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Georg Seeßlen und ich über die Veränderungen der Sehgewohnheiten durch Youtube: Remix yourself

Georg Seeßlen hat einen verdammt interessanten Artikel über die Veränderungen unserer Sehgewohnheiten durch die Fragmentierung von Bildwelten durch Tools wie Youtube und Co. bei der Zeit geschrieben. Was ich an dem Artikel mag, ist, dass er nicht wertet, sondern ganz einfach eine Veränderung konstatiert.

Der aktuelle Kino-Blockbuster und vielleicht mehr noch die moderne Fernsehserie sind in gewisser Weise Versuche, die drei zerbrochenen Bildwelten auf eine möglichst effektvolle Weise wieder zusammenzubringen: Dreamscape, Mapping und Subjekt-Remix. Während eine klassische Serie eine »Welt im Kleinen« abbildet, zeigen die neueren dreierlei: ein »chirurgisches« Interesse am sozialen Experiment (teilnehmende bis kalte Beobachtung: Lindenstraße, Dschungelcamp und Folterfilm), die Montage der Traumbilder (das Bild vom »Traumschiff«, das zugleich engste Heimat und weite Welt suggeriert) und beständige Zerstörung und Rekonstruktionen von »Werten« in den Bildern (audiovisuelles Rabaukentum). Statt durch eine Verknüpfung in Raum und Zeit mittels Montage (Schnitt, Blende et cetera) sind nun die Handlungspartikel durch einen Remix-Effekt miteinander verbunden. Nicht nur vom Ort, sondern auch von traditionellen Vorstellungen von Raum und Zeit gilt es sich zu verabschieden. »Nichtlineares Erzählen« ist im Bewegungsbild der digitalen Remixe kein avantgardistisches, selbstreflexives Unternehmen — es ist pure Notwendigkeit.

Das zerbrochene Bild kommt freilich auch wieder in den Simulationswelten wie Second Life zusammen. Die beiden bescheidenen Pointen dieser elektronischen Bildinstallationen liegen in ihrer Totalität und in der Durchlässigkeit zwischen materieller und elektronischer Welt. Wir träumen bereits von einer »Bewohnbarkeit« der Parallelwelt, zugleich aber auch von der »interaktiven« Beziehung. Das heißt am Ende: Das Bild »besitzt« weder einen Wert, noch »befördert« es Werte; es erzeugt den Wert durch den Gebrauch; es bildet die sozialen Beziehungen nicht mehr ab, ist nicht Medium, sondern selbst Teil der sozialen Beziehungen. Bild und Spiel bewegen sich aufeinander zu, und ob dabei eine neue Sprache, eine neue Welt oder nur audiovisuelle Umweltverschmutzung herauskommt, ist eine Sache der Einstellung. Link (via)

Selbstverständlich führt die steigende Rezeption von Amateur-Videos zu einer Veränderung der Sehgewohnheiten, na klar. Erste Auswirkungen zeigt das ja heute schon in Form von Filmen wie zum Beispiel „žCloverfield“, der ganz konkret nur ein Filmfragment ist, obwohl er eine abgeschlossene Handlung erzählt. Die Auswirkungen dieser Zersplitterung der Rezeption von Bewegtbild werden wir aber erst in ein paar Jahrzehnten zu spüren bekommen und der Einfluss auf das Werk wird ähnlich massiv sein, wie die Einführung des Mediums Films an sich, denn es geht hier nicht „žnur“ um eine Änderung an periphären Eigenschaften wie Tonfilm oder Farbfilm, sondern es geht um Verkürzung und Fragmentierung.

Ebenso wandelt sich die Wahrnehmung und die Erschaffung von Ikonen. Waren das im vergangenen Jahrhundert noch Frankenstein, James Bond und Dracula so sind es heute eben der Tron Guy, Lonely Girl und sie haben Kenny getötet. Ihr Schweine! Und genau wie die vergangenen Ikonen basieren moderne auf vergangenen Sagen. Tron Guy ist Herkules, nur mit einem ;-). Der Boom von Serien trägt diesen Veränderungen schon Rechnung. Kürzer, knapper, leichter konsumierbar, deshalb aber zum Glück nicht unbedingt schlechter — obwohl man sagen muss, dass ein Meisterwerk wie der Pate heutzutage praktisch nicht mehr durchführbar ist (was man, zugegeben, nicht wirklich auf Netzvideos zurückführen kann, sondern eher auf das marketingbullshitgetränkte Hollywood). Noch sind die Serien nicht erfolgreicher als Filme. Noch.

Ich bin sehr gespannt, wo wir mit dem Bewegtbild in sagen wir mal, 10 Jahren landen. Das massive Engagement von Marvel im Kinobereich deutet schonmal in eine Richtung: zunehmende Konzentration im Mainstream auf Männern in Strumpfhosen, oder auch: Infantilisierung des Kinos. Nicht das Comicverfilmungen per se minderwertig sind, siehe die wunderbare Ironman-Adaption, aber: die große Kunst ist im Kino schon länger eher eine Randerscheinung.

Dass sich die neue Sehform von 2-Minutenvideos und Kunst allerdings ausschließen, glaube ich nicht. Die ersten Filme, die im neuen Medium „žBewegtbild“ gezeigt wurden, wahren triviale Jahrmarktssensationen. Menschen schauten auf eine Leinwand, sahen einen Zug auf sich zurasen und rannten schreiend aus dem Zelt. Das war im 19. Jahrhundert, das Medium Film war damals vielleicht 20 Jahre alt und künstlerisch wertvolle Werke wie „žDie Reise zum Mond“ sollten sich erst einige Zeit später einstellen. Das Web ist heute ebenso grade mal 20 Jahre alt, ungefähr. Die Kunst wird sich also irgendwann schon noch einfinden, dafür wird die Kreativität der Menschen schon für sorgen. Daran ändern auch keine veränderten Sehgewohnheiten etwas.

6 Kommentare

  1. 01
    splunzi

    Cloverfield ist 1:1 Blairwitch Project und das war 1999.

  2. 02

    Knapper und kürzer konsumierbar sollen Serien sein? Irgendwie kenn ich nur Leute und Serien, bei denen genau das Gegenteil der Fall ist. Die Serien haben immer mehr Protagonisten, die Handlungen werden verzwickter und wer nicht jede Folge schaut ist raus. Verbunden damit, dass die wenigsten Leute heute weder die Möglichkeit noch die Lust zu haben, eine Serie dann zu schauen, wann sie im TV gesendet wird, führt das bei den meisten dazu, sich gleich eine DVD-Box zu holen oder alle Folgen hintereinander im Internet anzuschauen.

    Und dass im Kino auch keine Kunst mehr läuft, glaube ich auch nicht. Leider sind die großartigen Filme in letzter Zeit nur zwischen den Sequels und Prequels untergegangen. Seitdem gilt angeblich auch im Kino „was der Bauer nicht kennt, das isst er auch nicht“.

  3. 03

    „Nichtlineares Erzählen“ – geht das überhaupt? Ist Erzählen nicht immer linear?

  4. 04
  5. 05

    Nee, 19. Jahrhundert: Die erste geschlossene Vorführung mit dem Cinématographe fand am 22. März 1895 statt, die erste öffentliche am 28. Dezember 1895. (wikipedia)

    Ich dachte aber eigentlich, das wäre noch früher gewesen. Naja…

  6. 06
    Elblette

    Ja, aber die Leute sind anscheinend nicht wirklich schreiend rausgerannt.
    http://en.wikipedia.org/wiki/L%27Arriv%C3%A9e_d%27un_train_en_gare_de_La_Ciotat
    So verstörend war das Erlebnis wohl nicht.