauen kann, oder ihn in die Hände nehmen und dran rumzwieseln, sobald man nervös wird. Man kann ihn sich zurechtrücken, wenn man sich mal wieder völlig daneben benommen hat, oder sogar reinbeißen. Einfach so. Ein Hut schützt vor Regen, vor Sonne, vor fremden Blicken, vor Taubenscheiße, im Sommer spendet er Schatten, und im Winter wärmt er die Stirn. Und mit der Zeit lernt er einen kennen, der Hut, er wird zu einer besseren, subtileren Physiognomie. Zaza konnte irgendwann an der Hutstellung erkennen, welche Musik ich eine halbe Stunde vorher gehört hatte.

Ich trage seit Jahren Hüte. Ursprünglich überhaupt nicht aus Überzeugung, sondern wegen der chronischen Sinusitis. Am Anfang hasste ich sie, aber man gewöhnt sich dran, wenn man andernfalls beim kleinsten Luftzug wochenlang mit vereiterten Stirnhöhlen durch die Gegend eiert. Der erste Hut war eigentlich gar keiner, sondern bloß eine alberne Baskenmütze, die ich mir kokett in die Stirnfalten schieben konnte. Wie so ein bescheuerter postimpressionistischer Landschaftsmaler auf dem Weg ins Kornfeld. Damals hab ich noch Rilke gelesen, fürchterliche Gedichte geschrieben und mich hochpoetisch gefühlt. Jugendsünden. Irgendwann ist eine Bong drauf ausgekippt, und das Ding stank ärger als ein Industrieschlot. Ich hab sie dann hochoffiziös unter einem Ahornbaum verbrannt, und Weihrauch drübergestreut, den ich aus der Sakristei geklaut hatte. Die Glut musste freilich feierlich mit dem besten Bordeaux aus Papas Weinkeller gelöscht werden. Das säuberlich herausgetrennte Etikett habe ich Jahre später in meinen Geldbeutel wiedergefunden, an der Stelle, wo andere die Familienfotos aufbewahren.

Mein zweiter Hut war ein guatemalesischer guatemalischer guatemaltekischer Bauernhut nach Machart der Bewohner Guatemalas, aus Wolle, mit aufgedrehter Krempe. Den Hutdeckel zierte ein rotes Band, das mit weißen, rhombischblättrigen Blumen verziert war, die ein wenig an Edelweiß erinnerten. Ach, eigentlich will ich gar nicht so lange drumherumreden: Wenn man an diese Wolldinger denkt, die anscheinend bei gewissen Großmüttern über den Toilettenpapierständern drübergestülpt werden, hat man eine ziemlich genaue Vorstellung von seiner Beschaffenheit. Ein gehäkelter Klopapierschoner. Man kann sich ungefähr ausmalen, was ich damals im Kopf hatte. Genau. Und zwar viel davon.

Ich hatte das Ding bestimmt Jahre auf dem Haupthaar. Bisweilen nahm ich ihn noch nicht mal mehr zum Schlafen ab. Und jedesmal, wenn ich ihn waschen musste, hab ich fast geheult, aber es musste sein: ansonsten hätte mich die Mutter der damaligen Herzensangelegenheit nicht mehr zur Tür hereingelassen. „Entweder Du wäscht den Dreckslumpen, oder Du bleibst draußen!“ keifte sie immer manchmal. „Das ist ja das reinste Bakterienparadies! Da sitzen bestimmt noch Ruhr und Cholera drin!“ Na gut, mein Hut, sagte ich dann, müssen wir eben gemeinsam duschen.

Auch diesen Hut habe ich verloren, kurz bevor ich Zaza kennenlernte. Ein Windstoß fegte ihn mir in die Elbe, als ich schon dachte, er wäre endgültig an meine Kopfhaut festgewachsen. Sanft sah ich ihn abtreiben, zur Nordsee hin, an einem stürmischen Novembertag, und er hat lang gezögert, eh er unterging. Da kam er wieder hervorgekrochen, aus den tiefsten Winkeln des Unterbewußtseins, jener Dichter, den ich verachte wie sonst kaum etwas, und ganz leise begann ich zu deklamieren: Herr, es ist Zeit. Rilke kommt mir immer dann hoch, wenn ich nicht mehr klarkomme, ein bißchen wie bei anderen Leuten zu viel Alkohol: Wenn alles zu aufrührend wird, erbrech ich ein paar Zeilen, und dann is wieder gut.

Aus Trotz, und um nicht mehr so verlassen zu werden, trug ich die nächsten Jahre Monate Kopftücher. Vorzugsweise in rot, vorzugsweise alte Schnupftücher, die ich davor bei 90 Grad ausgewaschen hatte. Immerhin war mein Hygiene-Gefühl zurückgekehrt. Immerhin.

Ich sprach im Schlaf von Kopfbedeckungen. Von Borsalinos, von Malelots, von Bowlern. In schlimmen Nächten wurde ich von Kreissägen verhackstückt und anschließend zu einem Zylinder gepresst. Als ich dann endlich einmal phantasierte, man würde mir fein säuberlich die Haut abtrennen und sie zu einem Kastor filzen, nahm ich all meinen Mut zusammen und kaufte mir einen neuen, unauffälligen, aber eleganten Hut, mit schmaler Krempe, die sich nach hinten nach oben biegt, und der an der Vorderfront spitz zusammenläuft. Aus Cord. Schwarzem Cord.

Jetzt ist er weg, irgendwo in Meckpomm. Auf einer Autorückbank. Wie ein Hund, den man an der Autobahnraststätte ausgesetzt hat. Und der, wenn er vom vielen Bellen müde ist, hechelt. Nur daran denken…

Wenn ich durch schwere Berge gehe…

Fürs Bild dank ich der tante.

7 Kommentare

  1. 01
    clara

    gefällt mir sehr, sehr gut! :-) also, der text.

  2. 02
    Usul

    Danke für den Text. Zu sagen gibts dazu eigentlich nichts weiter. Vollkommen.

  3. 03

    Hutpoesie. Sehr sehr schön, danke.

  4. 04

    you can leave your hat on … :-)

  5. 05

    Schöner Text. Nur eine Anmerkung: Richtig heißt es jawohl „Ich bin aus Kreuzberg, Du Muschi“.

  6. 06

    sehr schön! jetzt versteh ich einen freund viel besser mit seinen vielen hüten, mützen, etc. ich frag mich nur wo die bong herkam ;-)