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On my shoulders — Eine kurze Anthologie weiblicher Weh- und Demutskultur

Es ist aber auch zum Verzweifeln!
Diese Scheiß-Typen, die nicht einsehen wollen, dass die große Liebe sie schon gefunden hat, eine Liebe, so bedingungslos, dass sie Dritten und Tritten standhält, Demütigungen verzeiht und erhaben ist über die Grenzen der Duldbarkeit hinaus.

Die wahre Größe von Frauen manifestiert sich eventuell gar nicht im beharrlichen Kampf um das, was ihnen verdammt noch mal zusteht, sondern in der Bereitschaft, Herz über Verstand zu stellen und die Herausforderung im Schmerz zu suchen.

Und wenn sie sich dennoch einmal beklagen, tun sie das in einer entwaffnenden Offenheit, die, so will ich hoffen, nur Zeichen großer innerer Stärke (hier: Leidenschaft) sein kann.
Weh- und Demut nach dem Klick.

Aktuellstes Beispiel ist das wunderschöne Beklagelied „On my shoulders“ von the do, in dem Olivia Merilahti sich fragt, warum sie sich das alles eigentlich antut:

„Why are you tryin‘ to make me friends with them soldiers,
when you know that I’ve never been familiar with borders?“

Die Stimme droht ihr weg zu brechen, in hysterische Tonhöhen ab zu driften und nervt doch gar nicht, denn man versteht: die Frau ist im Kern verzweifelt und wird auf ihr mantrahaft wiederholtes „Why?“ ebenso wenig eine Antwort bekommen, wie auf die letzte Frage im Song: „How many summers will I wait?“

Trotzdem Olivia Merilathi nämlich einfach umwerfend aussieht und ein Partnerwechsel kein allzu großes Problem für sie darstellen dürfte, steht zu befürchten, dass sie ewig darauf warten wird, von dem Sack zurück geliebt zu werden.
In Wahrheit nämlich, ist „on my shoulders“ wie die meisten Beklagelieder ein Liebeslied an den Einen und sonst Keinen.


(Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres „Why?“ bezüglich der Band hinzu fügen.)

Der ebenfalls sehr schönen Nina Persson erging es nicht besser, als sie seinerzeit in „Lovefool“ den gut gemeinten Rat der Mutter, sich nach jemand Würdigerem umzusehen, in den Wind schlug und stattdessen den lotterlebenden Angebeteten anflehte: „Love me, love me, say that you love me!“ (und komm‘ um Himmels Willen aus diesem unsäglichen Video!).

Zugegeben- der Mann ist rein äusserlich schwer zu toppen und man ahnt, wofür sich Nina aufzurauchen bereit ist, doch um Äusserlichkeiten, jedes James Blunt Groupie kann das bestätigen, geht es liebenden Frauen nie.
Siehe Billie Holiday in in „My man“:

He’s not much on looks
He’s no hero out of books
But I love him
(…)
Two or three girls has he
That he likes as well as me
But I love him

I dont know why I should
He isn’t true
He beats me, too
What can I do?

Nun, man könnte den einen oder anderen Vorschlag machen, aber auch hier ist die Frage „What can I do?“ eine rhetorische und so kommt Billie Holiday zu dem Schluss:

„Whats the difference if I say
I’ll go away
When I know I’ll come back
On my knees someday

For whatever my man is I’m his forever more“

Was ist schon eine hin und wieder ausrutschende Hand gegen die Power wahrer Liebe? In einem Kurzfilm von Sönke Wortmann, wirbt die frisch verprügelte Heldin um Verständnis für ihren geliebten Peiniger: „Na, ich bin ja selbst Schuld, schliesslich weiss ich ganz genau, wie sehr er Unpünktlichkeit hasst.“

Sie ist, wie viele andere vor und nach ihr, unwiederbringlich an diesen Fiesling gekettet und wäre nicht befreit, sondern verlassen, wenn er ginge.

Aretha Franklin rechnet in „Every little bit hurts“ sehr schön mit ihrer unerfreulichen Ex-Beziehung ab:

To you I’m a toy
And you’re the boy
Who gets to say
When I should play
Yeah you hurt me
Desert me

Und bittet nur eine Strophe später:

Come back to me
Darling you’ll see
I can give you everything
That you wanted before
If you’ll stay with me


Hier eine halbwegs würdige Version von Alicia Keys, die anbetungswürdige Aretha konnte ich nicht finden.

Ist das zu fassen?
Und wer ist Schuld, wenn kniendes Quengeln den Quälgeist nicht beeindruckt? Die Andere!

„I’m strong enough, so I’ll kill her!“
Immerhin- es regt sich Widerstand, wenn auch falsch adressiert, rechtlich bedenklich und insgesamt eher theoretisch.
Lieber ist mir da Kate Nash, die sich das Elend zwar auch eine ganze Weile anguckt, am Ende aber die Koffer packt und geht.

23 Kommentare

  1. 01
    mickey

    cheeeesy

  2. 02

    Die Männer hingegen sind da völlig schmerzfrei.

  3. 03

    Wo sind eigentlich Bikini Kill, wenn man sie mal braucht? Laurie Anderson? Lydia Lunch? Ernsthaft: Es gibt wenig, das ich so sehr verachte, wie die momentan medial aufgebauschte, zwanghafte Selbstreduktion intelligenter Frauen auf die Uralt-Klischee-Rolle des wimmernden, einer kaputten Liebe nachtrauernden Weibchens, das eigentlich nur in den kräftigen, verständnisvollen Armen eines liebenden Mannes zur starken Frau wird. Susan Sonntag? Andrea Dworkin? Anyone? Wenn man nichts mehr zu singen hat, als lächerlich-verheulte Opfer-Liebeslieder, sollte man die Gitarre lieber an den Nagel hängen. Selbstverständlich gilt das auch für die männlichen Pendants.

  4. 04
    susan

    @#711095: Wieso Reduktion? Wehmütige Songs gibt es seit Jahrtausenden, wird es auch immer geben. So wie es eben auch andere Songs und Künstler gibt. Man muss ja auch nicht jeden Metal-Song mit einer Ballade beantworten oder das Piano aufgeben, weil andere Geige spielen.

    Aretha Franklin verachten? Never.

  5. 05
    christopher

    den artikel könnte man 1:1 in ein mtv master wie es sei früher mal gab umsetzen

  6. 06

    aber wenn sie sich dann mal rächen, dann auch richtig: http://www.youtube.com/watch?v=0WxDrVUrSvI

  7. 07

    @Susan: Aretha Franklin verachte ich nicht, sondern die „momentan medial aufgebauschte, zwanghafte Selbstreduktion intelligenter Frauen auf die Uralt-Klischee-Rolle des wimmernden, einer kaputten Liebe nachtrauernden Weibchens, das eigentlich nur in den kräftigen, verständnisvollen Armen eines liebenden Mannes zur starken Frau wird“

    Aretha Franklin gibt mir zwar gar nichts, aber ich erkenne durchaus ihre Größe. Geht mir mit vielem so. Und ich habe auch nichts gegen Wehmut. Ich habe nur etwas dagegen, wenn es zu geballtem Gejammer wird und diese neue Zerbrechlichkeit als irgendwie weiblich und okay angesehen wird. Popkulturell inszenierte Opferrollen, die grundsätzlich patriachalische Strukturen nicht hinterfragen sondern durch die Ablenkung aufs Private zementieren helfen, halte ich für noch kontraproduktiver als die üblichen, pubertären Herablassungen deutschsprachiger Proll-Rapper. Hier schafft weder Humor, Ironie, noch kulturelle Bezugnahme Distanz.

  8. 08

    „Frauen. Da blickst du nicht durch. Auch als Frau nicht. Das ist die wichtigste Erkenntnis meines Lebens.“

    -Die Gräfin-

  9. 09
    cjs

    @ Martin: Naja, es gibt solche und solche…
    http://www.youtube.com/watch?v=mxbTRh1o_RU

  10. 10

    @#711101:
    Ärgerlich. Hab leider keine Zeit, mit zu diskutieren!
    Denn ich habe mich auch gefragt, ob weibliche Selbstauflösung ein aufgefrischter Trend ist, oder mir einfach keine Beispiele aus den 70ern und 80ern einfallen.
    Den o.g. älteren Stücken muss mann immerhin zugute halten, dass ihre Interpretinnen Pioniersarbeit geleistet haben, indem sie männliche Dominanz überhaupt thematisiert haben.
    Franklin ist als Soul-Sängerin über die Frage erhaben. Dem Soul entgeht, ebenso wenig wie dem Blues (B.Holiday) keine Leidensvariante.
    Ausserdem verdanken ihr die Frauen (und Männer!) so grandiose Stücke wir Respekt und Think.

  11. 11
    IvoryTusk

    AAAH! Rhythmisches Klatschen gleich im ersten Video! Wieso wurde ich nicht gewarnt???

  12. 12
  13. 13

    immer diese Geschlechterkampfkacke! klar, tolle songs, durchaus. aber 100% findet man auch 1000 gute Songs von männern mit dem gleichen Inhalt findet und dann ist immernoch nicht raus wer jetzt sooooo viel tiefer liebt und wer die holzköpfe sind.
    Also ich denk mal es gibt in jeder Bevölkerungsgruppe tiefe und seichte, sanfte und kalte, und das sollte man irgendwann mal akzeptieren

  14. 14
    martin

    „[…] eine Liebe, so bedingungslos, dass sie Dritten und Tritten standhält, Demütigungen verzeiht und erhaben ist über die Grenzen der Duldbarkeit hinaus.“

    …was die Frau an sich dann schon wieder verachtenswert macht…

  15. 15
    Florian

    Mehr davon, danke Tanja, du weißt nicht, wie wertvoll diese weibliche Selbstanalyse für Männer oft ist.
    Selbst in der weiblichen Form einer Analyse. Denn das Ideal der Analyse selbst ist über die Zeiten hinweg ein männliches geworden. Wie viel zu vieles, und das ist sehr bedauernswert.

  16. 16

    Der Artikel ist echt klasse. Aber der Song von the do trödelt echt unerträglich vor sich hin. Nach dem lesen der Einleitung war ich gespannt, was da jetzt wohl feines kommt. Und dann so eine Nummer…

    Kommentar 03, I’m teilweise with you.

  17. 17

    Ich liebe Klischees! Und bisher habe ich immer gedacht, Frauen schneiden sich die Haare ab und schreiben „Abrechnungssongs“ während Männer an der Theke in ihr Bier weinen- das haben doch schon die Minnesänger in ihren Klagelidern gemacht!

  18. 18

    ich muss raus aus diesem internet.

  19. 19
    claire

    @ sunny:
    so do i.

  20. 20

    @#711169: indeed? :)

  21. 21

    @#711140: Um Geschlechterkampf ging es mir überhaupt nicht und sicher gibt es tausend todtraurige Liedern, die von Männern gesungen werden.
    Aber die haben trotzdem einen andere Qualität. Männer bitten um Verzeihung, Mitleid oder darum, erhört zu werden. Nenne mir mal einen Song, in dem ein Mann davon singt, wie er misshandelt und gedemütigt wurde, oder einfach nur unter ihrer Respektlosigkeit leidet.
    Und es liegt, zumindest in meinen alten Zitaten sicher an der Rollengeschichte.
    Wenn Billie Holiday fragt, was sie denn tun könnte und dass sie am Ende doch zu ihm zurück kriechen wird, ist das für die Zeit in der sie das sang (etwa 1950) vermutlich eine ganz richtige Einschätzung der Situation und hat mit Gejammer wenig zu tun.
    Musikgeschichte ist immer auch Kulturgeschichte und was mich in dem Zusammenhang wunderte, war das scheinbar plötzliche Wiederauftauchen weiblicher Klagelieder.
    Oder hab ich was verpasst?

  22. 22

    @#711186: Naja, in erster Linie ist es eine Rückkehr von weiblichen Stimmen im Popbuisness. Und die haben einfach gefehlt. Und ich kann es nicht beurteilen, was sich seit L7 bei den Frauen in ihrem Liebesleben abgespielt hat. Doch, könnte ich. Ich finde deinen Artikel grandios, weil er zeigt, wie nachlässig das Thema mit der Frauenbewegung der frühen 90er angegangen wurde. Was passiert eigentlich tatsächlich in der Liebe, im Bett, zwischen Tür und Angel. Aber was an Klageliedern so schlimm ist, verstehe ich nicht ganz. Außer sie handeln von grobem gewalttätigem Missbrauch. Liebe ist gemein, da wird viel gespielt.

    ot: wer fährt mit mir weg?

  23. 23
    Jan(TM)

    @#711186: Zählen „November spawned a Monster“ von Morrissey, „Small Town Boy“ von Bronski Beat, „Do you really want to hurt me?“ von Boy George, „Evelin“ Nationalgalerie, „Paul ist tot“ Fehlfarben?