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Anne Will und das Nichts

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Original: Howie_Berlin, Bearbeitung: René

Nach der ersten Sendung wusste ich noch nicht so recht. Also fragte ich Stefan Niggemeier, wie mir die erste Folge der Anne-Will-Show gefallen habe und er antwortete mit diesem Artikel.

Eine Dramaturgie ist nicht erkennbar, nach einer guten Dreiviertelstunde ist sehr die Luft raus, auch aus Anne Will, und dass ein Film in der Mitte der Sendung über eine ausgebrannte Ärztin im bleischweren Stil eines alten „Gott und die Welt“-Beitrages daherkommt, ist nicht hilfreich. Die Minuten dehnen sich.

Nun bin ich zufällig der Doyen der Versagensangst und deshalb habe ich es mir verkniffen, zu den ersten Sendungen der vermutlich völlig verunsicherten Anne Will etwas zu schreiben. Aber jetzt dürfte sich die Aufregung etwas gelegt haben und somit ist es an der Zeit, ein paar Worte zu der wichtigsten Veranstaltung der deutschen Demokratie zu sagen.

Verständlicherweise ist Anne Will von dem Wunsch beseelt, die Anti-Christiansen zu sein. Sabine Christiansen hatte bekanntermaßen eine klare Agenda. Ihre Aufgabe sah sie darin, eigenhändig den deutschen Sozialstaat zu schleifen und wenn Guido Westerwelle eintausend Mal sagen wollte, dass wir von China abgehängt werden, dann durfte er das selbstverständlich machen, solange Friedrich Merz dazu auch schön böse nicken und sein Kinn zwischen Zeige- und Mittelfinger pressen konnte.

Zudem besaß Sabine Christiansen die Gabe, mit schlafwandlerischer Sicherheit zu erkennen, wenn ein Gast etwas Intelligentes oder auch nur irgendwie Erhellendes zur Krawallrunde beitragen wollte. Sie unterbrach ihn dann rigoros und fragte Guido Westerwelle, ob Deutschland denn überhaupt noch zu retten sei.

Zunächst hielt ich das in meiner Naivität für einen Fehler von Sabine Christiansen und fragte mich, wie sie es überhaupt ins Fernsehen geschafft hat*. Viel zu spät begriff ich, dass nur so überhaupt eine Sendung zustande kommen kann, die jeden Sonntag den Untergang Deutschlands heraufbeschwört. Klarheit und Verständigung hätten den Untergang bloß quälend lang hinausgezögert.

Es ist vermutlich löblich von Anne Will, auf Krawall und Endzeitszenarien zu verzichten. Aber muss es dann gleich zugehen wie in einer Asperger-Selbsthilfegruppe? Das Schnarchen der Zuschauer ist wirklich störend laut, regelmäßig müssen die älteren Gäste von quirligen Assistentinnen wachgerüttelt werden und manchmal glaubt man, eine Fliege über die Iris von Anne Will wandern zu sehen. In der vergangenen Woche ging es um die neuen Unterhaltsregelungen und das Aufregendste war die Frage, ob der Tochter von Franz Xaver „Baby Schimmerlos“ Kroetz beim Grimassieren wohl im Verlauf der Sendung das Jochbein bricht.

Die weitreichendste Innovation von Anne Will neben der Abschaffung einer Dramaturgie besteht darin, Schauspieler zum Plauderstündchen dazu zu holen. Mal nimmt man einen, der schon einmal in einem Zug gesessen hat (wenn es um die Privatisierung der Bahn geht), dann eine, die schon einmal verheiratet war (das war dann die Mutter der Tocher von Franz Xaver „Baby Schimmerlos“ Kroetz, ihres Zeichens Unterhaltsexpertin). Und wenn das Thema nicht ganz so spezifisch ist, kommt man auf Veronica Ferres zurück. Die ist nämlich Expertin für Kindesmissbrauch, Stasi-Opfer, Bandwürmer und mit Helmut Dietl war sie auch mal verbandelt und früher war sie manchmal nackt im Fernsehen und heute eher angezogen, denn ihre Brüste sind sehr nachdenklich geworden mit der Zeit.

Gestern um 21.45 Uhr ging es dann nicht etwa um den gravierenden Eingriff in den für die Arbeit der Presse so wichtigen Informantenschutz, der am Freitag abgesegnet worden war. Es ging um Diätenerhöhung. Vermutlich war eine Schauspielerin anwesend, die verschiedene Diäten ausprobiert hat, Umfragen wurden vorgelesen, die belegten, dass die Bürger die Diäten für zu hoch, zu niedrig oder gerade richtig halten, aber Bananendiäten als zu einseitig ablehnen. Anne Will sagte nicht, dass sie unter diesen Umständen nicht verstehe, warum die Bürger es akzeptieren, in einer Bananenrepublik zu leben, weil das nicht auf ihren Notizzetteln stand.

Ich weiß es nicht. Ich bin zu Beginn der Sendung eingeschlafen und habe geträumt, ein erwachsen gewordener Guido Westerwelle hätte in einem ergebnisoffen und ernsthaft geführten Gespräch mit einem verantwortungsbewussten Oskar Lafontaine seine Selbstauflösung beschlossen. Dann trat Joschka Fischer mit einem Motorradhelm hinzu, hörte Wolfgang Schäubles Hirnschrittmacher ab und Mario Barth verließ polternd die Sendung, nicht ohne zuvor etwas wirklich Komisches über Adolf Hitler gesagt zu haben. Dann wachte ich auf und hörte Veronica Ferres sagen, dass Kaviar die beste Diät darstelle, gerade für missbrauchte Kinder und Helmut Dietl.

* Ich weiß es immer noch nicht.

16 Kommentare

  1. 01
    Maltefan

    Du musst Stefan fragen wie Dir die Sendung gefallen hat? So gut versteht Ihr Euch? Dann solltet Ihre eine Heirat in Erwägung ziehen …

  2. 02

    Vielen Dank, Malte, für diese Erleuchtung. Ich habe mich die ganzen quälenden letzten Wochen immer gefragt, ob ich was verpasst habe, wenn mir montags einfiel, dass am Abend zuvor doch „Anne Will“ im Fernsehen war. Jetzt habe ich die Antwort.

    „žHirnschrittmacher“… sehr schön, den muss ich mir merken.

  3. 03

    Die einzige seriöse Talk-Sendung ist „Zimmer frei“.

  4. 04
    hilb

    Zu diesem und zwei weiteren ARD-Girls hat die Titanic was Essenzielles beigetragen:
    http://www.titanic-magazin.de/ard-girls.html

  5. 05

    Ich habe vor vier Wochen die Sendung mit dem Titel „Klassenkampf im Klassenzimmer“ gesehen und fand sie gar nicht schlecht: http://www.xn--jrg-friedrich-imb.de/2007/10/15/eine-chance-fur-anne-will/
    Gestern hab ich dann in der letzten viertel Stunde wieder reingeschaut und erstmal positiv registriert, dass wieder keine bekannten Politiker da waren. Allerdings packte mich schnell die Müdigkeit, das, was du hier schreibst, passt sehr gut dazu. Ich denke: man muss Sonntags Abends um diese Zeit auch nicht fernsehen, ich hab das in den vergangenen Jahren nicht gebraucht, ich werd auch in Zukunft drauf verzichten können.

  6. 06

    Den Höhepunkt der Sendung gab’s bereits in den ersten Minuten.

    Rainer Wend: „… dann muss man dafür auch streiten und warum soll ich das heute bei dir nicht tun?“
    Anne Will: „Warum sind Sie so mutig?“

    Danach war ich leider mit ebenso unwichtigen, aber spanennderen Dingen beschäftigt, hörte nur noch mit einem Ohr zu und schaltete zwischendrin gar ganz den Ton ab.

  7. 07

    Die Titanic hat schon recht, Anne Will sieht wirklich sehr schön aus, auch das mit ihren Haaren und so ist einfach prächtig anzuschauen.

    Ich frage mich allerdings, woher diese bleierne Schwere kommt, die Will ausstrahlt. Ist es, weil sie unterschwellig sehr bemüht ist, perfekt zu sein, und man sowas einfach nicht erträgt (zumal am Sonntagabend)? Irgendwas psychologisches ist es jedenfalls, da bin ich mir sicher.

  8. 08
    martin

    bla bla, …was genau meinen Sie jetzt?
    Sie waren gelangweilt?
    Sagen Sie das doch, dafür braucht es nur einen Satz.
    …..gähn

  9. 09
  10. 10

    Will will Müll, z.B. Brüll-ereien, unbedingt vermeiden, überhaupt ist ihr jede Form von Zuspitzung zuwider.

  11. 11
    Toni

    die arme anne

  12. 12

    Anne Will – mich halt net

  13. 13
    schläfer

    Anne Will ist ein gescheiterter Edmund Stoiber. Der hat damals noch rechtzeitig Angst vor der eigenen Courage bekommen, als es darum ging, als Minister nach Berlin zu gehen. Stattdessen machte er sich mit seinen kalten Füssen noch zwei weitere schöne Jahre in Bayern. Frau Will hat diese Kurve nicht gekriegt.
    Zusammen mit Tom Buhrow und Caren Miosga feiert das Peter-Prinzip der Langweiler in der ARD fröhliche Urständ.

    Ich will die Hundefriseurin zurück! Die habe ich zwar auch nie geguckt, aber die sandte wenigstens nicht solche Alphawellen aus…

  14. 14
    markus

    … und heute eher angezogen, denn ihre Brüste sind sehr nachdenklich geworden mit der Zeit.

    grossartig.

  15. 15
    jheart

    Ich gucke unglaublich gerne politische Talkshows wie Sabine Christiansen, Maybrit Illner, auch „Unter den Linden“ und die andere Talk Show auf Phoenix.
    Allerdings muss es auch etwas interessant zugehen.
    Die Themen müssen ansprechend sein. Thesen müssen zur Not kontrovers aufgeworfen sein.

    Von Frau Will fühle ich mich verschaukelt und um meinen schönen „wenn die anderen sich so richtig zoffen,freu‘ ich mich“ Sonntag Abend gebracht.

    Die Themen sind eine „Drei-Minus“. Eigentlich war nur das Bahnstreik Thema interessant. Der Rest war entweder ausgelutscht, wie das Premierenthema mit der sozialen Frage. Oder es betraf die meisten Zusacher eh nicht, wie die Abgeordneten Diäten. Oder es war so rechtsspezifisch wie die Sorgerechtsregelungen.

    Also schon die Themenwahl: zum Heulen.

    Zum Zähneklappern kommt es aber nicht, da man vorher von diesem Valium-Effekt hinsinkt.
    Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht, weil die Themen so bewusst vernünftig umgesetzt werden. Selbst ein rasender Mehdorn kann einen da nur kurz wecken, da Frau Will ihn sofort stoppen will. OK das hat bei Mehdorn jetzt nicht geklappt. Allerdings ist das Gezänke zweier Streithähne so ganz ohne Einmischung der Moderatorin auch nervig.

    Das Thema zu den Energiekartellen hätte einiges hergegeben.

    Schließlich haben die Genossen aus der Vorgängerregierung den Weg ins Engergiekartell geebnet. Ehemalige Minister und Staatssekretäre, die das ermöglicht haben, stehen nun im Sold der Energiekonzerne.
    Eigentlich spannend wie ein Krimi.
    Aber den ungerührten Bernotat wollte die Friedrich-Ebert-Stiftung Stipendiatin denn doch nicht zu hart anfassen.
    Ihre Frage an Bernotat, es habe doch Absprachen gegeben, das möge er doch bitte zugeben. Das war – man kann es nicht anders umschreiben – einfach peinlich.