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Sobald ich zwischen 18:00 und 22:00 Uhr in die Horizontale gelange, benehme ich mich wie eine Schlafpuppe: meine Augenlider klappen automatisch zu. Wenn ich mit Vorlesen dran bin, halte ich sie daher mit Klebeband offen, das ziept ein wenig, ist aber fast unsichtbar. Kinder im einstelligen Alter kann man damit noch täuschen.
Das Harry-Potter-Kapitel ist also mit diesem Trick zuende vorgelesen und ich habe mal wieder keinen Schimmer, was darin passiert ist, denn am Vorabend bin ich nur noch die humanoide Form eines „Text-to-speech“-Konverters. Glücklich, weil meine Lider endlich ihren Willen bekommen, nehme ich den jüngeren Sohn in den Arm, der die untere Etage des Hochbetts bewohnt, sein älterer Bruder wühlt ein Stockwerk höher in den Kissen.
Ich seufze, denn in diesen Momenten, wenn sich die Nacht nähert und beide Jungs ausnahmsweise für ein paar Sekunden still sind, obwohl sie weder schlafen noch lesen noch GameBoy spielen, überkommt mich dieses Gefühl der unendlichen Liebe und ich werde ein bisschen pathetisch.
„Wisst ihr was?“, sage ich mit gedämpfter Stimme, „Ihr seid die tollsten Jungs, die sich ein Vater wünschen kann.“
Ich erhalte Stille als Antwort und lächle. Ich spüre die leichte Rührung in den kleinen Herzen der beiden Jungen und bin stolz darauf, ihnen ein weiteres Mal gezeigt zu haben: Auch Männer können seine Gefühle zeigen. Sicher wird diese vom Vater vorgelebte Erfahrung den Beiden vieles im Leben leichter machen. Zum Beispiel den Körperkontakt zum anderen Geschlecht.
Ich genieße die Ruhe. Für etwa drei Sekunden.
„Naja …“, erklingt es dann schläfrig, aber bestimmt unter meinem Arm.
Moment mal, was heißt hier: „Naja …“? Was: „Naja …“? Wieso: „Naja …“?
Der Kleinere hat nachgedacht: „Naja … das sagt wahrscheinlich jeder Vater zu seinen Kindern.“
Zugegeben: Er hat Recht. Und er klingt dabei weder resigniert noch enttäuscht. Es ist eine Feststellung, keine Anklage. Und doch hatte ich mir gewünscht, einmal am Tag einen Satz aussprechen zu können, ohne dessen Sinnhaftigkeit diskutieren zu müssen. Ich stelle mir meinen Jüngsten in der Pubertät vor, der IHREN romantischen Satz „Sieh‘ mal, da oben, die Sterne, wie die leuchten!“ beantwortet mit: „Die leuchten nicht, die reflektieren nur Licht und die meisten davon gibt es wahrscheinlich schon gar nicht mehr, denn bis das Licht, dass sie reflektieren, die Erde erreicht hat …“.
Es gibt noch viel zu tun.
„Natürlich sagt das jeder Vater“, erwidere ich, „und das ändert überhaupt nichts, denn seine Söhne wären ja nicht die, die die tollsten Söhne für mich wären. Das seid nur ihr!“
Der ältere Sohn hat gelernt, etwas länger nachzudenken, er scheint sich oben im Bett aufzurichten: „Schon, aber du würdest das ja auch sagen, wenn wir zwei ganz andere wären. Also, wenn es uns gar nicht geben würde, sondern du stattdessen zwei andere Söhne hättest, die aber ganz anders wären, als wir es jetzt sind.“
Emotionen werden sowieso überbewertet, denke ich und überlege, mit einem „Gute Nacht!“ jede weitere Debatte zu beenden. Aber der Ältere hat Lunte gerochen und legt nach:
„Außerdem hast du gesagt ‚die sich ein Vater wünschen kann‘, du hast nicht gesagt ‚die ich mir wünschen kann‘, das ist etwas anderes.“
„Okay, das stimmt“, entgegne ich, „aber ihr habt schon verstanden, was ich meinte, oder? Ich meinte, dass ich euch für die tollsten Kerle halte und sehr glücklich bin, dass es euch gibt.“
Wenn man erklären muss, was man meinte, hat man schon verloren.
Das erkennt auch der Jüngere und setzt mit dem gleichen triumphierendem Unterton, mit dem er sonst zu seinem Bruder „Eins zu Null für mich!“ sagt, nach:
„Du kannst es trotzdem nicht wissen. Man weiß ja nie, ob etwas am tollsten ist, weil man ja nie alles kennt. Vielleicht gibt es doch noch was tolleres!“
Das ist der Grund, warum Männer Frauen sitzen lassen. Weil es ja vielleicht noch was tolleres gibt. Doch der kleine Klugscheißer in meinem Arm (den ich inzwischen leicht gelockert habe, man will sich ja nicht anbiedern) ist noch ein gutes Jahrzehnt davon entfernt, jemanden sitzen lassen zu können. Hoffe ich. Und belehre ihn:
„Ich weiß sehr genau, dass ihr die tollsten Söhne seid, die ich mir wünschen kann, denn ich habe ja nur euch und es werden auch wahrscheinlich keine anderen dazu kommen.“
Ich habe den Satz kaum zuende gesprochen, als mir auch schon seine fünfzehn Schwachstellen auffallen. Folgerichtig die Retoure aus dem ersten Stock:
„Naja …“ (von wem haben sie dieses überhebliche „Naja …“? Von mir ganz bestimmt nicht!), „… wenn wir die einzigen sind, dann ist das ja noch schwieriger, denn woher willst du denn wissen, dass wir die tollsten sind? Du kennst ja gar keine anderen Söhne außer uns, es gibt also gar keine zum Vergleichen.“
Ich überschlage die Kosten für zwei flott absolvierte Philosophie-Studiengänge und bin plötzlich hellwach.
„So. Papa muss jetzt mal noch ein bisschen arbeiten. Gute Nacht, ihr beiden!“
Mit diesen Worten küsse ich den Kleinen, winde mich aus seinem Bett, küsse den Älteren und begebe mich zur Tür. Kurz, bevor ich sie geschlossen habe, höre ich noch einmal die Stimme des Älteren:
„Papa?“ — „Ja?“ — „Ich hab dich lieb.“ — „Ich dich auch. Gute Nacht!“
Und der Kleinere?
Schläft.
Der Tollste Text. Für heute abend.
Auf solche Söhne kann man aber tatsächlich stolz sein.
da denkt man, es würde besser, wenn sie aus der „warum?“-phase raus sind, aber nee :)
(wirklich schön. genau das, was ich heute abend lesen mochte.)
Fast ganz der Papa.
Nur noch ein paar Jährchen.
Wenn deine Söhne ihrer Liebsten eines Tages tatsächlich erklären möchten, daß die (Fix)Sterne, die so weit weg sind, daß sie möglicherweise nicht mehr existieren, Licht nur reflektieren, dann machst du gerade etwas falsch ;)
Ich empfehle „Was ist Was“.
Aber wirklich ein schöner Text. Der schönste den man sich von dir wünschen kann.
@#681925: Ich hab‘ befürchtet, dass das kommt (der erste Teil, danke aber auch für den zweiten). ;)
Ich freu mich schon drauf, wenn ich mal Kinder hab. :-)
Den wachschlafartigen Zustand in dem man viel visuell aufnimmt ohne zu speichern kenne ich nur zu gut. Ebenso neulich mußte ich erst feststellen, dass ich nicht mehr gleichzeitig im Netz surfen und einen Podcast hören kann. Jedenfalls wenn ich den Inhalt noch wiedergeben möchte. Was auch Trash-Shows im Fernsehen erklärt (Das sollte man schliesslich erst garnicht abspeichern).
Viel schlimmer ist die Phase, die gleich kommt… Vollkommen Müde ins Bett gehen und innerhalb von Sekunden einschlafen – und dann? Da ist er! „DER“ Gedanke… Der Gedanke den man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Verzweifelt versucht man Ihn loszulassen – Aber das funktioniert nicht. „Alles erledigt?“ „Was vergessen“ „Was ist eigentlich mit…?“ „Ich wollte doch noch was nachschlagen“ „Wie hieß der Film doch gleich“ „Hab ich mich genügend vorbereitet“ usw.
Oh Gott – Das hier wird zu lang. Ich glaub ich muss morgen mal wieder was schreiben… Toller Artikel. Ich brauch unbedingt einen Monitor am Bett.
… und ähm und Johnny – Solltest du noch nicht schlafen… GEH INS BETT! ;-)
der text ist großartig, aber mal ne andere frage, wie erklärst du deinen kindern eigentlich was du beruflich machst? vom internet werden die ja noch nicht soviel ahnung haben oder???
(super)
danke für diese gute nacht geschichte
Das ist wirklich ein sehr schöner Text. Er beruhigt, weil ich nicht das einzige Kind war, das seine Eltern in den Wahnsinn argumentieren konnte, und macht Mut, sich derart messerscharfen Analysten auch selbst irgendwann mal heranzuzüchten.
Naja.
Äm, Danke.
„Zum Beispiel den Körperkontakt zum anderen Geschlecht.“
Na ja…
Vielleicht wird es ja auch nicht das andere. Du wirst nie sicher sein vor Überraschungen ;-)
Lieber Johnny, Du hast mir heute abend um 3 Uhr nachts den Unterschied zwischen der amerikanischen und der deutschen Blogosphäre klargemacht und auch den Grund, warum keins von beiden besser ist. Danke dafür, gänzlich ohne Sarkasmus oder sowas. Einfach nur wunderbar.
Deine Gene! ,-)
Aber ich stelle mal in den Raum, die würden Dich als Papa auch nicht mal eben von hier auf jetzt austauschen wollen, falls Du verstehst, was ich meine „¦
endlich wieder mal ein johnny!
von dieser art text gibts hier leider viel zu wenig in der letzten zeit.
danke! :-D
@aro (#12): und das ist auch gut so. ,)
Ein sehr schöner Text. Danke.
Wirklich sehr schöner Text.
Vielleicht solltest du deinen Kindern Abends mal was von den Wiseguys vorspiele, die haben zwei Leider, an die ich bei deinen Schilderungen denken müsste.
Einmal „Romanze“ (YouTube-Link), in dem es genau darum geht, wie ein Mann mit seinem tollen Fachwissen romantische Momente zerstören kann. Deine Sterne kommen auch drin vor:
Und dann gibts da noch „Relativ“ (auch wieder ein YouTube-Link), in dem ein Mann versucht, seine Gefühle ganz objektiv zum Ausdruck zu bringen:
@#681945: Das ist nicht so schwer zu erklären: Wir schreiben („wie für eine Zeitung“). Und ehrlich gesagt — mit Computern kennt sich zumindest der Ältere inzwischen besser aus als seine Großeltern. :)
@#681961: Das kann natürlich auch sein, aber die ganzen Möglichkeiten lesen sich in so einem Text etwas sperrig. ;)
Deswegen lese ich Spreeblick. Schöner Text!
… und am ende ist es doch die liebe, die bedingungslose.
Schön!
Toll! Ich freu mich jetzt schon auf solche Gespräche mit meinem Kleinen!
Wie schön, wenn Sohnemann selber lesen will (und kann…) und Papi daneben liegt und sich vorlesen läßt. Nur mit dem Literaturangebot hapert es. Ich weiß genug über Ritter, Dinos und Weltraum uswusw…..
Wer anspruchsvolle Weltliteratur für Leseanfänger kennt – bitte posten ;-)
aaaaw.
Wunderbarer Text. Danke!
@#682000: Immer wieder: Pu der Bär. Wobei der Wortwitz unter den langsameren Lesegeschwindigkeiten etwas leiden könnte „¦ ;)
wunderbarer text! wunderbare welt! ;-)
Seufz. Schön!“¦
@johnny
hattest du nicht zuletzt öfffentlich erklärt, dass mit den Kinder-Geschichte sei nicht so dein Ding? Hab da aber weiderum einen ganz anderen Eindruck. Abgesehen davon hast du mit Winni-Puh einfach recht. Und ansonsten würde ich druchaus dr. Doolittle empfhelen.
@donvanone
Ich find die Wise Guys wunderbar. Hab ich von den Kindern gelernt.
@jonny: Meine Tochter, 8, sagt übrigens auch immer: „natürlich bin ich (D-)eine tollste Tochter, Du hast ja nur EINE Tochter …und einen tollsten Sohn. Hast ja auch nur einen :-)
Hab den Text genossen.
@#682028: Genau daran musste ich beim Tippen auch denken „¦ Grundsätzlich bleiben Kindergeschichten hier in einer absoluten Minderheit, denn mir geht es beim Lesen oft so, dass mich anderer Leute Kinder-Stories eher wenig interessieren. Hinzu kommt, dass solche Geschichten schon fast intim sind und irgendwie nicht mehr so richtig hierhin passen.
Außerdem möchte ich vermeiden, dass die beiden später mal den Eindruck bekommen, sie wären hier Inhaltelieferanten gewesen oder wir hätten ihre Kindheit öffentlich und ohne ihre Zustimmung dokumentiert, da würden sie mir zurecht übel nehmen.
In diesem Fall konnte ich nicht aber nicht anders, denn ich hab mich innerlich selbst schlapp gelacht. Und: Ich gebe mir größte Mühe, einen auch abgesehen vom Inhalt lesenswerten Text zu tippen, so dass selbst Kindergeschichtenverächter ein bisschen auf ihre Kosten kommen. ;)
„žSieh“™ mal, da oben, die Sterne, wie die leuchten!“ beantwortet mit: „žDie leuchten nicht, die reflektieren nur Licht und die meisten davon gibt es wahrscheinlich schon gar nicht mehr, denn bis das Licht, dass sie reflektieren, die Erde erreicht hat „¦“.
Na hoffentlich nehmen sie das nicht für bare Münze. Fixsterne leuchten tatsächlich selbst.
Wir sind zwar erst beim Räuber Hotzenplotz, aber sonst ist alles sehr ähnlich :-) Was für ein schöner Text. Vielen Dank dafür.
Vielen Dank für die Buch-Tipps!!!
Ich war übrigens nicht faul und hab selber mal was zum Thema „Lektüreliste“ für meinen lieben Kleinen gesucht und gefunden:
Bücher- und Medienliste für Jungen und männliche Jugendliche von 2 bis 18 Jahren: http://www.manndat.de/index.php?id=236
….mehr braucht ER nicht :-)
Danke! Sehr schöner Text. Und vielleicht als Vorbereitung auf die Konversation mit dem eigenen Sohn ganz passend. Worauf man nicht so achten muss, sollte, könnte ;-)
Vielen Dank für die tolle Geschichte! Gerne mehr – ohne die Kinder „auszuschlachten“ oder das Privatleben zu offenbaren…
Vielleicht kann man ja eine Kolumne anonym gestalten, wo Eltern entsprechend offen, aber nicht klar erkennbar mal losschreiben können (OK – Johnny wäre raus, da anhand der Texte erkennbar…aber ggf. gibt es ja noch andere Spreeblicker mit Kindern(?))
Kinder koennen grausam kritisch sein, Johnny :)
mein liebstes buch aus meiner kindheit, das auch meine tochter begeistert: der 35. mai von kästner. sein unterbewertetest buch.
Sehr schöne Antwort auf die Frage, wozu man Kinder in die Welt setzen sollte … Herzallerliebst.
danke dafür.
Inhaltslieferanten, das war das Stichwort: Hierzu empfehle ich den Text „Schreibtischväter“ von Wiglaf Droste.