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Wenn Zellen leise weinen

Nicht jede Zelle meines Körpers ist momentan glücklich.
Es gibt Zellen, die Angst haben.

Ich meine nicht die Lungenzellen, die ursprünglich zwar durchaus sensibel waren, mittlerweile aber völlig abgestumpft sind, weil ihnen Tag für Tag mit kleinteiligen Bronchialkarzinomen gedroht wird, was sich auf Lungenzellen ungefähr so auswirkt, als würde man uns jeden Tag erzählen, dass bald eine schmutzige Bombe in einer U-Bahn gezündet wird (a propos „schmutzige Bombe“: die ist am Wochenende tatsächlich über dem Kreuzberg explodiert).
Auch von den Muskelzellen, die durchaus starke suizidale Tendenzen haben, ist nicht die Rede, ihre leisen Schreie („Move us, move us“) sind längst verhallt.

Ich rede von meinen Rosettenzellen.
Denn ich habe einen schweren Fehler gemacht. In einer neu entdeckten kanadischen Pizzeria gab es noch drei Sorten zur Auswahl: Pesto, Couch Potato – und Ich werd verrückt, ist das scharf. Die Verkäuferin sprach mit einem kanadischen Akzent versetztes Französisch (sie sprach Montreal „Mo-Räaall“ aus!). Das sollte als Erklärung ausreichen dafür, dass ich von einem plötzlichen Schuss Virilität angetrieben mit einem Tom-Jones-Schnurren gesagt habe: „J’aime bien quand ca picote.“

Zunächst einmal habe ich die Pepperoni gegessen, um mich langsam heran zu tasten. Dann habe ich in die Pizza gebissen, dann ist mein Herz stehen geblieben, dann wurde es schlimmer.
Jeder kennt ja dieses Comic-Bild vom Feuerspeien. So war es aber gar nicht. Es war, als würde man morgens im Halbschlaf ein Warzenmittel mit Mundwasser verwechseln. Die geheimnisvollen kanadischen Gewürze brannten sich durch mich durch wie Alien-Blut. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben so viel getrunken. Aber Wasser, Apfelschorle und mehr Wasser haben es nur noch schlimmer gemacht. Es gab einen Punkt, da habe ich es bedauert, keine Wikipedia zur Hand zu haben, weil ich sonst gesucht hätte: „Kann man durch Schärfe sterben/explodieren?“
Nach einer halben Stunde ließ das Brennen nach und schon am Abend konnte ich wieder reden, allerdings zunächst noch wirr.

Ohne jetzt allzu sehr mit ekligen Körperdetails aufwarten zu wollen: die ganze Nacht habe ich flatuliert wie Nonnen am Dicke-Bohnen-Tag, mein Rektum blubbert und bald wirft es Blasen.
Bald werde ich koten.
Meine Rosetten-Zellen zittern.
Ich will das nicht alles noch einmal erleben.
Soll ich meinen Anus buttern? Ihn mit Weißbrot auslegen? Einmilchen?
Hilfe.

39 Kommentare

  1. 01
    mat

    jaa! klowände! endlich tiefgreifendster kontent!!!

  2. 02

    War diese Woche in Québec und Montréal, die korrekte Aussprache (auf frz.) ist tatsächlich ohne das t. Und das Französisch der Leute dahinten ist sehr schrecklich, vor allem für jeden, der mehr oder weniger sauberes gewöhnt ist…

  3. 03
    Maltefan

    Einmilchen. Und dann nen Dirty Sanchez. SCNR

  4. 04
    susan

    „Soll ich meinen Anus buttern? Ihn mit Weißbrot auslegen? Einmilchen?“

    wow, fiel dir das spontan ein – respekt!

  5. 05
    RamBam

    Boah Alter! Ich werde normalerweise von meinen Mitbewohnern geächtet, wenn ich so rede… und du schreibst das ins Netz? Geilo.

  6. 06

    Wenn die Angst wirklich so groß ist, ab in die nächste Apotheke und Lidocain besorgen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Lidocain
    5min zuvor großzügig einsprühen, das sollte reichen ,-)

    Für dadurch verursachte Dysfunktionen Deiner Rosette übernehme ich aber keine Haftung ;-)

  7. 07
    Uli

    Du könntest dir auch schon mal präventiv alle Nervenenden an der Rosette abschmirgeln…

  8. 08
    namen sind total überbewertet

    Ruf doch mal die Frau an, deren Namen ich mir nie merken kann, sie hat das Buch „Feuchtgebiete“ geschrieben – ha, nu weißte wer :-)

  9. 09
    jochen

    vielleicht in einen lauwarme badewanne setzen, wie es bei unter-wasser-geburten praktiziert wird?

  10. 10

    ich hoffe, das kommt nicht zu spät: vorher(!) ganz dick die blaue nivea raufschmieren!

  11. 11
    Felix

    Flasche Whiskey und ein Stück Holz zum draufbeißen.

  12. 12

    gnihihihi

    Aber:
    Das Kanada-Französisch ist super! Klingt zwar teils fast so debil wie schwedisch, aber dafür nicht halb so -pardon Frédéric- schwul wie echtes französisch. Verhält sich in der Tat wie amerikanisch zu englisch.

  13. 13

    Ich glaube da hilft nur Augen zu und durch. Vorsichtshalber könntest du jedoch ein dickes Stück Leder bereit halten, in welches du reinbeißen kannst, wenn der Schmerz zu massiv wird.

  14. 14
    Frédéric Valin

    @#675959: Den Vergleich mit Schwedisch geh ich mit, beim Rest bin ich auf der Seite der Wahrheit. Also anderer Meinung.

  15. 15
    zuschauer

    gratulation: der schon fast perfekte gegenentwurf zu „feuchtgebiete“ – männliche analitäten sind mindestens genauso spannend, wie die pothemen der frauen.

    eigentlich wollte ich die antwort auf „feuchtgebiete“ schreiben, aber malte du bist sicherlich besser und schneller! toi toi oder doch dixi? ;-)

  16. 16
    Maltefan

    @#675967: Ich finde Quebecois super. Ottante und Nonante ist vielleicht schwuler als Quatre-vingt und Quatre-vingt-dix, aber dafür auch wesentlich weniger kopfrechenintensiv.

  17. 17

    ihr seid mir zu brainy

  18. 18

    @#675968:

    ich würde behaupten: beim mann ist mehr los.
    aber mach nur, ich schreibe immer noch an der deutschen antwort auf die amerikanische familienserie holocaust, dann schreibe ich die solarenergieversion von dallas, mache aus dem schuh des manitou eine komödie – dann erst würde ich mich den feuchtgebieten widmen

  19. 19
    Maltefan

    @#675971: Das hat mir ja noch niemand gesagt …

  20. 20
    Frédéric Valin

    @#675969: Quebecois ist ausschließlich dazu erfunden worden, damit nicht alle französischen Kabarretisten entweder auf Wallonisch (im Norden), Sschweizerisch (im Osten) oder ihre eigene, nunja, Sprache (im Süden) zurückgreifen müssen. Mit anderen Worten: Quebecois ist Synonym mit Kabaretistisch (und darum noch nicht mal ein Dialekt).

  21. 21
    Jan(TM)

    Also ich bevorzuge eine dicke Schicht Ringelblumensalbe und viel warmes Wasser. Dann verspür ich meist den Wunsch danach in einem zivilisierteren Land zu leben, wo Bidets zur Grundausstattung gehören.

  22. 22
    m.

    bei puperzenbrand empfehle ich die gute alte penaten-creme. wirkt wunder

  23. 23
    Flo

    Während des Aktes empfehle ich Wagner um die Schmerzensschreie zu übertönen und hinterher Hakle.

  24. 24

    Anus?
    Hat da jemand Charlotte Roche gesagt?

    Die Frau hat es tatsächlich, spät. durch ihr Buch geschafft, dass ich bei Rosette/Anus etc. an sie denken muss!!

  25. 25

    @#675969: Das sagen die im Québec aber nicht so. Das sagen nur die frz.sprachigen Belgier und Schweizer. Québcanisch klingt teilweise so, als würde man französisch so aussprechen, wie es geschrieben wird.

  26. 26
    unl

    Malte, Du hast das falsch herum gemacht. Dass Wasser trinken bei einer Capsaicinoiden-Überdosis nicht hilft, weiß doch jedes Kind. Und dann nach entsprechend schmerzhafter Flatulation Weißbrot auslegen zu wollen, offenbart wegen der trockenen Krümel möglicherweise einen bisher unerkannten, aber latenten Hang zu Masochismus. Also nächstes Mal das Weißbrot nach dem Capsaicinoiden-Missbrauch zu sich nehmen und die werte Rosette mit viel Wasser von außen verwöhnen. Oder Weleda Heilsalbe.

  27. 27
    susan

    backstabber

  28. 28
    erlehmann

    Malte: Liest du Faldbakken (PDF) ?
    Wenn nicht, wärmstens zu empfehlen.

  29. 29

    @#676002:

    ist das eine unironische empfehlung? dann kaufe ichs mir.

  30. 30

    wie fremdbestimmt sind menschen, die bei rosettenmuskeln und anus an charlotte r. denken und nicht an die eigene verdauung? ich beschäftige mich eingehend mit meinem stuhlgang und den darumherum mich quälenden blähungen. bei jedem klogang denke ich darüber nach, das mal alles zu veröffentlichen. dieses analtabu hemmt mich.
    und wer sich mal die erhaltenen briefwechsel der intellektuellen so im 17. und 18 jahrhundert anschaut, wird merken: die haben sich damals ausführlichst über ihre leidvolle plackerei beim ausscheiden unterrichtet.
    danke malte!

  31. 31

    Eine Frage wurde bisher noch nicht beantwortet:
    JA, man kann an einem Schock durch Schärfe sterben! Es gibt sogar solch höllische Chili-Produkte, die auf so eine Gefahr hinweisen.

  32. 32
    Maltefan

    @#675990: Dann waren die Leute, die mir im Quebec was verkauft haben und CAD in dieser Höhe von mir haben wollten, vermutlich aus der Schweiz dahin eingewandert …?

  33. 33
    erlehmann

    @#676005: Die Leseprobe hab ich nicht umsonst verlinkt, ich kenne deinen Geschmack nicht. Passt aber wohl zu dem Text.
    Faldbakken schafft es allerdings – ganz im Gegensatz zu Charlotte Roche, die ich sonst (d.h. abseits ihrer literarischen Analeskapaden) sehr bewundere – , mich zum Schmunzeln zu bringen; ähnlich wie dein Text oben liest sich z.B. „Macht und Rebel“ eher als eine Ansammlung von Gedanken, die man unweigerlich hat, wenn man beim Houllebecq-Protagonisten-Casting knapp – aber eben nur knapp – durchgefallen ist.

  34. 34
    hans

    haste mal den kanadischen ahornsirup mit chilis auf deiner pizza probiert?

  35. 35

    Ich habe Mitleid mit dir.
    Und große Freude an deiner Schreibweise.

  36. 36
  37. 37
    schilischotenschocker

    Gutes Schili brennt zweimal :-)

    …iss einfach jeden Tag son Zeugs, dann gewöhnst dich schnell daran und die „Nebenwirkungen“ verschwinden.

    Doch Obacht! Schili macht abhängig. Einmal dran gewöhnt – schmeckt Essen nicht mehr ohne….Ist wie Glutamat.

  38. 38

    Hm, im Kreißsaal heißt das immer sehr pragmatisch: was rein kommt, muss auch rauskommen. In den 60iger kam da gerne hinterher der Spruch der Hebamme: «Nun stellen ’se sich mal nicht so an!»

    Wenigstens lebste gesund und hast Feuer im Arsch!

  39. 39

    Ich aß einst eine halbe Chili Marke ’scharf‘. Die halbe Stunde kann ich bestätigen und fühle mit dir.