Was das nördliche Afrika anbelangt, sind die noch Anfang der Neunziger vorherrschenden humanitären Diskurse abgelöst worden zugunsten sicherheitspolitischer Erwägungen: Während autokratische Regimes wie etwa Algerien fester eingebunden werden in die internationale „Allianz gegen den Terror“, könnte ein Stück weiter südlich eine Alternative zur bisher praktizierten repressiven Bekämpfung aufgezeigt werden: Nach dem Militärputsch gegen den pro-westlichen Autokraten Ould Taya öffnet sich Mauretanien politisch und findet (hoffentlich) den Weg in die Demokratie.
2004 wurde die vom United States European Command lancierte Pan-Sahel-Initiative abgelöst durch die umfassender angelegte Trans-Sahara Anti-Terror-Initiative: Ziel war und ist es, einer befürchteten Etablierung Al Quaidas in der Sahelzone entgegenzuwirken. Auf die Frage, inwiefern islamistische Splittergruppen im nördlichen Afrika überhaupt eine Rolle spielen, hatte man somit gleich die Antwort mitgeliefert: General Gen Wald, verantwortlich für diesen Abschnitt, hat die passenden Argumente angesichts der Skeptiker, die Terrorismus nur für einen Vorwand halten, 1000 US-Militärs in der Region zu stationieren:
For those who say it’s overestimated, if you’re one of the dead people in Mauritania, I don’t think you’ve overestimated anything.
Als Beleg für terroristische Aktivitäten in der östlichen Sahelzone halten vor allem zwei Ereignisse her: Einerseits die Entführung von 32 Europäern 2003 in Algerien, andererseits ein Angriff auf einen mauretanischen Grenzposten im Jahr 2005. Beide Aktionen werden der GSPC angelastet, der Groupe salafiste pour la prédication et le combat.
Die politische Verortung der GSPC ist nicht einfach: Offensichtlich spaltete sie sich 1997 von der GIA ab. Tatsächlich wird sie von vielen Beobachtern inzwischen in die Nähe des Al Quaida-Netzwerkes gerückt:
Kleingruppen und Einzelmitglieder der GSPC haben sich inzwischen den arabischen Mujahedin im Netzwerk von Usama Bin Laden angeschlossen. Hierzu zählt die so genannte Meliani-Gruppe.
(Verfassungschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfahlen 2001)
Dazu würde passen, dass sich die GSPC 2007 in „Al Quaida im Maghreb“ umbenannt haben soll; währenddessen geht Sahara-Experte Jeremy Keenan davon aus, dass die „GSPC heute für den algerischen Geheimdienst steht.“ Sie sei ein Instrument der algerischen Regierung, um die militärische Präsenz der USA in der Region zu sichern. Darüberhinaus sind einige Zweifel angebracht, ob die beiden genannten Ereignisse überhaupt der GSPC zuzurechnen sind. Der Überfall von 2005 wird mitunter auch Zigarettenschmugglern angelastet, obwohl ein Bekennerschreiben der GSPC vorliegt.
Jedenfalls ist die Stationierung von US-Truppen in der Region seitens der Machthaber nicht unerwünscht: Für den 2005 gestürzten mauretanischen Autokraten Ould Taya beispielsweise war sie eine Art Lebensversicherung. Er hatte sich nach einer Zeit des Chaos 1984 an die Macht geputscht und außenpolitisch zunächst eine Anlehnung an den Irak versucht: allerdings schwenkte er schnell auf einen pro-westlichen Kurs ein. So nahm Mauretanien unter Ould Taya als drittes islamisches Land überhaupt Beziehungen zu Israel auf. Die Kooperationsbereitschaft gegenüber den Vereinigten Staaten wurde vergolten durch milliardenschwere Investitionen australischer und us-amerikanischer Firmen. Und tatsächlich fanden sich 2001 bedeutende Ölvorkommen an der Küste vor Nouakchott.
Allerdings verschärfen sich im Laufe der Neunziger die innerpolitischen Probleme Mauretaniens: die ethnischen Konflikte zwischen dem schwarzafrikanischen Süden und dem berberisch-arabischen Norden halten an, das Flüchtlingsproblem (ca. 60.000 Mauretanier leben in Lagern im Senegal) kann nicht gelöst werden, die Sklaverei besteht trotz ihrer offiziellen Abschaffung fort, die ökonomische Situation der Bevölkerung bessert sich nicht und um die Regierungsgewalt zu sichern, scheut Tayas Regime keine Menschenrechtsverletzungen. Ein erster, blutiger Putschversuch 2003 wird von Regierungstruppen unter Unterstützung Frankreichs und Marokkos abgeschmettert, aber dann.
Taya verspielt in den nächsten beiden Jahren jeglichen Kredit, als sein undurchsichtiges Netz von Miss- und Vetternwirtschaft auffliegt: mehrere hundertausend Dollar soll die Zentralbank hinterzogen haben. Da hilft keine internationale Rückendeckung mehr, das Regime Tayas ist am Ende, jegliches Vertrauen der Bevölkerung verspielt. 2005 halten die Verbündeten die Füße still, als das Militär erneut putscht, diesmal unblutig. Ould Vall, bis dato Polizeichef und jetzt neuer Machthaber, verspricht unter den misstrauischen Blicken der internationalen Gemeinschaft die schnellstmögliche Demokratisierung des Landes; und er hält Wort. Im Juni 2006 wird ein Verfassungsreferendum durchgeführt, das die Basis darstellt für eine Präsidialdemokratie. Die Wahlen 2007 werden als die freiesten und fairsten seit der Unabhängigkeit bezeichnet.
Der Putsch von 2005 war, wie Westafrika-Experte Olly Owen im ai-Interview sagt, ein „konservativer“, das heißt stabilisierender Putsch, der durchaus auch der Bedrohung islamistischer Gruppen entgegenwirken sollte:
Die neuen Machthaber [sind] aufgeschlossener als ihre Vorgänger für Impulse aus der Gesellschaft und aus dem Ausland. Diese Haltung macht es den Islamisten schwerer, ihren Einfluss auszubauen. In Algerien konnten die religiösen Kreise eine starke soziale Bewegung in Gang setzen. In Mauretanien hat die neue Regierung als einen der ersten Schritte politische Gefangene freigelassen. Sie gesteht den Menschen offensichtlich zu, ihre Bedürfnisse in einem bürgerlichen, gewaltlosen Umfeld zu äußern.
2007 siegte der von den Militärs favorisierte Ould Abdallahi bei den Präsidentschaftswahlen. Inwiefern Ould Abdallahi gewillt ist, die Situation der Bevölkerung zu verbessern, Menschenrechte zu achten und Lösungen für die oben angesprochenen Probleme zu finden, mag die Zeit zeigen; ob dies der Weg ist, terroristischen Vereinigungen das Wasser abzugraben, auch. Für Prognosen ist es noch ein bisschen früh; ob Mauretanien tatsächlich als Beleg taugt, dass, wie die iz3w schreibt,
die militärischen US-Interventionen ungewollt jene Phänomene stärken, die sie zu bekämpfen angetreten sind,
kann abschließend noch nicht geklärt werden. Die neuesten Entwicklungen jedenfalls lassen Zweifel am Bild der iz3w entstehen: Im Februar 2008 überfielen sechs Bewaffnete die israelische Botschaft in Nouakchott, Weihnachten 2007 waren vier französische Touristen bei einem Überfall an einer Wüstenstraße getötet worden. Zwischenzeitlich wurde die Rallye Paris-Dakar abgesagt, nachdem Al Quaida angedroht hatte, Teilnehmer des Rennens mit schweren Waffen anzugreifen.
Links:
Wolfhard Hammer: Mauretanien
Interview von Bernard Schmid mit El-Arby Ould Sadeck von der Vereinigung SOS Esclaves
Human Development Report des UNDP über Mauretanien
Mohammad-Mahmoud Ould Mohamedou: Wo eine Militärjunta Demokratie verspricht (Le Monde diplomatique)
Milan HoráÄek: Zwei Schritte vor und einen zurück? Kurzer Kommentar zum Fischereiabkommen der EU mit Mauretanien.
Mehr oder weniger aktuelle Meldungen zur politischen Gemengenlage in Mauretanien finden sich (auf Deutsch) unter anderem bei alsharq
Super interessant, Danke! Ich muss in Kürze in Französisch einen Vortrag über Algerien halten. :)
Na, das passt ja. Aktuelle oder historische Entwicklung?
(Im aktuellen französischen Monde diplomatique ist btw ein hervorragender Artikel über die in Algerien gebliebenen pieds noirs. Könnte Dich interessieren. Gibts aber leider nicht online.)
Das ist kein Blogeintrag, den man mal so einfach überfliegt.
Ich werd mich mal durch die Links graben, aber bis jetzt sehr interessant.
Ich weiß bloß nicht, ob so ein Artikel in so nem eher buntem Blog wie Spreeblick auch ausreichend gewürdigt werden kann.
Ich mein man kann ja mit dem gesunden Halbwissen, mit dem man gesegnet ist noch nicht mal sinnvoll kommentieren. :) (jedenfalls inhaltlich)
Ansonsten Dankeschön für den Einblick in eine Region, über die ich so gut wie nichts wusste.
@#675605: Vielen Dank. Ich frag mich auch immer, ob das überhaupt wer zu Ende liest. Aber solange ich meinen Spaß daran habe, sowas zu schreiben…
An die Dakar-Absage erinnere ich mich.
Der Rest des Artikels lies mich gerade staunend dasitzen. Was in den Ecken der Welt so los ist… Gut geschrieben, find ich, malt mir ein recht komplettes Bild der Geschehnisse ins Gehirn, thx dafür.
Wow.Danke.
War sehr informativ.