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Liebeserklärung ans Internet

Ich liebe das Internet, weil es die Welt verbessert. Viele Menschen vor uns haben dafür gekämpft, dass die Umstände besser werden. Einige haben es tatsächlich Stück für Stück geschafft. Aber keine Generation vor uns hatte eine derart mächtige Waffe der Weltverbesserung in der Hand wie das Netz. Es gibt einen Grund, weshalb in den 1930ern der Rundfunk mit seinem Aufkommen von Diktatoren begeistert empfangen wurde — aber das Internet heute von ihnen beschnitten und bekämpft wird. Das Netz gibt den Vielen eine Stimme, ohne den Einzelnen auszublenden, es ist ein aggressiv demokratisierendes, soziales Medium. Schaut man sich die politischen Pulverfässer der Erde an, dann glänzen sie vor allem durch Unwissen und fehlende Aufklärung der Massen — die deshalb um so leichter zu manipulieren sind. Das Netz kann ein Gegenmittel sein.

Die politische Komponente ist aber nur der Anfang — die kulturelle ist ähnlich relevant. Das Netz ist das Ende des Mainstreams als ausschließlichem Taktgeber und der Beginn der wahren Vielfalt der Kultur. Wo anders als im Netz könnte es internationale Kompendien von Fotografien von Plastikstühlen geben oder eine regelmässige Publikation, die begeistert den Bankraub an sich untersucht? Publikationen wohlgemerkt, die jedem kostenlos zugänglich sind und nicht fachzeitschriftesk in ausgesuchten Archiven verstauben.

Der ökonomische Aspekt des Netzes ist einer der kompliziertesten und eine Sollbruchstelle für die Zukunft. So wunderbar es ist, dass mit dem Long Tail (der Nische, die sich mithilfe des Internets überhaupt erst lohnt) die Vielfalt einen wirtschaftlichen Unterbau bekommt — auch mit dem Long Tail kann die Wirtschaft nicht alles allein regeln, zum Beispiel, was Infrastruktur angeht. Man möchte sich nicht ausmalen, wie unsere Welt heute aussähe, wenn die Hoheit etwa über Straßen von Anfang an in unreglementierten Unternehmenshänden gelegen hätte. Meiner Liebe zum Internet tun die ungelösten wirtschaftlichen Probleme wie etwa die Refinanzierung von Kulturprodukten im Netz keinen Abbruch. Die Vorteile überwiegen bei weitem.

Benachbart zur Wirtschaft des Netzes — die eine bessere sein kann, weil sie mittelfristig transparenter sein muss und von mehr Augen kritischer beobachtet wird — schließt sich die Arbeit in und mit dem Internet an. Und wie sehr bin ich jeden Tag und jede Minute dankbar dafür; was wäre nur aus mir geworden ohne das Netz. Womöglich Printjournalist. Oder ich wäre gar ins Fernsehen hineingescheitert. Die Internetarbeit betrifft aber nicht nur die DIgitale BOhème, sondern kann den Arbeitsalltag sehr vieler Menschen verbessern. Ein Modell wie ROWE (Results Only Work Enviroment), bei dem sich Angestellte Zeit und Arbeit frei einteilen können, wäre ohne Netz nicht denkbar. Der App Store für das iPhone zeigt, wie mit dem richtigen Einsatz des Internet über Nacht neue Märkte und damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

Ebensowenig sind Bildung, Forschung, Wissenschaft inzwischen auch nur im entferntesten ohne das Netz denkbar. In den 1990er Jahren war oft von Knowledge Management-Systemen die Rede — voilà, da ist es, es war schon da, es ist das Netz insgesamt, mit dem sich (mit den geeigneten Instrumenten) jeder Wissensschatz heben lässt, der uns voranbringen kann.

Vom Großen ins Kleine hinein hat das Internet auch mein Privatleben unendlich bereichert. Nicht nur, dass ich vorher mit einer handvoll Radiosendern nicht einmal geahnt habe, was für Musik ich gut finde. Ich umgebe mich auch mit Menschen, die ich zu über 80% im Netz kennengelernt habe. Es war nämlich früher gar nicht so leicht, Leute kennenzulernen, die einen wirklich interessieren. Früher bestanden Freundeskreise häufig aus Kollegen, die der Personalchef zufällig zusammengewürfelt hat. Heute läuft im Netz jeder mit einem großen Schild umher, auf dem steht, wofür er sich interessiert. Wer trotzdem noch mit seinen Kollegen befreundet sein will, kann das natürlich gern tun. Wer aber gern im Bekanntenkreis über die französische Literatur des 17. Jahrhunderts diskutiert, über Käfer oder über irgendwelche anderen Themen als Fußball und Hollywood, der hat heute über das Netz eine unendlich viel höhere Chance, Gleichgesinnte zu finden.

Dafür liebe ich das Internet, ebenso für seine Geschwindigkeit, für seinen Einblick in vollkommen fremde Lebenswelten, für seine unendliche Vielfalt, die trotz allem das Gegenteil von Einfalt ist, für sein beständiges Füttern meiner Neugier, für die Freiheit, die es mir schenkt, für das Gefühl, das es mir gibt, wenn es mich auf immer neue Art mit anderen Menschen verbindet und für die gigantische Chance, die es uns bietet, die Welt zu verbessern — und das alles zum Preis einer kleinen Prise Pathos.

53 Kommentare

  1. 01

    …und das alles abgeschlossen mit einem wunderbaren, lobenswerten Schlusswort.
    #Pathos #Twitter

    Danke!

  2. 02
    westernworld

    „¦ der deutsche hausfrauenbund sucht einen gastredner und hat ihn gefunden.

    wie schön „¦

  3. 03

    Regel 34 auf Holzgestelle !

  4. 04

    Das Internet wird meiner Meinung nach politisch gesehen nicht wirklich ernst genommen, für die meisten ist es nur ein weltweiter Spielplatz, oder Treffpunkt diverser Randgruppen. Für andere eine Sammelstelle für Böses, aber das ist ein anderes Thema =)

    Wird schon noch einige Zeit dauern bis die Mehrheit die „wahre“ Macht des Internet kennen lernt.

  5. 05
    Hr.Lohmann

    Kann mal wer den Touri abmahnen? Ich finde da kein Impressum.

  6. 06
    moritz

    sach mal: ohne 250 unsinnige links wäre der artikel auch nicht schlechter gewesen, oder?

  7. 07

    Ein guter Artikel, schön emotional – netzschmacht!

  8. 08

    den artikel habe ich zwar nicht verstanden, weil ich eine eher einfache natur bin, aber dafür hab ich den trommelwirbel unter dem letzten link entdeckt…

  9. 09

    Wow! Endlich mal wieder ein Artikel der mehr Links als Inhalt hat! Olé!

  10. 10

    Hab noch gar nicht gemerkt dass die Welt besser geworden ist. Warum sollte das Netz schaffen was Marx und Jesus nicht hin bekommen haben.

  11. 11
    Frank

    Schöner Artikel, dem kann ich nur zustimmen!

    gruß

  12. 12
    maniacator

    „Ich umgebe mich auch mit Menschen, die ich zu über 80% im Netz kennengelernt habe. “

    Das merkt man.

  13. 13
    andreaslange

    Vorab: Vielem stimme ich zu. Schön sind auch die vieldimensionalen Betrachtungsweisen in deinem Artikel. Eine wichtige Komponente fehlt mir allerdings ein wenig: Die soziokulterelle.
    Das Netz sorgt für einen hohen Sozialisationsdruck; es erzeugt also einen „Zwang“, sich mit ihm auseinandersetzen zu müssen (z.B. weil Freunde, Bekannte etc es auch tun und man nicht zum Outsider werden will).
    Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung (mit Ziel einer wie auch immer gearteten Medienkompetenz) will ich überhaupt nicht infrage stellen, jedoch sind bestimmte Bevölkerungsgruppen – eben jene nicht medienkompetenten Menschen – gerne auch mal schnell durch Geschwindigkeit und Masse des Mediums überfordert. Ansonsten: Eine gelungene Hommage.

  14. 14

    …warum muss ich gerade an grob gehackten spinat denken? an sehr grob gehackten spinat?

  15. 15

    @ #10 Ääääh,Jesus? Ach der,der über’s Wasser gelaufen ist… !

  16. 16

    Und dann hast du 89236 Links im Text versteckt die sämtliche Leser mit Prokrastinationneigung den restlichen Tag kosten werden.

  17. 17
    Simon Pfirsich

    Ich find, das beste am Artikel ist der „furniture porn“ aufm Titelbild:)

  18. 18
    DieterK

    Naturgemäß beruhen „Liebeserklärungen“ auf Gefühlen.
    Gefühle können auf der Realität / auf Tatsachen beruhen, müssen das aber nicht.
    Gefühle sind subjektiv – und Liebe macht blind.

  19. 19

    den Artikel habe ich so ähnlich Ende der 90er schon einmal gelesen. Aber kann man alle 10 Jahre ruhig mal bringen.
    Wann kommt TV und Radio an die Reihe?

  20. 20

    Das ist ein ziemlich schwarz-roter Artikel. Schön.

    Wenn wir in den Blog-Engines jetzt Verlinkungen nach Prioriät oder Cup-Größe der Bloggerinnen andere, viele verschiedene Farbcodes zuweisen könnten, das wäre doch der Hammer!

  21. 21
    Schmierwurst

    Jemand sollte in den „Stilführer fürs Schreiben im Internet“ eine Beschränkung des Verhältnisses zwischen verlinkten und nicht verlinkten Worten aufnehmen. Vor allem wenn 50% der Links Kappes sind.

  22. 22

    @#688935: ich schon.

  23. 23

    Sehr genialer Beitrag. Leider kommen meine Trackbacks nie hier an…Schade.
    Hier der link zu meiner Verlinkung auf dieses Posting:
    http://tinyurl.com/5zhnv3

  24. 24

    thanks, lobo, du hast nur EINE grosse kleinigkeit vergessen: Pr0n.

    Wenn man in Videotheken und im KIno gearbeitet hat, weiss man, das das Internet viele Menschen sehr einfach und unkompliziert jeden Tag ein bisschen gluecklicher macht.

    :-)

    cheers!

  25. 25
    Peter

    ick fühl nüscht.

  26. 26
    Pipi

    „žHundred Dollar Laptop Project“

    Ein gutes Beispiel für ‚Vernetzung‘:
    http://www.daserste.de/weltspiegel/beitrag_dyn~uid,rdjfegfg6kws8o5l~cm.asp

    Blabla

    Alles Gute

  27. 27

    die Frage die ich mir stelle ist, wie kann man, wenn man so linkwütig (nett gemeint) ein Buch schreiben?
    Ist man dann nicht ständig in Versuchung eine URL einzufügen (also quasi einen Analog-Link)?

  28. 28

    @#688978:

    Es ist nur ein billiges Gerücht, das Lektoren heute noch was zu lachen hätten. ,-)

  29. 29

    Hmmm, trackback kommt nicht an… schade!
    eimal Link: http://tehfass.te.ohost.de/blog/?p=72

    Sehr schöner Beitrag!

  30. 30

    furniture porn ist tatsächlich wichtig sonst wäre es schon bisschen zu schmalzhaft geraten. Aber ansonsten ein leidenschaftlicher Artikel, das ist immer gut. Ob Sascha unterscheiden kann zwischen dem Wert den das Internet ihm beschert hat und der realen Weltverbesserung die dadurch erreicht wird weiss ich nicht. Aber ist ja auch schön zu wissen dass es ihm gut geht, denn das scheint sicher.

  31. 31

    Und warum ist dann das Internet in einer undemokratischen, plutokratischen Oligarchie wie Deutschland so präsent, hm ?

  32. 32

    Ein Vergleich mit dem am 7. Juli erschienenen Denkfabrikat-Artikel von Reiner Kapeller lohnt sich. In „Internet, was hast du mit mir angestellt?“ zitiert er die dreiteilige Beilage der ZEIT zum Thema Internet („WWW“)

    „Wie jede andere zeigt auch diese Technik ihre Wirkung gerade dann, wenn sie nicht zur Verfügung steht. Wenn kein Netz erreicht werden kann, wenn kein Gerät mitgenommen wurde oder wenn die Kommunikation gerade nicht netzvermittelt ist.“ (Von Uwe Jean Heuser und Gero von Randow, DIE ZEIT Internet-Spezial, Teil 1, S. 4-5)“

    Danke für die Erinnerung an Brechts Radiotheorie.

  33. 33

    Das ist kein Rimshot.

    „The term is often used misleadingly to refer to the sting played by the drummer in cabaret shows to accentuate the punchline of a joke. As a result, a particularly obvious laugh line is sometimes called a rimshot.“

    http://en.wikipedia.org/wiki/Rimshot

  34. 34
    die 3 ???

    Ich liebe das internet auch. Es hat mir Fakten geliefert die mir sonst nicht begegnet wären. Früher habe ich auch geglaubt was die Eltern, Lehrer, Politiker und Medien so erzählen, heute, ja heute bin ich wütend über die Manipulation.
    Doch morgen, ja morgen, wird es alles schon anders aussehen weil ich nur einer von Millionen bin, die das Spiel durchschaut haben.
    Die Folgen der stattfindenen Aufklärung 2.0 werden großartig sein, die Individuen werden der Trägheit der Masse entfliehen und das nur anhand neuer Informationen. -Genial!

  35. 35
  36. 36

    Dieser Artikel wäre vorzüglich für die Zweit- und Drittverwertung in Peter Moosleitners Magazin oder der Kundenzeitschrift der Bahn geeignet, wenn das Thema dort nicht schon vor fünf Jahren erschöpfend und vor allem fundierter erörtert worden wäre.

  37. 37

    @ No (und andere):

    Man kann eine Liebeserklärung gar nicht oft genug wiederholen!! ;-)

    Mit inzwischen 56 Jahren habe ich fast zwei Drittel meines Lebens OHNE das Internet verbracht – klar, natürlich ging das auch. Genauso wie man bei einer Kerze lesen … oder sich ein Mal die Woche im jeweiligen Gotteshaus ziemlich einseitige Nachrichten anhören kann. Wozu also Strom? Wozu Radio?

    Für mich ist das Wichtigste, daß das Netz erstmals die Möglichkeit eröffnet, auch ohne eine ‚Machtposition‘ ferne Kulturen mit Informationen versorgen zu können. EIN Beispiel dafür – bzw. für den Bedarf danach – aus dem eigenen Vorgarten:
    > http://blogs.taz.de/datenscheich/2008/08/22/in_eigener_sache/

    Deshalb versuche ich auch gerade Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, damit das Buch der Synergie (s. Inhalt Teil C: http://www.buch-der-synergie.de/c_neu_html/inhalt_c.htm) möglichst bald ins Arabische, Englische, Französische (Westafrika), Spanische (Südamerika) usw. übersetzt – und dann freigeschaltet wird.

    Wenn die Menschen dort erst einmal die MÖGLICHKEIT haben, sich über die immensen Potentiale der Erneuerbaren Energie und den schon erreichten Stand der Technik zu informieren, reicht mir auch ein nettes ‚Dankeschön‘ für die bislang hierein investierten 35 Jahre Arbeit… ;-))

  38. 38
    homer777

    Internet ist super! Finde ich auch! ABER (und das wird immer wieder gerne vergessen): Das Internet ist eine verdammt elitäre Angelegenheit. Ich habe jetzt gerade keine Zahlen und auch gerade kein Bock zu googlen (das würde ich dann sofort hier verlinken ;-) ), aber es gibt wahnsinnig viele Menschen auf der Welt, die nicht nur keinen Zugang zum Netz haben, denen wird das Netz auch vorenthalten! Mein Gott, ja, das Internet macht uns vieles einfacher und es ist spannend! Aber wir sind nur eine kleine Gruppe! Das Internet bietet bestimmt keine Lösungen für globale Probleme! Kommt mal nen bisschen runter!

  39. 39

    Das finde ich doch mal toll. Genau wie das Internet. Finde es immer wieder spannend mir zu überlegen ob der oder die nächste Bekannte oder gar Partnerin aus dem Real Life oder dem Netz kommt.Seit einigen Jahren sind es mehrhetlich Menschen aus dem Netz …