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War ja ein kurzer Sommer gewesen dieses Jahr. Jetzt ist dann schon bald wieder Weihnachten, man macht sichs gemütlich vor dem Kamin, trinkt heiße Schokolade oder Tee oder Grog und zählt Schneeflocken, bis man einschläft. Draußen toben die Polarbären, und der Wind faucht. So ist das. Jahreszeit für gute Bücher, auf jeden.

Erstens, eine Empfehlung. Das ist zwar schon 2005 erschienen, aber immer noch großartig, trotz des schlimmsten Titels seit Erfindung des Buchdrucks: „Wunderwaffe Witzkanone“. Christian Meurer hat einige historische Essays zusammengestellt, von Heß bis Hendrix, von Ohnesorg bis Ludendorff. Wer über Geschichte nicht lachen kann und das Wort „grotesk“ nur im Zusammenhang mit Gesichtsausdrücken verwendet, sollte die Finger von der Wunderwaffe lassen: denn Meurer baut Mythen auseinander, und zwar gründlich. Und lustig. Zu den besten Szenen gehört der Aufenthalt Heß‘ (oder, wie Hitler gesagt hätte, des Hesserls) in der spandauer Haft, wo er sich unter anderem für die Raumfahrt zu begeistern begann und der NASA Entwürfe für eine Art handbetriebenes Karussel zukommen ließ, Arbeitstitel: Betrifft: Empfehlung zur Kräftigung des Herzmuskels während des Aufenthalts im Weltraum. Auch schön: Das Stück über Monika Dannemann, der zeitweisen Begleitung Jimi Hendrix‘, die ihm einmal bei der Gestaltung eines Plattencovers helfen sollte. Hendrix‘ Gedanken gingen in die Richtung, in Form eines Kreuzes die vier Rassen zu einer zu vereinen, oben die gelbe, unten die rote, links die schwarze und rechts die weiße Rasse, in der Mitte, na klar: Hendrix himself.

Abgebildet werden sollen die unterschiedlichsten Personen: Frauen, Babys, Prominente wie Martin Luther King, Kennedy, Buddha, Dschingis Khan, die Indianerhäuplinge Geronimo und Crazy Horse – und, direkt neben Hendrix, Adolf Hitler.

Das kann Dannemann dem Jimi aber wieder ausreden, stattdessen ist geplant, ihm die Kennedys zur Seite zu stellen.

Es könnte jetzt der Eindruck entstehen, das ganze Buch sei voll von Pittoresquen und kleinen, hübschen Anekdoten: Das täuscht. Denn Meurers Buch ist – bei all seiner Komik – in erster Linie entlarvend; für die Skurilitäten sorgen die Porträtierten selbst. Was andere Biografen gerne verschweigen oder als Klamauk abtun, das nimmt Meurer ernst und auseinander: So entsteht ein völlig neues Bild handelnder Personen der Vor- und Nachkriegsgeschichte. Dafür nehm ich auch gerne den bisweilen etwas bemühten Ton hin und diesen grauenhaften Titel.

Zweitens, ein Hinweis. Sowas macht man ja nicht: Bücher empfehlen, die man selber noch nicht gelesen hat. Ich machs trotzdem: Kirsten Fuchs (genau, die) hat ein neues Buch geschrieben, das auch bescheuert heißt, nämlich „Heile, heile“. Aber: Der Vorgänger „Die Titanic und Herr Berg“ war toll, punktum. Eine herrlich gerader Satzbau, dazu ganz viel Sprachwitz, viel Ironie, viele krude Bilder, großartig. Und außerdem liest sich die Zusammenfassung des Verrisses in der Süddeutschen derart schmallippig-abgehoben, das kann mir nur gefallen.

Drittens, ein Klassiker. Ich schwanke. Zwischen Raymond Queneau und Gisela Elsner. Von Gisela Elsner kommt demnächst „Otto der Großaktionär“ heraus, was ein schöner Anlass wäre, auf diese zu Unrecht beinah vergessene Autorin hinzuweisen. Allerdings habe ich bei einer kurzen Rundbefragung im Freundeskreis mit Entsetzen festgestellt, das Queneau fast noch unbekannter ist als Elsner. Vielleicht liegt das an den etwas altertümlichen Helmlé-Übersetzungen seiner Werke. Oder aber daran, dass skurril verarbeiteten Alltagsszenerien in Deutschland nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wird, wie in anderen Ländern. Balzac beispielsweise genießt hierzulande bei weitem nicht den Ruf eines Flauberts, Stendhals oder Prousts, während er in Frankreich zu den ganz Großen zählt. Immerhin hat Johannes Willms vor kurzem eine offenbar lesenswerte Biografie geschrieben, das soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

Zurück zu Queneau. Queneau schreibt, genau genommen, Antiromane. Da passiert nicht viel, mal begleitet man eine kleine Göre bei ihrem Paris-Besuch (Zazie in der Metro), dem von Joachim Cidrolin träumenden Herzog von Auge und dem vom Herzog von Auge träumenden Joachim Cidrolin durch das 12. beziehungsweise 20. Jahrhundert (Die blauen Blumen) oder einem seltsam gekleideten jungen Mann durch 99 verschiedene literarische Stile (Stilübungen). Das sind keine Plots, das sind keine Geschichten, das sind keine Verläufe, sondern eher Szenen, die – und das ist erstaunlich – wie selbstverständlich zusammenpassen.

Was vor allem an Queneaus Stil liegt. Queneau mag die Sprache nicht nur, er liebt sie. In seinen Büchern findet man eine Begeisterung für die sprachlichen und stilistischen Möglichkeiten, eine so unverhohlene Freude am Wort und eine seltene Sicherheit und Eleganz im Umgang damit, man kann gar nicht anders: man freut sich mit ihm. Das ist eine Sprache, die nicht nur Spaß macht, sondern regelrecht Lust.

Mein Queneau-Liebling ist eines seiner unbekannteren Werke: Pierrot mon ami. Pierrot, Brillenträger, arbeitet auf einem Rummel, verliebt sich in die Tochter des Chefs (sie nicht), wird entlassen, transportiert Tiere mit nach Südfrankreich und kommt zurück. Mehr passiert eigentlich nicht, oder eben doch: Quasi nebenher zeichnet Queneau ein liebevolles, detailgenaues Bild von Paris, während lauter seltsame Personen umherschwirren: alles in diesem spezifischen Queneau-Tonfall, irgendwo zwischen heiter und abgefahren, zwischen verspielt und melancholisch: schön.

Lesen wie herumspazieren, bloß ohne rausgehen: hat was. Bei dem Wetter.

Amazon-Links:
Christian Meurer: Wunderwaffe Witzkanone
Kirsten Fuchs: Heile, heile
Kirsten Fuchs: Die Titanic und Herr Berg
Raymond Queneau: Zazie in der Metro
Raymond Queneau: Die blauen Blumen
Raymond Queneau: Stilübungen
Raymond Queneau: Mein Freund Pierrot
Johannes Willms: Balzac

1 Kommentar

  1. 01

    Zwar keiner von seinen Romanen, aber auch schwer faszinierend und ein echter Zeitfresser ist Queneaus Gedichtband „Hunderttausend Milliarden Gedichte“, in dem man aus 10 Basis-Sonetten eben jene horrende Anzahl Gedichte fabrizieren kann. Man kann jede einzelne Textzeile mit jeder anderen kombinieren – nach dem Prinzip dieser Kinderbücher, in denen man Fantasie-Tiere zusammenklappen kann. Der Reim funktioniert immer, sinnvoll sind die Gedichte mal mehr, mal weniger. Wunderwelt der Kombinatorik! Damit kann man ganze Nachmittage verdaddeln. Und das Beste: Man findet zufällig entstandene und für gut befundene Gedichte wohl nie im Leben wieder. Irgendwann gab’s davon mal eine deutsche Ausgabe bei Zweitausendeins, ist aber leider vergriffen.