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Schere im Kopf. Aber anders.

Ihr kennt doch vermutlich auch das Phänomen, dass man einen Begriff zum ersten Mal bewusst wahrnimmt und er in der folgenden Zeit dann überall auftaucht.

Zwei Beispiele aus der letzten Zeit: Fred leitet ab und an Sätze ein mit dem Hinweis: „Bourdieu hat dazu geschrieben, dass …“. Seitdem ich das gemerkt habe, steht der Name ungefähr jeden Tag in der SZ. Und mittlerweile taucht er sogar schon auf Spreeblick auf. In Artikeln von Johnny. Ein weiteres Beispiel ist der Begriff der Gentrifizierung. Zum ersten Mal wahrgenommen in einer Meldung über den festgenommenen Berliner Soziologen, habe ich ihn am nächsten Tag im Buch der Riesenmaschine gefunden und vermutlich steht er auch in der Bäckerblume.
Nun ist in beiden Fällen aufgrund der Häufigkeit, mit der sie vorkommen, davon auszugehen, dass ich die Begriffe zuvor schon gelesen habe. Ohne sie wahrgenommen zu haben.
Zweieinhalb Fragen hätte ich da: Wie nennt man dieses Phänomen? Und was sagt das darüber aus, wie wir durch die Welt gehen? Nehmen wir nur das war, was wir kennen?

39 Kommentare

  1. 01

    Funktioniert auch mit Gegenständen. Als ich klein war kaufte mein Vater mal einen neuen (gebrauchten) Wagen, ein Modell, das ich als Pimpf noch nie zuvor gesehen hatte. Plötzlich aber fuhren alle anderen Leute dieses Auto auch (war irgendein völlig gängiger Kleinwagen).

  2. 02

    Wie das wohl heisst, weiss ich nicht, aber das Phänomen an sich ist doch jetzt nicht soooo überraschend. Das menschliche Gehirn blendet halt 90% oder mehr der auf es einströmenden Eindrücke aus, sonst würde man ja auch verrückt werden. Das gilt für einen einzelnen Eindruck (wie ein bestimmtes Wort) dann eben solange, bis dieser (warum auch immer, das ist nämlich imho die eigentlich interessante Frage) irgendwann eine Bedeutung erhält und fortan nicht mehr ausgeblendet wird.

  3. 03
    Der ____weiler

    Fnord.

  4. 04
    denist

    Das selbe Phänomen hatte ich vor Jahren mit dem Wort Bonze und danach auch nochmal mit dem Künstler Bob Marley der auf einmal überall war.
    Ich habe gedacht das sei Magie so mit 20 hab ich dann aber festgestellt das ich SCHEISSE NOCHMAL nicht zaubern kann.
    gruß d.

  5. 05
    Maltefan

    Das nennt sich „Priming“, funktioniert auf verschiedenen Ebenen und wurde/wird in der Neurophysiologe, Psychophysik und in der kognitiven Psychologie untersucht.
    Neurophysiologie/Psychophysik: http://de.wikipedia.org/wiki/Bahnung
    Semantisches Priming: http://de.wikipedia.org/wiki/Semantisches_Priming

  6. 06
    hannes

    erinnert schwer an die sogenannte „kognitive Dissonanz“, welche besagt, dass wir dinge die mit unseren „bisherigen“ persönlichen erfahrungen/werten/vorstellungen im einklang sind, bevorzugt lesen/hören/merken/wahrnehmen etc. könnte also vielleicht auch erklären warum man über etwas, das einem so erst einmal nix sagt (z.b. der name bourdieu) lange zeit einfach drüber weg liest, solange bis man irgendwann mal drauf aufmerksam wird und es dann plötzlich überall und vor allem bewusst wahrnimmt.

  7. 07
    arne

    funktioniert auch beim Abschreiben im Journalismus: „Geschenkt!“ findet sich inzwischen in vielen Feuilletons der SZ, FAZ, taz. Modeworte?

  8. 08

    Ich hab das immer ganz krass mit Schauspielern, die man bisher nicht kannte, irgendwo sieht und von denen man dann den Namen nachschlägt. Und auf einmal findet man die in jedem zweiten Film wieder.

    Zuletzt passiert mit Peter Stormare.

  9. 09
    heidrun

    vor allem bleibt doch neugelerntes nur hängen, wenn du es mit bereits bekanntem verknüpfen kannst, im fall von bourdieu mit der person von frédéric. oder so. ich hab mir den namen bourdieu auch erst gemerkt, als eine gute freundin ein buch von ihm anpries, das auf ihrem schreibtisch lag.

    peter stormare! der gute! mit dem gibts doch auch diese „unpimp my ride“-clips. hihi.

  10. 10
    Malte

    @ maltefan, hannes
    Was ihr immer alles wisst:)
    danke

  11. 11
    schomsko

    Gesellschaftlich würde ich sowas als Trend bezeichnen. Alle wollen sich abgrenzen und das kann man gut mit etwas Neuem machen. Beziehungsweise etwas, was lange nicht benutzt wurde. Und wenn es dann hipp ist, wollen alle dazu gehören und zeigen, dass sie es verstehen.
    Dieses Spiel zwischen Abgrenzung und Dazugehören ist die Dialektik des Trends.

  12. 12

    also früher passierte mir das immer mit schwangeren frauen. heute weiß ich, dass es an prenzlauer berg liegt.

  13. 13
    flo

    meiens Wissens wird das Phänomen als selektive Wahrnehmung bezeichnet,
    erschreckend, wie viel man so ausblendet, einfach weil man es nicht versteht…

  14. 14
    heidrun

    @ flo: ich find das ganz gut so. ich glaube, sonst müsste ich 20 stunden am tag schlafen, um mich von dem ganzen wahrgenehme zu erholen. nee, im ernst: du würdest wahnsinnig werden, wenn das nicht so wäre. und zwar ganz schnell.

  15. 15

    das prinzip funktioniert übrigens auch mit GELD und allen möglichen Dingen…
    was der denker denkt, wird der beweisführer beweisen. mehr ist es glaube ich nicht.

  16. 16

    Peter Stormare!

    Same here, same here.

    Seit ich den Namen des Kerls in VW’s „Unpimp my auto“ ausfindig machen konnte, taucht er überall auf. Zuletzt in Prison Break. Nur deswegen hab ich diese Sendung ab und zu geschaut. Peter Stormare, ich will ein Kind von dir.

  17. 17

    Mir passiert das mit Krankheiten und Verletzungen immer.

    Als ich meinen Bänderriß hatte, liefen alle anderen auch mit ’ner Schiene durch die Gegend.

    Gut zu wissen, daß ich doch nicht bekloppt bin.

  18. 18

    Malte:
    Das sind einfach nicht solche Recherchephobiker wie du :p

  19. 19

    Ihr liegt alle falsch. (flüster) Es ist die Matrix.

  20. 20
    denist

    ich habs doch gewusst.

  21. 21

    Na, bei dem Thema kommt man doch wohl um die 23 nicht herum. Seit R.A.Wilson das in ‚Illuminatus!‘ so richtig lostrat, um eben genau das zu demonstrieren – wie selektiv unsere Wahrnehmung ist und wie wir uns somit unsere eigene subjektive Realität nach unserem Wissen und unseren Glaubensmodellen formen – haben eine ganze Menge Leute überall die 23 gesehen.
    Manche haben den Witz verstanden und treiben ihn weiter – andere sind drauf hängen geblieben, glauben wirklich an die magische Zahl und fallen mir auf die Nerven.

  22. 22
    lana

    am anfang war’s noch neu, doch dann taucht es immer wieder auf, auch wenn man es nicht braucht? der fachbegriff lautet „ehe“.

  23. 23

    nennt sich selektive wahrnehmung. kenn ich nur zu gut.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Selektive_Wahrnehmung

  24. 24
    leo

    Seit einiger Zeit sagen alle „Das Licht unter den Scheffel stellen“.

  25. 25

    Auf der Suche nach einem wohlklingenden Begriff würd mir noch „top down-Verarbeitung“ einfallen; Informationen fließen halt nicht nur von Sinnen in Richtung Weiterverarbeitung (bottom up), sondern die weiterverarbeitenden Systeme erzählen den Sinnen auch schonmal präventiv, was sie sich denn so vorstellen, wie so’n Sinneseindruck jetzt mal aussehen könnte, tendenziell.

    Bei Terry Pratchett gibt’s diese „Nomen“, zehn cm große Menschchen. Die Menschen erfahren nie, dass es die gibt. Zwar sehen sie manchmal welche, aber da sie ja wissen, dass es keine zehn cm großen Menschen gibt, verwerfen sie das Gesehene wieder als zu unplausibel :)

    Gentrifizierung war übrigens eine der ersten Berliner Vokabeln, die ich hier gelernt habe. Ich: „Ey Jungs, ich wohn jetzt auch im Prenzlauer Berg, cool oder?“ Ehemalige Prenzlberg-Bewohner: „Pah, wir wohnen jetzt in Neukölln […] Gentrifizierung […]“.

  26. 26
    Maltefan

    @Malte:
    Ich hab im Nebenfach Psychologie studiert, da kommt sowas vor …
    Kann man auch lustige Experimente dazu machen.

  27. 27

    @ leo/24: Das sage ich von mir ja schon länger. Haben bestimmt alle bei mit abgeschaut ;-)

  28. 28

    [Manueller Trackback]

    Ich stehe auch mit einem Bein im Knast, da ich vor einigen Wochen über genau dieses Wort, in Unwissenheit der Sachlage um den Soziologen, geschrieben habe…

    *bibber bibber*

  29. 29
  30. 30

    ich weiß wie das heißt, es nennt sich unter einem stein leben. ;) :P

    das sind halt die feinen unterschiede.:):P

  31. 31
    zolip

    naja das Bewusstsein ist halt eine ziellos umherschaukelnde Nußschale an der Oberfläche des Ozeans aus Wahrnehmungen

  32. 32

    keine ahnung ob das da übermir schon jemand erklärt hat, aber:
    ja, malte man nimmt grundsätzlich bevorzugt die dinge wahr, die etwas neues zu etwas bekanntem hinzufügen. also z.b ne neue platte von deiner lieblingsband oder eine neue information zu einem begriff den du gerade im kopf hast. wenn du allerdings was wahrnimmst, das du gar nicht einordnen kannst, wird es meist einfach ignoriert. kann man auch prima ausprobieren indem man im partygespräch einfach beiläufig etwas erwähnt den keiner kennen kann (weil du ihn gerade erfunden hast). kaum jemand wird nachhaken, der umstand wird meistens einfach ignoriert und vergessen.

    so kann man das erklären. das nennt sich soweit ich weiß wahrnehmungspsychologie und ist z.b grundlage von werbung.

  33. 33
    der

    Priming wäre ein Kandidat für einen Mechanismus, der das Phänomen erklären könnte, ist aber eher ein unwahrscheinlicher Kandidat. (Priming = Kurzzeitveränderungen.)

    Ein besserer, weil weniger Behauptungen machender Name wäre einfach „selektive Aufmerksamkeit“. Diese führt gerne zu zwei Arten von Fehleindrücken, der „Recency Illusion, the belief that things YOU have noticed only recently are in fact recent“, und der „Frequency Illusion: once you’ve noticed a phenomenon, you think it happens a whole lot, even „all the time“. Your estimates of frequency are likely to be skewed by your noticing nearly every occurrence that comes past you.“
    (Quelle: http://itre.cis.upenn.edu/~myl/languagelog/archives/002386.html )

  34. 34

    Schließe mich maltefan an. Frage an der: warum sollten die Effekte von Bahnung (=Priming) nur bei Kurzzeitveränderungen zum tragen kommen? Gebahnt werden kann alles mögliche, sowohl kognitiv als auch motorisch. Soweit ich weiß, hält diese Bahnung auch für länger an.

  35. 35

    Ich kannte dieses Phänomen bisher immer nur unter dem Namen „Rote Schuhe-Effekt“. Ich wusste gar nicht, dass es dafür auch Fachbegriffe gibt. ;-)

  36. 36

    da fällt mir noch ein: kuck mal auf die straße. in der nähe von einem roten auto ist immer auch ein blaues. fast immer. echt.

  37. 37
    der

    Man kann Dinge ja nennen, wie man will. Priming, als Begriff der Psychologie jedenfalls, bezeichnet die Veränderung einer Klassifikationsleistung, meist in deren Zeitverhalten, nach vorheriger Präsentation eines verwandten, aber anderen Reizes, gerne z.B. auch in einer anderen Modalität. Passt einfach nicht wirklich hier.

  38. 38

    @ der: Ok, verstehe jetzt (und nach Lektüre des Wikipedia-Artikels), was du meinst, kannte den Begriff aus der Neurophysiologie und nicht als Konzept der Psychologie, nach deren enggefaßten Definitionen er tatsächlich nicht paßt – neurophysiologisch aber durchaus.