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< / Liebe >

Ein kleines Mädchen lief die gegenüberliegende Straßenseite entlang und sang die Pipi-Langstrumpf-Melodie, ein Mann mit sturem Blick nahm sie stur pfeifend auf und ich summte sie noch weiter, als ich die Treppe hochging, um mit Karolina Schluss zu machen.

Alles hatte sich zuletzt in eine völlig falsche Richtung entwickelt, so sehr, dass ich dieses Mal sogar die Hoffnung gehabt hatte, den Segen meines Therapeuten zu bekommen, aber der hatte nur gesagt: „Wenn Sie meinen, dass das das Richtige ist“, um dann mit diesem schmunzelnden Hasenzüchterblick, den ich bis jetzt nur bei meinem Therapeuten und noch nie bei Hasenzüchtern gesehen hatte, den Satz mit PünktchenPünktchenPünktchen zuende gehen zu lassen. Ich hasste diese Pünktchen, die mein Therapeut in seinen Sprechblasen stehen ließ.

Karolina ließ mich herein, wie immer lief Air, was für sich genommen schon einer ihrer typischen passiv-aggressiven Akte war.

Ich bat sie, sich zu setzen und kurz hatte ich dieses Pulp-Fiction-Gefühl und summte das „Mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“ in meinem Kopf etwas triumphaler. Dann schaute ich in ihren Friedrichshainer Barock-Spiegel und war augenblicklich wieder wütend. Ich sah aus wie ein Schwanz, wie Bushido beim Konfirmandenunterricht. Und sie hatte das zu verantworten.
„Sag mir doch mal, warum du mir, wenn ich dich bitte, mir ein kleines bisschen die Haare zu stutzen, die Haare gleich abmähst als wärst du ein beschissener australischer Schafscherer.“
„Ich habe doch nur ein kleines Stück.“
„Fang doch bitte nicht wieder damit an, ich bin doch nicht dein verkackter Lehrer, dem du erzählen kannst, du hättest die Hausaufgaben gemacht, ganz ehrlich, nur leider sind sie dir aus dem Schulranzen geklaut worden. Hier“, ich zerrte an meinen kastrierten Nackenhaaren, „ich bin doch nicht blind und wenn ich blind wäre, könnte ich doch immer noch fühlen. Die waren vorher so lang“, ich zeigte einen ausgewachsenen Penis, „und jetzt sind das nur noch Wehrmachtsstummel. Ich sehe aus wie Lord Helmchen, der sich als Kapaun verkleidet hat.“
Karolina wusste nicht, was ein Kapaun ist, das sah ich an ihrem fragenden Blick.
„Wenn du jemandem die Haare schneidest und das nicht kannst, dann machst du das doch doppelt vorsichtig. Dann schneidest du ein winziges Stückchen und dann nimmst du einen deiner zahlreichen Handspiegel und fragst, ob es so in Ordnung ist. Aber du machst doch nicht schnappschnapp und bist nach fünf Minuten fertig. Als du nach fünf Minuten `fertig´ gesagt hast, wusste ich schon, dass das ins Auge gegangen ist. Aber so ist es ja immer, wenn es um mich geht, dann muss alles ganz schnell gehen. Weil ich dir nichts bedeute. Weil du mich nicht liebst.“
„Du weißt doch, dass das Blödsinn ist“, sagte Karolina und leckte sich mit ihrer absurden Zunge über die Oberlippe.
Eine Ärztin hatte ihr einmal gesagt, dass sie wohl im Mutterleib einen Schlaganfall gehabt hatte. Deswegen war ihr Septum linguae schief. Wenn sie die Zunge rausstreckte, sah sie aus wie ein Comic-Hund.

Ich dachte an all die Witze, die ich über ihre Zunge gemacht hatte und hatte Schwierigkeiten, wütend zu bleiben.
„Deine Mutter ist eine Hure“, sagte ich, mehr als Zitat.
„Aber hätte sie nicht im Knast gesessen und Drogen genommen, wäre ich doch nur eine Pastorentochter.“
Das hatte sie an unserem ersten Abend gesagt und als sie es jetzt wiederholte, dachte ich, dass das genau unser Problem ist. Wir gehen mit unserer Beziehung um wie die Deutschen mit dem Holocaust, wir sagen Erinnerungssätzchen auf und spüren nichts mehr dabei. Aber wie die Deutschen nun einmal sind, spürte ich dann eben doch etwas und das gefiel mir gar nicht. Also sagte ich: „Ich kann das nicht mehr.“
Karolina sagte nichts.

„Ich kann nicht mehr mit jemandem zusammen sein, der mich nicht ernst nimmt. Frag mal deinen Therapeuten: So etwas ist ein Symptom. Das ist aggressive Scheiße.“
Ich wusste, dass sie mit ihrem Therapeuten nicht über private Dinge sprach, sie erzählte eigentlich immer nur ihre Träume oder von ihrer Angst, zu fallen und dann erweist sich der Boden als allzu nachgiebig. Eine blöde Angst, das hatte ich ihr oft genug gesagt. Standardangst 14a. Kinderkacke. Kommt nie vor und ist nur Ersatz für die dahinterstehende Grundangst, über die sie aber nie mit jemandem sprach, auch nicht mit mir.

Ich sagte ihr, dass ich demnächst meine Sachen holen würde und dass es besser wäre, wenn wir uns dann erstmal nicht mehr sehen würden und das Übliche.

Dann zog sie den Ärmel ihres gemütlichen Pullis lang und wickelte den Stoff um ihre winzigen Finger und ich fasste nach den Fingern und sie zog meine Hand an ihr Gesicht und das war warm und weich und genau richtig und dann stand ich auf und küsste sie unbeholfen und dann schliefen wir auf dem Küchenboden miteinander.

Danach lag sie neben mir, ich zog sie an mich, aber sie machte sich steif.
„So geht das nicht mehr“, sagte sie. Sie schaute mich nicht an. „Immer dieser Streit um irgendwelche Belanglosigkeiten und dann wird gefickt und alles soll wieder gut sein.“
Sie lag da ganz nackt und plötzlich war sie so weit weg. Noch konnte ich sie wenigstens sehen. Wenn sie jetzt aufstehen würde, dachte ich, dann meinte sie es ernst. Aber sie blieb liegen. Sie nestelte in ihrer Hose, die neben ihr lag, nahm sich eine Zigarette und sagte zur Decke: „Du kotzt mich so an mit deiner unsicheren Eitelkeit, mit deinen prolligen Myspace-Fotos und deinem Therapeuten-Geschwätz.“ Mit einem Ruck stand sie auf und ging in Richtung Klo. „Verschwinde. Deinen Scheiß schicke ich dir.“
Zehn Minuten lag ich auf dem Küchenboden und blieb extra nackt. Dann fror ich und zog mich an. Ich klopfte an der Toilettentür. Ich rief ihren Namen.
Nichts.
Ich trat auf die Straße.
Wer will’s von mir lernen?
Alle groß und klein – trallalala. Ach Scheiße.

28 Kommentare

  1. 01
    christoph kratistos

    Ach Scheiße. Falscher Text zur falschen Tageszeit.
    Anyway:
    (Pfeilklammer links) Lob (Pfeilklammer rechts).

    Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass bei dir die Fick-Schwanz-Kack-Scheiße zu nimmt. Ich mag das. Und Bukowski mag das auch.

  2. 02

    das nimmt nicht zu, das verläuft in schweinezyklen:)

  3. 03

    Scheiße Mann, die Frau hat Dich gefickt und dann in ihrer eigenen Wohnung verlassen.

    ,-)

  4. 04

    Grandios. Kann jetzt bitte jeder Tag mit so einem Text anfangen? ;-)

  5. 05
    Lena

    Der Text ist so wundervoll. Aber kannst Du nicht einmal auf Pimmelmetaphern (etc) verzichten?
    Anyway: Danke für den tollen Artikel. :)

  6. 06

    Äh? Bin verwirrt.
    Aber dennoch schön geschrieben.

  7. 07
    schoeM

    Also ich find die Pimmel-Metaphern nicht störend, ruhig mehr davon ;-)

    Ne, im ernst, klasse Story, großes Lob.

  8. 08
    unglaeubiger

    Hat aber schon auch einen Stock im Arsch, der Text.

  9. 09
    Ohrenschmauß

    Bitte mehr Texte mit Wut/gerechtem Zorn schreiben!
    Schöner Text.

  10. 10

    sehr schöner text

  11. 11

    Yeah Malte, guter Text für einen verfickten Start in den Tag. Danke

    /bow

  12. 12
    henker

    Der Wechsel von Erzähler zu Ich bringt richtig Atmosphäre. Langsam aber sicher wird ein Buch fällig, aber warte erst, wenn die 200 Seiten voll sind, sonst lohnt es nicht ;)

  13. 13
    nicnac

    Malte becomes literary :).
    Grundton im Mollbereich mit Bluestendenz: Zwei arme Socken tun sich schwer miteinander, da sich Kommnikation auf bloße Kopulation beschränkt.
    Das wird wunderbar beschrieben und selbst die im „Schweinezyklus“ durchscheinenden Bukowski-Allüren passen. Wie den beiden Protagonisten geht es vielen, es scheint zeittypisch zu sein. Das macht das Besondere an der Geschichte aus: Sie zeigt die Einsamkeit in der Zweisamkeit. Mit Jim Morrison (Doors) gesagt: Like a child without a home and after all alone …
    Ich würde gerne noch viel mehr davon lesen und stimme dem henker zu: Ein Buch wird langsam fällig. Zeit, sich nach ’nem Verlag umzuschauen.

  14. 14
    Rotti

    schlaganfall im mutterleib made my day, die kleinigkeiten machen alle beziehungen ganz groß, alles gequatsche ist bloß betriebstheorie für betriebsblinde…

  15. 15

    Penis! Man kann es nicht oft genug sagen.

    Schöner Text. Mir wirft man gelegentlich auch eine zu häufige Nutzung von Fäkalsprache vor. Alleine, um dieses unglaubliche Wort zu hören, lohnt sich das schon. Also mehr davon.

  16. 16
    Matt

    Schöner Text, netter Inhalt und was mir besonders gefiel war der Perspektivenwechsel. Bitte mehr davon!

  17. 17

    Die Geschichte ist gut.
    Die Frau zwar dramatisch, aber auf eine sehr unoriginelle Weise.

  18. 18
    Manu

    Ehm, hallo – bin eben erst auf den Blog gestoßen und lese zum ersten Mal was – crasse Schei**e ;D

    Geile Sache Frau verlässt Mann in ihrer eigenen Wohnung und er hat keine Chance gegen sie, allerdings…, n bisschen drastisch die ganzen Holocaust, Huren und Pastorentochterpassagen – aber wems gefällt…

  19. 19
    chefkoch

    zu viele pimmelmetaphern ist so ähnlich wie zu reich oder zu schön. und endlich mal wieder was mit holocaust.

  20. 20
    Peter H aus B

    Probleme haben manche Leute…

    Wie sagt man im englischen?

    „Get a Life“…

    Und Malte mit good ol‘ Bukowski zu vergleichen ist Blasphemie – oder Ahnungslosigkeit!

  21. 21
    Jan(TM)

    Toll geschrieben, vielleicht lese ich es ja mal irgendwann.

  22. 22
    ise

    er hat den plan – er schafft es nicht ihn umzusetzen – sie tut es ohne kompromisse. starke frau (eigentlich).

    vielleicht ein zeichen der zeit: grundsätzlichkeit einer männlichen generation ohne rückgrat aber mit vermeintlichen unterstellungen?!?

    vielleicht auch einfach zu weit gedacht von mir.

  23. 23

    Penis. Penis. Man kann es gar nicht oft genug sagen.

    Wozu ist der Mensch auf der Welt ? Zum Sterben. Und was heißt das ? Rumhängen und bloggen.

  24. 24
    claudia

    toller text, malte! man wird neugierig, denkt beim lesen, man weiß bescheid; denkt – mit der hauptfigur – man „hat’s im sack“, dann kippt es so plötzlich und seltsam und man steckt drin im sack. echt sehr spannend, gerade genug „farbe“ drin, gar nicht standard, nicht besserwisserisch in keine richtung! gefällt mir. und ich hoffe auch es bald zu lesen. keine drei pünktchen!
    (und in „wenn du meinst, dass das Richtige ist“ fehlt ein drittes das?)

  25. 25

    Endlich mal wieder!

  26. 26
    Pipi

    „Wer will“™s von mir lernen?
    Alle groß und klein – trallalala. Ach Scheiße.“

    Da machr ich mir bei Dir keine Sorgen.
    Bestenfalls kämpfe ich mit der Grammatik.

    Im Ernst:

    Wie geht es dem kleinen Kater?

  27. 27
    _Jan

    „Wer will“™s von mir lernen?
    Alle groß und klein – trallalala. Ach Scheiße.“

    a) Problem erkannt.
    b) Problemlösung suchen.

  28. 28

    @#685825:
    Heute

    erscheint es noch komplexer als es sein müsste.
    Siehe: