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Das Gesicht am Fenster

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Bild: ra41

Wir hatten uns geschworen, uns gegenseitig wach zu halten. Aber jetzt schliefen die ersten und nur Alex, Kai, Michael und ich hielten noch Stellung. Angst hielt unsere Augen offen. Die Angst der Lämmer vor dem Wolf.


Die Jugendherberge, in der wir, die Klasse 3 C der Gemeinschaftsgrundschule Laurensberg, die letzten drei Tage verbracht hatten, lag mitten in einem Wald. Die Herbergseltern waren ein grimmiger Alter und seine schielende Frau, die diesen gottlosen Platz verrotten ließen. Die gelblichen Bratwürste und das muffige Kraut waren Generationen von Schülern vorgesetzt worden in diesen ranzigen Vorkriegstellern, auf denen in beinahe vollständig abgeblätterten Buchstaben in Sütterlin Essensermunterungen standen. Iss brav, dann regnet´s morgen nimmermehr.

Aber hier nieselte es ständig. Am Nachmittag des dritten Tages war die ganze Klasse durch den Wald marschiert. Ich ging vorneweg, schlug mit einem Stock auf Brennnesseln ein und stellte mir dabei die Gesichter der Herbergseltern vor, als ich von hinten die aufgeregte Stimme von Gertrud Aarau hörte. „Da war ein Mann! Hinter einem der Bäume!“ Wir alle hielten kurz an und schauten – aber kein Mann war zu sehen. Also zogen wir weiter, es fing an, stärker zu regnen und ich nutzte die aufkommende Hektik, um hinter einem Busch mein Essen auszuwürgen.

Abends lagen wir endlich zum letzten Mal in diesen stinkenden Etagenbetten, auf deren Holzlatten Einkerbungen waren, wie man sie aus Gefängnisfilmen kennt. Unsere Lehrerin kam mit einem Betthupferl zu uns rein und sah überhaupt nicht schuldbewusst aus, obwohl sie uns an diesen Ort gebracht hatte. Dann machte sie das Licht aus, blieb noch kurz an der geöffneten Tür stehen, wünschte uns eine gute Nacht und ging in ihr Zimmer.

Alex erzählte von ET. Ich dachte, dass ich auch gerne einen außerirdischen Freund hätte. Der könnte mich jetzt mit Astronautenkost versorgen. Mein Magen tat weh. Seitdem ich hinter den Busch gekotzt hatte, hatte ich nichts mehr gegessen, außer den Trets, die Michael noch dabei hatte.

Auf einmal schrie Florian, der am nächsten am Fenster lag, gedämpft auf.
„Was ist los?“, fragte Alex.
„Da war ein Mann am Fenster“, quiekte Florian.
„Was für ein Mann?“
„Ein böser Mann.“

Wir hatten noch nie etwas von Kindesmördern, Misshandlungen oder Entführungen gehört. In den Nachrichten ging es damals nicht um Ritualmorde und Pädophile sondern um Lech Walesa und den Papst.

Aber niemand muss Lämmern sagen, dass sie sich vor dem Wolf hüten müssen.

Wir hatten einen Wolf gewittert und unser Instinkt sagte uns, dass wir jetzt nur eine Möglichkeit hatten, zu überleben. Wir mussten wach bleiben. Wir mussten gemeinsam ausharren, bis zum Morgengrauen, das Licht würde den bösen Mann vertreiben.

Niemand wäre auf die Idee gekommen, unsere Lehrerin zu wecken, nur weil wir Todesangst hatten. Wachbleiben war das einzige, was wir tun konnten.

Also erzählte Alex weiter von ET, während wir auf das Fenster starrten. Ausgerechnet Florian schlief als erster ein. Im Schlaf wimmerte er.

„Wenn er durch das Fenster kommt, schaffen wir es dann wohl noch durch die Tür?“
„Er kommt nicht, wenn er sieht, dass wir noch wach sind.“
„Genau, wir dürfen nur nicht schlafen.“
„Wenn wir schlafen, dann kommt er uns holen.“
„Aber wir können doch auch nichts machen, wenn wir wach sind.“
„Der ist bestimmt riesengroß.“
„Michael kann doch Karate.“

Wir hörten ein lautes Schaben.
„Er versucht, reinzukommen.“
„Wenn er durch die Tür kommt, wo sollen wir dann hin?“
„Dann müssen wir durch das Fenster.“
„Raus in den Wald?“
„Michael, wie gut kannst du Karate?“

Michael schlief.

„Alex?“
„Ja?“
„Kai?“
„Mh?“
„Schaut ihr auf das Fenster, ich pass auf die Tür auf.“

Die Tür. Wenn er dadurch käme, hätte er mich als ersten. Ich klammerte mich an meiner kratzigen Wolldecke fest. Ich dachte an meine Mutter, mit ihren warmen, weichen Händen. Irgendwann würde ich eine Frau heiraten, die genauso warm und weich ist wie meine Mama.
Wenn ich hier rauskäme. Wieder das Kratzen. Ein Seufzen.

„Alex?“
„Der schläft,“ sagte eine tiefe Stimme.

Dann hörte ich nichts mehr.

Demnächst auf Spreeblick, Deutschlands spukigstem Weblog:

Bunnicula!

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misocrazy

7 Kommentare

  1. 01
  2. 02
    Jens

    Sowas hatten wir damals im Ferienlager in Belzig. Da war tatsächlich einer aus einer Russischen Kaserne ausgebüxt, und alle hatten schiss. Jedes Geräusch in der Dämmerung hinterm Zaun wurde gemeldet.
    Und dann wurden auch noch Spuren von Armeestiefeln gefunden. Da ging es aber in unseren 5.Klässler Köpfen rund.

  3. 03
    Basti

    Also jetzt kann man aber auch das ende verlangen …..also wirklich ich stehe nicht so auf offene abschlüsse…dazu reicht meine fantasie und meine gedult nciht….

  4. 04

    …liebe kinder, gebt fein acht, er hat euch etwas mitgebracht (feiner sand ist sieben)…

  5. 05

    Das war bestimmt nur der herbergsleiter, der euch zur Nachtwanderung abhlen wollte. Mit anschließendem Knüppelkuchenbacken am Lagerfeuer. Mhhmmm…das waren noch Zeiten…Kinderjahre:-)

  6. 06
    Robert

    Als ich in der vierten Klasse auf Klassenfahrt war, wurde ein Chupacabra durch ein Fenster gesichtet und brachte sogar Unordnung in zwei Mädchenzimmer.

    Der Abend wischt heute noch mit jedem Halloween den Boden auf.

  7. 07

    Laurensberg bei Aachen? Neben Richterich und Kohlscheid?