Bild generiert von Ortstafel
(Hinweis: Dies ist die Fortsetzung des ersten Teils)
Kommen wir mal aufs Internet zu sprechen: Was hältst Du von beispielsweise Amazon? Hilft das den kleinen Verlagen, oder eher nicht?
Amazon ist wie Bol oder Booxtra oder Thalia.de oder Hugendubel.de ein Verteiler, der zwar alle Bücher „am Lager“ hat, aber mehr auch nicht. Es gibt einige wenige Portale, die speziell kleine Verlage betreuen, doch die werden wiederum selten frequentiert.
Wie Amazon allerdings zu bewerten ist, da scheiden sich die Geister. Die einen sagen: Super, da sind total viele Titel auf Lager, da kann man alles kaufen, von Kleinstverlagen über fast vergriffenen Ausgaben bis was weiß ich.
Andere sagen, dass hilft eher den großen Verlagen, vor allem wegen der Buchempfehlungen und dem „Ladentisch“, sprich der bestsellerlastigen Startseite.
Wie viele ist auch Amazon ein Laden, der vor allem bewirbt, was läuft. Was läuft, verursacht keine Lagerkosten, weil es nicht lang liegt. In den USA, heißt es, zahlen Verlage für die Platzierung in Buchläden und auf Websites, hierzulande gibt es vergleichbare Überlegungen. Doch es dauert noch ein bisschen, bis Verlage hier direkt für die Platzierung zahlen müssen, wenn auch nicht mehr allzu lang. Große Bestellungen werden ja schon durch günstigere Rabatte belohnt.
Mit Amazon, das müssen die Buchhändler wie die Verleger, die sich über Amazon & Co beschweren, begreifen, verhält es sich so wie mit anderen Großbuchhandlungen. Der Unterschied ist: Amazon hat große Sortimentstiefe. Über Amazon heißt es, dass 50 % der Bestellungen keine Neuerscheinungen sind, sondern aus der Backlist stammen. Die Buchhandlungen müssen da immer klein bleiben, wenn sie sich auf die Schnelldreher konzentrieren.
Aber Amazon hat keine Beratung. Der Beratungsbot, der empfiehlt, „Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, kauften auch…“ verweist von Literatur zu Softpornofilmen zu Rasenmähern, denn er kann ja nicht wissen, was zueinander passt. Das aber wollen die meisten Kunden nicht. Einige finden bei Amazon, was sie suchen. Aber die meisten wissen ja gar nicht, was sie suchen. Die sind bei Amazon, Bol, Lob, Libri, Buchkatalog und wie sie alle heißen aufgeschmissen. Stöbern kann man ja bei Amazon auch nicht.
Allerdings haben alle Netzvertriebe einen total großen Vorteil: Sie haben all das auf Lager, was ein Barsortimenter auf Lager hat. Das ist zwar leider nicht das Verzeichnis der lieferbaren Bücher, aber immerhin.
Lass uns mal über das Internet als Ausdrucksmedium sprechen, jenseits der Vertriebswege. Direkte „Internetliteratur“ gibt“™s ja eher selten: Was online funktioniert, wird später gerne gedruckt (wie Rainald Goetz‘ „Abfall für alle“l), oder bleibt Sparte, wie die html-Dichtungen, Florian Cramers „Permutationen“ zum Beispiel. Das Internet hat die Form der Literatur also nicht revolutioniert.
Ja, naja. Das gilt für die meisten Künste: Die Bedeutung des Internets für die moderne Malerei ist ja auch nicht sehr hoch. Es gibt zwar Malerinnen und Maler wie Tatjana Doll, die die neuen Möglichkeiten nutzen. Aber das ist selten.
Die Hypertext-Geschichten finde ich bisher Quatsch, viel zu formverliebt und ohne entsprechenden Inhalt. Aber da werden schon noch Leute kommen, die das austarieren. Momentan sehen Hypertexte noch so aus wie der „žLexikonroman“ von Andreas Okopenko aus den 70er Jahren. Die versuchen immer noch, ein Buch nachzubauen. Aber man muss weg vom Buch. Das geht noch nicht, wegen der Verwertungslogik.
Und Blogtexte?
Es ist meistens unsinnig, Blogs in Bücher zu pressen. Es gibt wenige Ausnahmen, wie das Schröder-Kalender-Blog oder Texte der Riesenmaschine. Das Vanitiy-Fair-Blog von Goetz aber wird es in seiner Gänze wohl nie als Buch geben – eine Auswahl wahrscheinlich schon.
Bloggen ist interessant – aber es ist formal was völlig anderes. Besonders schön kann man das außerliterarisch an Ehrensenf sehen: Ein ausgesprochen kompliziertes Format, das versucht, eher auf Oliver-Pocher- als Harald-Schmidt-Niveau Witze zu machen. Das ist zwar fernsehkompatibel, aber es ist kein Fernsehen. Es gelingt einigermaßen, vor allem auf Grund der Links, und zieht als Publikum eher Freunde des Obskuranten an und früher meinetwegen noch Liebhaber von Katrin Bauerfeind – als Buch ist es aber endgültig im Sack. Niemand hat die Muße oder aber auch Lust, die Links einzutippen. Als pdf wär“™s interessant, aber da ist es auch nicht verkaufbar.
Nochmal zu den Blogtexten: Die Formalitäten sind da ja streng: relative Kürze, eher leichte, assoziative Schreibe und starke oder alltägliche Thematik. Zumindest sind das die Sachen, die gut funktionieren.
Kommt drauf an, was Du liest, nicht wahr? Ich glaube, viele Internettexte versuchen, originell zu sein, ohne es wirklich zu sein. Das Problem der Blogtexte finde ich im Gegenteil, das sie relativ wenig formalem Zwang unterliegen, ungefähr so wie die WG-Lyrik der siebziger Jahre. Bloß weil etwas in Zeilen umgesetzt ist, muss es nicht gleich ein Gedicht sein. Das Blog ist formal ganz weich: Man kann in vierundzwanzig Teilen eine hundertseitige Erzählung publizieren, oder aber Aphorismen posten. Da geht alles.
Das Internet hat eine große Bedeutung für die Verkäuflichkeit von Literatur: Ich glaube aber, dass das stilbildnerische, das aus dem Internet erwachsen kann, zurzeit noch nicht spürbar ist. Die Autoren probieren sich im Netz aus, und was dabei herauskommt, ist dann trotzdem wieder ein Roman, ein Sachbuch, also traditionelle Formate. Was klassisches.
Das heißt: Formal hat das Internet die Literatur nicht verändert.
Doch, schon. Das Internet ist ein sehr schnelles Medium: Man kann fix mal was reinhauen. Dadurch entwickelt sich eine gewisse Unsouveränität gegenüber dem Text. Da gibt es eine sehr schöne Untersuchung von Friedrich Kittler, der die Veränderung des Schreibens mit der Schreibmaschine und später mit dem Computer untersucht. Das Internet setzt die Schreibgeschwindigkeit noch mal eins hoch und verändert damit natürlich auch das Schreiben. Es wird niemand so über Internet schreiben, wie damals mit der Schreibmaschine, als man sich sagte: Ich will das Scheiß-Blatt nicht noch mal tippen. Da muss man anders konzentriert arbeiten.
Außerdem ist der Text an sich schnelllebig geworden und dadurch immer relativierbar. Aber wahnsinnig viele Leute arbeiten da durchaus sehr interessant mit. Zum Beispiel Alban Nikolai Herbst, ein streitbarer Dichter, der sein Arbeitsjournal bloggt, und auch noch Vorfassungen von Artikeln und Prosa. Und das von fünf Uhr morgens an über den Tag verteilt. Das wird inzwischen sogar von Universitäten archiviert. Das ist natürlich schon interessant. Gleichzeitig muss man sich schon fragen: Wer will das lesen? Und wird er die ganzen Texte von Herbst lesen, wenn er doch die Vorfassungen kennt und glaubt, sich dadurch die Lektüre sparen zu können? Das ist eine große Streitfrage. Kathrin Passig sagt: Ja. Sie meint, das wäre sinnvoll, ein Buch im Internet noch mal als pdf zu veröffentlichen, weil die Leute lesen es sowieso dann als Buch, haben aber die Suchfunktion extra. Das hat sie mit dem „Riesenmaschine“-Buch, bei dem sie Mitherausgeberin ist, ja dann auch gemacht.
Das gibt es ja jetzt immer mehr, dass Autoren ihre neuen Bücher als pdfs veröffentlichen: Elfriede Jellinek hat das gemacht, Doctorow auch…
Nehmen wir mal Jellineks Privatroman „Neid“. Sie kann sich das nach dem Literaturnobelpreis leisten, in ein Medium zu investieren, das sie alleine beherrscht und dessen Verwertungslogik sie nicht zu interessieren braucht. Und gleichzeitig ist es ein „Privatroman“: Sie kann das Zeug ja jederzeit wieder löschen, sie kann damit machen, was sie will, und das sogar juristisch verfolgen. Sie nutzt das für sich aus, was ihr eine große Freiheit gibt, ist aber eine sehr singuläre Position. Der Roman ist zudem außerordentlich professionell durchlektoriert. Da ich die Autorin nicht persönlich kenne, weiß ich nicht, ob sie das kann, sich selbst so diszipliniert zu lektorieren, obwohl ich ihr das bei ihren intellektuellen Fähigkeiten und ihrer hohen Selbstdisziplin durchaus zutraue.
Ein anderes Beispiel, und ein negatives: Stephen King ist mit einem sehr ähnlichen Projekt vor einigen Jahren hochkant gescheitert. Das ging irgendwie so: Er schreibt ein Kapitel, und wenn soundsoviel Leute einen Dollar überwiesen haben, schreibt er das nächste. Ich glaube, er ist nicht mal über das erste Kapitel hinausgekommen.*
Was als Beweis dienen könnte, dass das Internet für Literatur nicht rentabel ist.
Das Internet lebt vom Mythos der „Nicht-Bezahlung“: Im Internet ist das Internet selber schwer zu verkaufen. Das geht mit externen Produkten, wie Waschmaschinen, Telepromptern oder Büchern. Andererseits tut sich Literatur, und auch andere Kunst, aus gutem Grund schwer mit Querfinanzierung, also Werbezuschaltungen oder ähnlichem. Literatur für umsonst zu publizieren muss man sich leisten können und Spaß daran haben: auf längere Sicht ist das aber schwierig.
Dazu kommt, dass gerade Literatur sowieso immer als teuer gilt. Was totaler Quatsch ist. Da schadet sich die Literatur selbst, wenn man versucht, Literatur im Netz umsonst zu handeln, da schaden sich die Autorinnen und Autoren. Denn es gibt kaum Leute mehr wie, sagen wir mal, die Medici oder die Krupp-Erben, die es sich leisten können, Privatstudien zu machen.
Und es ist noch mal was anderes, eine lose Blattsammlung zu lesen, wenn man sich das ausdruckt, statt eines gebundenen Buches. Das ist ein tatsächliches Problem. Denn das wirkt zurück auf die Literatur. In der Hinsicht mag das Internet einen großen umwälzenden Effekt auf die Literatur haben, aber nicht unbedingt einen befreienden.
Wo funktioniert das Internet für den Literaturbetrieb?
Zum Beispiel bei Angeboten wie dem Perlentaucher. Das ist unübertreffbar. Und das kann nur im Internet funktionieren: Kein anderes Medium kann sowas.
Oder, noch mal ganz anders, als Universalarchiv. Ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob man nochmal beispielsweise die ganze „Fackel“ drucken muss, oder ob die Verfügbarkeit der Fackel im Internet nicht viel geiler ist, also ob das Internet nicht das angemessene Medium dafür ist. Mit CD-Rom Nebenverwertung. Für Musil kam eine Riesen-CD-Rom mit dem gesamten Nachlass bei Rowohlt raus, die sehr steif und sehr schwer zu handhaben war. Aber obwohl das ziemlich mittelalterlich war, war das schon super. Das wären gedruckt irgendwas zwischen fünfzig oder hundert Bänden gewesen.
Was ich auch sehr interessant finde, sind so Sachen wie die lesemaschine. Das Konzept ist gut: Das ist zwar keine neue Form, aber diese relative, unverarbeitete Lektüreerfahrung, die sich im Verlauf des Buches dann korrigiert, das ist spannend.
Sind Computerspiele nicht sowas wie die neuen Romane?
Nein. „Mensch ärgere Dich nicht“ waren auch nicht die alten Märchen.
*Das ist nur fast richtig. Siehe davor gesetzten Link.
Einige wenige weiterführende Links zum Thema
Jörg Sundermeier über die Buchpreisbindung und den aktuellen Stand der Literatur und den Zwang der Autoren zur Selbstvermarktung.
Friedrich Kittler – selected writings: Ein bißchen Theorie.
Chris Anderson – The Long Tail: Immer noch lesenswerter Artikel über den Umsatz von Internet-Verteilern durch den Long Tail.
Florian Cramer – 10 Thesen zur Softwarekunst
Den Vergleich am Ende verstehe ich nicht.
XML Parsing Error: not well-formed
Line Number 84, Column 122:
feed kaputt oder mein fehler ?
@ Sebastian: Ich auch nur halb.
@ erlehmann: Bei mir klappts mit dem feed. Keine Ahnung.
Bei mir gehts auch nicht:
XML Parsing Error: not well-formed
Location: file:///
Line Number 471, Column 122:<p><em>Das gibt es ja jetzt immer mehr, dass Autoren ihre neuen Bücher als pdfs veröffentlichen: <a href=“““ http:=““>Elfriede Jellinek</a> hat das gemacht, <a href=“““ http:=““>Doctorow</a> auch“¦</em></p>
————————————————————————————————————————-^
Bei mir geht der Feed „¦ ich fürchte, da muss ich Max fragen. XML ist nicht mein Gebiet „¦
Sieht einfach nach falsch gesetzten hrefs aus „¦ keine Ahnung, ob ein Feed darüber stolpert, aber ich korrigiere das mal.
Yup, die Anführungszeichen waren falsche in den in #4 gezeigten Links.
Geht’s jetzt?
Mit Liferea immer noch nicht. Ich befürchte aber, dass der das cached und ich zu dumm bin, den cache zu leeren.
Zur Rolle von Amazon und Co.:
Genau wie die Bücherläden sind auch Amzon und andere nicht zum „Kieken“ sondern zum „Koofen“ da – und da bekommt man bei Amazon eben viel viel mehr vom Long Tail. Das ist einfach klasse.
Also ich finde, gerade Buchläden sind vor allem zum kieken da: selbst wenn ich ganz genau weiß, welches Buch ich haben will, blättere ich bestimmt noch ein Dutzend anderer Bücher an, was immer der Anfang vom Ruin ist…
Wenn ich mich aber für eine bestimmte Thematik interessiere, ohne einen passenden Literaturtip bekommen zu haben, dann brauche ich zwingend nen Buchladen. Dann muss mir nämlich der Buchhändler erklären, was an welchem Buch gut ist, und was nicht. Also auch wieder kieken (oder eher hören). Dann erst kaufen.
Die meisten Bücher, für die ich mich interessiere, kriege ich in keinem Bücherladen, das ist vielleicht der Unterschied. Die liegen bei irgendeinem Händler von Amazon-Marketplace.
Außerdem gibt es ja durchaus in vielen Bücherläden Lesecken mit Sofas etc. Nur Café wird einem dort nicht gereicht. Aber gibt es sicher auch irgendwo.