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Wahl im Freistaat: Expertengespräch

Wahl in Bayern: Shakespeareske Einbußen bei der CSU („Was bleibt, wenns dicke kommt“), prometheushafter Aufstieg der Grünen, der FDP und der Freien Wähler, irgendwas mit Werner bei der SPD („Nicht gut“) und die Linke macht auf Kerkeling („Ich bin dann mal irgendwo ganz anders, weiter oben zum Beispiel“). Mich lässt das ratlos zurück, also greife ich zum Telefon: Expertengespräch.

Da in meinen Adern unter anderem auch das ein oder andere Tröpfchen bairisches Blut fließt (glücklicherweise nicht rund um die Mundpartie), wähl ich die Nummer meiner Großtante. Meine Großtante: Anfang 70, Hausfrau, jahrelange CSU-Wählerin. Und begnadete Versteherin der bairischen Volksseele. Aber vor allem: objektiv. Weil sie auswärts lebt, und nicht wählen gehen darf. Muss. Soll. In dem Fall: Muss.

„Ich hätte ja Schwierigkeiten gehabt, wählen zu gehen. Den Stoiber, den hätt ich gewählt. Aber den Beckstein, also naja.“

Woran liegt’s? Dass die CSU kürzlich 4,3 Milliarden in eine Bank versenkt hat? Weil er Atomenergie forciert? Weil er aussieht, als wäre er statt in einen Jungbrunnen in einen Topf Kaffee (ohne Milch, ohne Zucker) gehüpft und hätte noch nicht wieder rausgefunden?

„Naa, des net. Aber der Beckstein is Franke. Deswegen hat er sich nicht so durchsetzen können. Die Franken sind woanders Bayern, aber in Oberbayern sind das Franken. Außerdem ist er farblos, und nicht so schlecht, wie ihn alle reden. Der wär gut in Berlin gewesen, als Innenminister. Das hätt der gut gemacht.“

Bewahre. Beckstein als Innenminister – aber ich will ja nicht streiten. Ich will wissen: Was passt denn nicht beim Beckstein?

„Der hat kein Format. Nicht so wie der Stoiber oder der Strauß. Der Huber hat auch kein Format. Das sind so Waderlbeißer, a bisserl giftig. Ich glaub auch nicht, dass die so korrupt sind, wie jetzt überall steht: des können die doch auch gar nicht. Nicht so wie der Strauß.“

Und der Strauß, der hatte Format, weil er korrupt war?

„Naja, das muss man schon können, wie der Strauß das gekonnt hat. Das war halt korrupt, aber der hatte Format. Bloß Kanzler hat er net werden dürfen, weil er Bayer is. Über Bayern wird sich ja auch immer lustig gemacht, schon allein wegem Sprechen.“

Wer hätte denn genug Format gehabt für Bayern? Der Maget?

„Ach, der Maget. Der hats nie geschafft, sich durchzusetzen. Der is auch eher ein Münchner, kein Bayer. München war ja scho immer mehr SPD oder kommunistisch. Und von dem Maget host ja nix g’hert. Der Ude, des is n Guader. Aber halt auch: a Münchner. Bayern is halt ein Agrarstaat, und Bauern wählen keine SPD.“

Und sonst?

„Der Seehofer hätt was sein können. Der is n Querkopf, aber das is nix schlimmes. Der hätt was machen können.“

Und die anderen?

„Also die Linkspartei, die wähl ich nicht. Der Lafontaine, also, ich mag den nicht. Und die Grünen ham sich auch nicht recht etabliert. Die stehn in Baden-Württemberg besser da, hier nicht so. Aber das ändert sich ja auch grad, junge Leute schaun halt mehr auf die Umwelt. Und bisher war in Bayern ja Tradition wichtig, das ändert sich jetzt.“

Ich bin enttäuscht. Da hat sich Sepp Daxenberger, der als Holzfäller verkleidete Grüne, so eine Mühe gegeben, und für seine Wahlwerbespots entschieden einen Kabarettpreis verdient. Sätze wie

Dia CSU duat so als hättens die Seen eigenhendig ausgrobn und damit die Alpen aufgschütt.

sind, mit einem Wort, wunderbar. Und auch sonst war seine Idee, die Rosenheimer Freunde amerikanischer Unterhaltungskultur nach mehreren Flaschen psychoaktiven Kräuterschnaps einen Wahlwerbespot konzipieren zu lassen, irgendwas zwischen schlecht, dadaistisch und sehr, sehr gut. Das Ergebnis darf an dieser Stelle nicht fehlen:

Aber ich will lieber wissen, was mit der FDP ist oder den Freien Wählern.

„Na, jetzt wirds die FDP. Die is auch zuverlässiger für Finanzen und Wirtschaft. Die Freien Wähler, das ist nicht so gut. Und mit der aufmüpfigen Pauli, also na. Die FDP wird sich jetzt ja denken, dass se in Berlin auch wieder was zu sagen hat, aber so stark sind sie nicht.“

Danke, Tante. Ich kann nicht behaupten, dass die Wahl in Bayern mich großartig tangiert. Das alles fühlt sich weiter weg an als Venezuela oder Myanmar. Dass dort eine Monarchie gestürzt wurde, erfüllt mich nicht so recht: vielleicht fehlen dazu ein paar Halbe.

Die die ARD-Kommentatoren offensichtlich schon drin hatten, als sie von einer „Zeitenwende“ sprachen. „Schicksalswahl“ hab ich zwar nicht gehört, aber Deppendorf hat das bestimmt gedacht. Ich persönlich hätte kein Problem damit, an der Grenze, sagen wir: bei Hof meinen Ausweis vorzeigen zu müssen. Immerhin wusste meine Tante Bescheid.

25 Kommentare

  1. 01
    Hendrik

    Als Exil-Hesse ( ;) ) tangiert mich die Wahl dann doch ganz direkt, und mit den Vorläufigen Ergebnissen bin ich halbwegs zufrieden – Bayern zum ersten mal seit fast einem halben Jahrhundert ohne Monopolregierung durch CSU: Das ist doch was

  2. 02

    Das die CSU so sehr abstürzen würde, hätte ich nicht gedacht. Aber ich finde es gut, dass die Wahlbeteiligung nun doch höher als noch im Jahr 2003 liegt. Vielleicht ein Zeichen, dass nicht überall alle politikverdrossen sind.

  3. 03
    westernworld

    “ die CSU kürzlich 4,3 Millionen in eine Bank versenkt „¦“

    das sollte dann wohl milliarden heißen „¦

  4. 04

    Das Ergebnis in Bayern ist wunderbar. Sicherlich, die CSU wird weiterregieren und das wird sich (leider) auch ein paar Jahre nicht ändern. Doch sie haben „a saubane watschn“ bekommen, die die CSUler, von den Spitzenämtern bis zu den Ortsvorsitzenden hinab, nachhaltig prägen wird.

  5. 05
    Felix

    Bayern… Yeah!
    Aber Österreich! Ich mein wie das?

  6. 06
  7. 07

    Sehr schön, so hatte ich mir das vorgestellt. Das Video kannte ich noch garnicht. :)

  8. 08
  9. 09

    waaaaaaaaha! wie geil is das Video denn bitte? Muss ich echt grodemol lache, Ho ho!
    Ja, echt feini mit der Wahl… bitte weiter so!
    Sackreblönocheinm0lksdjnfüsohdf76234ß98724!!!!!!

  10. 10

    Wenn Die Linke sogar in Bayern fast 5% holt, wenn mit den Grünen, der FDP und den Freien Wählern drei der kleinen Parteien ein Drittel der Stimmen bekommen, wenn der SPD trotz eines Tiefs der CSU die Wähler nicht zu-, sondern davonlaufen und wenn es selbst in Bayern nicht mehr selbstverständlich genug ist konservativ zu wählen damit die CSU auf ihre absolute Mehrheit kommt, dann können sich die großkoalitionären Problemverschlepper bei der Bundestagswahl warm anziehen.

    Eine „žZeitenwende“ im ARD-schen Sinne ist die Wahl hier deshalb wohl noch nicht. Aber doch ein guter Indikator dafür, was die Großkoalitionäre CDU und SPD auf Bundesebene zu erwarten haben, wenn sogar die im Bundesschnitt problemfreien und wohlgenährten Bayern an ihrer Problemlösungs- und Fürsorgekompetenz zweifeln.

    // „Ich persönlich hätte kein Problem damit, an der Grenze, sagen wir: bei Hof meinen Ausweis vorzeigen zu müssen.“ Hatte das etwas mit der Wahl zu tun oder wolltest du das einfach auch noch loswerden?

  11. 11
    franz

    Finde, die Abwanderung zu FDP u. FW gründet auch daher, oder viell. sogar voll, dass viele einfach die CSU abwatschen wollten, sich aber trotzdem nicht trauten komplett anders zu wählen. Ob das soviel mit Bundespolitik zu tun hat glaub ich nicht, denn vielen Bayern wäre es am liebsten, auch in Hof den Ausweis vorzuzeigen, wobei, das ist ja Franken:)

  12. 12
    Tim

    Wenn es so wewitergeht, wird man beim Grenzübertritt nach Österreich nicht nur den Ausweis vorzeigen müssen. Was das passiert ist, ist viel bestürzender als in Bayern. Stattdessen in Spreeblick ein paar Nichtigekiten über Bayern.

  13. 13
    christoph

    „nach mehreren Flaschen psychoaktiven Kräuterschnaps“

  14. 14

    @#691459:
    da hast du recht, denn die freien wähler sind ja genauso konservativ wie die csu. im grunde sind die freien wähler die beleidigten csuler, die jetzt ihren eigenen stammtisch aufgemacht haben

  15. 15
    Andreas

    Wie kann deine „Großtante“ CSU-Wählerin sein, wenn sie gar nicht in Bayern lebt?
    Soweit ich weiß ist Bayern noch kein Ausland, auch wenn die das in der Vergangenheit gerne gehabt hätten…………..aber das ist ja jetzt wohl vorbei.

  16. 16

    „München war schon immer eher kommunistisch“ ???!!!
    Werde dieses Völkchen nie verstehen.

  17. 17
    franz

    @katha, ja absolut…:) und das mit der schlappe, war eh abzusehen

  18. 18

    Wir haben in unserem Blog eine Übersicht der wichtigsten Pressereaktionen auf das Wahlergebnis zusammengestellt. Die Meinungen im (digitalen) Blätterwald reichen von „Hinrichtung“ bis zu „demokratische Normalität“.
    http://hingesehen.blogspot.com/2008/09/bayernwahl-csu-kandidaten-abgestraft.html

  19. 19
    Tobsen

    Der Artikel trifft’s eigentlich ganz gut. Als Exil-Franke mit ostdeutscher Herkunft mag ich dieses Bundesland trotz allem am meisten. Jetzt wohl noch ein bißchen mehr.

  20. 20

    Das schlimme ist ja: die Großtante hat zwar nicht recht, aber die vorherrschende Weltsicht. „Die Franken sind woanders Bayern, aber in Oberbayern sind das Franken.“ Und damit ist Oberbayern Bayern.

    Das ist jetzt sicher nicht der Quell allen Übels, aber so kann ein Beckstein eben niemals anerkannt werden. Franke, evangelisch und dann hat er noch seine Frau nicht im Griff (die Dirndl-Affäre, die in München wochenlang die Drecksblätter anschürte) – das geht nicht mehr lang. Auch wenn jetzt erstmal der Huber das Handtuch losließ. Fast ein bißchen schade, aber Oberbayern läßt sich das nicht gefallen. Die Gelder müssen schließlich im Süden bleiben.

  21. 21

    Ich als aktiv Nürnberger freue mich auch sehr über die Ergebnisse. Sogar so sehr, dass meine Kollegen dafür Kuchen spendiert bekommen!

  22. 22

    Franken ist zwar meine Heimat, aber mir geht die mediale Aufmerksamkeit dann doch ein bisschen auf den Senkel. Bayern ist ein Bundesland und eine Partei hat in diesem Bundesland ne Schlappe kassiert. Schön. Ich freu mich ja auch. aber muss sich deshalb ganz Deutschland den Mund fusselig reden?

    Davon abgesehen ist mir Beckstein 10mal sympathischer als Stoiber und er tut mir dann doch ein klitzekleines bisschen leid. aber nur ein bisschen.

    Der peinlichste Franke ist eh der Glos.

    period!

  23. 23
    Thomas

    man hat ja an bayern schon zu zweifeln begonnen und lagsam die klischees nordwärts für ommer wahrer befunden – bis zur landtagswahl. ein ergebnis auf das wir durchaus stolz sein können. auch wenn es noch ein paar linke extreme, nazis und einfach nur vollpfosten gibt. tipp: einfach mal durch das isental radeln wenn man in der nähe ist.

    wir haben sie gebrochen – die diktatur im deckmantel der demokratie – die garantie für kariere heißt nun nicht mehr ganz csu. einige dürfen sich auch wieder auf jobsuche begeben und ins reallife zurückkehren (und fertigstudieren). alter ruhm nutzt halt nicht mehr viel wenn diese von 2 personen vertreten wird von denen der einen in 100l schwarzen kaffee ohne zucker aber mit schlaftabletten + gefallen zu sein scheint und der andere ein gesicht macht als wäre ihm die pension geküzt worden. zusammen ergibt das zwei faulige alte grabsteine die am allerwenigstens an irgendeine spitze – mehr in das gegenteil – gehören.

    das ergebnis zeigt auch: nicht nur startbahngegner und A94-gegner haben sich abgekehrt. aber warum alles auf die zwei schlümpfe schieben – mr „ich-weiß-was-es-heißt-mutter-von-drei-kleinen-kindern-zu-sein“-superrhetoriker aka. „in-10-min-in-den-hauptbahnhof-einsteigen“-stoibär hat genug in den dreck gefahren. zeit für umbruch. ein problem sind über 43% wahnsinnige die einem die stimmung vermiesen und jetzt entscheidung herbeigeführt haben die kaum unsinniger sein könnte: hm.. klar.. es gibt verschiedene arten und sorten von scheiße (verschiedene dichtestufen zb) – aber am ende stinkts ja dann dich.

    bleibt zu hoffen das sich die csu wieder einmal selbst zum narren macht und das C wie so oft zu einer farce macht: betrüger-horst wird mini-präsident. ok, politisch vllt die wahleines kleineren übels wie schüttel-schorsch aber dann doch nicht für eine konservative partei..

    PS: das ist keine bewerbung als co-autor bei spreeblick ;)
    – aber tolle texte – die meinungsfreieht im freistaat gibts also doch