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Hype-Chronologie

Am 13. Mai wurde ich durch den Tweet von Ecki auf das ziemlich unfassbare Glückliche-Zellen-Video aufmerksam. Der Clip konnte in der bis dahin vorliegenden YouTube-Version leider nicht eingebettet werden, glücklicherzellenweise hatte jedoch ein mir völlig unbekannter Nutzer zufällig zur gleichen Zeit eine neue Version hochgeladen, die ich in den Spreeblick-Artikel integrierte.

Das Video brachte bei Spreeblick bisher 49 Kommentare und am Tag des Postings rund 1.000 zusätzliche Unique Visits, am nächsten Tag waren es nochmal ein paar hundert Leute mehr. Dann war alles wieder back to normal, wie es so üblich ist bei absurden Videos.

Ganz anders sieht die Situation bei YouTube aus:

Die erste YouTube-Version hatte, als ich sie am 13. Mai gesehen habe, ein paar tausend Views, die neuere, bei Spreeblick eingebettete, hatte zur Sekunde der Veröffentlichung noch niemand angesehen. Inzwischen liegen beide Versionen bei je knapp 90.000 Views, doch während die erste Version gerade mal einen Kommentar bei YouTube hat, kann die zweite, von uns verlinkte Version aktuell 234 Kommentare aufweisen. Das bedeutet: Die zweite Version ist die zuerst angesteuerte, die kommentiert wird, danach klicken fast alle Leute noch auf das „related video“ (Version 1), stellen fest, dass es sich um den gleichen Clip handelt, und klicken ohne Kommentar weiter.

Nun kommen 90.000 Views natürlich nicht via Spreeblick und auch nicht via Twitter. Sondern: Per Mail.

Vorgestern schickte mir ein guter Freund, der auch ab und zu Spreeblick liest, einen Link zum Video (zweiter Upload) mit der Frage, ob ich das schon kennen würde. Ich schickte ihm, zugebenermaßen leicht angesäuert ob seiner offensichtlichen Spreeblick-Abstinenz, den ca. eine Woche alten Spreeblick-Link zurück. Er selbst hatte den YouTube-Link via via via via bekommen, über eine dieser Mails, die zur Mittagspause oder während spannender Meetings durch die Büros segeln. Genau von dort kommen vermutlich auch die 90.000 Views.

Das erinnert uns alles an etwas, oder?

Und wie sollte es anders sein: Der Zellen-Song läuft inzwischen bei den ersten deutschen Radiostationen und sorgt dort ebenfalls für zwei Minuten Amüsement.

Der große Unterschied zu Grup Tekan jedoch ist: Damals™ waren temporär über eine Woche verteilt einige hunderttausend zusätzliche Leute bei Spreeblick, um das Video anzusehen. Denn YouTube war noch kein Mainstream-Begriff und die Möglichkeit des direkten Verlinkens von YouTube-Videos hatte sich noch nicht herumgesprochen. Das ist, wie wir wissen, heute ganz anders.

Ich schreibe das hier hauptsächlich auf, um es festzuhalten (Tagebuch, Sie wissen schon …), um es später nachschlagen zu können und um die Zahlen in einigen Tagen, Wochen oder Monaten noch einmal vergleichen zu können. Unsere Erfahrungen machen möglichen Ärger darüber, dass nicht wir die 90.000 Views „abbekommen“ haben, überflüssig, denn Besucher, die nur mal schnell ein lustiges Video sehen wollen, bleiben bei Spreeblick nicht „hängen“, kommen also äußerst selten zurück. Was nicht bedeutet, dass sie sich nicht grundsätzlich auch für den anderen Kram hier interessieren könnten und zu Stammlesern werden könnten — es bedeutet nur, dass die Zeit und Aufmerksamkeit vieler Besucher nicht ausreicht, sich für bis dato unbekannte Sites zu interessieren. Und das ist schließlich sehr verständlich, man hat ja auch noch anderes zu tun.

Trotzdem ist es immer wieder spannend zu beobachten, wie solche (meiner Meinung nach immer noch nicht planbaren) Hypes funktionieren und wie sich die Mechanismen binnen relativ kurzer Zeit verändern bzw. verschieben können.

Zum Ende des Artikels also nur noch eine Bitte an die Plattenfirmen:
Tut es nicht.

10 Kommentare

  1. 01

    Wieso Plattenfirmen? Kann man doch eh schon kaufen.

    (Unerwünschte Links bitte entfernen.)

  2. 02

    Mir fällt beim lesen sehr spontan die Keynote der RP08 ein. Erinnern. Vergessen.

  3. 03

    @#676935: Auweia, stimmt. Virales Marketing at its best „¦

    @#676936: Ja, das passt auch, stimmt.

  4. 04

    Jede Zelle meines Gehirns ist glücklich, aber alle zusammen sind sie ratlos. Keine Ahnung, wie sich die soziale Vernetzung entwickeln wird. Ich glaube, da warten noch einige Überraschungen auf uns.

    Was mich wundert: Die Newsgroups existieren immer noch. Das sind wohl die Morlocks, deren Existenz noch H. G. Wells vorhersagte. Der gute Herbert hat aber wohl nicht gedacht, dass es so kommt.

  5. 05

    Danke fürs Aufschreiben. Ich hatte den Spot ebenfalls nur per mail weiterverbreitet (spreeblick liest ja eh jeder). Auch in der Redaktion. Interessanterweise wurde ich danach auf den Spot beinahe häufiger angesprochen als auf jeden blogbeitrag ever. Irgendwie muss die Kombination aus Ohrwurmmelodie, Kinderlied-tralala, Bild und satirisch-gratwanderndem Text etliche Meme zucken lassen. (Womöglich befriedigt er am Ende noch ein tiefliegendes Bedürfnis) Spannend finde ich, dass für die virale Resonanz offensichtlich nicht Blogs, Bookmarking-Dienste oder Twitter sorgten, sondern die gute alte E-Mail. Offensichtlich ist die längst nicht so tot wie man manchmal selbst meint.

  6. 06

    Keine Ahnung ob es stimmt, aber ich habe auch den Eindruck, dass bei Youtube die Kommentarbereitschaft deutlich höher ist als in Blogs. Was aber auch nicht so wild ist, da das Niveau m.E. deutlich tiefer liegt.

  7. 07

    Johnny, für deine Chronik: Ich habe das Lied zum ersten Mal am 19.04 bei dem österreichischen Radiosender FM4 gehört und gleich verlinkt. Das Video – das nicht eingebettet werden konnte – hatte zu diesem Zeitpunkt etwa 400 Views.

    Jetzt den Weg zu verfolgen, ist wirklich spannend.

  8. 08

    Ich denke mir etwas anderes und verweise auf
    http://youtube.com/watch?v=vnRqYMTpXHc

    Ihr gehört auch zu denen die zu gut sind für diese Welt!

    Alles Liebe @PiPi [Flower Power]

  9. 09
    Manuel

    Und die ersten Mashups sind schon da:

    http://www.youtube.com/watch?v=ttyD_O0qRnM&NR=1

    (das ganze „Lied“: http://www.myspace.com/speedfiakerrecords)

    Hehe – wie vor 15 Jahren, Ilsa Gold´ Style