Ich hätte diesen Artikel zu gerne „Im Bett mit Tilda“ genannt, aber es gab leider ums verrecken keinen Dreh, der diesen Satz gerechtfertigt hätte. Denn ich war auch nur einer von vielen Filmfans, die gestern „In the Limelight: Tilda Swinton“ – eine Veranstaltung des Berlinale Talent Campus besuchten.
Ich mag Diven. Besonders dann, wenn sie so hemdsärmelig daherkommen wie Tilda Swinton. Gestern abend schwebte sie für eine knappe Stunde ins HAU1 und plauderte mit Peter Cowie, Redakteur des „Annual International Film Guide“ über ihre Karriere. Oder ihre Nicht-Karriere, wenn man ihr glauben möchte. Swinton erzählt ironisch und kokketiert mit ihrem pragmatischen Schauspielverständnis. Nach einem ausführlichen Zusammenschnitt ihrer Rollen, von den frühen Derek Jarman-Filmen, über den Meilenstein Orlando, ihre Rolle als Alkoholikerin in *Julia* und ihren Ausflügen ins Mainstream-Fach wie den Narnia-Filmen, Michael Clayton, oder Burn After Reading, meint sie nur: Sie wäre niemand der wirklich geeignet wäre übers schauspielen zu reden, denn sie habe keine Ahnung davon. „I dont act. I don’t know how to act. I just play.“
Sie habe Probleme mit Schauspielern, die zuviel schauspielen. Sie vermisst dann immer die Realität, die Spontanität, den Spaß. Ihren Ansatz vergleicht sie eher mit dem Spiel von Kindern. Sich verkleiden und dann einfach aus dem Moment heraus zu agieren. Wenn das Aussehen stimmt, ergibt sich für sie der Rest ganz von alleine. Für Kollegen die ganz in ihren Rollen versinken und auch nach dem Dreh nicht ganz herausfinden, hat sie wenig Verständnis. „I don’t know. That never happend to me.“
Überhaupt steht der Spaß an dem was sie macht im Vordergrund. Das spielerische Element, das sie unter Führung ihres quasi Entdeckers Derek Jarman auskosten durfte. „You can’t call crawling towards an 8mm camera acting“, sagt sie grinsend. So ganz ernst nehmen sollte man diese Aussage natürlich nicht, denn spätestens wenn sie über ihre Rollen erzählt, darüber wie sehr sie über Jahre für die Virginia Woolf Verfilmung Orlando kämpfte und wie sie sich für Projekte wie das „Cinema of Dreams“ einsetzt – eine Initiative die ausgewählte Filme aus ihrer DVD-Sammlung an Orte bringt, wo es keine Kinos gibt oder Multiplex-Kinos das Programm dominieren – spätestens dann merkt, man wie ernst sie ihren Beruf nimmt und wie wichtig er ihr ist.
Auch wenn sie sagt: „I’m not really aware of having a career“ plant sie ihre Karriere durchaus pragmatisch. Genervt davon um jedes Projekt, dass sie wirklich machen will kämpfen zu müssen, entschied sie irgendwann ihren Marktwert zu erhöhen und auch für Hollywood-Anfragen offen zu sein. Seitdem sieht man Tilda auch in großen Filmen. Als eisige Snow-Bitch von Narnia, als eiskalte Anwältin in Michael Clayton und als ähh eiskalter Engel in Constantine. Hollywood liebt es, sie als „Lady you love to hate“ zu besetzen und Tilda akzeptiert diese Spielregeln. Sie ist sich im Klaren, das bei Großproduktionen die kreative Phase schon lange vorbei ist, wenn der Dreh nach monatelanger Pre-Production endlich losgeht. Sie akzeptiert die professionelle Herangehensweise beim Dreh, denn sie weiß, das ihr Name auf dem Plakat eines großen Films, die Finanzierung ihres nächsten Herzensprojekts um einiges einfacher machen wird.
Gewisse Seitenhiebe verkneift sie sich dabei trotzdem nicht. Die Freude ist ihr anzumerken, wenn sie berichtet, dass ihre Kinder sich nach Ansicht eines Trailers den „Narnia“-Streifen nicht anschauen wollten. Viel zu laut und schrill. Eine Aussage, die sie natürlich sofort an Disney weitergab: „There are two tickets you won’t sell for this movie.“
Ganz klar: Auch wenn sie dem Regisseur des Films Adam Adamson attestiert ein netter Typ zu sein, so ganz hat sie ihren Frieden noch nicht mit dem Mainstream gemacht. Die von ihr ins Leben gerufene Stiftung 8 1/2, wird sich zum Beispiel darum kümmern Kinder mit Filmen bekannt zu machen, die nicht von den „allmächtigen Tentakeln des Disney-Konzerns“ in die Kinos gedrückt werden. Die Vision des Projekts soll sein, einen neuen Geburtstag für Kinder einzuführen. Den Achteinhalbten und an dem gibt es für sie einen Film, den sie sich aus dem Angebot der Stiftung aussuchen können. Ungewöhnliche, kleine und spannende Kinderfilme, weit weg von Pixar, Disney und Hannah Montanna (wenn ihr nicht wisst wer das ist, fragt das nächste 9jährige Mädchen das euch über den Weg läuft).
Nach einer knappen Stunde und leider nur wenigen Fragen aus dem Publikum, ist der Einblick in Tildas Welt dann vorbei. Das Mikro trifft leider nicht die Leute, die wirklich etwas spannendes fragen würden. Eine giggelnde Spanierin will wissen, ob Tilda manchmal Alpträume hätte, wenn sie so furchtbare Situationen spielt (Nein.) und ein wie Tom Jones in der Brunftzeit ins Mikro raunzender Schotte, fragt ob Tilda als kleines Mädchen mit schottischem Akzent gesprochen habe (Auch Nein). Bevor auch noch jemand die unsägliche Frage „Wie es ihr denn in Berlin gefalle“ stellen kann, wird Gott sei Dank Feierabend gemacht.
Zu gerne würde ich mit dieser Frau mal einen Abend quatschen, die auf der Leinwand genau wie jetzt auf der kleinen Bühne eine ungewöhnliche Präsenz ausstrahlt. Eine Mischung aus Flapsigkeit, Ernsthaftigkeit und doch einem Hauch divenhafter Unnahbarkeit. Doch bei allem Indie-Spirit ist Tilda Swinton vor allem auch Profi. Nach einer artigen Verbeugung entfleucht sie rasch von der Bühne. Shake-Hands und Posing für die vielen wartenden Amateurfotografen ist sichtlich nicht ihr Ding.
Sorry Tanja, das Autogramm gabs leider nicht.
Aber vielleicht ist es auch gut so. Ganz ohne Distanz und ein bißchen Glamour, wären Stars dann ja doch zu gewöhnlich. Selbst die, die gar nicht schauspielern können und keine Karriere haben.
So unsäglich ist die Frage, ob es ihr in Berlin gefällt gar nicht. Unsäglich sind eher die meist geheuchelten Antworten auf solche Fragen, wobei Berlin noch ganz in Ordnung ist…
Gewiss eine einzigartige und ungewöhnliche Schauspielerin – so wie eben auch Ihr Äußers. anderes aber irgendwie doch schön.
Ich hatte bei jeder PK immer den spontanen Drang die Kollegen der Tagespresse zu erschlagen, wenn sie irgendeinem Promi die Frage gestellt haben, wie es ihm/ihr in Berlin, Hamburg, Berchtesgarden, Posemuckel oder sonstwo gefällt. Was erwarten sie was da für eine Antwort kommt? „Ich weiß ehrlich gesagt nichtmal wo ich hier bin und sehe eh nur den Flughafen, die Minibar und meine Suite ehe ich zum nächsten Promotermin für diesen Film hetze.“ Und was für eine Rolle spielt es ob Star XYZ Ober-Ursel ganz supertoll findet oder vorgibt es ganz „Wunderschon“ zu finden?
Diese Frage steht zusammen mit „Woher nehmen sie ihre Ideen?“, „Müssen Sie nicht selbst Alkoholiker/Serienkiller/Kinderschänder/Blumenverkäufer/Wirtschaftsboss/AlienvomPlanetenEpsilon sein um diese Rolle zu spielen?“ auf meiner persönlichen Shitliste der Fragen, bei denen ich Verständnis hätte wenn der angesprochene sie nur mechanisch beantwortet.
Ja klar die Frage ist immer gleich und die Antwort ist immer „Hintertupfingen ist so ein wundervoller Ort und die Menschen hier sind sooo liebenswürdig“. Es wäre halt toll, wenn Brad Pitt sagen würde, dass ihn das gottverdammte Kaff nicht interessiert und er nur wegen der Promo da ist. :)
@#708593: blog das doch :)
Burn „Before“ Reading?
wenn sich ein erwachsener mann auf der straße bei einem neunjährigen mädchen nach „hannah montanna“ erkundigt, liegt er im nächsten moment mit dem gesicht nach unten auf dem bordstein, drei riesige jungs in polizeiuniform über ihm, die ihn dannach unter blutbrabbelndem ‚das is alles ein missverständnis‘ in eine zwangsjacke stecken und für immer vor der welt verstecken. völlig zu recht.
„Sorry T., das Autogramm gabs leider nicht.“
Allein diese Aussage befinde ich bezeichnend
für die Mediengeilheit der wir uns alle ergeben.
___
Danke Oliver ;-)
@Bjoern
Stimmt ich hatte vergessen, das wir mittlerweile was Kinderficker-Paranoia angeht amerikanische Verhältnisse haben hierzulande ;)
@re
Whoopsy Daisy. Bruce Willis sagte zwar „Proofreading is for pussies“ und wer bin ich ihm zu widersprechen, aber in dem Fall hast du natürlich Recht. Ich hab es korrigiert. Ich dachte beim Tippen von wohl an ein großes montäglich erscheinendes Boulevardmagazin.
#2 „anderes aber irgendwie doch schön.“
Ja, schön ist sie zweifelsohne, anders ist gut. Charlotte Gainsbourg ist auch toll. Ich habe auch nie verstanden, was etwa an Angelina Jolie schön sein soll.
Geschmackssache ist das sicher nicht.
Wie auch immer: Ich sehen, ich muss dringend einige Swinton-Filme nachholen.
Da ich auch diesen Beruf gelernt habe und gelegentlich sogar ausübe, ist der Artikel für mich wie eine Erlösung. Es gibt doch noch ernsthafte, sehr gute Schauspieler, die über „Method Acting“ lachen können.
Danke!
So und ich habe jetzt gesehen, dass heute morgen und freitag auf 3Sat Filme mit ihr kommen. Orlando, Warzone und female perversions.
Ich mag sie gern. Sie spielt ihre Rollen gut und glaubwürdig und ist auch wirklich ein weibliches Prachtstück. Sie kann sich selbst mit gewissen Outfits und Makeup hässlich machen, hat aber immernoch das gewisse Etwas.