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Kamerablähungen von Privatpaparazzi

Wir alle haben, sofern wir von Menschen großgezogen wurden, gelernt, an einem vollbesetzten Tisch nicht plötzlich aufzustehen, die Hose herunterzuziehen und einen Fanfarenstoß von einem Furz loszulassen. Was uns unsere Eltern leider nicht mitgegeben haben: „Kind, mach nicht ungefragt Fotos oder gar Videos von Leuten und stelle die dann noch im selben Moment ins noch zu entwickelnde World Wide Web.“

Ich weiß nicht, ob man in weniger netzaffinen Kreisen (nicht alle unsere Leser leben vor dem Computer) auch ständig damit rechnen muss, seine in Lasagne gebadete Fresse auf studivz zu sehen. Vermutlich muss man das. Sitzt man jedenfalls als ungewaschener Blogger mit Problemfrisur in einer Runde von vermeintlich Gleichgesinnten, muss man seit einiger Zeit damit rechnen, eines dieser klobigen Apple-Handys mit einer vagen Lach-mal-Geste vor die Nase gehalten zu bekommen und das Abbild seines verstörten Antlitz schon beim Nachhausekommen im Netz zu finden. Oder aber es wird einfach so gefilmt, ohne Vor-die-Nase-halten und vage Lach-mal-Geste, eher im Schwimmbadspannerstil. Im Fotografierten, sofern es sich um mich handelt, gibt es in solchen Momenten den Widerstreit zweier Impulse: Ernst-August gegen Schaf auf der Weide. Der eine Teil von mir möchte einen Regenschirm herausholen und dem Paparazzi das klobige Scheißding, mit dem er verdammt nochmal telefonieren soll und nicht knipsen, aus der Hand schlagen, der andere Teil denkt sich: Mäh.
Denn wenn sich alle gegenseitig ins Gesicht furzen, dann ist ja leider der unhöflich, der die Hose anbehält. Do as the motherloving Romans do. Liebe Knipser – wollt Ihr also auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit fotografiert werden? Fühlt Ihr Euch dann realer? Verbreiteter? Madonniger?

23 Kommentare

  1. 01
    Peter H aus B

    Wo ist der Unterschied zum twittern oder bloggen? Das sind doch in den meisten Fällen ebenfalls eklige Blähungen.. und es geht ums verbreiten.. von was auch immer.

    Also: Ho Brauner…

  2. 02

    Der Unterschied besteht sicherlich darin, dass die Leute, die in Tweets oder Blogeinträgen auftauchen, normalerweise so nicht ohne weiteres wiederzuerkennen sind – außer es handelt sich um Personen des öffentlichen Lebens z.B.

    Mit der Veröffentlichung von Fotos, auf denen jemand zweifelsfrei im Vordergrund erkennbar ist, macht sich der Veröffentlichende allerdings tatsächlich strafbar – er hätte schon vorher die Erlaubnis des zu Fotografierenden einholen müssen. Es gab dazu mal eine große Reihe im Lawblog, deren Lektüre bei mir dazu führte, dass ich kaum noch Bilder von Leuten auf flickr einstelle. Übrigens – im Gegensatz zu den USA z.B., wo man sich im öffentlichen Raum quasi als Paparazzifutter bewegt – eine eigentlich sehr schöne Rechtslage in unserem Land.

  3. 03

    Aber das ist doch eigentlich total wunderbar! Das macht die Welt doch nur realer. Keine Blogger, die immer perfekt gestylt ohne Bolognese-Soße im Gesicht durch die Gegend laufen, von jedem ein peinliches Sufferlebnisfoto im Netz. Und irgendwann interessiert es keinen mehr, weil das doch Alltag ist, weil das doch jeder macht und jeder mal so aussieht.
    Blöd haben es nur die Generationen jetzt, für die solche Fotos noch immer als spektakuläre Enthüllungen gelten. Aber das stehen wir doch schon durch. Bis der Geruchsschutz installiert ist.

  4. 04

    @#684401:

    deine grundthese vertrete ich ja auch. aber zwischen selbstinszenierung und abgeschossen werden sehe ich schon noch einen unterschied.

  5. 05
    JST

    lieber malte,

    aber als du das video mit dem schlafenden, wackelnden baby veröffentlicht hast, konntest du den ärger u.a. von mir kaum verstehen und hast mangelnden humor unterstellt.

    ich assoziiere gerade worte, wie ambivalent, wankelmütig, dialektik ;-)

    gruß aus f-hain – JST

  6. 06
    Sal

    Danke Malte. Bin mittlerweile dazu übergegangen, Leuten, die mir ungefragt eine Digicam in die Fresse halten, ins Gesicht zu spucken. Jetzt nicht so hasserfüllt-aggressives Spucken – mehr so beiläufig-nonchalant.

  7. 07

    Ich würd‘ klagen. Wäre interessant zu sehen, ob Du schon als Person des öffentlichen Lebens giltst oder nicht.

  8. 08

    Ich finde ja eher, dass es insgesamt besser geworden ist, aber das ist subjektiv.

    Spreeblick vor drei Jahren.

  9. 09

    @#684406:

    schau: für mich ähneln babies einander wie eier. und die darstellungsrechte an diesen sich extrem ähnelnden kleinen stramplern haben halt die eltern. angeblich findet es ja das nirvana-baby (jetzt ein pubertierender jüngling) komisch, von der ganzen welt nackt gesehen worden zu sein. aber wer würde es mit ihm verbinden, wenn er nicht selbst darauf hinweisen würde? und wer würde rückschlüsse ziehen auf sein heutiges unterwasserverhalten?

  10. 10
    Hr.Lohmann

    Wir haben in unserem Freundeskreis ein unausgesprochenes Gebot des Kamera-Verzichts. Ausnahmen sind zumeist analoge Fotografien, angefertigt von subjektiv „guten Fotografen“.

  11. 11
    peter

    der beste trick:
    keine bloggenden nerdfreunde haben.

  12. 12

    @#684412: Ist nicht bei den nicht-Nerds mit StudiVZ account die Gefahr viel grösser sich in kompromittierenden Situationen im Netz wieder zu finden?

  13. 13
    luminanzmuster

    fast gleichartiges hat doch pete doherty nach „the blinding“ auch von sich gegeben. allerdings erst danach..

  14. 14
    Sascha

    Es ist nur eine kleine Gruppe:
    — die prepubertierenden (PrePubs)
    — die pubertierenden (Pubs)
    — die postpubertierenden (PoPubs)

    Ok, es ist doch keine kleine Gruppe.

  15. 15

    reiß ihm das iphone aus der hand und nimm den film raus.

  16. 16
    lanas zeugen

    ernst-august sollte auch gegen die handyhochhalter auf popkonzerten zum einsatz kommen: wie ein brett vorm kopf halten sie ihre briefmarkenkameras zwischen hirn und bühne, oft auch monstranzartig in die höhe – damit das erwachsenentamagotchi auch ja alles mitbekommt, im gegensatz zu den weiter hinten stehenden. unmut!

  17. 17

    finde ich ein wichtiges thema: das recht am eigenen bild.

    ich stelle meine privaten fotos nicht an einer schauwand auf die straße, dann erwarte ich von anderen menschen erst recht, dass sie das nicht mit fremden bildern tun.

  18. 18
    Martin2

    Wenn das Bild namentlich untertitelt ist, könnte es womöglich interessant sein für zukünftige Arbeitgeber, Lebensgefährten, usw… Die googlebility wird leider Gottes immer wichtiger.
    Ich verstehe aber auch nicht dieses Bedürfnis alles ständig zu dokumentieren. Man kann nicht gleichzeitig erleben und fotografieren. Ich habe den Eindruck, dass einigen eine billige Inszinierung des Lebens wichtiger ist, als das Leben selbst.

  19. 19

    Vielleicht ganz passend dazu: Ein Aufruf zum Nicht-Fotografieren

    Achja: Man muss sich mit Spucken ja nicht gerade auf eine untere Stufe stellen. Ich bezweifle, dass der typische Amateur-Knipser überhaupt etwas vom Recht am eigenen Bild gehört hat. Ein freundlicher Hinweis darauf hilft sicher mehr als ein profanes Spucken.

  20. 20

    Madonniger? Etwa so: http://tinyurl.com/5t9fgg

    Natürlich befriedigen Paparazzi die Gaffer. Natürlich ist es ein Geschäft. Natürlich ist es schamlos.

    Aber sie zeigen durch ihre Fotos auch die Verlogenheit und Oberflächlichkeit des Showbiz. So gesehen leisten sie auch einen Beitrag zur Aufklärung.

  21. 21

    zum diesem baby: vielleicht ähnelt es noch vielen anderen, aber papa dokumentiert mit seinem youtube account einschlafen in komischen situationen, die ersten schritte, die erste freunde ein paar jahre später und unter jedem noch so peinlichen video finden sich dann auch noch die 5 seiten, die die meisten klicks auf das video produziert haben. eine angenehme entdeckungsreise für diesen menschen. das kann man sich dann auch nicht mehr zurechtreden. und so stehen die eltern, die die rechte haben, in der verantwortung und der konsument. aber der konsument und verbreiter weisen jedoch mal wieder fein jede schuld von sich. sind ja immer die anderen, die schuld haben.

    ansonsten: red doch mal mit deinen „freunden“ und klage sie nicht in blogeinträgen an.

  22. 22
    Sal

    @#684409:

    Sorry, versteh ich nicht :p

    Nein, mir geht es hierbei gar nicht mal um die Rechte am eigenen Bild. Ich finde es nur extrem lästig permanent eine Digicam/Fotohandy in die Fresse gehalten zu bekommen und dauernd freundlich, lustig oder huhu ausgeflippt in irgendein Objektiv grinsen zu müssen. Und bisher hatte ich das Gefühl mit dieser Einstellung alleine unter der Sonne zu sein – denn wenn man heute in Bars oder Clubs, auf Grillpartys oder Beerdigungen nicht alle 5 Sekunden bereit ist für ein Foto zu posieren ist man der Spielverderber. Konsens ist, dass nicht derjenige unhöflich ist, der ununterbrochen fotografiert, sondern derjenige der sich nicht ununterbrochen fotografieren lassen will. Ich persönlich finde das unfassbar nervig. Aber nein, ins Gesicht gespuckt habe ich noch keinem deswegen – bis jetzt.
    Und mmh, ja doch, wenn irgendein Paparrazzo eins mit dem Regenschirm übergezogen bekommt kann ich eine „klammheimliche Freude nicht verhehlen“. Auch Prominente, die ihr Geld dadurch verdienen permanent in der Presse zu sein, sind meiner Meinung nach nicht dazu verpflichtet sich gegen ihren Willen beim Nasebohren knipsen zu lassen.

  23. 23
    foddo

    Wenn es Nerds sind, die das tun, mag es ja noch gehen. Denen sind technischen Konsequenzen ihres Tuns wenigstens teilweise bewusst.

    Schlimmer finde die Partyfoto-Kamera-DAUs die nicht mal ahnen, was sie anrichten können, wenn sie morgens mit Restalkohol ihre nullwertigen Bilder ins google-Nirvana abgeben. In Feierlaune will man ja nicht immer den Oberpisser raushängen lassen und das bereut man dann schon bisweilen….

    Am schlimmsten muss es in der Generation der jetzt 15-19-jährigen sein. die haben überhaupt keine Ahnung, trotzdem „mächtiges“ Equipment, den schon immer doofen Gruppenzwang und vor allem jede Menge peinlicher Anlässe, die es für spätere Zickenkriege zu konservieren gilt.

    In meinem Umfeld ist es noch harmlos und ich bin froh drüber. Bin aber gespannt, wie die Frage in 10 Jahren gesehen wird. Spannende Zeiten!