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Fehler im System

Das ist eine ziemlich unglaubliche Geschichte. Am 29. September treffen in der Berliner Kreisliga B TuS Makkabi II und Altglienicke II aufeinander: Angetrunkene Neonazis schreien antisemitische Parolen, der Schiedsrichter wird mehrfach darauf hingewiesen, will aber nichts gehört haben, woraufhin die Spieler von Makkabi II das Spielfeld verlassen. Das Sportgericht entscheidet daraufhin in erster Instanz, dass der Schiedsrichter lebenslänglich gesperrt wird, Altglienicke soll zwei Spiele vor leeren Kulissen spielen müssen, und ein Wiederholungsspiel wird anberaumt.

Auch das Wiederholungsspiel wird abgebrochen, wegen schlechten Wetters. Im dritten Spiel setzen die Altglienicker sieben Spieler aus der ersten Mannschaft ein und gewinnen mit 4:1. Makkabi legt Einspruch ein, das Sportgericht entscheidet in erster Instanz, dass das Spiel mit 6:0 Toren für Makkabi gewertet wird. Damit ist der Verein in die höchste Berliner [edit: Kreisliga A] aufgestiegen.

Dachte man. Die 18tägige Widerrufungsfrist verstrich, die Geschichte schien abgeschlossen. Zwei Monate später fiel der Präsident der TuS Makkabi, Tuvia Schlesinger, aus allen Wolken, als ein Schreiben eintrudelte, das besagte: Altglienicke habe Einspruch eingelegt, und in zweiter Instanz sei entschieden worden, dass das Urteil aufgehoben worden wäre und dem Einspruch stattgegeben wurde. Das Spiel wurde für Altglienicke gewertet, die TuS sollte nicht aufsteigen dürfen.

Schuld ist die zweifelhafte Formulierung des Paragrafen 6 Ziffer 11 der BFV-Spielordnung, die laut Sportgericht.de

ein Mitwirken höherklassiger Spieler [erlaubt], wenn zwischen ihrem letzten Einsatz für das erste Team und dem fraglichen Spiel „zwei Spiele stattgefunden haben.“ Ob dies Spiele der ersten oder der zweiten Mannschaft sein müssen, lässt der Paragraph offen.

Der Paragraf macht eigentlich nur Sinn, um Wettbewerbsverzerrungen vorbeugen und den verstärkten Einsatz erstklassiger Spieler in den Zweitmannschaften zu verhindern, sollte man meinen. Aber auch wenn man der für meine Begriffe abenteuerlichen Argumentation des Sportgerichtes folgt, bleibt die Frage, warum Makkabi in dem wiederaufgenommenem Verfahren nicht gehört wurde, und die Fehler im Verfahren nicht zu einer Aufhebung des Urteils führten. Fragen über Fragen.

Schlesinger jedenfalls schluckte die Verfahrensfehler und schlug vor, die Kreisliga A für eine Saison von 16 auf 17 Mannschaften aufzustocken. Aber der Berliner Fußball-Verband lehnte ab. Die ganze Geschichte sei zwar höchst bedauerlich, aber hey, man solle sich da mal nicht so viel draus machen. Das sah Schlesinger anders und zog vor das Berliner Landgericht. Und das hat jetzt per einstweiliger Verfügung entschieden, Makkabi stiege auf. Der BFV hat Einspruch eingelegt. Die Geschichte geht in ihre siebenundzwanzigste Verlängerung.

So oder so ähnlich steht es momentan in fast jedem Sportteil. Mancher Redakteur konnte es sich nicht verwehren, noch einen erläuternden Kommentar beizustellen. Und da steht erstaunliches.

Christian Tretbar befürchtet im Tagesspiegel den Untergang des deutschen Fußballs. Makkabi sollte sich die Frage gefallen lassen,

ob der Gang vor ein Gericht, was zwar gutes Recht des Vereins ist, auch verhältnismäßig war. Schließlich hat sich der Klub mit der Teilnahme an Punktspielen der Sportgerichtsbarkeit unterworfen. Deshalb sollte der Verein auch mit Entscheidungen des Verbandes leben. Sogar mit fehlerhaften.

In die gleiche Kerbe haut Arnd Festerling in der Frankfurter Rundschau. Makkabi

hat als Mitglied des Landesverbandes dessen Statuten akzeptiert und sich damit dessen Rechtsordnung unterworfen. Das geht bei Banalitäten wie den Spielregeln los und reicht über die Akzeptanz der Schiedsrichterentscheidungen bis hin eben zur Anerkennung der Sportsgerichtsbarkeit. Eine Forderung, die bei den gewohnten Ungerechtigkeiten des Sportbetriebes allemal recht und billig scheint. Oder sollen Gerichte über Abseitsentscheidungen urteilen, soll die Dauer von Sperren vor dem Amtsgericht nachverhandelt werden?

Was die Kommentare nicht sagen: Makkabi hat klar gemacht, dass es sich nicht um eine falsche Abseitsentscheidung handelt. Der Anwalt des Vereins, Nathan Gelbart, sagte der Berliner Zeitung: „Die ordentliche Gerichtsbarkeit muss eingreifen, wenn es in der Sportgerichtsbarkeit krasse Verfahrensfehler gegeben hat.“

Das wäre Punkt eins. Die Fußballverbände, vom lokalen Verbund bis hin zur FIFA, betrachten sich gerne als eigenen Rechtsraum, in dem nationale Justizorgane am besten gar nichts zu suchen haben. So lange ein Verein seine Füße unter dem Verbandstisch hat, soll er dieselben auch stillhalten. Dass ein Verband Verfahrensfehler mit: „Is halt passiert, so what“ abtut, ist selbstredend inakzeptabel.

Wichtiger ist Punkt zwei. Nach all diesen seltsamen Vorkommnissen fragt sich Präsident Schlesinger, ob man so behandelt werde, weil man „ein Verein mit jüdischen Wurzeln“ sei. Und diese Frage ist alles andere als beantwortet. Anerkennung der Sportgerichtsbarkeit hin oder her, solche offenen Fragen müssen geklärt werden und dürfen nicht mit einem „ach, naja, passiert ist passiert“ abgetan werden. Und wenn sich der BFV dazu außerstande sieht, ist es nicht nur recht und billig, dass Makkabi vor Gericht zieht, sondern im Interesse des Fußballs, der sich ansonsten ja ganz gerne als Vorreiter gegen Fremdenfeindlichkeit sieht.

Mehr Stimmen zum Spiel (die Zeitungsartikel sind unter google news zu finden): Lizas Welt, Bundeszentrale für politische Bildung, amballbleiben

10 Kommentare

  1. 01

    „nazionale Justizorgane“ – ist das schon Freud?

  2. 02

    Habs grad verbessert. Liegt an meinen Wurstfingern, und der relativen Nähe von t und z auf der Tastatur.

  3. 03
    David

    Makkabi II wäre nicht in die höchste Berliner Liga (Verbandsliga) aufgestiegen, sondern in die Kreisliga A, welche nach Verbands-, Landes- und Bezirksliga nur die vierthöchste Liga ist.
    In der Verbandsliga spielt die I.Mannschaft von Makkabi.

  4. 04

    Stimmt. Danke für den Hinweis, ich habs geändert.

  5. 05
    David

    Der Berliner Fußballverband veröffentlich folgende Mitteilung:
    „Aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Landgerichts Berlin sind wir verpflichtet, TuS Makkabi vorläufig in die Kreisliga A einzuordnen.“
    Mehr dort:
    http://www.berliner-fussball.de/amtliche/amtliche_2007_2008/am05allg.pdf

  6. 06
    Samuel

    Ja klar. Und schon sind sie gleich die diskriminierten Juden. Sowas hasse ich, sie haben doch sowieso schon recht, was da abgegangen ist ist Scheiße. Müssen die jetzt gleich wieder in die verdammte antisemitische Kerbe hauen? Zumal das Landsgericht als „vernünftiges“ Gericht ihnen doch recht gegeben hat…
    Das große Problem, dass es mit sowas gibt ist, dass sie dann irgendwann wirklich benachteiligt werden weil jemand denkt, dass sie „wiedermal“ ihren religiösen Status zu ihrem Vorteil ausspielen (was ja auch einige machen, Friedmann lässt grüßen).

  7. 07

    Samuel, die Frage war nicht rhetorisch, zumindest meine nicht. Sie steht im Raum und muss definitiv geklärt werden. Von diesem Vorfall auf Friedmann zu schließen und zu sagen: Typisch jüdisch, ist für meine Begriffe ganz falsch.
    Genauso falsch ist es, wie die Kommentatoren der beiden genannten Zeitungen, zu sagen: Jetzt macht mal nicht so nen Wind, weil, der Fußballverband, der macht schon alles richtig, auch wenn er mal was falsch macht.

  8. 08

    Ich war letztes Jahr kurz nach dem Spielabbruch bei einem Spiel von Makkabi II und habe dort mit Makkabi-Präsident Schlesinger gesprochen. Ich habe auch jetzt mit ihm ein Interview für eine Zeitung geführt. Der Mann leidet, so viel sei versichert, definitiv nicht unter Verfolgungswahn. Nach dem Abbruch wegen der antisemitischen Ausschreitungen im letzten September hat der BFV zunächst überhaupt nichts unternommen. Erst nachdem Schlesinger – das ist mehrfach verbürgt – massiv darauf gedrängt hat, dass endlich etwas passiert (antisemitische Sprüche sind bei den Spielen von Makkabi nicht die Ausnahme, sondern die Regel, ohne dass davon jemand groß Notiz nehmen würde), und außerdem die Presse informiert hat, hat sich der Verband der Sache angenommen und gegen Altglienicke ein, sagen wir mal, ziemlich moderates Urteil gefällt (zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit z.B. sind in der Kreisliga B ein Witz, da kommt ohnehin kaum jemand).

    Als die Sache öffentlich wurde, stand der BFV wegen seiner Untätigkeit, die er zunächst an den Tag gelegt hat, ziemlich am Pranger. Das hat den Herren dort natürlich nicht geschmeckt. Und dann hat Makkabi verständlicherweise keine Ruhe gegeben, als ihnen plötzlich die zunächst am grünen Tisch zugesprochenen Punkte wieder aberkannt wurden. Ich war selbst zwanzig Jahre lang Schiedsrichter, zuletzt in den nordrhein-westfälischen Oberligen (noch sind es zwei), und kenne diese Sportgerichtsbarkeit (die in den einzelnen Landesverbänden im Wesentlichen ähnlich ablaufen dürfte) von klein auf. Dass da Entscheidungen nicht immer im Rahmen der Verhandlungen getroffen werden, sondern auch schon mal beim Golfspielen oder in der Kneipe, ist ein ganz alter Hut.

    Das muss in diesem Fall nicht so gewesen sein. Aber dass ein Sportgericht seine eigenen Fristen massiv überschreitet (sie hätten nach spätestens 18 Tagen eine Verhandlung einberufen müssen; daraus wurden volle zwei Monate, über das Saisonende hinaus!), eine betroffene Partei (also Makkabi) nicht informiert und sie dann plötzlich mit einem Punktabzug konfrontiert, der sie den Aufstieg kostet, ist an Zufällen einfach zu viel. Der BFV hatte bereits die Tabellen in den Amtlichen Mitteilungen veröffentlicht, und da war Makkabi noch Dritter (und damit aufgestiegen). Einen ganzen Monat (!) nach Saisonende wird dann plötzlich das Urteil kassiert. Dass man da böse Absicht vermutet, kann ich sehr gut verstehen. Fußballfunktionäre sind gerne mal überkorrekt und nehmen sich hochwichtig – die haben, davon bin ich überzeugt, in dem Fall nicht einfach nur geschlampt, sondern sich nachgerade gerächt.

    Schlesinger ist ein zurückhaltender Mann, der seine Worte mit Bedacht wählt. Selbst eingedenk der Untätigkeit des Verbands nach dem Spielabbruch hat er nicht den Verdacht geäußert, es könnte Antisemitismus im Spiel sein. Dass er jetzt, nach dieser ganzen Groteske, fragt (!), ob sein Verein nicht vielleicht absichtlich benachteiligt wird und ob das etwas mit seinem jüdischen Background zu tun haben könnte, liegt für mich mehr als nahe. Zumal sich der BFV der an sich unproblematischen Aufstockung der Kreisliga A strikt verweigert. Man wolle keinen Präzedenzfall schaffen, sagte mir der BFV-Präsident Schultz am Telefon. Schlesinger meinte hingegen, solche Aufstockungen habe es schon häufiger gegeben. Und er hat Recht. Wenn das in diesem Fall also nicht in Frage kommt, wird man schon mal nachhaken dürfen, was für Motive dahinterstecken.

  9. 09

    Meiner Meinung nach ist der Übergang zwischen geschlampt und gerächt fließend. Mag sein, dass ich zu viel Foucault gelesen habe, aber ich sehe da im Grunde keinen Willen am Werk, sondern diffuse Gefühle, die sich in irgendwelchen seltsamen Kanälen vermengen. Die zu hinterfragen, ist nicht nur legitim, sondern absolut notwendig. Da muss Licht ran. Es ist wahr (das kenne auch ich aus meiner zugegeben kürzeren Schiedsrichterlaufbahn), dass in Einzelfällen Verschiebungen der Anzahl teilnehmender Mannschaften in niederklassigen Ligen kein Problem darstellen (außer für den Koordinator, der muss halt mal ne Nacht länger dran). Was mich gerade an den Zeitungsberichten gestört hat, war die anfängliche Betonung des Jüdischen in Makkabi, um danach zu sagen: die stören das funktionieren des Fußballverbandes. Die implizite Frage: „weil sie jüdisch sind?“ ist einfach nur widerlich.

  10. 10

    Antisemitismus ist etwas, das sich exakt aus diesen „diffusen Gefühlen, die sich in irgendwelchen seltsamen Kanälen vermengen“, speist und dabei gerne mit „impliziten Fragen“ auftritt, die die Antwort gleich mit im Gepäck haben. Darüber hinaus ist es ein bekanntes antisemitisches Klischee, Juden als Störer zu betrachten. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich den Eindruck, dass genau das die Triebfeder der Verantwortlichen für diesen Skandal im Amateurbereich ist. Und die Pressekommentare machen die Sache noch ärger, denn eindeutig auf der Seite Makkabis hat sich in der Angelegenheit meines Wissens noch keine Zeitung positioniert.