Sarah Assbring, oder vielmehr ihr musikalisches Alter Ego El Perro Del Mar, ist ein Phänomen. Verstörend intim, gleichzeitig geheimnisvoll und weltfremd. Unzählige Rezensionen haben sich schon daran versucht dieses Mysterium zu beschreiben, ohne es dabei wirklich be- und gegriffen zu haben. Mir geht es da nicht anders, deshalb heute lediglich so etwas wie ein Versuch.
Fangen wir mit dem vermeintlich Einfachen an: Die Bandbiographie. Sarah Assbring sitzt 2003 irgendwo an einem steinigen Strand auf einer spanischen Ferieninsel, welche das ist tut nichts zur Sache, und ist richtiggehend traurig. Die junge Musikerin weiß nicht so richtig weiter. Vollkommene Blockade. Nichts geht mehr. Für all ihre Songideen kann sie keine entsprechende Form finden. Bis auf ein paar Melodien scheint ihr alles so austauschbar und sinnlos.
Irgendwann taucht ein herrenloser Hund am Strand auf und verfolgt Sarah fortan für eine Weile. Nicht bis nach Schweden, aber dort wieder angekommen fühlt sie sich von der Begegnung mit dem Hund so inspiriert, dass sie ihr Projekt kurzerhand El Perro Del Mar umbenennt und mit der Aufnahme einiger Songs beginnt.
Und? Kann man daraus schlau werden? Nicht richtig oder? Und das war erst der vermeintlich einfache Teil. Aber vorher drück ich mich noch vor dem schwierigen Teil mit ein wenig Historie:
Circa ein halbes Jahr später, im März 2004 erscheint die erste El Perro Del Mar EP „Baby, I’ve been in a bad place“ gleichzeitig die erste Veröffentlichung des neuen schwedischen Labels Hybris. Sarah schwört dem Label die ewige Treue und es folgen unmittelbar darauf die EPs „I’ve got good news“ und „Holiday Special“. Allesamt bis dahin CD-R Veröffentlichungen, mit Pedanten kann man sich jetzt streiten ob dass dann wirklich Veröffentlichungen waren, aber wer will das 2008 schon.
Sarah Assbring ist in der Folgezeit ziemlich umtriebig, vergessen die ganze Lethargie bevor sie auf den Hund kam. Die erste ordentlich gepresste EP folgt auch recht zügig. Es gibt in der Folgezeit Auftritte mit den damals in Schweden schon recht erfolgreichen Jenny Wilson und José Gonzales und 2005 wird aus allen veröffentlichten EPs schließlich der erste Longplayer „Look! It’s El Perro Del Mar!“ zusammen gesetzt.
Jens Lekman, Schwede des Jahres 2007, wird darauf irgendwie aufmerksam, nimmt sich Sarah an die Hand und geht mit ihr nochmals ins Studio um eine deutlich bessere und brilliantere Version des selben Albums aufzunehmen. Lekman hat ein gutes Händchen und vielleicht noch mehr Gefühl. Die Produktion wird nicht unwesentlich zum Gründungszauber von El Perro Del Mar beitragen. Das Album wird selbstbetitelt und erscheint also zum zweiten Mal 2006, bei Memphis Industries, trotz der Treueschwüre.
Das ist der Durchbruch für El Perro Del Mar. Sie sammelt zahlreiche bloggende Fans in den Vereinigten Staaten und tourt ganz ordentlich über den alten Kontinent. TV On The Radio fragen sie als Vorband an und auch deren Kollegen von Grizzly Bear und selbst Altmeister David Bowie bekunden öffentlich ihre Zuneigung.
Zwei Jahre später, Jetztzeit, steht das zweite richtige Album vor der Veröffentlichung. „From The Valley To The Stars“ heißt es und wird bei Memphis Industries und Licking Fingers, das Label bei dem auch die Conretes sind, veröffentlicht. Die erste Single „How Did We Forget?“ nimmt mit dem ersten Takt gefangen, lullt regelrecht ein und auch die einsetzenden Big-Band Bläser verfallen der El Perro Del Mar Lethargie, deren Geheimformel noch zu klären sein wird. „How Did We Forget?“ jedenfalls ist schon samt B-Seite „You Hit Me (It’s a Crying Shame)“ seit dem 13. Februar öffentlich. Zu Kaufen im Licking Fingers Online Store für nur einen Pfund. In fünf Tagen folgt dann das Album.
Die Produktion von „From The Valley To The Stars“ folgt dem Vorgänger. Sie ist unglaublich brilliant, klar und zu großen Teilen für die unverwechselbare Intimität verantwortlich, sie betont die widersprüchliche Dominanz Sarahs Stimme und das obwohl Instrumentierung und Stil im Vergleich zum Debüt zunehmen, weiter gefächerter sind. Es gibt viel unverhohlenere Rückgriffe auf Blues, Soul und Gospel. Die werden dann aber trotz Unterstützung des Göteborger Symphonie Orchesters an der kurzen Leine gehalten. Widersprüchlich auch hier einmal die Anwesenheit eines Orchesters und dennoch die gleichzeitige Schlichtheit eines jeden Titels.
Brill Building wird irrtümlich El Perro Del Mars Genre in einigen Artikeln genannt. Jene Stilrichtung, die die USA vor der ankommenden British Invasion, kommerziell beherrschte. Dabei kratzt die Referenz nur an der Popoberfläche der Schwedin, ebenso wie der Verweis auf Phil Spector. Neben vielen wirren und träumerischen Kommentaren erklärt Sarah aber mit folgendem Zitat recht gut was sie mit ihrer Musik erreichen wollte:
“ […] the music turned up after the language and at that moment it was as though the music didn’t belong to me, as if in some way it had existed all along. In the same way that ‚folk music‘ works I wanted to make something timeless, that in its character might appear like a collection of hymns or psalms, but in a pop costume“.
Keinen wirklichen Hinweis auf meiner Verständnissuche liefern die El Perro Del Mar Konzerte, denn der Auftritt von Sarah Assbring, die auf Tour von ein bis drei Musikern begleitet wird, ist wie eine Verbildlichung ihrer Musik. Alles ist widersprüchlich. Sie steht auf der Bühne, die Gitarre brusthoch gezogen, und ist doch nicht da. Vollkommen entrückt singt sie nachdrücklich ihre zuckersüßen Melodien ins Mikrophon und bewegt sich dabei so wenig, einige Shoegazer wirkten wie ADS-Kids daneben.
[VIDEO] El Perro Del Mar – „Candy“
Apropros Verhaltensstörung. Ich bin letztendlich auf ein Zitat von Sarah gestoßen, das neben der allumfassenden Widersprüchlichkeit, die an sich ja schon ein ausgezeichneter Grund für mein Interesse an El Perro Del Mar ist wäre, zumindest eine Erklärung anbietet. Für mich ist das der gesuchte Schlüssel zu El Perro Del Mar:
„This is all I need to say […] I just want to express a feeling in a very condensed way. Like the blues tradition, where you lament on something and repeat it until it goes away.“
Wiederholung – natürlich das ist es. So lang der Weg so einfach die Erkenntnis. Das uralte Hitprinzip, bei El Perro Del Mar in Verkleidung und vielleicht nicht so kommerziell, aber da lass‘ ich mich auch gerne überraschen.
[MP3] El Perro Del Mar – „God knows (You gotta give to get)“
[MP3] El Perro Del Mar – „Party“
[MP3] El Perro Del Mar – „It’s all good“
Downloads alle vom ersten Album und via last.fm und Pitchfork.
[STREAM] El Perro Del Mar – „From The Valley To The Stars“
Sarah Assbring bloggt auch. Hier geht’s zum El Perro Del Mar Blog.
Als eingefleischter Schwabe,
der Naturgemäss gegenüber den Mitteilungsfreudigen Nordostdeutschen verhalten agiert, ziehe ich in Betracht,
meinen Lebensmittelpunkt nach Osten zu verlegen.
Nicht ernsthaft. Wirklich nicht.
Beruhigend. Perfekte „Fatal Car Collision Songs“.
Danke für die vielen Hintergrundinfos. El Perro Del Mar ist mir in diversen Musik-Blogs schon aufgefallen. Sollte viel bekannter sein, finde ich :)
@#670097:
Edit
mein erster Beitrag war wohl miss(t)verständlich gänzlich anders gemeint.
Eigentlich gefällt es mir schon sehr gut. Es erinnert entfernt ein wenig an Sinead O’Connor. Man könnte auch sagen, dass die Sängerin eine ähnlich charakteristisch interessante Frau ist wie Beth Gibbons von Portishead.
:-)