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Le cimetière de l’innocence


Ambient 01 (2004), Kim Köster

„Monsieur.“

Sowas sagte sie nicht nur so dahin. Es gibt zwar Menschen, die das einfach so sagen: weil sie sich parisien fühlen möchten. Sich in einer „französischen Phase“ befinden, mit Rotwein, Brel und Vian. Käse auch, wenn er — ma foi — nicht allzu sehr stinkt. Wenn sie mit einem nichts anzufangen wissen. Dann steht man mitten im Zimmer und würde sich gerne zu den Möbeln stellen, oder man raucht.

Lena war nicht so. Wenn Lena Monsieur sagte, dann holte sie aus. Dann kam noch was. Nichts schönes: mehr so Graffiti von der Gare du Nord als Musée d“™Orsay. Irgendwas dreckiges.

„Monsieur.“

Sie sah immer sehr französisch aus, wenn sie das sagte. Nicht so Baguette unterm Arm, eher hinterhältig. Ihre Locken zitterten, aber ihre Hand war ruhig: ihre Stimme auch. Selbst die Katze horchte auf, wenn sie so sprach. Und im Laufe des Wortes begannen ihre Augen zu funkeln, oder vielleicht: Ich bekams dann erst mit. Vielleicht hatten ihre Augen schon die ganze Zeit über gefunkelt, und ich war wie am Bahnhof daran vorbeigegangen.

„Monsieur.“

Aha, dachte ich, also allein schlafen. Hoffentlich lass ich nicht wie sonst die Hälfte meiner Sachen hier rumliegen, sonst schmeißt sie die wieder aus dem Fenster. Aber nicht so zum Garten hinaus, wo das Zeug schön sanft auf den Rasen fällt, nein. Dann geht sie bestimmt wieder extra ins Badezimmer und schmeißt die Sachen auf die Straße, damit nachts die Nachbarn mit dem Auto drüberfahren. Einmal hab ich mein Notizbuch liegen gelassen, als sie Monsieur gesagt hatte. Im Januar. Als es geschneit hatte. Am nächsten Tag fand ich es als eine Art schwarzes Wespennest im Schnee liegen, und die Tinte war zu dunkelbraunen Rinnsalen zerlaufen. Als hätte das Heftchen sich Kajal übers Gesicht geheult. Als ich es ihr anklagend unter die Nase hielt, funkelte sie schon wieder: „Na und? Jetzt sehen Deine Ergüsse wenigstens auch nach Ergüssen aus.“

Aber ich konnte ihr nie lange böse sein. Sie mir ja auch nicht. Die anderen Beziehungen, die mögen wirkliche Kriege geführt haben, aber hey: wir waren die UNO. Wir köpften stattdessen morgens eine Flasche Sekt, betranken uns und sprachen über religiöse Symbolik in der Torschmiedekunst im fin d“™empire. Oder aber: sie sprach. Ich lauschte.

Denn sie hatte eine vorzügliche Ausbildung genossen. Ihre Mutter — ein fürchterliches Stück Weib, das sich, sobald sie mich begrüßte, die Wildlederhandschuhe überstreifte, um nicht mit meinen Proletarierfingern in Berührung zu kommen, und sie wahrscheinlich hinterher minutiös vom Dreck meiner Hände reinigte (mit Lauge hoffentlich) — hatte ihr von Geburt an Konversationslexika in die Babynahrung beigemischt. Lena konnte mühelos und aus dem Gedächtnis neuägyptische Elemente in der späten Plastik des sassanidischen Reiches lokalisieren, daraufhin eine Metaphysik kultureller Transfers entwerfen und daraus eine Theorie der Religionsstiftung im südmediterranen Raum ableiten. Und sie sah unwahrscheinlich aus, wenn sie sanft die Stirn in Falten legte, weil ihr eben, „gerade in diesem Moment“, für kurze Zeit die Lebensdaten Ramses des Zweiten entfallen waren. Was sind schon ein paar auf der Straße liegender Boxershorts, auf denen Nachbars Benz in der Nacht seine Reifenspuren hinterlassen hatte.

Keine Ahnung, was Lena eigentlich von mir wollte. Warum sie ausgerechnet mich zu ihren Wochenendausflügen nach München, in die Hypo-Vereinsstiftung oder in irgendein Stück von Schimmelpfennig mitschleppte. Warum sie mich angesprochen hatte, auf diese seltsamen Party irgendwelcher spätpubertärer Altersgenossen, die Thriller für das einzig tanzbare Stück unter der Sonne zu halten schienen. Warum sie mich, nachdem wir uns hin und wieder getroffen hatten, in Cafés, wo Bilder an der Wand hingen, irgendwann geküsst hat, obwohl ich zuvor Ricard getrunken hatte, und sie Anis nicht ausstehen konnte. Sie hat, direkt nach dem Kuss, auf die Strasse gespuckt, und mich gezwungen, ein Glas Milch zu trinken, um mich noch mal zu küssen. „Trink Milch“, hatte sie gesagt, und es hatte ganz und gar nicht nach einem Vorschlag geklungen. Denn man konnte ihre Augenbrauen sich runzeln sehen.

Und später: Was sollte ich in diesem Kreis ihrer Freunde, die nachmittags auf Terrassen saßen und sich Zigaretten auf Zigarettenfilter steckten. Die Sekt tranken statt Bier. Wein statt Bier. Cognac statt Bier. Sogar das Bier, dass sie tranken, war anders als meines. Es war: „Ein Bier“. Und bei mir: ne Halbe. „Du bist so… anders“, sagte sie dann, wenn wir nach Hause gingen, und ich dachte: „Und wir sind so jung.“

Und es begann die Zeit, als sie „žMonsieur“ zu sagen anfing. Zuerst, weil ich ihre Eltern nicht mochte, ein Haufen Paderborner Snobs, die es nicht weiter als in die Kleinstadt gebracht hatten. Und dann mochte sie meine Geburtstagsgeschenke nicht, die Weihnachtsgeschenke auch nicht, überhaupt: Geschenke! Alle scheiße. Hätte ich gesagt. Sie sagte: Und jetzt? Und als ich lachen musste, als sie irgendwann von Heirat sprach. Da stampfte sie auf mit dem Fuß und sagte: „Ich will. Und ich werde ein rotes Kleid tragen. Monsieur.“

Sie hat es nie getragen. Eigentlich war es ganz unspektakulär: Sie wollte nach Paris, ich nicht. Sie hat fünf oder sechsmal meine Sachen aus dem Fenster geschmissen, und es war mir egal. Und dann begann sie, mich schon morgens anzufunkeln.

Drei Wochen später war sie weg. Was von ihr blieb: Eine Adresse, irgendwo bei Nation. Eigentlich war das alles sehr unspektakulär, oder eher: unwirklich.

Und trotzdem zucke ich zusammen, wenn ich morgens verschlafen in meine französische Bäckerei gehe, um Baguette oder Croissants oder was auch immer zu holen, und die Bäckereifachverkäuferin, fröhlich, weil sie gut geschlafen hat und die Verdauung stimmt, mir entgegenlächelt und strahlt und sagt: „Bonjour,

Monsieur.“

10 Kommentare

  1. 01

    Särr schönärr Textö. Selten so gerne gelesen, Danke.
    Schenk ihr doch dieses Buch zu Weihnachten.

  2. 02

    Chapeau, Monsieur!

  3. 03
    heidrun

    seufz. da verlieb ich mich einmal, und dann ist überall nur von endenden beziehungen die rede. muss am herbst liegen. sehr schöner text.

  4. 04
    mc bastard

    ich bin auch verliebt… der herbst ist eh mehr mein frühling….

  5. 05
    Frédéric

    Na, da gratulier ich aber artig.
    Gratuliert man zum Verliebtsein?

  6. 06
    heidrun

    gute frage. ach, lieber nicht, bringt bestimmt unglück.
    @ mc: ha! ein gleichgesinnter! das war bei mir auch schon immer so.

  7. 07
    heidrun

    kim köster ist ne coole sau, hab ich grad festgestellt.

  8. 08
    Frédéric

    @ Heidrun (7): Das kann ich voll und ganz bestätigen.